Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 22.06.2005

Anrede: Lieber Uwe Hück, verehrter Herr Wiedeking, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/87/849487/multi.htm


meine Damen und Herren,

erst einmal herzlichen Dank für die Einladung. Ich bin gern gekommen, auch um darüber zu reden: Was ist eigentlich das Besondere an Porsche? Ich meine jetzt nicht nur an dem Porsche, sondern an Porsche.

Das, was als Erstes einfällt, ist, dass Ihre Arbeit darin besteht, an einem Traum zu bauen, an einem Traumauto zu bauen. Irgendwann einmal mit Porsche in Berührung zu kommen, ist, glaube ich, der Traum eines jeden, der sich mit Automobilen beschäftigt. Nicht alle werden ihn realisieren können; ich kenne auch einen, der es nicht konnte. Aber je mehr das können, umso besser ist es für das Unternehmen und natürlich für diejenigen, die als Beschäftigte in dem Unternehmen sind.

Aber einen Traum zu produzieren, ein Traumauto, ist nicht die einzige Erklärung für das Besondere an Porsche. Es ist in den Reden des Vorstandsvorsitzenden und des Betriebsratsvorsitzenden schon angeklungen. Es gibt mehrere Faktoren, die beispielhaft sind, die so etwas sind, was wir uns als Modell Deutschland durchaus wünschen.

Worin besteht das? Erstens. Es ist klar geworden: Man arbeitet hier zusammen. Man respektiert einander - die einen, die im Vorstand sind, und die anderen, die in den Produktionshallen und in den Verwaltungen tätig sind. Man weiß, dass man aufeinander angewiesen ist, wenn man Erfolg haben will. Ich finde, diese Kultur des miteinander Umgehens, die Bereitschaft, im anderen denjenigen zu erkennen, der das, was er leisten kann, dem Unternehmen zur Verfügung stellt und ( das Bewusstsein ) , dass das genauso wichtig ist wie jemand, der wissenschaftlich oder im Vorstand tätig ist, ( ist das Besondere an Porsche ) . Diese Kultur der Gemeinsamkeit ist etwas, was Porsche auszeichnet. Es gibt sie in vielen deutschen Unternehmen, und sie ist beispielhaft. Sie hat Deutschland stark gemacht. Sie hat dieses Unternehmen stark gemacht und wird es stark halten.

Ein zweiter Punkt kommt hinzu; das ist auch in den beiden Reden angeklungen. Wir wollen und wir können nicht die Billigsten auf den Weltmärkten sein. Wer die Vorstellung entwickelte - und es gibt sie ja in unserer politischen Diskussion - , wir könnten und dürften jemals mit Löhnen und Gehältern in China oder auch nur in Osteuropa, so wie sie jetzt sind, konkurrieren, der ist nicht nur unsozial; er handelt auch ökonomisch unvernünftig. Denn es ist wahr, dass vernünftig bezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diejenigen sind und sein müssen, die die Produkte, die andere herstellen, auch kaufen.

Dieser Zusammenhang zwischen der Nachfrage in einer Volkswirtschaft und dem, was produziert werden kann, wird häufig genug übersehen. Aber wir übersehen ihn nicht. Ich finde es deswegen richtig zu sagen: Beteiligung am Erfolg - in welcher Form auch immer - ist nur vernünftig; Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Erfolg des Unternehmens, in Form vernünftiger Löhne, in Form von Sonderzahlungen, in Formen des Miteigentums. Alle Möglichkeiten sollten genutzt werden, weil sie moderne Möglichkeiten in einer Volkswirtschaft sind.

Das Entscheidende indessen für den Erfolg dieses Unternehmens hat mit guten und innovativen Produkten zu tun. Wenn wir nicht die Billigsten sein können - und das können wir nicht auf den Märkten - , dann müssen wir die Besten sein oder zu den Besten gehören. Das gilt nicht nur für Automobile. Das gilt für die gesamte Produktpalette unserer Volkswirtschaft. Wir können das schaffen, und dieses Unternehmen beweist es ja. Der Wettbewerb ist auch in diesem Sektor sehr, sehr hart. Aber Porsche hat ihn erfolgreich bestanden, weil Sie hoch innovativ und die Besten sind.

Übrigens, die Besten zu sein, das darf sich nicht nur auf das Produkt beziehen - auch da will ich darauf antworten, was Uwe und Herr Wiedeking gesagt haben - , sondern das muss sich auch auf das Verfahren der Herstellung des Produktes beziehen. Das meint ja Flexibilität.

Wenn man höhere Löhne verglichen mit dem Weltmarkt nicht nur will, sondern braucht, weil man sonst nicht in Würde leben kann, dann muss man auch bei der Frage "Wie wird das Produkt hergestellt, das zu den Besten gehört" am Flexibelsten sein. Das meint im Grunde Produktivität. Man muss dann liefern können, wenn ein Käufer etwas haben will. Es nutzt ja nichts, liefern zu können, wenn er nichts haben will und, was noch schlechter ist, wenn er etwas haben will, das man nicht liefern kann. Dann könnte er ja auch zu einem anderen gehen.

Also: Flexibilität oder - anders ausgedrückt - das Besondere nicht nur im Produkt, sondern auch in seiner Herstellung hoch zu halten, was dann übrigens auch mit Qualität zusammenhängt, das, denke ich, ist modern, und das sichert Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland bei vernünftigen Lohnniveaus.

Der nächste Punkt, der die Kultur von Porsche prägt und der deswegen beispielhaft ist, hat nun wirklich etwas mit Bildung und Ausbildung zu tun. Ich finde das wirklich berührend. Es ist toll toll, dass gesagt wird: Auch Auszubildende sind nicht einfach Kostenfaktor. Und wenn wir über den Durst ausbilden, über die Zahl hinaus, die wir selber brauchen, dann tun wir etwas für die jungen Menschen. Dann tun wir etwas für die Gesellschaft, aber auch für die Volkswirtschaft insgesamt. Denn den Zusammenhang zwischen dem aufzulösen, was man heute an Ausbildung leistet und morgen an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat, ist ja ganz und gar unsinnig. Er existiert. Wer nicht ausbildet, der sägt selbst an dem Ast, auf dem er morgen sitzen will und sitzen muss, auch als Unternehmen.

Wenn man einmal diese Punkte zusammennimmt, ( so hat Porsche ) eine ganz bestimmte Unternehmenskultur der gemeinsamen Arbeit. Unabhängig vom Status ist Ausbildung etwas, was Qualifikation für morgen schafft. Und es verfügt über die besten Produkte, die man sich vorstellen kann und ein Verfahren der Herstellung, das flexibel auf den Markt reagieren kann. Das ist das Erfolgsgeheimnis, das hier sichtbar wird.

Ich hätte gern, dass man das überträgt, dass man das nicht nur in einem Unternehmen praktiziert, sondern unsere ganze Gesellschaft nach diesen Prinzipien aufgebaut ist. Das bedeutet dann - da bin ich bei dem Teil, der nicht nur Porsche betrifft, sondern uns alle - : Was ist die Erfolgsbedingung, wenn man es auf den Staat, auf unsere ganze Gesellschaft überträgt?

Da gibt es eine Diskussion, dass man angeblich die unterschiedlichen Formen von Mitbestimmung in den Betrieben und im Unternehmen nicht mehr braucht, weil sie hinderlich seien und klare und schnelle Entscheidungen erschweren. Man muss sich ja mit diesem Argument auseinander setzen.

Hier und anderswo wird bewiesen, dass umgekehrt ein Schuh draus wird. Wenn es schwierige Umstellungsprozesse gibt - und die werden immer schneller vonstatten gehen müssen angesichts der Globalisierung und des zunehmenden Wettbewerbdrucks - , dann erreicht man sie, ohne etwas kaputt zu machen, in den Betrieben doch nur, wenn man die Menschen einbezieht. Was hier erfolgreich praktiziert wird, muss Prinzip der ganzen Gesellschaft bleiben.

Deswegen sage ich und kämpfe auch dafür - und zwar aus Überzeugung - : Hände weg von den Erfolgen, die wir durch betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung errungen haben. Dies hat Deutschland nicht schwächer gemacht, sondern im Vergleich zu anderen stark gemacht. Das ist wichtig, immer wieder festgehalten zu werden.

Zweitens. Uwe Hück hat darauf hingewiesen, was denn die Basis vernünftigen Zusammenlebens ist. Er hat deutlich gemacht: Nach seiner, auch nach meiner Überzeugung ist das Sozialstaatlichkeit. Jemand, der Sozialstaatlichkeit im nationalen, auch im internationalen Maßstab prinzipiell in Frage stellte, rührte doch an die Grundfeste unserer gesamten politischen und sozialen Ordnung. Deswegen kann es für vernünftige Leute gar nicht die Frage sein, ob wir Sozialstaatlichkeit über Bord werfen oder nicht, sondern nur, wie wir sie unter radikal geänderten und veränderten wirtschaftlichen Bedingungen in Deutschland, in Europa und der Welt erhalten können. Das ist die eigentliche Aufgabe.

Was sind diese radikal veränderten Bedingungen? Erstens ist das - auch darauf hat Uwe hingewiesen - ein veränderter Altersaufbau in unserer Gesellschaft. Es beißt die Maus keinen Faden ab: Wir haben zu wenig Kinder. Es muss jetzt keiner Angst haben. Früher hätten wir an die Vergesellschaftung der Produktionsmittel gedacht; aber die sollen privat bleiben. Das ist eine feste Zusage. - Ich höre ein reichlich müdes Klatschen, aber immerhin doch ein Klatschen. Da gibt es wenigstens ein paar, die noch etwas vorhaben.

Es ist also so, dass wir einen völlig veränderten Altersaufbau haben. Nur um einmal ein Beispiel zu nennen: Vor 30 Jahren brauchte man, um einen Rentner zu versorgen, die Beiträge von zehn Leuten. Sie waren entsprechend gering. Heute braucht man die Beiträge von drei Leuten, was bedeutet, dass sie höher sind. Diese Veränderungen drücken natürlich auf die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Wer immer erzählt, ein einfaches "weiter so" würde, wenn man es denn nur wollte, ausreichen, der versucht, den Menschen Sand in die Augen zu streuen.

Bei diesen Veränderungen, die wir in diesen beiden Bereichen, im Wettbewerb und beim Altersaufbau, haben, muss reagiert werden. Wir mussten uns fragen: Was machen wir mit der Alterssicherung? - Wir können doch nicht zulassen, dass in Zukunft nur für die Rente Beiträge von 25 oder 26 % gezahlt werden; von denen, die aktiv sind, die immer weniger werden, an diejenigen, die ein erfülltes Arbeitsleben hinter sich haben und ein Recht auf Versorgung haben.

Bei dem Punkt, bei dem gehandelt werden musste und der mit viel Ärger verbunden war, galt es, die Balance zu verändern zwischen dem, was man selber tun muss und dem, was die Solidarsysteme noch leisten können. Wir haben das mit der so genannten Riester-Rente gemacht. Die Fachleute nennen das Aufbau von Kapitaldeckung. Letztlich geht es um Eigenvorsorge. Es ist völlig richtig, was gesagt worden ist. Wenn man das dann in den Betrieben machen kann - und dafür haben wir ja gesorgt - , dann hat man eine Alterssicherung, die auf zwei Säulen steht: Die Eine ist solidarisch finanziert wie bisher über die Beiträge, übrigens stark durch Steuermittel unterstützt. Ein Drittel der Rentenleistungen werden heute steuerfinanziert; sie sind längst nicht mehr nur beitragsfinanziert aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Also mussten wir die Balance verändern und haben gesagt, es geht entweder über private Vorsorge oder über die Betriebe. Hier wird es gemacht, und ich habe an dem Beifall vernommen, erfolgreich gemacht.

Das Zweite. Wir haben die Situation beim Gesundheitswesen gehabt, dass die Kassen im Jahr 2003 zweieinhalb Milliarden Euro Verluste machten. Wir mussten etwas tun. Wir mussten die Balance verändern zwischen dem, was man selber für die Gesundheit leistet und dem, was aus Ihren Beiträgen mitfinanziert wird. Die Hälfte der Leistungen wird ja aus den Beträgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finanziert. Deswegen mussten wir hergehen und sagen: Erstens, Leute, Ihr müsst sorgfältiger, sparsamer mit dem System umgehen. Sonst geht es kaputt. Zweitens, wir müssen eine neue Balance zwischen Eigenvorsorge und solidarischer Versicherung finden. - Wir haben sie gefunden.

Der Trend ist umgekehrt. Die Kassen machen keine Verluste mehr, sondern Überschüsse und sollen das in Beitragssenkungen weiter geben, die Ihnen netto mehr von dem lassen, was Sie brutto einzufordern haben. - Das ist der Zusammenhang.

Wir mussten drittens ein unheimlich schwieriges Problem lösen, das uns sehr viel Ärger bereitet hat - weil der Bevollmächtigte da ist, ( sage ich das jetzt ) - , auch mit den Gewerkschaften. Wir haben das härtest diskutiert. Aber auch im Bereich des Arbeitsmarktes konnten wir die Dinge nicht so lassen, wie sie sind. Fast 600.000 Leute, davon 180.000 junge Leute unter 25 Jahren, waren noch nie mit dem Arbeitsleben in Berührung gekommen, sondern lebten von Sozialhilfe. Wir haben sie da heraus geholt - natürlich mit dem Auftrag an die Bundesagentur, sie entweder mit einem Ausbildungs- oder einem Praktikumsplatz oder einen Arbeitsplatz, wenn sie eine Ausbildung hatten, zu versorgen. Das hat übrigens die Zahlen nach oben getrieben; denn sie waren in keiner Statistik mehr. Sie waren vergessen, obwohl unter 25. Das hätte auf Dauer kein Staat ausgehalten, wenn das so weiter gegangen wäre.

Und wir müssen von denen, um die es dabei geht, auch erwarten, dass sie sich selber anstrengen. Das meint: Wir müssen sie fördern, aber wir müssen sie auch fordern. Jeder in diesem Land - das meint Solidarität, für mich jedenfalls - muss das tun, was er zu leisten im Stande ist, was er für sich, seine Familie und die Gemeinschaft auch leisten will. Das ist Solidarität. Solidarität ist nicht einfach nur Versorgung, sondern ist auch das Abfordern der jedem Einzelnen möglichen Leistung.

Eingetreten wird als Gesellschaft, als Staat, wenn er zu alt, zu jung oder krank ist. Das sind die Fälle, die es gibt. Wenn er keine Arbeit hat, dann müssen wir heran und versuchen, mit allen Möglichkeiten, die wir haben, neue Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen.

Da bin ich bei einem Punkt, den ich auch für wichtig halte. Es ist ja üblich geworden, diese Aufgabe, die die Politik gar nicht allein leisten kann, allein vor den Türen der Politik abzulegen. Aber in aller Regel entstehen Arbeitsplätze nicht durch Investitionen des Staates, sondern durch Investitionen Privater. Wir haben die Aufgabe, miteinander dafür zu sorgen, dass die Unternehmen Rahmenbedingungen vorfinden, in denen sie ihre Aufgaben genauso klar definieren und ausführen können, wie das von uns erwartet wird. Nur eine gemeinsame Anstrengung von Wirtschaft und Gesellschaft, von Wirtschaft und Politik, ist in der Lage, weil es wesentlich um private Investitionen geht, das Problem der Arbeitslosigkeit Schritt für Schritt zu lösen. Nur eine gemeinsame Anstrengung ist dazu in der Lage; sonst gibt es keine ( Lösung ) .

Ich bin dann beim Thema, das viele Menschen zurzeit umtreibt. Ich verstehe all diejenigen - ich habe mich ja häufig genug daran beteiligt - , die von Europa erwarten, dass in Brüssel nur das geregelt wird, was europaweit geregelt werden muss.

Übrigens: In der Verfassung, die in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt worden ist, stand das drin, das so genannte Subsidiaritätsprinzip, dass die Brüsseler nur regeln dürfen, was sozusagen Brüssel etwas angeht. Das stand da drin. Das hat sicher in Frankreich und den Niederlanden nicht jeder gelesen; in Deutschland, fürchte ich, auch nicht. Aber es steht drin.

Darin steht übrigens auch, dass Maßnahmen, die gemacht werden, auch auf die sozialen, nicht nur auf die wirtschaftlichen Folgen abgeklopft werden müssen. Die Verfassung ist weit besser als ihr Ruf.

Aber ich wollte eine Bemerkung zu dem machen, worüber sich Herr Wiedeking auch beschwert hat. Erstens will ich ihm hier das Versprechen abgeben, verehrter Herr Vorsitzendender: Dieses Ding mit dem Schinken, das lasse ich nicht durchlaufen.

Ich muss von hier aus gleich nach Aachen. Da sehe ich den Kommissionspräsidenten, den Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten in Strassburg und Kommissar Verheugen. Denen werde ich gleich sagen: Macht euch überhaupt nichts vor. Das mit dem Schinken läuft nicht, wenn es denn überhaupt laufen sollte. - Manchmal werden ja auch Richtlinien für die politische Debatte erfunden, die, wie man so sagt, gar nicht in der Pipeline sind. Aber ich werde mich erkundigen und gebe hiermit ein Versprechen ab: Zur nächsten Betriebsversammlung, wenn Ihr mich denn einladen solltet, komme ich mit einem Schinken, der wie bisher gepökelt werden darf.

Aber ich möchte zum Abschluss gern etwas zu Europa sagen: Es wird ja gelegentlich so diskutiert, als ob die Schwierigkeiten, die wir haben, also Lohnkonkurrenz, Steuerkonkurrenz und Konkurrenz bei den Dienstleistungen, Folge der Erweiterung der Europäischen Union wären. Das wird ja gesagt. Es heißt: "Weil Ihr die Europäische Union erweitert habt und Ihr Polen, Ungarn, Tschechien - und wie sie alle heißen - hinein genommen habt, haben wir jetzt die Probleme am Hals." Ich bitte einmal genau zu überlegen: Ist das wirklich so? - Ich meine nämlich: Nein.

Was ist eigentlich die Ursache für Freizügigkeit? Die Ursache für Freizügigkeit ist der Fall des Eisernen Vorhangs, und den wollen wir ja wohl nicht wiederhaben. Das heißt, die Tatsache, dass in Deutschland die Mauer und in Europa der Eiserne Vorhang verschwunden ist, ist die Ursache für die Möglichkeit der Menschen aus Ost und Südosteuropa, frei zu sein. Nur diese Freiheit darf ihnen niemand wieder nehmen wollen, und wir schon gar nicht. Wenn aber die Ursache der Probleme darin liegt, dass wir freie Menschen aus Ost- und Südosteuropa haben, dann stellt sich doch für uns nur die Frage: Wie bekommen wir die Probleme in en Griff?

Dann ist doch die logische Folge, dass man die Probleme dann und nur dann in den Griff bekommt, wenn man diese Länder in die vertraglichen Beziehungen einbezieht. Sonst hat man gar keine Möglichkeit, das, was willkürlich vonstatten geht, zu regeln. Also die Erweiterung, sie in die Union hinein zu nehmen, hat uns die Möglichkeit verschafft, die Probleme erst zu lösen, die wir ohne sie nicht hätten lösen können und auch nicht lösen würden. Denn das würde einfach ungebremst vonstatten gehen. Es sei denn, wir bauten neue Mauern auf, was keiner wollen kann. Jetzt kommt es darauf an, den Lösungsansatz vernünftig hinzubekommen.

Da bin ich wieder bei dem, was Herr Wiedeking und Uwe Hück gesagt haben. Was müssen wir jetzt auf der Basis der Hereinnahme dieser Länder tun? Wir müssen in der Tat dafür sorgen - und wir sind dabei - , dass es keine Steuerkonkurrenz derart gibt, dass man in einen Senkungswettlauf hineinkommt. Denn der Staat braucht vernünftige Mittel, um Bildung und Betreuung zu finanzieren.

Also sind wir auf der Basis der Verträge dabei, mit ihnen darüber zu reden, um zunächst einmal die Grundlage für die Erhebung von Steuern europaweit einheitlich zu machen, also das, was man Bemessungsgrundlage nennt. Das ist der erste Schritt.

Der zweite Schritt: Wir brauchen das - und wir kämpfen darum - , was wir bei den indirekten Steuern, also bei der Umsatzsteuer, in Europa schon erreicht haben. Dort gibt es nämlich Bandbreiten zwischen 16 und 25 % . Solche Bandbreiten, innerhalb derer dann die Länder einen vernünftigen Wettbewerb, aber keinen ausufernden, machen können - ich will mich jetzt nicht zur Höhe äußern, wie groß die Bandbreiten sein müssen - , brauchen wir auch bei den direkten Steuern, bei den Unternehmenssteuern und bei den unternehmensrelevanten Einkommensteuern, damit dieser Steuerwettbewerb nach unten aufhört.

Das sind die beiden Punkte, an denen wir gegenwärtig arbeiten - eine einheitliche Bemessungsgrundlage und sinnvolle Bandbreiten auch für die direkten Steuern, die es bei den indirekten Steuern bereits gibt.

Der zweite Punkt. Sie wollen die Dienstleistungsmärkte total liberalisieren. Ich habe eine ellenlange Auseinandersetzung mit dem damaligen Kommissar Herrn Bolkestein aus Holland über diese Frage führen müssen. Ich habe immer wieder gesagt: Leute, Ihr müsst einfach sehen, Dienstleistungen werden durch Menschen auf dem Markt angeboten. Menschen bieten sich für Dienstleistungen an. Das ist etwas anderes, als wenn ich über ein Produkt rede, das natürlich vorher von Menschen hergestellt worden ist. Deswegen dürft Ihr Dienstleistungen nicht behandeln, wie Ihr andere Güter behandelt.

Um diese Diskussion geht es jetzt. Wir wollen nicht und werden auch nicht zulassen, dass Menschen aus einem anderen, der EU angehörigen Land zu uns kommen oder in ein anderes Land gehen und nicht zu den sozialen und ökologischen Standards arbeiten, die im eigenen Land gelten - in dem Land, in dem sie arbeiten wollen, in diesem Fall bei uns - , sondern zu Standards, die im Entsendeland gelten. Ich will jetzt keine nennen, aus guten Gründen. Aber das muss klar sein: Wer in Deutschland Dienstleistungen erbringen will, der muss das zu den sozialen, den ökologischen und den Entlohnungsstandards tun, die in Deutschland gelten und nicht zu denen, die woanders gelten. Das ist der entscheidende Punkt.

Drittens. Wir brauchen dieses einheitliche Europa auch, um etwas hinzubekommen, was wir nur in Ansätzen haben. Das hat etwas mit der besonderen Rolle dieses Europas zu tun. Das ist ja ein Kontinent, auf dem sich in den Jahrhunderten die blutigsten Kriege abgespielt haben, in dem sich atomar gerüstet Ost und West gegenüber standen, mit all den Gefährdungen, die damit für die Existenz des Kontinents verbunden sind.

Die Union zu vernünftigen Bedingungen herzustellen - ich stimme der Bürokratiekritik zu - , das heißt etwas Ähnliches, was wir mit Frankreich geschafft haben, auch mit anderen westeuropäischen Ländern zu erreichen, also aus ehemaligen Feinden, die sich blutigst bekämpft haben - das ist erst 60 Jahre her - , Freunde zu machen. Das gilt für die Union. Das gilt nach meinem Dafürhalten auch im Verhältnis zu Russland, unserem anderen riesengroßen Nachbarn. Nur eine Union, die politisch handlungsfähig ist, nur eine politische Union - was jetzt immer diskutiert wird - , ist in der Lage, unseren Kindern, Ihren Kindern das Versprechen zu geben, dass diese Union Friedensmacht ist. Das ist jedenfalls einer der für mich stichhaltesten Begründungen einer Europäischen Union, nämlich Friedensmacht in den wieder zunehmenden Konflikten überall in der Welt zu sein.

Dafür möchte ich mich einsetzen. Dafür brauche ich eine Menge Unterstützung. Deswegen bin ich dankbar, dass ich hier mitten in einem erfolgreichen Betrieb das, was ich mir vorstelle, sagen konnte. Es wird dann jeder selber entscheiden müssen, wie das Land aussehen soll. Aber ich bin da guten Mutes.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Familien alles Gute. Da es Porsche gut geht, wird das auch so bleiben. Mein Wunsch - da bin ich sicher - wird mit Ihrer Hilfe, mit Ihrer Arbeit und mit Ihrer Art der Zusammenarbeit auch in Zukunft in Erfüllung gehen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.