Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 13.07.2005
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/90/859490/multi.htm
Lieber Herr Braun, lieber Herr Zwanziger, Herr Professor Schäfer, vor allen Dingen aber natürlich lieber Ottmar Walter, lieber Horst Eckel mit Damen!
Wir sind sehr froh, dass Sie heute alle hier sind. Wir eröffnen eine ganz besondere Ausstellung, die hier im Kanzleramt bleiben und sicher sehr viele Menschen interessieren wird. Es ist eine Ausstellung zeitgeschichtlicher Art, die sich natürlich im Schwerpunkt mit dem Fußball beschäftigt. Fußball - das wird ja gelegentlich gesagt - hätte mit den Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu tun. Das liest man in den Feuilletons mancher Zeitungen. Ich glaube nicht, dass man da eine besonders enge Beziehung herstellen kann. Fußball ist für uns jedenfalls, die wir ihn gern gespielt haben, vor allen Dingen ein ganz faszinierendes Spiel. Man könnte sogar sagen: Fußball ist die einzige wirklich globale Sportart. Denn was es bedeutet, das versteht nun jeder in der Welt. Jeder hat eine mehr oder minder engere Beziehung dazu.
Also: Herzlich willkommen hier im Kanzleramt und herzlich willkommen zur Eröffnung der Ausstellung "Fußball und Zeitgeschichte - von Bern 1954 bis Berlin 2006". Im Zentrum der Ausstellung stehen natürlich die ganz großen Erfolge unseres Fußballs. Die Beteiligten an dieser Ausstellung haben in sehr mühevoller Kleinarbeit zahlreiche interessante, zum Teil ganz außergewöhnliche Dokumente, auch Objekte, zusammengestellt. Die Ausstellung beginnt natürlich - wie könnte es anders sein - in den 50er Jahren. Für alle Sport- und vor allen Dingen Fußball-Begeisterten ist dabei ein Datum besonders wichtig: der 4. Juli 1954, an dem - wie das so wunderbar hieß - das "Wunder von Bern" stattfand. Es fand nicht bei einem Wetter wie heute statt, sondern bei "Fritz sein Wetter", wie es seinerzeit hieß. Ich weiß ja nicht, ob es bei einem anderen Wetter anders ausgegangen wäre. Aber es gibt eine schöne immer währende Debatte darüber. Ich freue mich, dass zwei der "Helden von Bern" - ich finde das auch einen zutreffenden Begriff - heute hier sind, Ottmar Walter und Horst Eckel mit ihren Frauen. Ganz herzlich willkommen! Wir freuen uns sehr, dass Sie hier sind!
Ich erinnere mich ziemlich genau an das Ereignis von 1954. Natürlich gab es in meiner Familie damals kein Fernsehen. Das konnten wir uns nicht leisten, wie es vielen seinerzeit gegangen ist. Aber natürlich wollte ich unbedingt das Spiel sehen. Ich wusste, dass in einer Gastwirtschaft in einem Nachbardorf im Lippischen, wo ich damals wohnte, ein Fernseher aufgestellt worden war - etwa der Art, wie Sie ihn nachher sehen werden, allerdings ohne den darunter liegenden Rundfunkteil. Ich bin also mit dem Fahrrad dorthin gefahren. Es gab ein zweites Problem. Es kostete Eintritt: 50 Pfennig. Das Geld hatte ich nicht. Aber ich habe es irgendwie geschafft - ich denke, das darf ich heute ruhig sagen - , mich an denen vorbei zu mogeln, die den Eintritt kassierten. So habe ich dann in diesem Nachbardorf - es hieß übrigens Knetterheide - dieses Spiel sehen können. Ich habe natürlich noch vieles in Erinnerung, vor allen Dingen, als es zum Schluss dann "3: 2" stand, wie sich die Menschen in den Armen lagen und richtig glücklich über den Sieg waren, den Deutschland errungen hatte. Das war ja einer der ganz großen Überraschungen; übrigens in einem sehr schönen Film von Sönke Wortmann aufgezeichnet. Es war ein wirklich tolles Ereignis. In dem Saal war wirklich etwas los, wie man nicht anders erwarten konnte. Für viele war das nicht nur der Sieg in einem Endspiel zur Fußballweltmeisterschaft, sondern auch so etwas wie eine Bestätigung in der damaligen Zeit: "Es geht voran. Wir packen das". Ich glaube, es war Ermutigung für viele Menschen in ihrer Lebensgeschichte, in ihrem Willen voran zu kommen, nach oben zu kommen, das Land aufzubauen. Ich glaube, der Sport hat damals eine Kraft entwickelt weit über den Sport im engeren Sinne hinaus, also - wie man das so schön sagt - eine ökonomische, eine psychologische Bedeutung.
Zwanzig Jahre später - auch das wird dokumentiert - , 1974, gab es das Finale in München: "Kleines dickes Müller", das berühmte "2: 1". Wenn ich mich noch richtig erinnere, war das auch nicht schlecht, wie der Breitner da antrat. Wir haben im eigenen Land die Fußballweltmeisterschaft gegen die Niederlande gewonnen - eher ein Traditionsgegner. Mehr sagen wir dazu nicht. Aber ich glaube, dass man inzwischen erkannt hat, dass Freundschaft zwischen Nationen durch Siege oder Niederlagen bei Fußballspielen jedenfalls nicht gestört werden darf. Man muss einfach zugeben: die Holländer können schon Fußball spielen. Das kann man nun nicht ernsthaft bestreiten, auch wenn sie die Fußballweltmeisterschaft 1974 nicht gewonnen haben. Das war damals eine wichtige Phase, praktisch der Abschluss einer Phase, in der der deutsche Fußball in der Welt führend war und wo dieser schöne Satz geprägt wurde: "Fußball, das ist ein Spiel, das eine Dauer von 90 Minuten und einen runden Ball hat. Und am Ende gewinnen immer die Deutschen." Das ist ein berühmter Satz in den 70er Jahren gewesen, der sich dann in der Folge 1990 in Italien wiederholte. Ich fand, dass die Weltmeisterschaft 1990 in Italien wirklich etwas Herausragendes war.
Wie immer ist der Fußball mit großen Namen verbunden. Ich habe Fritz Walter erwähnt. Die beiden Kämpen, die hier sitzen, erwähne ich erst recht. Man könnte Uwe Seeler nennen. Man müsste in jedem Fall Franz Beckenbauer als einen Prototyp des deutschen Fußballers nennen, der in seiner Art zu spielen großes Können mit großer Eleganz mischen konnte. Er war nicht nur ein begnadeter Fußballer, sondern eben auch 1990 ein Teamchef. Er ist jetzt derjenige, der die Weltmeisterschaft zu organisieren hat. Er tut das, wie ich finde, mit großem Geschick.
Meine Damen und Herren, ich muss eines noch erwähnen: Fußball, das waren wir ja gewöhnt, galt immer als eine Domäne für Männer. Aber was die Frauennationalmannschaft und Mannschaften wie Turbine Potsdam oder die Frankfurter gegenwärtig abliefern, muss man einfach sagen: hohen Respekt. Nicht nur, dass sie reihenweise Meisterschaften gewinnen, sondern wie sie sie gewinnen, finde ich fantastisch. Ich denke, das hat enorm dazu beigetragen, die Popularität für den Frauenfußball in Deutschland wachsen zu lassen. Der Gewinn der Weltmeisterschaft 2003, die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 2004 und dann der Gewinn der Europameisterschaft vor wenigen Wochen zeigen Stationen im Frauenfußball, wo man nur sagen kann: Das ist etwas. Da schaffen wir etwas. Wir können nur alle miteinander sagen: hohen Respekt vor der Art und Weise, wie da elegant, mit großem Einsatz und mit großem technischen Können Fußball gespielt wird.
Meine Damen und Herren, wir haben den Confederations Cup hinter uns. Das waren große Spiele, und das war, wie ich finde, eine deutsche Mannschaft, die auf einem sehr guten Weg ist. Was mich besonders fasziniert - und das will ich hier sagen - , ist, dass jedenfalls nach meinem Urteil dieses Dreierteam unter der Führung von Jürgen Klinsmann einen anderen Geist in die Mannschaft gebracht hat. Sie haben gesagt: Dem, der in die Nationalmannschaft kommt, können wir nicht Fußballspielen beibringen. Das muss er schon können. Aber ich glaube, dass der Rückgriff auf die jungen Leute natürlich unter der Führung eines so begnadeten Fußballers wie Ballack, aber auch anderer, gezeigt hat, was sie können, dass sie begeisterungsfähig sind und begeistern können und dass das durch das Publikum auf das Spielfeld zurück kommt. Das Zweite, was ich anmerken will, ist: Wer in einem Stadion war - ich habe an einem Sonntag in Hannover ein Spiel sehen können - und der vor allen Dingen die Reaktionen des Publikums bemerkt hat, hat gespürt, dass wir 2006 eine sehr würdige Weltmeisterschaft ausrichten werden."Würde" heißt, dass wir sie als ein Land mit großer Offenheit, mit großer Toleranz ausrichten werden. Natürlich werden wir für die Sicherheit der Menschen zu sorgen haben. Aber da ist vorgesorgt. Mein Eindruck ist, dass der DFB unter der Führung seines Präsidenten und das Organisationskomitee das, was vorzubereiten war, erstklassig gemacht haben. Das ist man von Deutschen gewöhnt - trotzdem gehört es unterstrichen - , sodass wir uns miteinander auf Tage großen Fußballs in Deutschland freuen können. Wir können uns miteinander auf ein Land freuen, das gastfreundlich ist, das um seinen Wert weiß, das selbstbewusst, aber niemals überheblich ist. Ein Land, das andere, die hier Fußball spielen wollen, die hier als Zuschauer hinkommen, gerne bei sich hat.
Ein wenig von all dem wollen wir mit dieser kleinen Ausstellung hier ausdrücken. Ich hoffe, es gefällt Ihnen. Diese Ausstellung wird, wenn ich richtig informiert bin, bis zur Weltmeisterschaft hier im Bundeskanzleramt bleiben, sodass sehr viele Besucher, die hierher kommen und die durch das Amt geführt werden, das sehen können. In diesem Sinne eröffne ich gerne diese Ausstellung.