Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 24.06.2005

Anrede: Sehr geehrter Professor Gruss, sehr geehrter Professor Singer, Herr Ministerpräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/43/850043/multi.htm


Ich freue mich, heute Gast Ihrer Jahresversammlung zu sein. Denn die Max-Planck-Gesellschaft trägt mit ihrer Arbeit entscheidend zum internationalen Renommee Deutschlands bei. Dies nicht nur durch ihre exzellente Grundlagenforschung in wichtigen Bereichen der Natur- und Geisteswissenschaften. Sondern auch durch die hohe internationale Vernetzung und die Arbeit der zahlreichen ausländischen Wissenschaftler an den Max-Planck-Instituten.

Die Bundesregierung misst der Arbeit der Max-Planck-Gesellschaft hohe Bedeutung zu. Wir haben in den vergangenen sieben Jahren die Zuschüsse des Bundes von rund 400 auf nunmehr fast 500 Millionen Euro erhöht. Denn wir wissen, dass die Arbeit, die in den Instituten geleistet wird, elementar für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft ist. Nur eine Grundlagenforschung in Freiheit und Unabhängigkeit ist in der Lage, den wichtigsten Rohstoff für künftigen Wohlstand zu liefern: neues Wissen.

Meine Damen und Herren,

um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, braucht unser Land beides: Auf der einen Seite die Spitzenleistungen an unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Und auf der anderen Seite die Anwendung von Forschungsergebnissen und die schnelle Umsetzung in Produkte. Für beides müssen wir die bestmöglichen Rahmenbedingungen schaffen.

Das bedeutet nicht, dass man wissenschaftliche Tätigkeit allein nach Kriterien der wirtschaftlichen Verwertbarkeit ausrichten darf. Natürlich braucht die Grundlagenforschung die Gewissheit, ohne den Druck unmittelbarer Verwertbarkeit und ohne den Zwang ständiger Nützlichkeitsnachweise stattfinden zu können. Aber wir müssen auch von der Grundlagenforschung die Bereitschaft einfordern, die Umsetzung in marktfähige Produkte nach Kräften zu fördern.

Die Max-Planck-Gesellschaft verkörpert dies in vorbildlicher Weise. Zahlreiche Biotechnologie-Firmen in Deutschland haben ihre Basis in den Forschungen der Max-Planck-Gesellschaft, viele von ihnen wurden aus den Instituten ausgegründet. Die moderne Kernspin-Tomographie wäre nicht denkbar ohne die Vorarbeiten des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen. Auch auf anderen Gebieten zeigt die Max-Planck-Gesellschaft, wie die enge Verbindung zwischen Grundlagenforschung und Praxis gelingt: So wurde die PISA-Studie in Deutschland federführend vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung betreut.

Meine Damen und Herren,

die Bundesregierung wird im Forschungs- und Bildungsbereich ihre Anstrengungen weiter verstärken. Wir haben die Ausgaben gegenüber 1998 um 36 Prozent auf rund 10 Milliarden Euro erhöht. Wer an die Jahre vor 1998 zurückdenkt, weiß, dass eine solche Entwicklung keinesfalls selbstverständlich ist. Im Zeitraum von 1993 bis 1998 wurde der Etat für Bildung und Forschung um 390 Millionen Euro gesenkt.

Von dem Kurswechsel haben gerade auch die großen Forschungsorganisationen profitiert. Wir wollen diesen Weg der Stärkung von Bildung und Forschung weitergehen. Es ist daher ein großer Erfolg für unsere Politik, dass gestern nach langen Verhandlungen der Pakt für Forschung und Innovation und die Exzellenz-Initiative verabschiedet wurden.

Das betrifft gerade auch die Max-Planck-Gesellschaft - denn damit sichern wir langfristig verlässliche Steigerungsraten für ihre Institute. Pakt und Exzellenz-Initiative hätten schon vor mehr als einem Jahr realisiert werden können. Aber die Ministerpräsidenten von CDU und CSU haben das Programm blockiert, obwohl die Wissenschaftsminister aller Länder und des Bundes sich einig waren.

Dadurch haben Hochschulen und Forschungseinrichtungen wertvolle Zeit verloren. Mit dem Pakt für Forschung und Innovation werden wir die Etats der großen Forschungsorganisationen steigern. Wir erhöhen die Fördermittel bis 2010 um jährlich mindestens 3 Prozent. Und die Rahmenbedingungen - zum Beispiel im Bereich des Dienst- und Tarifrechts - werden verbessert. Im Gegenzug werden die Forschungseinrichtungen die Vernetzung mit der Wirtschaft, die Internationalität und die Nachwuchsförderung stärken.

Mit der Exzellenz-Initiative werden wir die universitäre Spitzenforschung ausbauen.

Wir fördern Graduiertenschulen und Exzellenz-Cluster - vor allem aber auch das Profil ganzer Universitäten. Alle deutschen Universitäten können sich an diesem Wettbewerb beteiligen. Um zu unterstreichen, wie wichtig uns das Programm ist, übernimmt der Bund 75 Prozent der Kosten.

Ich freue mich sehr, dass viele Hochschulen im ganzen Land hochmotiviert für eine Teilnahme sind. Und ich bin sicher, dass wir damit das Beste für unser Land erreichen. Denn wenn wir das wollen, dann müssen wir auch die Besten fördern - und wir müssen die Besten zu uns ins Land holen. Mit diesen Maßnahmen werden wir die Rahmenbedingungen für Forschung und Bildung in unserem Land grundlegend verbessern. Einen weiteren entscheidenden Schritt könnten wir durch die Abschaffung der Eigenheimzulage erreichen.

Damit würden bis zum Jahr 2010 rund 15 Milliarden Euro zusätzlich für Schulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen frei. Dies ist eine Aufgabe von nationaler Bedeutung. Auch hier muss die Union sich im Vermittlungsausschuss bewegen.

Meine Damen und Herren,

wenn wir Teilhabe, Wohlstand und Gerechtigkeit in unserem Land sichern wollen, dann müssen wir Kreativität, Produktivität und vor allem Innovationskraft besser mobilisieren. Ein wesentlicher Aspekt der Agenda 2010 ist es, durch die notwendigen Reformen Ressourcen für Bildung, Wissenschaft und Innovation frei zu bekommen. Also von Vergangenheits-Subventionen hin zu Zukunfts-Investitionen umzusteuern.

Dabei, und das kann gerade in diesen Tagen selbstbewusst betont werden, sind die Ausgangsbedingungen unseres Landes hervorragend: Deutschland ist der zweitgrößte Exporteur von Hochtechnologieprodukten. Wir sind das Land mit den meisten Patenten, wissenschaftliche Veröffentlichungen deutscher Forscher werden überdurchschnittlich oft zitiert. Und in entscheidenden Schlüsseltechnologien sind wir gut positioniert: Die Biotechnologie hat in Deutschland einen rasanten Aufstieg in die europäische Spitze genommen. Ähnliches gilt für die Informations- und Kommunikations-Technologie, die Nanotechnologie, optische Technologien oder die Energieforschung.

Auf diese Erfolge müssen wir aufbauen. Und zwar, indem wir Rahmenbedingungen für Innovation schaffen, wie sie besser in keinem Land der Welt zu finden sind. Denn die Produktzyklen werden immer kürzer, der internationale Wettbewerb um wissensintensive Technologien verschärft sich beständig. Wir haben in der Vergangenheit deutlich erfahren, dass aus guter Forschung in unserem Land nicht automatisch neue Produkte und Verfahren werden. Wir alle kennen die Beispiele aus der Informations- und Kommunikationsbranche - Produkte, die zwar in Deutschland erfunden, aber in Japan oder den USA erfolgreich auf den Markt gebracht wurden.

Hier wurden Chancen nicht gesehen, oder man gab der Chance keine Chance. Das ist der Grund, warum ich mich dafür einsetze, dass wir uns in der Gentechnik nicht vom Fortschritt in der internationalen Forschung abkoppeln. Dann wären wir nicht nur von ökonomischen Möglichkeiten, sondern auch von der Mitsprache über die Nutzung und der Kontrolle der Verfahren ausgeschlossen. Die Forschung, dessen bin ich mir sicher, würde andernorts fortgesetzt. Und womöglich ohne Berücksichtigung ethischer Überlegungen. Das heißt für mich: Wir sollten verstärkt auf die Chancen setzen. Wir dürfen der Wissenschaft nicht vorschnell Optionen aus der Hand nehmen.

Meine Damen und Herren,

wir haben in den vergangenen Tagen auch eine Debatte erlebt über die Frage, wie auf europäischer Ebene mit der Forschungspolitik umgegangen werden soll. Mit der Lissabon-Strategie hat sich die Europäische Union das Ziel gesetzt, bis 2010 zum innovativsten und wettbewerbsfähigsten Standort der Welt zu werden.

Dazu müssen wir unsere Anstrengungen bei Forschung und Innovation sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene verstärken. Auf nationaler Ebene sind wir auf einem guten Weg. Wir geben derzeit rund 2,5 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung aus. Damit liegen wir an der Spitze der großen europäischen Länder.

Zum Vergleich: In Großbritannien liegt dieser Wert bei 1,9 Prozent. Bis 2010 wollen wir in Deutschland 3 Prozent erreicht haben. Auf europäischer Ebene werden wir dieses Ziel nur in einer gemeinsamen Anstrengung der Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission erreichen. Auch deshalb müssen wir so rasch wie möglich einen Ausweg aus der gegenwärtigen Krise der Europäischen Union finden.

Meine Damen und Herren,

die Max-Plack-Gesellschaft hat das Einstein-Jahr maßgebend mitgestaltet. Dafür möchte ich seitens der Bundesregierung Dank und Anerkennung ausdrücken. Es geht uns damit auch darum, Interesse für die Naturwissenschaften zu wecken und zu fördern. Mit den sechs "Jahren der Wissenschaft" haben wir schon dazu beigetragen, dass die Zahl der Studierenden in den Naturwissenschaften seit 1998 um 72 Prozent zugenommen hat.

Sich mit Kulturen, Geschichte und sozialen Entwicklungsmodellen auseinander zu setzen, bleibt ebenso eine wichtige Aufgabe - gerade in Zeiten der Globalisierung. Wir brauchen also sowohl in den naturwissenschaftlichen als auch in den geisteswissenschaftlichen Bereichen Exzellenz und Internationalität. Auch hier leistet die Max-Planck-Gesellschaft vorzügliche Arbeit.

Meine Damen und Herren,

ich bin überzeugt: den Herausforderungen der Zukunft werden wir in einer offenen Wissensgesellschaft am besten begegnen können. Das gilt für die Erschließung neuer Technologien und die Schaffung neuer Arbeitsplätze genauso wie für die Bekämpfung von Krankheiten und die Wahrung des sozialen Friedens. Dafür brauchen wir in Deutschland eine neue Kultur der Wissenschaft.

Eine Kultur der Freiheit, die eine Forschung ermöglicht ohne Fesseln, aber nicht ohne Grenzen. Eine Kultur der Internationalität und Weltoffenheit - als Garant für den Fortschritt von Wissenschaft und Erkenntnis. Und vor allem eine Kultur von Verständnis und Verständigung, die der besseren Wahrnehmung von Wissenschaft in unserer Gesellschaft dient. Wissenschaftler müssen ihre Erkenntnis der Gesellschaft nahe bringen.

Und sie müssen Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Die Gesellschaft muss Wissenschaft optimal unterstützen. Und sie muss in einem offenen und kritischen Diskurs Verantwortung für die Verwendung wissenschaftlicher Erkenntnis übernehmen. Dafür bedarf es gemeinsamer Anstrengungen.

Vielen Dank.