Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 13.09.2005
Untertitel: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder gehalten anlässlich der Eröffnung der Internationalen Automobilausstellung am 13. September 2005 in Frankfurt.
Anrede: Verehrter Herr Professor Gottschalk, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, Herr Ministerpräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/86/888386/multi.htm
Ich fand auch, dass der Professor eine feinziselierte Rede gehalten hat; das fand ich wirklich, und ganz offenkundig fanden es ein paar von Ihnen auch. Er hat sich auf eine sehr feine Art bemüht, Geschichte als wiederholbar zu erklären, indem er nämlich auf die IAA 1998 hingewiesen hat. Das war in der Tat ein bemerkenswertes Jahr, für Deutschland, aber auch für mich; das gebe ich zu. Dann hat er angedeutet, und etliche von Ihnen habe es sicherlich auch verstanden, so eine IAA kurz vor der Wahl sei etwas, das vielleicht Ähnliches hervorbringen könnte. Nur, Herr Professor - entweder selbst nachgedacht, oder die Redenschreiber haben gearbeitet - , es gibt diesen berühmten Satz "Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn, als Farce", und darüber müsst ihr noch einmal nachdenken. Denn eine Farce will ja niemand, denke ich jedenfalls.
Außerdem habe ich mich sehr darüber gefreut, dass die Frau Oberbürgermeisterin einen Erfolg für Frankfurt erzielt hat, indem die IAA hier bis 2011 stattfinden wird. Ich habe mit ihr eine Vereinbarung getroffen: Ich werde jedes Mal wieder kommen, um sie zu eröffnen! Wenn das, meine Damen und Herren, nicht der Optimismus ist, von dem der Herr Ministerpräsident gesprochen hat, dann weiß ich nicht, was Optimismus sein soll. In diesem Sinne freue ich mich also, hier sein zu können und diese wirklich bedeutende Messe eröffnen zu können.
Aber ich will anfangs ein paar Sätze zu dem sagen, was uns als Deutsche und Europäer alle bewegt hat, was aber sicherlich vor allen Dingen die amerikanischen Gäste, die heute hier sind, bewegt hat, nämlich diese wirklich fürchterliche Hurrikan-Katastrophe, die New Orleans und, wie man bei uns sagt,"umzu" erfasst hat. Ich finde, dass Deutschland gut daran getan hat - Regierung wie Wirtschaft wie Einwohnerinnen und Einwohner, die Menschen in Deutschland - , so zu reagieren, wie man das unter Freunden tut, nämlich zur Hilfe bereit zu sein, ohne sie aufzudrängen. Wir haben das als Regierung getan. Ich war froh darüber, zu erfahren, dass die Wirtschaft unmittelbar nach Bekanntwerden des Umfangs der Katastrophe erklärt hat "Wir sind bereit zu helfen, falls ihr Hilfe braucht, und sagt uns, welche" und dass es ganz viele Menschen in Deutschland gegeben hat, denen ganz offenkundig bewusst ist, dass wir Hilfe bekommen haben, als wir sie noch dringender als diejenigen brauchten, die jetzt auf uns angewiesen sind. Ich finde, dass es bei all dem, was man gelegentlich an Unterschieden in der politischen Diskussion deutlich zu machen hat, wirklich schön ist, dass die internationale Staatengemeinschaft - Deutschland vorneweg - mit einem umfassenden Hilfsangebot reagiert hat, von dem ich jedenfalls hoffe, dass es in dieser umfassenden Weise auch genutzt werden kann. Wir sind jedenfalls dazu bereit.
Wir haben im Übrigen auch politisch reagiert, und das betrifft natürlich ein Thema, das auch Thema dieser Ausstellung sein wird. Es ging um die Fragen: Wie reagiert eigentlich die internationale Staatengemeinschaft - mit nationalen Aktionen ist dabei wenig zu machen, auch wenn sie ständig wohlfeil gefordert werden - , wenn es um die Frage einer gestörten Ölversorgung in den Vereinigten Staaten von Amerika geht? Welche Folgen hat das für die Weltwirtschaft? Welche Folgen hat das für die europäische und die deutsche Wirtschaft, und wie ist damit umzugehen? - Wir haben seinerzeit gesagt: Okay, den Antrag der Amerikaner bei der Internationalen Energieagentur, einen Teil der strategischen Reserve von Öl- und Ölprodukten in Deutschland freizugeben, werden wir unterstützen, und zwar deshalb, weil wir unseren Freunden helfen wollen, aber auch, weil es um eine Marktberuhigung in diesem Markt geht. Das ist der vornehme Ausdruck dafür, dass uns die Preise zu hoch waren, und nicht nur uns, sondern - ich bin ziemlich sicher - Ihnen auch.
Dass das kein Instrument ist, das über eine Beruhigung hinaus durchgreifende Erfolge erzielen kann, muss ich in diesem Auditorium nicht erklären. Aber es muss, glaube ich, weitergehen, wenn man einmal über die Frage redet, was, bezogen auf die Branche, neben wohlfeilen Worten eigentlich die politischen Konsequenzen sein sollen. Ich sehe zwei: Wir werden auf absehbare Zeit nicht umhin können, auf Öl und Ölprodukte zu setzen. Aber wir werden uns mit der Preisgestaltung weit intensiver als bisher auseinandersetzen müssen. Ich rede jetzt nicht nur über die Preisgestaltung der Mineralölkonzerne, obwohl auch darüber zu reden wäre, weil dabei ethische Verantwortung in einer Situation, wie sie sich aus dem Hurrikan ergeben hat, auch nicht immer auf der Tagesordnung stand. Das ist jetzt sehr diplomatisch ausgedrückt, wie Sie merken. Aber das ist nicht der Kern dessen, worum es geht. Wenn wir es nicht schaffen, den Teil - Fachleute schätzen, dass er zwischen 20 Dollar und 30 Dollar pro Barrel ausmacht - , der mit der Förderung von Öl einerseits und mit der Abnahme des Ölvorrats andererseits nichts zu tun hat und der rein spekulativ ist, aus dem Preis auch nur annähernd zu verbannen, dann werden wir es mit Ölpreisen zu tun haben, die wirklich abenteuerlich sind, und dies auf Dauer. Das ist das Problem.
Ich habe deshalb bei dem G7 -Treffen in Gleneagles und schon vorher vorzuschlagen versucht, dass man mit Hilfe der Internationalen Energieagentur und mit Hilfe der G7 mehr Transparenz in diesen Markt bringt, um überhaupt einmal zu erfahren, was reale Nachfrage ist, was reale Förderung ist und was unabhängig von realer Nachfrage und realer Förderung sechs oder sieben Male verkauft wird. Ich glaube, meine Damen und Herren, wenn die Automobilwirtschaft - denn wer sollte es sonst tun - , aber auch die Verbraucher insgesamt es nicht schaffen, ein bisschen mehr Dampf und mehr Dynamik in eine solche Initiative zu bringen - ich finde, es wäre eine Aufgabe der Automobilindustrie, dabei hilfreich zu sein - , die im Übrigen in Gleneagles - ganz überraschend war es nicht - an den Vereinigten Staaten und Großbritannien aus Rücksicht aus bestimmte Marktzentren in London und New York gescheitert ist, dann werden wir es nicht nur mit hohen - das wird zwangsläufig so sein - , sondern mit überhöhten und durch Spekulationen überhöhten Ölpreisen und Ölproduktpreisen zu tun haben.
Die zweite Konsequenz - es gibt noch eine dritte, die ich daraus ziehen würde - ist die, dass wir eine Strategie der Unabhängigkeit vom Öl wirklich verfolgen müssen. Ich fand es gut, Herr Prof. Gottschalk, dass Sie deutlich gemacht haben, dass das auch die Ansicht des Verbandes ist. Man wird sich über die Instrumente und die Schritte dahin auseinandersetzen müssen; das kann auch gar nicht anders sein. Aber ich glaube schon, dass wir gemeinsam dafür sorgen müssten, dass es diese Strategie zwar nicht des "Ganz weg vom Öl" - das werden wir in absehbarer Zeit nicht schaffen - , aber der größeren Unabhängigkeit vom Öl gibt. Das beginnt natürlich mit Energiepolitik, aber auch mit einer Politik, die sich auf die Kraftstoffe bezieht, die verbraucht werden. Lassen Sie uns zusammen durchsetzen - ich bin dazu bereit - , dass wir das, was die EU vorgibt, nämlich dass man bis 2010 auf einen Beimischungsanteil von 5 % bis 6 % kommt, miteinander verdoppeln. Das können wir schaffen, und wenn wir das schaffen, leisten wir einen Beitrag zum Umweltschutz und zu einer vernünftigen Strategie des Unabhängigerwerdens vom Öl. Sie haben Ethanol und Beimischungen im Benzin genannt. Das ist die gleiche Möglichkeit.
Wir sind wirklich dazu bereit, das zu machen, übrigens alle in der Bundesregierung. Wenn Sie es mir gestatten, lieber Herr Prof. Gottschalk: Es ist ein wunderbares Ritual, und Sie fallen jedes Mal darauf herein. Ich sage das ganz freundschaftlich. Jedes Mal vor einer Internationalen Automobilausstellung gibt Herr Trittin in der Hoffnung, von Ihnen erwähnt zu werden, ein Interview, und Sie tun es jedes Mal. Ich meine, das ist, sozusagen von der anderen Seite her, eine unglaublich gelungene Kommunikationsstrategie, aber die muss ja nicht gelingen. Hören Sie doch einfach auf das, was der Bundeskanzler sagt; dann sind Sie gut bedient!
Ich habe über Energiepolitik, bezogen auf die Kraftstoffe, geredet. Ich glaube, dass wir dabei kein Problem miteinander haben. Aber Energiepolitik und die Strategie des "Weg vom Öl" hat auch noch eine andere Dimension, keine, die dieses Auditorium unmittelbar interessiert, aber schon eine, die wichtig ist. Ich glaube, wir tun Recht daran, wenn wir sagen: Es ist vernünftig, egal, was gelegentlich belächelt wird, einen Energiemix zu finden - ich respektiere all diejenigen, obwohl ich anderer Meinung bin, die sagen, der müsse auch Kernenergie enthalten; ich bin anderer Meinung, aber bitte schön - , der auf die heimischen Energieträger setzt, möglichst so angewandt, dass bei der Verbrennung wenige Schadstoffe entsteht - wir sind die Besten auf diesem Sektor, und wir können anderen wirklich etwas geben - , der aber vor allen Dingen auf erneuerbare Energieträger setzt. Das ist keine Utopie mehr. Das ist keine Vorstellung mehr, die man sozusagen nur bei denen finden könnte, die sich nur von Körnern ernähren. Zu mir kommt nämlich kaum noch jemand aus den Entwicklungsländern und auch nicht aus den Schwellenländern, der nicht fragte: Wie geht ihr mit diesem Problem um? Wir habt ihr es geschafft, bei der Entwicklung der erneuerbaren Energien die Nr. 1 in der Welt zu werden? Wir wollen das lernen! - Viele sagen übrigens "Wir wollen das kaufen", was ja für ein exportabhängiges Land, wie wir es nun einmal sind, auch nicht schlecht ist. Mein Eindruck ist, dass man auf diesem Sektor gerade aus der Wirtschaft heraus vermehrte Anstrengungen unternehmen muss.
Damit bin ich beim zweiten Thema, das ich ansprechen will, nämlich dem Thema: Was prägt eigentlich das Image dieser Branche? Natürlich sind es vielfältige Erwartungen und vielfältige Diskussionen. Aber eines ist doch klar: Mit der heutigen Rede haben Sie deutlich gemacht, dass Sie keine Angst habe, zu sagen "Wir wollen unsere Modelle mit Partikelfiltern ausstatten". Wir haben ja vielfach darüber diskutiert, ob die Alternative dazu nicht innermotorische Dinge sein könnten. Das lässt sich ja hören. Aber am Markt ist es nicht gehört worden, und wo es gehört worden ist, ist es jedenfalls nicht verstanden worden. Vielleicht ist das ein Kommunikationsproblem, das man nicht überwinden kann. In jedem Fall war es doch gut, dass durch gesellschaftlichen Druck eine Situation entstanden ist, in der Sie heute sagen können "80 % , quer durch die Flotten, haben wir geschafft". In meinem Manuskript stehen noch andere Zahlen, aber ich glaube Ihnen Ihre Zahlen. Wenn Sie es nicht geschafft haben, dann müssen Sie sagen "Das müssen wir schaffen, und wir müssen auch 100 % erreichen". Denn wir können doch nicht gestatten - das sage ich in großem Respekt vor den ausländischen Teilnehmern dieser Messe - , dass wir in irgendeiner Technologie schlechter als unsere Wettbewerber sind. Wir werden nicht immer die Nr. 1 sein können, aber bei dem, was am Markt gefragt ist, müssen wir doch zumindest dabei sein.
Ich begrüße deswegen ausdrücklich die Kooperationen, die im Vorfeld der Messe bekannt geworden und bekannt gemacht worden sind, was die Hybrid-Antriebe angeht. Ich weiß nicht, ob es stimmt, dass Ihre japanischen Kollegen acht Jahre Vorsprung haben, was ich gestern überall habe lesen können. Ich kann das nicht beurteilen. Ich bin dabei nicht Fachmann genug. Ich weiß das nicht. Aber in einem bin ich sicher, nämlich darin, dass durch diese Kooperationen, die in Gang gesetzt worden sind, dieser Vorsprung, wie das immer so in Deutschland ist, in kürzester Zeit aufgeholt sein wird. Ich setze jedenfalls darauf.
Ich setze zum Dritten darauf, dass wir etwas miteinander hinbekommen: Wir haben uns in Europa durchsetzen können und standen dabei manchmal ohne Partner da, aber waren, denke ich, immer Vorreiter, z. B. wenn es um die Frage ging, welche Qualität Ersatzteile haben müssen, damit wir nicht Dinge erleben, die Unsicherheit in den Markt bringen und Unsicherheit bei Verbrauchern verursachen, oder wenn es darum ging, die Selbstverpflichtung zur Reduzierung von Schadstoffen, die eingegangen worden sind, auch einzuhalten. Ich bin sicher, dass wir dabei immer vernünftige Kooperationsformen finden werden. Wir haben sie bisher gefunden - das ist jedenfalls mein Eindruck - , und wir werden sie auch in Zukunft finden.
Ich will noch ein paar Bemerkungen zu der Diskussion über das wirtschaftspolitische Umfeld machen. Der Ministerpräsident hat ja eine für seine Verhältnisse verhältnismäßig parteipolitisch unabhängige Rede gehalten. Obwohl ihm das, glaube ich, in diesen Zeiten verdammt schwer gefallen sein muss, war sie, Herr Koch, weit freundlicher, als ich es erwartet habe. Aber so sind Sie eben; ich weiß ja nicht, aus welchen Gründen. Ich kenne die Ministerpräsidenten und war selbst einmal einer. Das weiß man bei denen nie; das muss man dazu sagen.
Sie haben zurecht gesagt: Es gibt Rahmenbedingungen, die geschaffen worden sein müssen, um wirtschaftliche Tätigkeiten auch wirklich zum Erfolg zu bringen. Ich will hier möglichst wenig zu Wahlkampfdingen sagen; das gehört auch nicht hierhin, obwohl ich das hier für eine Wählerinitiative halten könnte. Ich wollte nur sagen: Sie haben völlig zurecht darauf verwiesen, dass wir mitten in einer Diskussion sind, in der es um Rahmenbedingungen in Deutschland geht und in der es um Rahmenbedingungen in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern geht. Wir haben eine Debatte hinter uns - das ist ja in Wahlauseinandersetzungen so - , die so erschien, als müsste sich Deutschland, was die Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Tätigkeit im Inland und aus dem Ausland angeht, wirklich verstecken. Diese Debatte ist falsch, meine Damen und Herren.
Ich habe heute - ich weiß gar nicht, warum - eine Überschrift in einer Zeitung gelesen, die nun wahrlich nicht zu den sozialdemokratischen Hauspostillen gehört. Ich meine das "Handelsblatt". Ich will Ihnen einmal zeigen, was die hier schreiben. Nehmen Sie das Foto hier oben nicht so ernst. Dort steht "Weltbank lobt Reformen und Bürokratieabbau in Deutschland - Kein Industrieland erzielt so große Fortschritte - Studie vergleicht Standortfaktoren in 155 Ländern". Ich sage das, meine Damen und Herren, nicht für die Inländer, sondern für die ausländischen Gäste. Ich sage: Das ist die Wahrheit, und deswegen lohnt es sich, in Deutschland Wirtschaft zu betreiben, deswegen lohnt es sich, in Deutschland zu investieren, und deswegen bin ich jedenfalls stolz auf ein Land, das in weltwirtschaftlich schwierigen Zeiten unter großen Mühen zu genau diesem Ergebnis gekommen ist. Das ist der Grund, aus dem ich sage: Ich habe einen bescheidenen Beitrag dazu leisten können. Weil das so ist, verehrter Herr Ministerpräsident, bin ich wirklich optimistisch. In diesem Sinne sollten Sie es auch sein.
Deswegen freut es mich, dass ich heute die IAA 2005 eröffnen kann und wir alle dabei sein dürfen. Alles Gute für Sie, viel Erfolg und "Ad multos annos" !