Redner(in): Christina Weiss
Datum: 06.07.2005

Untertitel: In ihrem Grußwort zur Verleihung des Studentenförderpreises des Bundes Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure (BDB) im Berliner Palais am Festungsgraben stellt Kulturstaatsministerin Weiss fest, dass Architektur die Kunst ist, die die größte gesellschaftliche Verantwortung besitzt. Überdies ist sie die öffentlichste aller Künste.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/72/855872/multi.htm


der Förderpreis des Bundes Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure wird Ihnen heute für herausragende Entwürfe von Gebäuden, Ingenieurbauwerken und Konstruktionen verliehen. Ich freue mich, Sie hier im Palais am Festungsgraben begrüßen zu dürfen.

Es ist schön, dass wir uns zu dieser Preisverleihung in Berlin treffen. Und dies nicht nur, weil sich diese Stadt in den vergangenen Jahren gewaltig verändert hat und man gern herkommt, um Neues zu entdecken. Hier lässt sich auch etwas vom komplizierten Verhältnis zwischen Politik und Architektur studieren. Vertreter der politischen Zunft schmücken sich gern mit den Bauten von Stararchitekten, sie bedienen sich gern der Sprache der Architekten, reden vom Umbau, Rückbau, Abbau, Aufbau. Berlin ist eine Stadt, die in besonderer Weise davon Zeugnis ablegt. Hier ist in kürzester Zeit eine Architektur entstanden, die den Menschen in der Gesellschaft aus dem Blick verloren hat; eine Architektur, die nicht danach fragt, wie Menschen heutzutage wohnen möchten, sondern wie die Gesellschaft sich darstellt.

Ich habe es auch kürzlich bei der Verleihung unseres Taut-Preises im Kanzleramt erwähnt. Architektur ist die Kunst, die die größte gesellschaftliche Verantwortung besitzt. Sie ist überdies die öffentlichste aller Künste. Niemand kann an ihr vorbeigehen, niemand kann von ihr unberührt sein - so oder so.

Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Baukultur in den vergangenen Jahren stark entwickelt hat. Wir sind auf dem besten Wege, der humanen Stadtplanung wieder eine ihr gemäße Rolle zuzubilligen. Humane Architektur schafft Lebensräume, in denen sich Menschen aufhalten. Diesem Anspruch tragen die vielen Programme und Förderkataloge Rechnung, die die Bundesregierung in den vergangenen Jahren aufgelegt hat.

Betrachten wir die großen Probleme und Herausforderungen der Zukunft. Derzeit lebt die Hälfte der Menschheit in Städten, im Jahr 2025 werden es schätzungsweise 80 Prozent der Weltbevölkerung sein. Bevölkerungsschwund, Überalterung und Migration, aber auch Leerstand und Rückbau sind zu Chiffren unseres Alltags geworden. Die Politik ist gehalten, nach innovativen Lösungen und neuen Strategien in der Planung zu suchen. Und dies nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa.

So unterschiedlich diese Probleme im globalisierten Kontext auch sein mögen, ein großer Traum verbindet sie: das Grundbedürfnis nach menschenwürdigen Wohnverhältnissen, nach architektonischer und kultureller Vielfalt, nach Sozialverträglichkeit und natürlich nach Arbeitsplätzen und wirtschaftlicher Dynamik. Die Baukultur in unseren Städte ist für das Wohlbefinden der Menschen unabdingbar. Funktionsfähige und lebenswerte Städte entscheiden daher auch über die Prosperität des Standortes Deutschland. Weil das so ist, ist die Gesellschaft gefordert, sich ständig mit ihrer räumlichen Umwelt auseinanderzusetzen. Das kulturelle Erbe und die Qualität von Architektur, aber auch die kulturellen Angebote bestimmen wesentlich die Identität und das Selbstwertgefühl einer Kulturnation.

Aus diesem Grund brauchen wir begabte Baumeister. Wir brauchen gute Architektur und innovative Ingenieure. Kurz: wir brauchen kreativen Nachwuchs, um international mithalten zu können. Deshalb freue ich mich mit Ihnen, dass Sie am Beginn Ihrer beruflichen Laufbahn für Ihre mutigen und originellen Ideen ausgezeichnet worden sind. Es liegt an Ihnen, meine Damen und Herren, das Bauen und Planen als Herausforderung unserer Zeit ernst zu nehmen und die Architektur wieder in der Gesellschaft zu verankern.

Sehr verehrte Preisträgerinnen und Preisträger, Sie haben in Ihren Arbeiten bewiesen, dass Sie gedankliche Kraft und die geistige Unabhängigkeit besitzen, sich für ungewöhnliche Themen interessieren und originelle, trotzdem aber planerisch solide Lösungsansätze erarbeiten können. Ich wünsche mir, gerade von Ihnen, den jungen Architekten und Ingenieuren, ein flammendes Plädoyer für die Baukultur. Uns muss ein Hochhauscluster so wichtig werden wie ein Reihenhaus.

Ich möchte die Preisträgerinnen und Preisträger hier nicht einzeln vorstellen oder auf ihre Arbeiten eingehen, das ist nicht meine Aufgabe. Aber ich möchte Ihnen allen an dieser Stelle ganz herzlich gratulieren und alles erdenklich Gute für Ihren beruflichen Werdegang wünschen. Ich hoffe, dass Ihnen Bauwerke gelingen werden, in denen Generationen gerne miteinander leben oder arbeiten werden. Das ist ein bleibender Auftrag an die Architektur, der in allen Jahrhunderten relevant war, wohl aber auch nie ganz ins Werk gesetzt werden kann. Sich dieser Aufgabe zuzuwenden, an dieser Herausforderung zu wachsen, ist eine verlockende und reizvolle Aufgabe für Sie, meine Damen und Herren. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Berufswahl!