Redner(in): Michael Naumann
Datum: 20.02.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/51/14851/multi.htm


TV SPIELFILM: Herr Minister, im letzten Jahr haben Sie gesagt, der Deutsche Filmpreis solle ein Wahrzeichen der Filmkultur werden. Sind Sie da schon ein Stück weitergekommen?

Naumann: Wahrzeichen wachsen, und das dauert in der Regel ein paar Jährchen. Niemand erinnert sich heute noch daran, wer seinerzeit den "Oscar" gestiftet hat.

Ist die "Oscar" -Verleihung ein Vorbild für den deutlich verjüngten Deutschen Filmpreis?

Nein. Einen deutschen "Oscar" wird es nicht geben. Dort werden Produkte und Schauspieler ausgezeichnet, denen von den großen Hollywood-Studios der Nimbus von Weltstars aufgedrückt wird. Wir haben wunderbare Schauspieler und auch wunderbare Stars. Aber selbst bei denen hält der Ruhm oft nicht länger als zehn oder zwölf Monate. Wir müssen in Deutschland Stars für einen größeren Markt aufbauen, die das Publikum auch wieder in den nächsten Film hineinziehen.

Wenn Sie von einem größeren Markt reden, meinen Sie dann Europa oder auch Amerika?

Zunächst Europa. Amerika wäre natürlich der ideale Markt. Es gibt Filme, die dort 120 Millionen Zuschauer gefunden haben. Das sind fast so viele Menschen, wie in Deutschland insgesamt innerhalb eines Jahres ins Kino gehen. Aber in den letzten zwanzig Jahren sind in Amerika nur zwei deutsche Filme erfolgreich gelaufen: "Lola rennt" und 1982 "Das Boot". Das ist bedauerlich wenig für ein Land von unserer Größe und mit unserer ruinierten, aber wieder aufblühenden Filmtradition.

Franka Potente dreht jetzt in Hollywood...

Good Luck, kann man nur sagen. Sie hat diese Magie, ebenso wie Maria Schrader.

Müsste man aus Ihrer Position heraus nicht an Talente und Filmschaffende wie Wenders oder Emmerich appellieren, verstärkt in Deutschland zu arbeiten?

Patriotismus ist nicht die Lösung. Man kann keinem Regisseur, ob er nun Wenders, Petersen oder Emmerich heißt, mangelnde Treue zum Standort Deutschland vorwerfen. Sie haben hier wirklich alles versucht, und sie wollen auch hier arbeiten. Und wenn es einen Patrioten gibt, ist es für mich Volker Schlöndorff, der sich ständig zwischen Deutschland und Frankreich bewegt, mit einer eindrucksvollen Bilanz auch für den deutschen Film. Die Frage ist aber, wie es in Zukunft möglich sein wird, solche Filmemacher von Ruf hier zu beschäftigen.

Welche Rolle kann da die Filmförderung von Bund und Ländern spielen?

Unser Filmförderungssystem ist ein weiches Bett. Alle, die einmal im System sind, sind zwar auch darin gefangen, aber sie liegen sehr weich. Das Risiko ist gleich null. Filmförderung ist an die Bedingung geknüpft, das Geld bei Erfolg des Films an die Förderanstalten zurückzuüberweisen. Es gibt aber bei insgesamt 300 Millionen Mark jährlichen Fördergeldern nur wenige Fälle, in denen es zu Rückzahlungen kommt. Der Mehrzahl deutscher Produzenten gelingt es also nicht, profitable Filme herzustellen. Dennoch geht es den vier oder fünf größten Produzenten ausgezeichnet. Ja, mehr noch, sie sind sogar noch an der Börse notiert, mit einem Volumen von mehr als 150 Millionen Mark und zum Teil steigenden Kursen.

Aber gibt es eine Alternative? Die wenigen Filme, die hierzulande Gewinne erwirtschaften, sind ja nicht in der Lage, eine regelmäßige Kinoproduktion zu gewährleisten.

Die Möglichkeit, die wir mit dem Bündnis für Film anstreben, ist die Wiedereinführung des Risikos für die Produzenten bei gleichzeitiger Reduzierung der Förderungsmechanismen. Eine größere Risikospreizung zwischen Produzenten und dem Fernsehen als Co-Produzenten. Das Fernsehen muss dem Produzenten die Zweitverwertungsrechte irgendwann zu einem gewissen Prozentsatz zurückgeben. Der kann dann mit den noch zu erwartenden Geldern den Banken die Sicherheit bieten, um Risikokapital für neue Projekte aufzunehmen. Heute gehen hoch talentierte Produzenten und Filmemacher dafür nach Amerika. Und kurioserweise ist das Geld auch dort zu einem nicht unbeträchtlichen Teil steuerbegünstigter deutscher Herkunft. Aus Medienfonds, die wir aufgelegt haben und die zu 80 Prozent in US-Produktionen geflossen sind.

Umgekehrt fließen ja auch Gelder aus den USA. Wie beurteilen Sie das Bemühen amerikanischer Studios, in Deutschland Filme mit deutschen Stars für ein deutsches Publikum zu produzieren?

Ich kann es aus bundes- und kulturpolitischer Perspektive nur begrüßen, wenn mit diesen Mitteln nicht nur Talente gefördert, sondern auch Ideen und Storys transportiert werden, die etwas mit dem Selbstverständnis unseres Landes zu tun haben.

Könnten Sie sich damit anfreunden, wenn der Franka-Potente-Film "Anatomie", eine Produktion des US-Studios Columbia, den Deutschen Filmpreis gewinnen würde?

Solang es ein Film mit überwiegend deutscher Beteiligung ist, ja.

Mit dem Filmpreis vergeben Sie im Juni den höchst dotierten deutschen Kulturpreis. Würden Sie gern auch Einfluss auf die Jury-Entscheidungen nehmen?

Überhaupt nicht. Das ist nicht die Aufgabe der Politik. Können Sie sich vorstellen, wie das dann bei Herrn Kanther ausgesehen hätte?

Wie stehen Sie heute zur Kritik an der letztjährigen Filmpreis-Gala?

Als Politiker muss ich mit Kritik leben. Wir waren im letzten Jahr alle neu, und insgesamt lief die Veranstaltung rund. Zum Teil habe ich mich königlich amüsiert. Ich habe auch gern der wunderbaren Katarina Witt zugesehen. Dass sie ihre Moderation vom Teleprompter ablas, finde ich völlig unerheblich. Und wenn einer schlecht war, dann ich.