Redner(in): Christina Weiss
Datum: 16.09.2005

Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss würdigt in ihrer Rede zur Einweihung des Museums das bürgerschaftliche Engagement von Marli Hoppe-Ritter.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/88/889888/multi.htm


als Kasimir Malewitsch 1913 zum ersten Mal ein schwarzes Quadrat zum Bild erklärte und in der avantgardistischen Oper "Sieg über die Sonne" als Bühnendekoration einsetzte, war er sich seiner revolutionären Tat durchaus bewusst. Malewitsch wollte, ganz prometheischer Geist, nicht weniger als: das Neue erschaffen "." In der Malerei "- so vermeldetet 1916 sein Manifest" Vom Kubismus und Futurismus zum Suprematismus "-" In der Malerei ist jede Fläche lebendiger als irgendein Gesicht, aus dem ein Paar Augen und ein Lächeln ragen."Das Verschwinden des Sujets war sein Sujet. Sein schwarzes Quadrat galt dieser Radikalität als" Beweis für den Aufbau von Formen aus dem Nichts ". Ein Nichts allerdings, das sich zur größten Revolution auswachsen sollte, die die bildende Kunst je erlebte. Ein kleines, schwarzes, quadratisches Stück Leinwand das jede Erfahrung in sich aufsog, als wäre es ein schwarzes - gleichwohl kantiges - Loch, aus dem nichts entweichen konnte als der reine, der gereinigte Geist. Mit Malewitsch wuchs eine Form über sich hinaus: quadratisch - packend - gut!

Seit Malewitsch hat das reine Quadrat unzählige Künstler fasziniert und zu immer neuen Werken angeregt. Neben dem Kreis gehört es zu jenen geometrischen Formen, die uns als Symbol der Vollkommenheit erscheinen. Dabei ist es - anders als der auratische Kreis oder das nervöse Dreieck - zugleich dynamisch wie kein zweites. Man kann es in unendlich viele, Untereinheiten aufteilen wie Piet Mondrian es tat. Man kann es, wie Max Bill, auf einer Ecke balancieren oder pulsieren lassen wie Ad Reinhardt. Man kann sich von ihm inspirieren, verleiten, verstören und auch wieder beruhigen lassen. Das Quadrat schuf sich sein eigenes, eckig-liebenswürdiges Universum, das von heute an allen Kunstfreunden offen steht, weil Sie, liebe Frau Hoppe-Ritter, ihm Obhut gewähren - ihm eine Heimstatt widmen, einen Palast, einen Tempel der Kunst "zum Quadrat". Dafür danke ich Ihnen von Herzen!

Konzeptionelle Strenge und Ironie, eine verkörperte Idee und ein beinah körperloser Wahrnehmungsprozess, eine Weltanschauung und so manches Weltbild haben in - oder besser auf dem Quadrat Platz. Nicht immer macht es die Kunst dem Betrachter leicht, sie auf Anhieb anzunehmen, sie gar zu verstehen. Farben, Linien und Komposition wollen mitunter nicht mehr abbilden als sich selbst. Sie stellen nichts dar, sondern generieren ihre eigene Wirklichkeit. Sie sind ganz identisch mit sich - sie sind "konkret". Theo von Doesburg hat dieses Phänomen, mit dem ich mich selbst mehrere Jahre lang als Doktorandin beschäftigen durfte, bereits 1930 wie folgt definiert: "Nichts ist konkreter, wirklicher als eine Linie, eine Farbe, eine Oberfläche. Sind auf einer Leinwand etwa eine Frau, ein Baum, eine Kuh konkrete Elemente? Nein, eine Frau, ein Baum, eine Kuh sind konkret im natürlichen Zustand. Im Zustand der Malerei sind sie weit abstrakter, illusorischer, unbestimmter, spekulativer als eine Linie."

Moderne, abstrakte Kunst, wie sie dieses Museum versammelt, kreiert eine Realität, mit deren Hilfe die bisher erfahrene Wirklichkeit ergänzt und verändert werden kann. Sie reizt das Sehen; die Wahrnehmung selbst wird ins Auge gefasst, weil der Prozess des Wahrnehmens nicht abgelenkt wird durch das Wiedererkennen eines Gegenstandes. Der Gegenstand verschwindet, das Bild konzentriert sich - in unserem Fall weiter fokussiert durch das fassende Quadrat - auf einen metaphysischen Punkt, das alles umfassende Nichts."Modern nenne ich die Kunst, die ihre Technik dazu benutzt zu zeigen, dass es ein Nicht-Darstellbares gibt", schrieb der französische Philosoph Jean-Francois Lyotard. Und weiter: "Sichtbar zu machen, dass es etwas gibt, das man denken, nicht aber sehen oder sichtbar machen kann: das ist der Einsatz der modernen Malerei."

In dieser Darstellung des Nicht-Darstellbaren liegt meiner Ansicht nach eine besondere Kraft: Sie führt den Betrachter zu sich selbst zurück, animiert sein Vorstellungsvermögen, regt ihn zum Nachdenken an und lässt innere Bilder in ihm aufsteigen. Sie setzt das in Gang, was der amerikanische Maler des Abstrakten Expressionismus, Ad Reinhardt, einmal "die Dunkelheit der absoluten Freiheit" nannte: die Freiheit des Gedankens, die Freiheit der Imagination.

Freiheit ist nicht nur der zentrale Begriff meiner Kunstauffassung - und zugleich das Schlagwort des Schillerjahres. Freiheit heißt für mich auch, nach dem zu fahnden, was frei macht, und der Welt nach Kräften zu helfen, neue Freiheits-Kategorien zu finden. Viele dieser Kategorien lieferte und liefert bis heute die Kunst, und es war immer besonders gut um sie bestellt, wenn es Menschen gab, die sich der Förderung, Bewahrung und vor allem der Verbreitung der Kunst verschrieben hatten. Heute treffen wir auf solche Menschen, die uns mit mäzenatischer Größe und Freude ein Museum voller neuer Einblicke schenken wollen und damit zugleich unsere Freiheit vergrößern. Dafür gilt ihnen, allen voran Ihnen, sehr verehrte Frau Hoppe-Ritter, der Dank unseres Landes.

Ich bin der festen Überzeugung, dass sich der Zustand einer Kulturnation nicht allein daran ablesen lässt, was von Seiten des Staates für die Allgemeinheit getan wird. Mindestens ebenso entscheidend, ist, was der Einzelne nach seinen Kräften und Möglichkeiten beisteuert. Wir alle sind aufgefordert zu bürgerschaftlichem Engagement - genauso wie wir darauf angewiesen sind, dass andere sich engagieren. Je mehr sich die Menschen für das Gemeinwohl einsetzen, desto reicher ist die Gesellschaft im Ganzen, wobei mit Reichtum nicht nur das Materielle gemeint ist. Die Anzahl privater Stiftungen, deren Chancen die rot-grüne Bundesregierung geschützt und gestärkt hat, mehrt den allgemeinen Wohlstand und gibt Auskunft über das geistige Klima unseres Landes. Wir Deutschen werden manchmal beneidet um unsere vielgestaltige kulturelle Topographie mit Theatern, Konzerthäusern und Museen in den großen, mittelgroßen und kleinen Städten. Was dabei oft genug in Vergessenheit gerät, sind jedoch die Anstrengungen, die zum Aufbau und zur Bewahrung dieses Schatzes notwendig waren und auf Dauer notwendig sind.

Ich habe mit großer Freude und Zufriedenheit zur Kenntnis genommen, dass gerade im Bereich der Kunst in den letzten Jahren etliche Initiativen entstanden sind, die aller Ehren wert sind. Die Sammlung Frieder Burda in Baden-Baden, die Sammlungen von Reinhold Würth in Künzelsau und Schäbisch Hall oder die umfangreiche Stiftung des Malers Gerhard Richter an die Dresdner Gemäldesammlungen sind solche glücklichen, beglückenden Fälle von Bürgersinn. Sie, sehr verehrte Frau Hoppe-Ritter, mehren unseren Museumsschatz und reihen sich ein in eine so würdige wie lange, ausgerechnet immer wieder von Schokoladenfabrikanten gestärkte Liste, die weit in die Vergangenheit und hoffentlich noch weiter in die Zukunft reicht. Ihre großzügige Geste, Ihre reiche Kunstsammlung in einem eigenen Museum der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, macht Sie nicht nur zur Mäzenin und zu einem großen Vorbild. Sie macht sie den Liebhaberinnen und Liebhabern der Kunst zur wahren Freundin. Ihr Engagement zeigt neuerlich, wie begrenzt das Vorurteil ist, moderne Kunst passe so wenig in die Peripherie eines Landes, wie gute Architektur. Das Gegenteil ist der Fall! Den Metropolen weisen Sie fortan den Weg! Ihrem Architekten - Ihnen, sehr verehrter Herr Dudler - ist ein Gebäude gelungen, das Ökologie, Ästhetik und pragmatischen Nutzen exemplarisch vereint. Es schmückt die Gegend in seiner klaren Formensprache und wird für jeden Architekturfreund schon bald eine Landmarke sein.

Dieses quadratische Museum mit all der quadratischen Kunst darin ist nichts für Quadratschädel. Es wird, da bin ich mir schon heute sicher, zu den großartigen Bereicherungen der Kulturlandschaft hier in Württemberg und der ganzen Bundesrepublik zählen. Das wichtigste mag ich ihm dennoch wünschen: viele begeisterte Besucher!

Vielen Dank!