Redner(in): Christina Weiss
Datum: 02.09.2005
Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina würdigt in ihrem Grußwort die Arbeit der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/63/882463/multi.htm
als der Wörlitzer Stein 1794 erstmals bestaunt werden konnte, war - wie berichtet wird - der preußische König Friedrich Wilhelm II. zu Gast. Man darf wohl behaupten, dass er einer der wichtigsten Adressaten des beeindruckenden Schauspiels aus Magie und Aplomb gewesen ist, das sich hier vor aller Augen mit Rauch und Feuer abspielte. Die Beziehungen zwischen dem kleinen Herzogtum Anhalt-Dessau und dem großen Berliner Hof waren gerade zu dieser Zeit besonders eng, wie Sie wissen - und das auf allen Ebenen. Aus Dessau kamen seit dem Tod Friedrichs des Großen 1786 nicht nur Künstler nach Berlin. Doch gerade sie waren es, die unter tatkräftiger Förderung ihres aufgeklärten Landesherrn Friedrich Franz den Klassizismus in die verzopfte friderizianische Welt brachten. Vieles, was damals in Berlin passierte, war in Anhalt angeschoben worden. Es kam nicht nur ein neuer Stil, sondern auch ein neuer Geist nach Preußen. Mit einer an dieser Stelle zulässigen Übertreibung darf ich wohl sagen: die Moderne in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erreichte Berlin über Dessau und Wörlitz.
Doch auch dem heutigen Berlin ist bewusst, was Wörlitz für das kulturelle Deutschland bedeutet. Als eine Wiege der Aufklärung in unserem Sprachraum kann Wörlitz mit seinem Schloss und seiner metaphorischen Gartenlandschaft nicht hoch genug geschätzt werden. Das, was hier im 18. Jahrhundert in programmatischen Bildern seinen Ausdruck fand, war ein Aufbruch zu neuen geistigen Ufern - und es war Politik. Die überlegte und kluge Politik des Fürsten eines kleinen Landes. Sein Ziel war es, das Herzogtum Anhalt-Dessau zu einem funktionstüchtigen Musterstaat zu verwandeln. Neue landwirtschaftliche Methoden, neue Technik, neue Bildungsmodelle, beispielhafter Katastrophenschutz und nicht zuletzt die Kunst - man dachte an alles, was ein prosperierendes Land benötigt. Solches Wirtschaften war vorbildlich, fand bewundernde Anerkennung, erreichte Ausstrahlung in nah und fern - und dürfte auch uns nicht fremd erscheinen.
Der Garten von Wörlitz war selbstredend eingebunden in dieses System der Landespolitik. Die ganze Spannbreite von philosophischer Erbauung, unakademischer Belehrung und aufregender Faszination gab und gibt es hier. Den Besucher des Parkes empfing ein aufklärerisches Kompendium, das noch heute auf jeden nachhaltig wirkt, der Wörlitz durchstreift. Jeder, der hierher kam, sollte lernen, erkennen, staunen. Den Geist von Wörlitz sollte er nicht mehr aus dem Kopf und dem Herzen bekommen. Es war das Ideal des auf der Höhe der Zeit stehenden Herrschers, dass sich diese Aufklärung zum Besten des Landes auswirke. Auch wenn sich hier einwenden ließe, dass Ideal und Wirklichkeit sich nicht deckungsgleich verhielten, bleibt doch die Vision und der tatkräftige Wille, etwas zu bewegen. Dieses Erbe hält uns nicht nur an zur intellektuellen Auseinandersetzung. Nein, es verpflichtet uns auch, es zu bewahren und lebendig zu halten. Die weitgreifende geistesgeschichtliche Dimension, die Wörlitz als ein intellektuelles Zentrum des 18. Jahrhunderts in Europa ausweist, ist uns ein Ansporn. Sie ist unsere Triebfeder, Geist und Geld für die Bewahrung dieser Tradition aufzubringen. Allein von Seiten des Bundes sind das immerhin Mittel in Höhe von mehr als 1,7 Millionen Euro jährlich!
Die Bundesregierung hat die historische Dimension des Wörlitzer Gartenreiches wohl begriffen. Die Förderung, die wir der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz angedeihen lässt, ist daher eine Investition, die Leopold Friedrich Franz wohl mehr als gut geheißen hätte. Denn die Pflege und Erhaltung von Schloss und Park führen das weiter, was unter seiner Regierung als wirkmächtiges Zeichen in die Welt gestellt wurde. Wörlitz als eine Stätte der Bildung und Erholung zu erhalten ist daher nicht nur eine Pflicht, sondern auch eine Auszeichnung. Und zudem ein Vorgang der nicht allein vom Tagesgeschäft lebt, sondern von tragfähigen Ideen für die Zukunft unserer Kulurpolitik.
Das wir heute abend eines der bestrickendsten Monumente des Wörlitzer Gartens frisch restauriert der Öffentlichkeit übergeben dürfen, ist ein weiterer Markstein in der vollständigen und denkmalgerechten Wiederherstellung dieses Elysiums. Denn der Stein gehört zu den wohl einzigartigsten Staffagebauten der so erfindungsreichen deutschen Gartenkunst des 18. Jahrhunderts. Seine erhabene Wirkung vereinte Schaulust mit Wissensdurst, die sich am Modellhaften entzünden sollte. Das spielerische Moment des Steines, das uns gerade im Schiller-Jahr als etwas essentiell Menschliches erscheint, trifft sich mit dem Wunsch nach der Veranschaulichung des Unvorstellbaren. Der tosende Ausbruch des Vesuvs war in Wörlitz domestiziert. Hier begab sich seine unberechenbare Natur, die alle Italienfahrer der Zeit so fasziniert und erschreckt hatte, unter die Kontrolle des Pyrotechnikers. Der Berg im See, die Villa Hamilton - alles ist entstanden als eine Reminiszenz an Italien, an den Golf von Neapel. Es ist eine Erinnerungslandschaft von außerordentlichem Reiz, die wir heute als wiedergewonnen um uns sehen.
Das wir diesen Moment feiern dürfen, gründet sich auf viel Arbeit und das umsichtige Agieren der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz. Ihren Mitarbeitern möchte ich vor allem danken, dass sie ihre Tatkraft so vehement für die Fortschreibung der Wörlitzer Erfolgsgeschichte einsetzen. Ihre Arbeit ist mit Sicherheit nicht immer einfach, sicher aber immer spannend und vor allem außerordentlich verantwortungsvoll. Dass Sie Ihr Engagement und Ihre Ausdauer auch in Zukunft große Aufgaben meistern lässt, wünsche ich Ihnen allen von Herzen. Die Unterstützung unseres Landes auf diesem Weg wird Ihnen gewiss sein.
Vielen Dank!