Redner(in): Frank-Walter Steinmeier
Datum: 21.09.2005
Untertitel: Rede von Staatssekretär Frank-Walter Steinmeier anlässlich der Verabschiedung des Direktors der SWP, Christoph Bertram, am 21. September 2005 bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Anrede: Liebe Frau Bertram, lieber Herr Bertram, sehr geehrter Herr Hartmann, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/03/902203/multi.htm
Es ist immer unangenehm für den Redner, den Zuhörern eine Enttäuschung zu bereiten.
Also, wie Sie unschwer feststellen können, bin ich nicht der Bundeskanzler.
Alle, die nur seinetwegen gekommen sind, dürfen jetzt noch den Saal verlassen.
Wenn das wenige sind, fühle ich mich ermutigt, die durch seine Verhinderung entstandene Leerstelle zu füllen.
Dies nicht ohne einen Hinweis darauf, dass wir die Rede des Kanzlers seine Rede hier und heute zu einem Zeitpunkt vereinbart haben, als auch ich nichts vom 22. Mai, von der Vertrauensfrage, von Auflösung des Deutschen Bundestages und Neuwahlen ahnte.
Diese liegen nun 3 Tage hinter uns.
Und die Spitzenpersonen der Parteien versuchen in diesen Tagen für das Rätsel, das uns der Wähler aufgegeben hat, eine Lösung zu finden.
Sie dürfen also etwas enttäuscht sein!
Ich hingegen bin überhaupt nicht traurig, dass mir die Versuche anderer, Konstellationen und Koalitionen für eine künftige Regierung auszuloten, die Möglichkeit verschaffen, selbst ein paar öffentliche Anmerkungen zum Abschied von Christoph Bertram aus dem Amt zu machen. Ganz im Gegenteil!
Christoph Bertram selbst hatte anlässlich seines Abschieds natürlich einen außenpolitisch-programmatischen Beitrag erwartet, und weniger eine Würdigung seiner Person und des Instituts, das er sieben Jahre lang geleitet hat.
Ganz im Einklang mit dem Rahmen, den er und seine Mitstreiter aus Anlass seiner Verabschiedung gewählt haben: Ein wissenschaftliches Kolloquium, das Freunde, Weggefährten und Förderer versammelt, statt einer zeremoniell geprägten Abschiedsveranstaltung.
Christoph Bertram bleibt sich damit selbst treu. Als persönlich zutiefst unprätentiös und streng an der Sache orientiert erleben und beschreiben ihn die Menschen, die ihm begegnen.
Und dennoch: Wir schulden Christoph Bertram nach allem, was er in den vergangenen Jahren geleistet hat, auch und vor allem Worte des Dankes und der Anerkennung.
Und deshalb dürfen, sollen und müssen seine Person und sein Wirken in den Mittelpunkt meiner Ausführungen stehen.
Dass es dabei auch um Außen- und Sicherheitspolitik gehen wird, versteht sich angesichts der zu verabschiedenden Person von selbst.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Nach der Wahl am vergangenen Sonntag werden wir in Deutschland also jedenfalls eine neue Regierung bekommen: es wird ein bisschen länger dauern als in früheren Jahren und etwas anders zusammengesetzt. Aber jedenfalls eine neue!
Zeitgleich verlässt Christoph Bertram die SWP.
Man mag es angesichts seines ungebrochenen Schaffens- und Gestaltungsdrangs kaum glauben: wegen Erreichens der Pensionsgrenze!
Die Amtszeit Christoph Bertrams als Institutsdirektor deckt sich damit weitgehend mit derjenigen jener Bundesregierungen, denen anzugehören ich bislang die Ehre hatte.
Auch wenn die Kongruenz augenfällig ist: Ergebnis vorausschauender Planung war sie nicht.
Zu Beginn war Christoph Bertram bereits seit einigen Monate ins Amt eingeführt, als Kanzler Schröder und Außenminister Fischer mit ihrer neuen Mannschaft ihre Ämter antraten.
Und ich kann Ihnen versichern, dass auch zum Ende hin der Wahltermin nicht mit dem Termin seiner Pensionierung synchronisiert worden ist.
Aufgrund dieser Kongruenz werden Sie, lieber Herr Bertram, wohl als der außenpolitische Berater dieser Bundesregierung in Erinnerung bleiben.
Was dann auch heißt, So dass Sie, zumindest partiell, mit dem, was die Bundesregierung außenpolitisch geleistet oder auch nicht geleistetunterlassen hat, in Verbindung gebracht werden.
Wenn ich für die Bundesregierung sprechen darf: Wir können damit sehr gut leben! Auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren. Ich hoffe und wünsche mir, Sie können das auch.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
In den Jahren, von denen hier die Rede ist, hat sich weltgeschichtlich Dramatisches ereignet.
Als Christoph Bertram die Leitung der SWP übernahm, bewegte sich die deutsche Außenpolitik noch weitgehend im Koordinatensystem des Kalten Krieges. Die Deutschen wußten noch nicht...", so beschrieb Christoph Bertram erst vorgestern in kleiner Runde"... dass man die Entwicklungen außerhalb der nationalen Grenzen durch nationale Politik beeinflussen kann."
Die Kosovo-Krise 1999, der 11. September 2001, die Kontroverse um den Irak-Krieg 2003, die Erweiterung der Europäischen Union um 10 neue Mitgliedsstaaten, das Scheitern der EU-Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden sowie das schwere Fahrwasser, in das die Vereinten Nationen erneut geraten sind, haben die Welt dramatisch verändert und konfrontieren uns jedoch mit neuen Fragen:
Wie gehen wir mit ethnisch oder religiös motivierter Gewalt um?
Wie begegnen wir den Bedrohungen durch die asymmetrische Kriegführung des internationalen Terrorismus und die Proliferation von Massenvernichtungswaffen?
Wie verhindern wir das Zerfallen von Staaten?
Unter welchen Voraussetzungen ist der Einsatz militärischer Mittel erlaubt,
unter welchen ist er geboten?
Was können, was müssen wir tun, um multilaterale Institutionen, die in unserem vitalen Interesse sind, zu stärken?
welche Gestalt wünschen wir uns für Europa?
Und, um eine Frage aufzugreifen, die auch Christoph Bertram gestellt hat: wie schaffen wir es, dass die NATO wieder das Zentrum des transatlantischen strategischen Dialogs wird?
Welche ökonomischen und sozialen Transformationsprozesse sind wir bereit, im Innern zu vollziehen, um den einheitlichen Markt mit seinen Verheißungen von mehr Wohlstand für alle zu vollenden?
Welche nationalen Gestaltungsansprüche sind wir bereit aufzugeben, um ein starkes Europa zu bauen?
Wie schaffen wir es, die gegenwärtige europäische Krise zu überwinden und Europa wieder zu einem Ort der Zukunftsverheißung zu machen?
Wie fördern wir Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung weltweit?
Und wie kann es gelingen, die Globalisierung so zu gestalten, dass ihre Potentiale für alle Menschen, auch die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, zum Tragen kommen?
Wohl kaum jemals zuvor war die deutsche Außenpolitik gezwungen, in so kurzer Zeit Antworten auf so viele neue, komplexe Fragen zu geben.
Für all diese Fragen gab es keine Präzedenzfälle, keine eingeübten Verfahren und keine etablierten Instrumente der Konfliktbearbeitung und Konfliktlösung.
Dies hat den Bedarf der politisch Handelnden an Expertise im Sinne von fundiertem Fachwissen, das aus der langjährigen Beobachtung und Analyse von Vorgängen und Entwicklungen resultiert, beträchtlich wachsen lassen.
Dass dieser Bedarf auch gedeckt werden konnte, daran haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SWP maßgeblichen Anteil.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle dafür meinen aufrichtigen Dank aussprechen.
Christoph Bertrams Anspruch als Institutsdirektor war es, darauf zu achten, dass das Wissen der Fachexperten so aufbereitet wird, dass es für die Politik auch anschlussfähig ist.
Da er wusste, und auch Verständnis dafür hatte, dass die Zeitnot der politisch Handelnden chronisch ist, achtete er stets auf größtmögliche Verdichtung der wissenschaftlichen Analyse. Außerdem erwartete und forderte er von sich selbst und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stets auch die Anstrengung, konkrete Handlungsoptionen für operative Politik aufzuzeigen.
Den Produkten, die die SWP erstellt, hat dies gut getan. Die neuen Formate, die unter Leitung Christoph Bertrams entwickelt wurden, sind benutzerfreundlicher und kundenorientierter geworden.
Neben einer gehörigen Portion wohltuenden Pragmatismus tritt hier das überragende Dienstleistungs-Ethos Christoph Bertrams zutage.
Ich führe das auf seine nachhaltige Prägung durch die intellektuelle Kultur des angelsächsischen Raums zurück, der er in besonderer Weise verbunden ist.
Hieran zeigt sich aber auch sein Verständnis dafür, dass politisches Handeln sich unter anderen Rahmenbedingungen vollzieht und einer anderen Logik gehorcht als wissenschaftliche Forschung.
Sehr geehrte Damen und Herren,
In die Amtszeit von Christoph Bertram als Direktor der SWP fallen die Integration von Aufgaben und Mitarbeitern des "Bundesinstituts für internationale und ostwissenschaftlichen Studien" sowie des "Südosteuropa-Instituts", die nachfolgende organisatorische Neustrukturierung der SWP und schließlich auch der Umzug von der Idylle Ebenhausens nach Berlin.
Dem unermüdlichen Einsatz und der Überzeugungsarbeit Christoph Bertrams ist es zu verdanken, dass dies, trotz anfänglicher Widerstände, ohne nennenswerte Reibungsverluste umgesetzt werden konnte.
Mit einem gewissen zeitlichen Abstand und vom Ergebnis her zeigt sich, dass der Umzugsbeschluss richtig war.
Die Präsenz der SWP in Berlin lässt sich gar nicht mehr wegdenken.
Sie ist zentraler Akteur in der Berliner außen- und sicherheitspolitischen Community geworden, deren Netz in den letzten Jahren vielfältiger und engmaschiger geworden ist:
Akteure sind neben der SWP die DGAP, Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Wissenschaftskolleg, Wissenschaftszentrum, Hertie School, politische Stiftungen, Robert-Bosch-Stiftung, Körber-Stiftung, Atlantik-Brücke, American Academy, German Marshall Fund, Aspen Institute, nicht zu vergessen die drei Berliner Universitäten, und die Universität Potsdam,
außerdem noch die außen- und sicherheitspolitische Themen behandelnden Hauptstadtkorrespondenten der großen Print- und sonstigen Medien. : Die Liste der in Berlin ansässigen Institute, Einrichtungen, Dependancen, Personen, die außen- und sicherheitspolitische Themen bearbeiten oder den internationalen Austausch organisieren, ist eindrucksvoll.
Hinzukommen wird, das ist beschlossene Sacheich habe dies versprochen und hoffe, dass dieses Versprechen nicht gebrochen wird, der Bundesnachrichtendienst, derzeit noch in Pullach.
Meine Philosophie dabei:
Wir wollen den Dienst am Sitz der Entscheider. Nur so kann Gespür für den Entscheidungs- und Beratungsbedarf bestehen. Und die, auf deren Rat wir uns verlassen, müssen Tragfähigkeit der Argumente und die Belastbarkeit des Rats ständig mit der Expertise aus anderen Quellen messen können.
Die durch die kurzen Wege am Regierungssitz begünstigte Vernetzung der außen- und sicherheitspolitischen Community hatte und hat einen positiven Effekt auf den Diskurs zur Außen- und Sicherheitspolitik in Deutschland.
Diese Bewertung gilt zumindest aus meiner Sicht, d. h. aus Sicht der operativen Politik.
Der Austausch unter den daran Beteiligten hat erkennbar stärker dialogischen Charakter.
Er ist außerdem geprägt von einem verschärften Wettbewerb um Gehör und Aufmerksamkeit und damit um Relevanz und Einfluss. Weniger akademischer Elfenbeinturm, weniger Pflege verwunschener Orchideengärten, größere Bereitschaft von Experten, sich genuin politischen Fragestellungen zuzuwenden und ihre Fachexpertise einzubringen, ist das, was ich wahrzunehmen meine.
Dass mit Herrn Perthes demnächst ein Orientalist Experte für den Nahen und Mittleren Osten und mit Herrn Sandschneider derzeit ein Ostasien-Experte die Leitung von SWP und des Forschungsinstituts der DGAP innehaben, wäre noch vor einem Jahrzehnt vermutlich nicht vorstellbar gewesen.
In der deutschen akademischen Tradition waren diese solche Fächer bislang stärker kulturwissenschaftlich geprägt.
Interesse an Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik hätte man ihren Fachvertretern vermutlich nicht unterstelltzugemutet, möglicherweise auch nicht zugetraut. Dass sich dies geändert hat, finde ich persönlich außerordentlich begrüßenswert.
Mit seinem überragenden kommunikativen Talent und seiner Integrationsfähigkeit hat Christoph Bertram hier am Ludwigkirchplatz nicht nur die sich in Berlin bietenden Möglichkeiten genutzt, sondern auch entscheidend mitgestaltet.
Das Ergebnis ist das offene Haus, das wir mehr oder weniger häufig, aber doch ausgesprochen gerne frequentieren. Viele Arbeitsformate, die sich im Angebot der SWP zwischenzeitlich bewährt und etabliert haben, wären in der Abgeschiedenheit Ebenhausens sicherlich nicht zu realisieren gewesen.
Dazu gehören neben dem jour fixe, der sich großer Beliebtheit erfreut, auch regelmäßig tagende informelle Expertenrunden zu verschiedenen Themen in wechselnder Zusammensetzung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
diese neuen Arbeitsformate bieten willkommene Hilfe zur Orientierung in einer zunehmend komplexer werdenden Welt.
Außen- und Sicherheitspolitik ist in der Tat unübersichtlicher geworden:
Erstens: Wir können eine erhebliche Zunahme von Akteuren, die grenzüberschreitend tätig sind, beobachten.
Das reicht von informellen Netzwerken und formelleren Kooperationen auf den Gebieten von Wissenschaft, Kunst, Kultur, über die Aktivitäten multinational operierender Unternehmen, bis hin zum Engagement von Nichtregierungsorganisationen im politischen, sozialen und humanitären Bereich.
Ermöglicht durch die Revolution auf dem Gebiet der modernen Kommunikationstechnologien und der parallel sich vollziehenden Verbreitung des Englischen als lingua franca steht jedermann, vorausgesetzt er steht auf der richtigen Seite der sogenannten "digitalen Kluft", heutzutage buchstäblich die Welt offen. Das reicht von informellen Netzwerken und formelleren Kooperationen auf den Gebieten von Wissenschaft, Kunst, Kultur, über die Aktivitäten multinational operierender Unternehmen, bis hin zum Engagement von Nichtregierungsorganisationen im politischen, sozialen und humanitären Bereich.
Ermöglicht durch die Revolution auf dem Gebiet der modernen Kommunikationstechnologien und der parallel sich vollziehenden Verbreitung des Englischen als lingua franca steht jedermann vorausgesetzt er steht auf der richtigen Seite der sogenannten "digitalen Kluft", heutzutage buchstäblich die Welt offen. Hinzu kommt zweitens eine größere Diversifizierung im Hinblick auf potentielle Themen, die im Rahmen des außen- und sicherheitspolitischen Diskurses eine Rolle spielen.
Dass wir heute von der Notwendigkeit eines erweiterten Sicherheitsbegriffs ausgehen, ist nicht neu, zeigt dies sehrsich aber immer deutlicher.
Sicherheit bedeutet nicht einfach nur Abwesenheit eines bewaffneten Konflikts.
Sicherheit hängt auch ganz maßgeblich von Voraussetzungen ab, zu denen sicherheitspolitische Maßnahmen im engeren Sinne häufig keinen, oder einen nur begrenzten Beitrag leisten können - Voraussetzungen politischer, ökonomischer, sozialer, zuweilen sogar kultureller oder religiöser Art.
Kofi Annan, der eloquenteste Verfechter eines erweiterten Sicherheitsbegriffs, hat diese Einsicht jüngst wieder auf die Formel gebracht: "Es kann keine Entwicklung ohne Sicherheit, keine Sicherheit ohne Entwicklung und weder das eine noch das andere ohne die Wahrung der Menschenrechte geben."
Folgerichtig unterteilt Kofi Annan seinen jüngsten Bericht an die Generalversammlung der Vereinten Nationen in die drei Kapitel: Freiheit von Not "," Freiheit von Furcht ", sowie" Freiheit, in Würde zu leben ". Außen- und sicherheitspolitische Themen in einem engen, eher traditionellen, Sinne sind dies nicht, und doch für den außen- und sicherheitspolitischen Diskurs von zentraler Bedeutung.
Ein guter Ausgangspunkt, sollte man meinen, um die Prioritäten und Schwerpunkte auf der außen- und sicherheitspolitischen Agenda einmal grundsätzlich zum Thema zu machen.
Bedauerlich nur, dass es in der deutschen Öffentlichkeit, zumindest jenseits der interessierten Fachöffentlichkeit, weitgehend unbeachtet geblieben ist.
Diese beiden Entwicklungen, die Diversifizierung der Akteure zum einen, der Themen zum anderen, hängen natürlich eng mit dem weltpolitischen Geschehen seit Ende des Ost-West-Antagonismus und dem Prozess der fortschreitenden Globalisierung zusammen.
Im Ergebnis ist es zunehmend schwierig geworden, eine Warte einzunehmen, die für alle Beteiligten gleichermaßen Verbindlichkeit beanspruchen kann.
Das lässt sich unter anderem daran ablesen, dass selbst bei der Gestaltung unserer bilateralen Beziehungen mit Ländern wie China und Russland, außen- und sicherheitspolitische Vorgänge par excellence, ökonomische, ökologische, soziale und kulturelle Gesichtspunkte eine zunehmend wichtige Rolle spielen.
So lag es beispielsweise zu Zeiten des Ost-West-Konflikts nahe, die Sowjetunion primär und fast ausschließlich unter dem Blickwinkel der Ost-West-Konfrontation zu betrachten.
Fragen der angemessenen sicherheitspolitischen Strategie im Umgang mit der Sowjetunion hatten für die Bundesregierung aus gutem Grund absoluten Vorrang vor allen anderen Fragen und wurden gemeinsam mit den Verbündeten diskutiert und entschieden. Die Handlungsspielräume für die Bundesregierung waren dabei denkbar gering.
Wenn wir heute über unsere bilateralen Beziehungen zu Russland Auskunft gebenbetrachten, so fällt auf, dass unsere die Perspektiven und Handlungsoptionen dramatisch gewachsendramatisch gewachsen sind.
Am jüngsten Projekt, der Ostsee-Pipeline, kann man dies deutlich ablesen. Innenpolitische, energiewirtschaftliche, ökologische, europapolitische, geostrategische und sicherheitspolitische Gesichtspunkte sind miteinander verschränkt. Alle Gesichtspunkte sind gleichermaßen in die Gesamtrechnung einzustellen und gegeneinander abzuwägen, nur beispielhaft: :
Russland
ist unser Nachbar, dessen schwierige innenpolitische Entwicklung mit ihren gewaltigen sozialen Spannungen uns unmittelbar berührt, kann Verbündeter in weltpolitischen Fragen sein, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, ist ein Markt mit gewaltigem Potential für die deutsche Wirtschaft, ist einer der wichtigsten Energielieferanten Deutschlands, Partner eines vielgestaltigen kulturellen und wissenschaftlichen Austauschs, Ort ökologischer Probleme, die uns potentiell betreffen, Herkunftsland vieler Menschen deutscher Abstammung, die in den vergagenen Jahren in Deutschland ihre neue Heimat gefunden haben, und vieles mehr. Eine solche Diversifizierung von Themen und Akteuren dürfte wohl für alle außen- und sicherheitspolitischen Dossiers von einiger Bedeutung gelten.
Russland - ist unser Nachbar, dessen schwierige innenpolitische Entwicklung mit ihren gewaltigen sozialen Spannungen uns unmittelbar berührt,
kann Verbündeter in weltpolitischen Fragen sein, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, ist ein Markt mit gewaltigem Potential für die deutsche Wirtschaft, ist einer der wichtigsten Energielieferanten Deutschlands, Partner eines vielgestaltigen kulturellen und wissenschaftlichen Austauschs, Ort ökologischer Probleme, die uns potentiell betreffen, Herkunftsland vieler Menschen deutscher Abstammung, die in den vergangenen Jahren in Deutschland ihre neue Heimat gefunden haben, und vieles mehr.
Mit der Zunahme von Perspektiven und Handlungsoptionen treten natürlich auch Organisationen und Personen mit zum Teil gleichgerichteten, zum Teil gegensätzlichen Interessen auf den Plan. Sie alle versuchen, Regierungspolitik in ihrem Sinne zu beeinflussen:
andere Partner wie EU-Partner, die USA, die EU-Kommission, Wirtschaftsverbände, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, und viele andere mehr.
Eine solche Diversifizierung von Themen und Akteuren dürfte wohl für alle außen- und sicherheitspolitischen Dossiers von einiger Bedeutung gelten.
Genau an dieser Stelle dürften in programmatischer Hinsicht auch künftige Herausforderungen für die SWP liegen.
Ohne die traditionellen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik und unser zentrales Interesse an der Pflege der Beziehungen zu unseren Verbündeten, allen voran den USA, zu vernachlässigen, wäre zu fragen:
Wie und wodurch, so würde ich fragen, kann es gelingen, den überkommenen außen- und sicherheitspolitischen Diskurs sowohl personell als auch thematisch so zu öffnen, damit ein möglichst optimaler Anschluss an die Themen und Akteure von morgen gelingt.
Einige, unmittelbar auf der Hand liegende Beispiele dafür könnten sein:
die Folgen der zunehmenden Verknappung von Rohstoffen und anderen Ressourcen, insbesondere vor dem Hintergrund der ökonomischen Entwicklungen in China und Indien, die Folgen des weltweiten demographischen Wandels, die Folgen der weltweit höher werdenden Mobilität von Menschen, seien es die klassischen Themen Migration und Integration, seien es Fragen der Verkehrsinfrastruktur. Diese Themen liegen, wie gesagt, auf der Hand und ich gehe davon aus, dass sie Stoff für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SWP abgeben.
Ich würde Sie aber gerne ermutigen wollen, noch einen Schritt darüber hinaus zu gehen.
In den zurückliegenden Wahlauseinandersetzungen sind, jenseits aller notwendigen parteipolitischen Polarisierung und Zuspitzung, die Fragen und Erwartungen der überwiegenden Mehrheit der Menschen in unserem Land an die Politik deutlich geworden.
Grob gesprochen ging es um die Frage, welche Anpassungsprozesse wir im Innern organisieren müssen, um in der Welt bestehen, oder um uns in ihr behaupten zu können.
Ein Beispiel: Müssen Regulierungen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, abgebaut werden, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, oder machen die rechtlichen und informellen Regeln, die sich in Jahrzehnten herausgebildet haben, im Gegenteil gerade unsere Stärke aus, und müssen erhalten und im Zuge dessen nur neu justiert werden.
Niemand wird bestreiten können, dass solche Fragen nur mit Kenntnis von Vorgängen jenseits unserer Grenzen zu beantworten sind.
Kenntnis von Vorgängen jenseits unserer Grenzen haben viele. Was häufig fehlt, sind profunde Fachkenntnisse hierzu, die so aufbereitet sind, dass sie uns helfen, die aufgeworfenen Fragen intelligent und kreativ zu beantworten.
Um nicht missverstanden zu werden:
Ich möchte die SWP nicht dazu auffordern, zu einem Institut zu mutieren, das sich vorrangig mit wirtschafts- oder sozialpolitischen Themen beschäftigt.
Das tun bereits andere in genügender Anzahl und in wechselnder Qualität.
Meine Anregung wäre vielmehr, außen- und sicherheitspolitische Expertise so aufzubereiten, dass sie für Prozesse unserer inneren Selbstverständigung anschlussfähig ist.
Damit könnte zum einen der traditionelle außen- und sicherheitspolitische Diskurs besser mit solchen Themen verzahnt werden, die in der Regel eher der Innenpolitik zugerechnet werden.
Dies würde der falschen Wahrnehmung entgegenwirken, Außen- und Sicherheitspolitik sei lediglich das Glasperlenspiel von Spezialisten.
Zum anderen halte ich einen geschärften Blick der außen- und sicherheitspolitischen Experten für unsere Prozesse der inneren Selbstverständigung für unerlässlich, wenn die Frage beantwortet werden soll, was Deutschlands Rolle in der Welt sein kann und sein soll.
Christoph Bertram hat sich in diesem Zusammenhang immer wieder mit Nachdruck für ein stärkeres Engagement Deutschlands auf der Weltbühne eingesetzt. Wir wünschen uns mehr deutschen Ehrgeiz, Deutschlands und Europas internationales Umfeld zu gestalten " sagte er etwa anlässlich des 40jährigen Bestehens der SWP.
Und mahnte in diesem Zusammenhang ein strategisches Konzept an: "Wir müssen... prüfen und dann entscheiden, was wir wollen und was wir dazu aufzubringen bereit sind."
Nun will ich dem nicht entgegenhalten, dass manchen Akteuren der Weltpolitik der deutsche Ehrgeiz, die internationalen Beziehungen mitgestalten zu wollen, schon zu weit zu gehen scheint.
Ich würde dem vielmehr entgegenhalten wollen, dass Deutschland in der Tat in den vergangenen Jahren bei der Gestaltung der europäischen und internationalen Beziehungen Beträchtliches geleistet hat.
Ohne das Engagement der Bundesregierung hätten wesentliche Initiativen nie das Licht der Welt erblickt oder hätten nicht die, aus unserer Sicht positive, eine andere, weniger vorteilhafte, Wendung genommen, die wir ihnen geben konnten.
Ich nenne beispielhaft:
den Stabilitätspakt für Südost-Europa, die sicherheitspolitische Stabilisierung des westlichen Balkans, die Kölner Entschuldungsinitiative für die ärmsten Entwicklungsländer, den Rechtsstaatsdialog mit China, den Internationalen Strafgerichtshof, die sogenannte "Road-Map" im Nahost-Friedensprozess, die klare öffentliche Positionierung gegen den Irak-Krieg, die Initiative der EU-3 zur Aufnahme von Verhandlungen mit dem Iran, den Entwurf einer Verfassung für die Europäische Union, die Formulierung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die strategische Partnerschaft mit Russland, die Unterstützung des friedlichen Wandels in der Ukraine, die Reform der Bundeswehr und die Erarbeitung neuer sicherheitspolitischer Richtlinien, um die Bundeswehr für die Herausforderungen der Zukunft zu rüsten, um nur einige wichtige zu nennen.
In allen diesen Fällen war es natürlich das Interesse der Bundesregierung an einer aktiven Mitgestaltung der internationalen Beziehungen, das Pate stand.
Es gibt keine Veranlassung, diese Bilanz geringzuschätzen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte nicht schließen, ohne die Rolle zu würdigen, die Christoph Bertram in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit gespielt hat.
Er hat nicht nur in vorbildlicher Weise die SWP aufgestellt.
Er ist vielmehr durch seine Präsenz in der Öffentlichkeit, seine engagierten und couragierten Stellungnahmen auch als Person selbst gewissermaßen zu einer öffentlichen Instanz geworden.
Dabei war er zuweilen auch unbequem.
Und hat auch die Bundesregierung nicht geschont, wenn er der Meinung war, dass Kritik am Platz ist.
Kein Medium, das er nicht virtuos zu nutzen wüsste: Ob es um Statements vor der Kamera geht, um schriftliche Beiträge, die vom pointierten Leitartikel zur wissenschaftlichen Analyse reichen, um die Teilnahme an oder die Moderation von Podiumsdiskussionen oder Gesprächen, stets ist Christoph Bertram auf der Höhe des Geschehens, leise, treffsicher, niemals polemisch oder verletzend...
Demokratie lebt von Öffentlichkeit.
Doch Öffentlichkeit stellt sich nicht von selbst ein. Sie ist auf Menschen angewiesen, die den Einsatz und auch den Mut aufbringen, ihre Positionen in der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Respekt für die Partner im öffentlichen Dialog und für die Pluralität der Anschauungen und Meinungen gehört dazu. Das macht eine lebendige Zivilgesellschaft aus. Die Wirklichkeit des öffentlichen Raums "... formulierte Hannah Arendt einst... erwächst aus der gleichzeitigen Anwesenheit zahlloser Aspekte und Perspektiven, in denen ein Gemeinsames sich präsentiert und für die es keinen gemeinsamen Maßstab und keinen Generalnenner je geben kann."
Ob eine Sehnsucht, das Land durchzuregieren, dieser demokratischen Erwartung an Öffentlichkeit gerecht wird, mag man bezweifeln.
Lieber Herr Bertram, ich wünsche mir und uns allen, dass Sie Ihre Stimme weiterhin in der Öffentlichkeit vernehmen lassen. Gründe hierfür sind zahlreiche genannt.
Sie waren zugleich Grundlage der Anregung des Bundeskanzlers gegenüber dem Herrn Bundespräsidenten, Sie mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland auszuzeichnen.
Lieber Herr Bertram, ich möchte Sie zu dieser Auszeichnung herzlich beglückwünschen und mich auch noch einmal persönlich für die gute, vertrauensvolle und menschlich immer angenehme Zusammenarbeit der letzten Jahre bedanken. Ich würde mich freuen, wenn es uns gelingt, sie in anderen Zusammenhängen zu erhalten.