Redner(in): Christina Weiss
Datum: 09.07.2005

Untertitel: In Ihrem Statement zur Konkurrenz zwischen Zeitungen und neuen Medien wies Kulturstaatsministerin Christina Weiss darauf hin, dass die Geschichte der Medien immer wieder gezeigt hat, dass neue Angebote vorhandene zwar zunächst durchaus bedrängen, aber letztlich doch nie verdrängen konnten.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/07/856907/multi.htm


wenn ich heutzutage auf einer Festveranstaltung zum 400. Geburtstag der Zeitung spreche, dann kommt mich als Leserin dabei leider auch ein bisschen Wehmut an. Denn in den Zeitungen steht wenig Ermutigendes über die Zeitungen. Oft ist irgendwo die Rede davon, dass die Zeitungen gefährdet sind. Zum einen und wohl am fundamentalsten fühlen sie sich bedroht durch die anscheinend nachlassende allgemeine Lesefähigkeit und die zunehmende Unfähigkeit, wenigstens die Konzentration aufzubringen, die die Zeitungslektüre erfordert. Zum zweiten stehen sie in einer sich verschärfenden Aufmerksamkeitskonkurrenz mit den neuen Medien. Und drittens konkurrieren sie mit eben diesen neuen Medien auch noch um Anzeigen. Studien haben erwiesen, dass sich der Leser schon jetzt länger im Internet aufhält als bei der Zeitungslektüre. Es spricht auch wenig dafür, dass sich dies ändern wird und dass die verloren gegangenen Anzeigenkunden massenhaft zurückkehren.

Ist also die heutige Feierstunde zugleich ein Nekrolog auf die Zeitung? Mitnichten. Die Geschichte der Medien hat immer wieder gezeigt, dass neue Angebote vorhandene zwar zunächst durchaus bedrängen, aber letztlich doch nie verdrängen konnten. Wie der Hörfunk nicht die Printmedien ablösen konnte, so schaffte es das Fernsehen nicht, Hörfunk und Kino an den Rand zu drängen. Der anfänglich stets vermutete Substitutionswettbewerb führte stets zu einer weiteren, meist allerdings mit schmerzlichen Anpassungsprozessen einhergehenden Ausdifferenzierung der etablierten Angebote und schließlich zur friedlichen Koexistenz von neuen und - gewandelten - alten Medien. Die Zeitungen erleben heute eine Neuauflage dieses Prozesses.

In Deutschland haben viele Zeitungen auf ihre wirtschaftlichen Bedrängnisse mit einer Strategie geantwortet, die ich in Anlehnung an ein überaus erfolgreiches Geschäftsmodell Tchiboisierung nennen möchte. Wie die Kaffeeröster verkaufen sie mittlerweile neben ihrem Stammprodukt eine Menge anderes Zeug und verdienen damit sogar ganz gut. Mancher Purist empfindet diese Umwandlung der Zeitungen zum Zentrum eines Gemischtwarenhandels als bedrohlich. Seien wir gelassener! Historisch gesehen ist es keineswegs der Normalzustand, dass eine Zeitung vor allem über den Anzeigenverkauf finanziert wird. Und vielleicht birgt der Zwang zur Erschließung ganz anderer Einnahmequellen auch eine Chance zur Befreiung. Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, kennt schließlich auch die in der Branche allgegenwärtigen und absolut wahren Horrorgeschichten über große Kunden, die nach unliebsamen Artikeln mit einem Anzeigenboykott reagiert haben. Und jeder weiß, dass es heilige Kühe gibt, bei denen schon die unausgesprochene Drohung einer solchen Maßnahme dazu führt, dass sie journalistisch ein bisschen vorsichtiger behandelt werden, als andere - ganz egal ob sich um das örtliche Kaufhaus oder einen Konzern handelt.

Bei aller Notwendigkeit, neue Finanzierungsstrategien zu entwickeln, darf aber eines nie vergessen werden: Das Medium Zeitung rechtfertigt sich allein durch den Qualitätsjournalismus, durch den intellektuellen Mehrwert für die Leser. Mit anderen Worten: Wo auf die Tiefe der Gedanken nicht mehr geachtet wird und die Nachhaltigkeit der Analyse abnimmt, verschwindet das Vertrauen in die Zeitung selbst. Dann ist es auch egal, ob die Anzeigen- und Hilfsgeschäfte florieren oder nicht. Publizistische Qualität hat ihren Preis. Das ist nicht anders als bei Autos und Designermöbeln. Wer also als Leser hohe Qualität fordert, muss bereit sein, für seine Zeitung einen Preis zu zahlen, der ausreicht, um Verlegern und Redaktionen die publizistische Freiheit zu sichern.

Wenn neuerdings manche Verleger ein Revival der Gratiszeitung erwägen, um durch bloße Kostensenkungen wieder Gewinne einzustreichen, scheint mir dies ein fatales Signal an die Leser zu sein: das Signal, verlegerische und redaktionelle Leistungen seien nichts wert und bestenfalls "Appetizer" für die Werbebotschaften. Dieses Signal wird aber weder unserer im internationalen Vergleich in Qualität und Vielfalt wahrlich herausragenden Zeitungslandschaft noch dem Selbstverständnis des deutschen Zeitungslesers gerecht. Ich rate Verlegern und Redaktionen deshalb dringend zu mehr Selbstbewusstsein. Für eine Schnäppchen- , Billig- und Gratismentalität darf in unserer Zeitungslandschaft kein Raum sein.

Deshalb haben Verleger und Redaktionen eine hohe gesellschaftliche Verantwortung für das Kulturgut Zeitung. In einer unablässig komplizierter werdenden Welt, die immer mehr Orientierung benötigt, haben sie aus meiner Sicht aber alle Chancen, die Leser immer wieder vom Wert ihrer Produkte zu überzeugen. Diese Chancen kann man indes nur wahrnehmen, wenn man in die Qualität der Zeitung auch wieder investiert.

Seit Jahren ist die Rede davon, dass Zeitungen sich zu Tagesmagazinen wandeln müssten. Vielleicht ist da etwas dran, vielleicht ist es aber auch nur ein Mantra der Zeitungsdesign-Gurus - so wie man vor fünfzehn Jahren immer zu hören bekam, dass bald kein Artikel länger als 80 Zeilen sein dürfte. Komischerweise stehen aber heute gerade die Zeitungen, bei denen kein Artikel kürzer als 80 Zeilen ist, noch relativ gut da.

Ich sehe das als Beleg für meine These und möchte meinen Optimismus nicht zuletzt mit einem Blick über die Grenzen unseres Landes untermauern: Entgegen dem aktuellen Trend in Deutschland stieg die weltweite Gesamtauflage der Zeitungen im letzten Jahr um 2,1 Prozent auf einen Höchststand von 395 Millionen Exemplaren.

Der Weltverband der Zeitungen hat deshalb kürzlich bei einem Kongress in Seoul bilanziert, dass es sich um außerordentlich positive zwölf Monate für die globale Zeitungsindustrie handelte. Man sprach sogar davon, dass die Tageszeitungen eine "Wiedergeburt" erleben. Das habe ich jedenfalls in einer deutschen Zeitung gelesen. Es handelte sich allerdings um eine Meldung, die am Fuß einer Medienseite versteckt war, so als habe sich der Redakteur ein bisschen für den Misserfolg seiner Branche geschämt und als wollte er den unangenehmen Fragen, die mit solchen Nachrichten verbunden sind, lieber ausweichen.

Zu solcher Scham besteht aber nicht der geringste Anlass. Im Gegenteil: Gerade die deutschen Zeitungen haben nicht nur eine ehrwürdige Tradition, sondern besitzen ein ungeheures Innovations- und Zukunftspotential, das gehoben werden sollte. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass es gerade junge Redakteurinnen und Redakteure waren, die in Ermangelung von ausreichenden Sozialpunkten den Kündigungswellen in den Verlagshäusern zum Opfer fielen. Damit ist die Phase der kontinuierlichen Erneuerung oftmals zum Stehen gekommen. Der Journalismus braucht aber die Phantasie und die Ironie der Jungen, das Spiel mit Formen und Möglichkeiten, einen frischeren Blick auf Themen. Redaktionen sind aber keine Behörden, wo man in Ehren ergrauen könnte.

Ich wünsche mir, dass die Männern und Frauen, die in Deutschland für Zeitungen schreiben, sie produzieren und sie verkaufen, immer wieder neue Antworten auf diese Fragen finden. Und ich bin davon überzeugt, dass dies gelingen kann. Denn ich möchte auch in zehn oder zwanzig Jahren noch gedruckte Zeitungen auf Papier lesen und sie an jedem noch so kleinen Kiosk kaufen können. Die Entscheidung darüber, ob es so etwas dann noch geben wird, fällt jetzt. Das sollten alle Verantwortlichen bedenken.