Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 01.06.2005

Anrede: Verehrter Herr Generalsekretär, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/93/839193/multi.htm


ich bin gern gekommen, zum einen um der ESA zum 30-jährigen Jubiläum zu gratulieren. Zum anderen, weil man, wenn man in diese Institution hineinkommt als erstes eine Haltung spürt, die geprägt ist von einem hohen Maß an Internationalität und einem ebenso hohen Maß an Selbstbewusstsein. Diese Haltung ist richtig, finde ich, und sie fehlt uns gelegentlich in Deutschland. Ich habe beim Rundgang - in sehr kurzer Zeit - einiges zu sehen bekommen und habe einiges gelernt, längst natürlich nicht alles verstanden und durchschaut. Aber dass sich ein hohes Maß an Faszination mit Ihrer Arbeit verbindet, kann man schon spüren, wenn man mit denen redet, die diese Arbeit machen und zu Recht stolz auf diese Arbeit sind.

Diese Faszination für die Raumfahrt teilen sehr viele Menschen in unserem Land. Im Übrigen sollte man nicht unterschätzen, dass das, was Sie tun, dem entgegenarbeitet, was man gewöhnlich Technologiemüdigkeit und Ablehnung von technischem Fortschritt nennt. Ich glaube, die Arbeit, die Sie machen, und die Faszination, die von Ihrem Beruf ausgeht, hat auch viel zu tun mit einer neuen Begeisterung für technologische Fragen bei jungen Menschen, und das prägt Bewusstsein in unserem Land.

Meine Damen und Herren, wir haben uns im europäischen, aber auch im nationalen Maßstab darauf verständigt, dass auf der einen Seite die Erforschung des Weltalls und auf der anderen Seite die Beobachtung der Erde und der Prozesse auf der Erde - gelegentlich auch in der Erde - die Schwerpunkte und die zentralen Elemente unserer Raumfahrtpolitik sind. Ich habe wohl verstanden, dass es heute Entscheidungen braucht, um in zehn Jahren noch vorn zu sein.

Im Übrigen: Das Selbstbewusstsein, das ich hier erleben konnte, gründet ja darauf, dass Sie in vielen Bereichen international führend sind. Ich will ein Beispiel nennen: Mir wurde ein Roboterarm vorgestellt, der einzigartig ist, was seine Technologie und den Vorsprung in dieser Technologie angeht. Wenn man sich anschaut, was dieser Roboterarm etwa bedeutet, wenn es um Hilfe für ältere Menschen oder um Hilfe für behinderte Menschen geht, dann wird unmittelbar klar, dass Ihre Arbeit in für ganz viele Menschen im Alltag hilfreiche Produktion umgesetzt werden kann. Es ist also ein großer Irrtum zu glauben, Ihre Arbeit habe nur etwas mit dem Weltraum und eigentlich nichts mit dem Alltagsleben der Menschen zu tun. Raumfahrt ist also kein Selbstzweck, sondern etwas, was uns hilft, unser Leben besser zu verstehen, was uns aber auch hilft, unseren Alltag leichter zu machen. Es ist also durchaus gesellschaftlicher Nutzen, der hier geschaffen wird, weil Ihre Arbeit Motor für Innovation auch in anderen Bereichen ist und keineswegs nur auf den sehr spezifischen Fachbereich beschränkt ist.

Hier sind etwa Navigationssysteme für den Personen- und Güterverkehr zu nennen. Wir haben es in Deutschland geschafft, eines der modernsten Mautsysteme funktionsfähig zu machen und es zeigt sich, dass wir es in der Welt verkaufen können, mit wachsendem Erfolg, wie ich hoffe. Nach der Tsunami-Katastrophe ist zu Recht die Diskussion darüber geführt worden, was wir denn tun können, um solche Katastrophen künftig zu verhindern. Ganz so weit, ein Seebeben vorauszusagen, sind wir noch nicht. Aber die Systeme zur Beobachtung und zur Vorsorge, die in Deutschland entwickelt worden sind, sind besser als anderswo in der Welt. Nach dem was ich heute gelernt habe, gilt das auch für das, was Sie an Erdbebenbeobachtung machen: Noch kann man keine sicheren Voraussagen machen, wann es wo zu solchen Katastrophen kommt, aber man ist auf dem Weg dorthin. Auch hieran zeigt sich, dass Ihre Arbeit nicht nur mit der Entwicklung von Technologien, sondern auch mit dem Schutz der Menschen vor Naturkatastrophen zu tun hat.

Ähnliches gilt für Galileo. Man schätzt, dass durch Galileo bis zum Ende des Jahrzehnts mehr als 100.000 Arbeitsplätze entstehen können und bis zum Jahre 2020 in diesem Bereich Umsätze - direkt und indirekt - von etwa 20 Milliarden Euro zu erzielen sind. Das zeigt, dass es lohnt, in das System zu investieren. Eines will ich in diesem Zusammenhang deutlich werden lassen: Wenn wir es in Europa nicht schaffen, auch in Konkurrenz mit unseren amerikanischen Freunden, Technologieführerschaft zu entwickeln und, wo wir sie haben, zu behaupten, dann wird das negative ökonomische Konsequenzen für die Europäer und für unser eigenes Land haben. Es wird uns natürlich auch politisch nicht auf gleiche Augenhöhe bringen. Deswegen ist Ihre Arbeit auch ein erheblicher politischer Faktor, was die internationale Geltung angeht.

Wir setzen uns deshalb aus guten Gründen sehr nachdrücklich für Galileo ein. Angesichts der Leistungen, die aus Deutschland heraus für das System erbracht werden können, beanspruchen wir eine Führungsrolle in diesem Bereich. Das war Teil der Verhandlungen, an denen ich, wenn auch nicht unmittelbar, beteiligt war. Deshalb haben wir mit unseren europäischen Nachbarn vereinbart, dass Deutschland bei der Systemführung vorangeht und eine Spitzenposition einnimmt. Damit haben wir zugleich einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, jene 8.000 bis 10.000 Arbeitsplätze, die es in der Raumfahrtindustrie in Deutschland gibt, sicherer zu machen. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass die Beschäftigungsimpulse, die von diesem Bereich ausgehen, in Deutschland umgesetzt werden.

Für die weitere Kommerzialisierung der Erdbeobachtung ist es auch an der Zeit, dass die deutsche Industrie mehr noch als in der Vergangenheit den Wert dessen, was sie tut, erkennt und mehr noch als in der Vergangenheit nicht nur darauf schaut, was die öffentlichen Hände investieren, sondern sich selbst als Industrie massiver als in der Vergangenheit in diesem Bereich engagiert. Wenn man das mit dem Instrument des Public Private Partnership unterlegen könnte, so wäre dies ein vernünftiges Unterfangen. Es ist nicht alleine Aufgabe des Staates, in Forschung zu investieren, sondern die Industrie kann und soll das auch tun. Der Staat hat Rahmenbedingungen zu schaffen, aber innerhalb dieser Rahmenbedingungen haben auch die Unternehmen ihre Potenziale einzubringen. Wir müssen also eng zusammenarbeiten und durch diese Partnerschaft dafür sorgen, dass Möglichkeiten, die in der Grundlagenforschung, in der angewandten Forschung entwickelt worden sind, sehr viel schneller zu marktfähigen Produkten werden können.

Was wir in Europa brauchen, ist ohne Zweifel ein Mehr an Zusammenarbeit, ein größeres Maß an Effizienz. Das heißt auch, dass wir uns ständig über die richtige Organisation dessen, was wir auf europäischer Ebene tun, unterhalten müssen. Wir haben im komplexen System der europäischen Einigung gute Fortschritte gemacht. Dies, Herr Generalsekretär, zeigen die aktuellen Ereignisse. Gleichwohl denke ich, dass die Kooperation, die bei ESA ein wirklicher Erfolg geworden ist, in dieser Weise beispielhaft angewandt werden sollte. Aus dieser Stärke heraus hat ESA dafür gesorgt, dass Europa in der Raumfahrt mit den Vereinigten Staaten von Amerika mithalten kann, in wichtigen Bereichen - ich habe es sehen können - sogar besser ist. Die hohen Investitionen für die Raumfahrt können wir in Europa nur gemeinschaftlich aufbringen. Wir wollen unseren Beitrag auch weiter dazu leisten. Die Zusammenarbeit zwischen ESA und Europäischer Union muss durch ein gemeinsam entwickeltes Raumfahrtprogramm auf sichere Füße gestellt werden. Auch das ist etwas, wofür ich mich wirklich aus Überzeugung und vollem Herzen einsetzen möchte. Ich finde zum Beispiel, dass die ESA für ein solches gemeinsames europäisches Programm die Voraussetzungen liefern muss. Wenn das gelingt, wird die Europäische Union auch weiterhin Nutzer der Raumfahrt sein. Wenn sie das sein will, muss sie auch die entsprechenden Forschungsvorhaben finanzieren wollen.

Meine Damen und Herren, hier in Darmstadt kann man nicht nur Internationalität spüren. Das ist in diesem Bereich wie überhaupt in der Wissenschaft ja schon eine Selbstverständlichkeit. Man kann auch spüren, dass es durch diese Institution gelingt, wirklich die besten Köpfe - Europas allemal, aber auch der Welt - zusammenzubringen und damit auch dem Vorurteil zu begegnen, dass die wissenschaftliche Elite überallhin gingen, nur nicht nach Europa. Wir haben in den vergangenen Jahren, etwa im Bereich der jungen Wissenschaftler, der Studentinnen und Studenten, erreichen können, dass Deutschland ebenso wie England und Frankreich ein hoch attraktives Land ist. Wir sind durchaus stolz darauf, dass zum Beispiel inzwischen 15.000 junge Chinesen in Deutschland studieren. Auch die Zahl der Studenten aus den osteuropäischen Ländern wächst. Viele von denen, die hier studieren, werden mit guten Erfahrungen und guten Kenntnissen entweder in ihre Heimatländer zurückgehen oder zum wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland beitragen.

Alles in allem kann die ESA auf 30 erfolgreiche Jahre zurückblicken, zu denen man nur gratulieren kann. Die nächsten 30 Jahre werden genauso erfolgreich sein. In diesem Sinne wünsche ich alles Gute für die ESA und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.