Redner(in): Christina Weiss
Datum: 07.10.2005

Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss eröffnet mit einem Grußwort die Herbsttagung der KNK
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/50/899450/multi.htm


wir treffen uns heute auf Muskaus grünem Boden, der schon Bettine von Arnim die Müdigkeit aus Leib und Seele verscheuchte, der ihr die Ruhe gab, in ihren Briefen über Narrheit und Vernunft zu philosophieren, über Maß und Ziel, über Geist und Phantasie, vor allem aber über die Fähigkeit zum Enthusiasmus. Bettine von Arnim war sich mit dem Fürsten einig: "Die Leidenschaft ist ja der einzige Schlüssel zur Welt, durch die lernt der Geist alles kennen und fühlen, wie soll er denn sonst in sie hineinkommen?" Was für ein romantisches Credo für eine Tagung, die wir heute eröffnen und die sich den Möglichkeiten im alten neuen Kulturraum Europa widmen wird. Ein Thema, das uns emporreißen und fordern muss, soll die Technokratie nicht über das wirklich Bindende triumphieren. Leidenschaft werden wir zuhauf benötigen, wenn wir das geistige Palais, das wir Europäer einmal gemeinsam bewohnten, wieder beziehen wollen. Aus diesem Grunde bin ich sehr froh, dass sich die Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen ( KNK ) auf ihrer Herbsttagung dieser "Osterweiterung des europäischen Bewusstseins" annimmt. Wir brauchen dieses Gefühl des Wiederauflebens, einen Akkord der Selbstvergewisserung. Nur so lassen sich Ängste und Vorurteile überwinden. Besonders willkommen heiße ich deshalb die Gäste aus Estland, Lettland und Litauen, aus Polen, der Slowakei, aus Tschechien und aus Ungarn.

Wenn wir wollen, dass Europa mehr ist als das Ringen um normierte Schweinehälften, dann müssen wir uns immer wieder darauf besinnen,"dass es eine ausstrahlende europäische Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft gab, die jedes europäische Land mitgeprägt hat", wie Fritz Stern sagt. Und er ergänzt: "Von draußen gesehen, von der anderen Seite des Atlantik, hat man das schon immer erkannt - und wir sollten froh sein, dass sich dieses angeblich alte Europa in ein neues entwickelt hat! Die politische Integration folgt der kulturellen - trotz aller Rückschläge." Der Reichtum der kulturellen und sprachlichen Vielfalt taugt aber nicht nur zum Glitzerwerk für Verfassungspräambeln oder für Sonntagsreden vor Volksabstimmungen, sondern sollte ein neues Marketing für die etwas müde gewordene europäische Idee anfüllen. Dazu brauchen wir einen geistigen Dialog. Uns Deutschen, die wir seit nunmehr fünfzehn Jahren Erfahrung mit Vereinigung von Ost und West sammeln, wächst hierbei eine besonders verantwortungsvolle Rolle zu. Ein glückliches Produkt der kulturellen Wiedervereinigung unseres Landes ist das "Blaubuch der Kulturellen Leuchttürme in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen". Dieses Kompendium, in dem Prof. Paul Raabe im Auftrag meiner Behörde systematisch zwanzig ostdeutsche Kultureinrichtungen analysiert und als national bedeutsam ausgerufen hat, genießt in der Bundesrepublik Deutschland zu Recht hohes Ansehen.

Es ist ein Gütesiegel und ein Verweis auf den Wert Ostdeutschlands als Schatzkammer unserer Kulturnation. Weil eben auch die Vereinigung der beiden Staaten in Deutschland mehr ist als nur eine politische, wirtschaftliche und soziale Herausforderung, haben die Direktorinnen und Direktoren der durch das Blaubuch geadelten Einrichtungen gut daran getan, eine Topographie des Wissens zu bilden. Sie gaben ihrem erlauchten Kreis den Namen "Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen" und sind so etwas wie ein Reisebüro des Geistes oder eine Agentur für Augenmenschen. Der Kulturtourismus in Ostdeutschland darf abseits von Dresden oder Weimar noch als unterentwickelt gelten. Ein grandioses Entwicklungspotential wäre hier zu heben, vorausgesetzt das Bewusstsein dafür wächst ebenso wie das Engagement für den Straßenbau. Spielerisches Lernen entsteht eben durch Reisen, wie denn sonst? Das gilt erst recht für Europa! Deshalb ist es gut, starke Lobbyisten wie die KNK zu haben. Wie sich aus der Lobbyarbeit im besten Sinne Funken schlagen lassen, ist derzeit in der Bundeskunsthalle in Bonn zu bewundern. Hier zeigt sich, was die ostelbischen Landschaften wirklich zum Blühen bringt. Die Ausstellung "Nationalschätze aus Deutschland. Von Luther bis zum Bauhaus" konnte bislang nicht nur tausende Besucher anziehen, viele gingen mit dem Vorsatz nach Hause, auch einmal hinzufahren in die Parks und Gärten, an die Adressen der Renaissance und des Barock, an die Wiege der "Brücke" und des Bauhauses. Paul Klee ist eben nicht nur in Bern zu entdecken! Eine einfache wie bezwingende Idee - gefördert von der Kulturstiftung des Bundes - hat die Ökonomie der Aufmerksamkeit beflügelt. Dies zeigt sich nicht zuletzt an den wohlwollenden Besprechungen in den Feuilletons.

Wie effizient die KNK arbeitet, ist auch daran abzulesen, dass seit dem vergangenen Jahr in meinem Haushalt ein Titel existiert, der für Einrichtungen konzipiert ist, die im Netzwerk verbunden sind. Insgesamt stehen sechs Millionen Euro zur Verfügung, um zu sanieren und zu erneuern, was wirklich keinen Aufschub mehr duldet. Dankbar sind wir den jeweiligen Ländern, die sich mit mindestens 50 Prozent an diesem Programm beteiligen und somit garantieren, dass sich das Fördervolumen verdoppelt. Wir wissen, dass noch viel zu tun bleibt, sind aber froh darüber, dass wir in den fünfzehn Jahren schon gut vorangekommen sind. Gleichzeitig müsste man eine Institution wie die KNK erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe. Durch sie lernen wir, uns in unserer Kultur zu verstehen. Dass sie dabei nicht nur auf die Liebe zum eigenen Land setzt, sondern sich einem wandelnden Europa der Kulturnationen öffnet, das beweist diese Tagung. Ein wunderbares Projekt, das ich gern unterstützt habe. Wir brauchen die Kultur, wenn die europäische Einigung auch geistig vorankommen soll. Identität lässt sich aber nur schaffen, wenn es uns gelingt, unsere Wahrnehmung zu verändern und den Zauber Europas wieder zu entdecken.

In diesem Sinne danke ich Ihnen allen für Ihren Mut, Ihren Ideenreichtum und Ihre Leidenschaft. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Sie in den kommenden Jahren Ihre großartige Arbeit fortsetzen werden - gemeinsam mit Ihren Partnern in Europa und in der Welt. Und wenn es irgendwann einmal ein europäisches Blaubuch geben sollte, dem ich sehr gern das Wort rede, werden vielleicht noch viele an die Herbsttage anno 2005 und an Bad Muskau denken, wo die kühnen und hochfliegenden Gedanken zu allen Zeiten eine Heimat hatten. Ich danke Ihnen sehr!