Redner(in): Christina Weiss
Datum: 31.08.2005
Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss zeichnet in Sommerhausen am Mai 173 Filmtheater und drei Filmverleiher aus.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/73/881873/multi.htm
seit mehreren Jahren schon werden die Kinoprogrammpreise im Kino des letztjährigen Spitzenpreisträgers vergeben. Wenn wir heute Abend jedoch nicht im Ochsenfurter Casablanca, sondern hier auf Schloss Sommerhausen zusammenkommen sind, dann hat einen ganz einfachen Grund: Der Platz im Kinosaal hätte für die vielen Gäste nicht ausgereicht. Dass es bei 188 Sitzplätzen dennoch - oder vielleicht gerade - möglich ist, ein anspruchsvolles, preiswürdiges Kinoprogramm zusammenzustellen, sollten wir heute Abend, wo wir die Staffel an den nächsten Preisträger übergeben, noch einmal mit einem kräftigen Applaus für das Casablanca würdigen.
Der Filmemacher Alexander Kluge hat die Oper in einem seiner Filme einmal als "Kraftwerk der Gefühle" bezeichnet. Man darf dabei aber ebenfalls an die Kunstgattung Kinofilm denken, die ja ähnliche Mittel einzusetzen vermag. Denn auch das Kino, diese gewaltige Bilder- und Illusionsmaschine, ist ja nicht mehr und nicht weniger als ein Gesamtkunstwerk, in dem das ganze Spektrum menschlicher Emotionen mit aller Raffinesse künstlich erzeugt wird. Dass wir dies 90 Minuten lang sinnlich und spielerisch erleben, ausprobieren können, das macht sicher die suggestive und faszinierende Kraft des Kinos aus.
Im Kinojahr 2005 scheint das Kraftwerk der Gefühle hierzulande allerdings an Energie verloren zu haben, und das können wir auch bei einer Feier wie dieser nicht unerwähnt lassen.
Festzustellen ist ein Besucherrückgang von durchschnittlich zehn Prozent, in manchen Spitzen noch mehr. Das geht an die Substanz. Betroffen sind die Produktions- und Verleihfirmen, die Betreiber großer Kinoketten und natürlich Sie hier in diesem Festzelt, die Programmkinobetreiber aus ganz Deutschland. Die Probleme der Kinobetreiber sind im Übrigen unabhängig vom Erfolg des deutschen Films, der ja andauert.
Sicher spielt - was das Kino betrifft - die allgemeine Wirtschaftslage eine Rolle, sicher auch das ungelöste Problem der Raubkopierer. Wesentlich erscheinen mir aber zwei andere Gründe:
Erstens: Die Zugkraft der angebotenen Filme für das Publikum schwankt natürlich. Dagegen kann man als einzelner Kinobetreiber wenig machen, Stoßgebete nach Hollywood oder Babelsberg oder München bringen schließlich nichts. Allerdings kann man sein eigenes Angebot diversifizieren, gerade als Betreiber eines Programmkinos. Historische Reihen, thematische Zusatzangebote können einem über gelegentliche Schwankungen des aktuellen Angebots hinweghelfen. Aber nicht jede Schwäche eines Kinojahres lässt sich so ausgleichen.
Das zurückgehende Interesse an amerikanischen Blockbustern - in diesem Jahr die Hauptursache für die schlechten Auslastungszahlen der Kinos - muss nicht gleich eine Katastrophe sein. Denn gleichzeitig öffnen sich für den europäischen und insbesondere deutschen Film damit auch Chancen.
Zweitens: Die DVD ist nicht nur zum konkreten Vehikel, sie ist inzwischen auch zum Symbol geworden für die strukturellen Veränderungen der Sehgewohnheiten, mit denen die Kinos in Deutschland umzugehen haben. Die veränderten Möglichkeiten der Filmnutzung verändern natürlich auch die Bedürfnisse des Sehens, verändern damit aber auch die Rolle der Kinos.
Zwar konnte man neulich Meldungen in den Zeitungen lesen, denen zufolge sich der Boom der DVD inzwischen wieder abgeflacht hat. Aber das Homeentertainment hat sich als eigene Säule der Filmauswertung etabliert. Manche Filmliebhaber richten sich geradezu ein komplettes privates Kino im eigenen Wohnzimmer ein. Und damit nicht genug: Denn es gibt ja noch das Internet mit seinen grenzenlosen Möglichkeiten, Filme zu verbreiten. Und über die Einführung des digitalen Filmabspiels haben wir noch gar nicht geredet.
Wie lässt sich auf diese Situation reagieren?
Den Etat der Kinoprogrammpreise hat die Bundesregierung in diesem Jahr um 150.000 Euro anheben können, eine Erhöhung um mehr als zehn Prozent. Ich freue mich, dadurch noch mehr zur Erhaltung der Filmtheater beitragen zu können, die sich anspruchsvoller deutscher und auch internationaler Filmkunst widmen. Wir werden für eine schnelle Auszahlung der Preisgelder Sorge tragen - die Bescheide sind bereits an alle Preisträger unterwegs.
Zudem vergeben wir in diesem Jahr erstmals einen Spitzenpreis für das beste Kinder- und Jugendfilmprogramm, das beste Dokumentarfilmprogramm und das beste Kurzfilmprogramm. Damit erhoffe ich mir noch mehr Aufmerksamkeit für diese Filmarten.
Auch die Filmförderungsanstalt zeigt - zu meiner großen Freude - Bereitschaft, in der für die Kinowirtschaft schwierigen Lage durch Sofortmaßnahmen, z. B. bei Darlehensrückzahlungen zu helfen. Weitere Vorschläge des Präsidiums vom 24. August werden dem Verwaltungsrat zur Entscheidung vorgelegt.
Einem interessanten Artikel in der Zeitschrift "epd-Film" ließ sich kürzlich entnehmen, dass zudem durchaus noch nicht alle Möglichkeiten der Kino- und Vertriebswirtschaft selbst ausgeschöpft sind, auf die veränderte Situation zu reagieren. Probleme machen offensichtlich die Starttermine ebenso wie das Überangebot an Filmen. Ich zitiere wörtlich aus "epd-Film" : Wo sich Arthouse-Kinobetreiber und Verleiher jährlich treffen, findet man nur eins: Zwietracht. Alle sind sich einig, dass viel zu viele Filme gerade im Herbst und Frühjahr in die Kinos gelangen, aber keiner ist bereit, den eigenen Film zurückzunehmen." Von der Praxis der amerikanischen Studios, verstärkt ihre Filme auch in Deutschland in den Sommermonaten herauszubringen, ganz zu schweigen.
Lassen Sie mich ehrlich sagen: Zwietracht war nie eine gute Strategie. Für mich und mein Haus möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich die Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisieren.
Denn eins stand für mich nie in Frage:
Das sind das Engagement und die Leidenschaft, die hier in Deutschland von ambitionierten Verleihfirmen und von Programmkinobetreibern für die Filmkunst aufgebracht werden.
Unsere große Herausforderung wird sein, diese Leidenschaft weiterzutragen, die Faszination der großen Kinoleinwand zu vermitteln und entsprechend dem demographischen Wandel neue Zuschauergruppen zu erschließen. Zum wahren Kraftwerk der Gefühle wird Film nur durch das gemeinsame Kinoerlebnis im großen Saal. Das zumindest werden die DVDs, diese kleinen, silbernen Scheiben, auch gewiss nicht ändern.
Engagement und Leidenschaft haben auch die Jurys, die im Vorfeld des heutigen Abends tätig waren, bewiesen. Einen herzlichen Dank an die Jury des Verleiherpreises, die unter dem Vorsitz von Frau Ellen Wietstock aus 24 Anträgen drei Preisträger vorschlug. Und einen ebenso herzlichen Dank natürlich an die Jury des Kinoprogrammpreises, sie schlug unter dem Vorsitz von Frau Eva Matlok aus 285 Anträgen 173 Preisträger vor.
Auch Herrn Gert Dobner und Herrn Johannes Tietze, den Betreibern des Casablanca-Kinos in Ochsenfurt, gehört mein Dank - für die Organisation dieses Abends hier in diesem eindrucksvollen Ambiente.
Aber eben auch für die Leidenschaft, mit der sie sich trotz aller widrigen Umstände für die Filmkunst einsetzen - was, da bin ich mir sicher, auch für alle Preisträger des heutigen Abends gelten wird.
Und nun freue ich mich auf die Preisverleihung und einen anregenden Abend, in dem sicherlich keine Zwietracht und digitale Speichermedien, sondern ganz analog und beinahe ein wenig altmodisch das Gespräch und die Freude am Kino dominieren werden.
Vielen Dank!