Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 11.10.2005

Untertitel: Die Inlands­konjunktur fasse allmählich wieder Tritt, hat Bundeskanzler Gerhard Schröder vor den deutschen Maschinenbauern erklärt. Das bekomme die Investitionsgüter­industrie seit einigen Monaten in Form höherer Bestellungen auch aus dem Inland zu spüren. Um die Konjunktur weiter zu stützen, müssten die von der Bundesregierung begonnenen Reformen nun konsequent fortgeführt werden, forderte der Kanzler.
Anrede: Verehrter Herr Präsident Brucklacher, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/40/901340/multi.htm


Der Herr Präsident hat gesagt, er habe sich ein anderes Wahlergebnis gewünscht - ich auch. Ich bin, verehrter, lieber Herr Präsident, nur nicht ganz sicher, ob wir, was die Kräfteverhältnisse eines anderen Wahlergebnisses angeht, einer Meinung wären. Es könnte sein, dass uns das unterscheidet. Aber Sie haben über das Wahlergebnis geredet, und das hat mich natürlich herausgefordert. Ich will dazu zwei Dinge sagen.

Wenn man sich einmal vorstellt, was die Menschen eigentlich zum Ausdruck bringen wollten, gibt es darauf eigentlich nur eine wirklich klare Antwort. Ob sie einem passt oder nicht passt, ist eine ganz andere Frage. Als Demokrat hat man sie zu respektieren. Die Antwort erschließt sich einem jenseits all dessen, was geschrieben oder geforscht wird, eigentlich ganz einfach.

Die Menschen haben gesagt: Diejenigen, die keine Veränderungen in Deutschland wollen, sondern die glauben, es wäre gut, wenn alles so bliebe, wie es ist, verweisen wir in die Minderheit. Das sind etwa 10 % derer, die auf der äußersten Linken des gesellschaftlichen Spektrums agieren. Dann haben die Menschen gesagt: Diejenigen, die mit bewährten Institutionen, z. B. mit jener Sicherheit, die der Sozialstaat vielen Menschen gewährt, radikal brechen wollen, die Vorstellungen von Besteuerung haben, die die Leistungsfähigkeit des Staates ernsthaft in Frage stellen können, wollen wir auch nicht. Das ist auch eine Minderheit von ca. 10 % .

Ich will Ihnen sagen, was wir aus dem Ergebnis herauslesen müssen, was die Menschen in Deutschland denn vermitteln wollten und was mindestens 70 % der Wählerinnen und Wähler gesagt haben. Sie haben gesagt: Das, was ihr mit der "Agenda 2010" eingeleitet habt - ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das aufgenommen haben - , finden wir ganz richtig. Wir haben verstanden, dass dieses Land sich verändern muss. Aber sie haben gleichzeitig gesagt: Nicht so viel, wie die 10 % sich das vorstellen.

Als Demokraten haben wir das zu respektieren und daraus bestimmte Schlüsse für die politischen Rahmenbedingungen zu ziehen, die in diesem Land gesetzt werden können und müssen. Ein Ja zur Erneuerung des Landes hat die übergroße Mehrheit gesagt, aber doch so, dass sich die Menschen darin auch wiederfinden können, dass sie nicht aus Angst verzweifeln oder gar vor diesen notwendigen Veränderungsprozessen weglaufen.

Ich hätte mir wahrlich ein anderes Ergebnis gewünscht. Das kann sich hier jeder vorstellen. Aber so ist es in der Demokratie. Das jedenfalls muss man respektieren. Im Grunde haben die Menschen nach vielen Demonstrationen und Auseinandersetzungen über die "Agenda 2010" gesagt: Diesen Veränderungsprozess, den du nach vielen Kämpfen eingeleitet hast und gegen den wir protestiert haben, wollen wir mittragen. Wir sind sogar bereit, ihn zu honorieren.

Und ich weiß wahrlich, worüber ich rede, denn als wir die Wahlauseinandersetzung begannen, lagen wir bei 24 % . Jetzt sind es 10 % mehr. Das reicht leider immer noch nicht. Das muss ich eingestehen - aber immerhin. Ich glaube, dass Sie einen Fehler machen würden, wenn Sie die Bereitschaft der Menschen in Deutschland unterschätzten, Veränderungsprozesse, die ihnen nicht die materielle Basis zerschlagen, die ihnen nicht die Perspektiven für ihre Kinder und auch für das eigene Alter kaputt machen, nicht mitzumachen. Sie wissen im Grunde auch, dass sie dazu bereit sind. Sie wissen das aus der Kenntnis Ihrer Betriebe, denn da sind die Menschen, um die es dabei geht.

Es war mir wichtig, Herr Präsident, das zu Ihrer Analyse zu sagen. Es gibt überhaupt gar keinen Grund, das zu tun, was der Vertreter Ihres Sponsors gemacht hat. Ich habe das gehört. Er hat ein Deutschland-Bild gemalt, als wenn es ein Land wäre, in dem Veränderung, Innovation nicht stattfände und nicht möglich wäre. Ihre Erfolge, die ja nun wirklich beispielhaft sind, wären doch mit dieser Einstellung überhaupt nicht denkbar.

Im Übrigen haben Sie Forderungen an die nächste Bundesregierung formuliert. Ich nehme an, Sie haben selber genug Boten, aber ich bin gerne bereit, sie weiterzugeben.

Ich danke sehr für die Einladung. Ich finde, dass es übrigens eine gute Idee ist, einen Maschinenbaugipfel abzuhalten. Ich bin auch deshalb gerne gekommen, weil ich mit Ihnen der Auffassung bin, dass der Maschinenbau wirklich eine der Schlüsselbranchen in Deutschland ist. Ich sage das unumwunden: Es ist eine tolle Branche. Ich finde, in den paar Eingangsworten, die ich gehört habe, war viel zu wenig Stolz auf Ihre eigenen Leistungen enthalten.

Warum ist das eigentlich so? Nun haben Sie doch mindestens zur Hälfte erreicht, was Ihre Verbandsvertreter immer wollten. Jetzt sind Sie wieder nicht zufrieden. Das kann nicht so weitergehen. Das schadet dem Land. Irgendwann müssen Sie zufrieden sein, wenn Sie wenigstens die Hälfte dessen, was Sie wollten, bekommen haben. Ob es gut wird, wird man sehen.

Ich werde übrigens daran mitarbeiten, dass es gut wird. So verstehe ich die Aufgaben, die man auch dann noch hat, wenn man der nächsten Regierung nicht mehr angehören wird.

Der Maschinenbau ist wirklich eine der Schlüsselbranchen. Deswegen muss sich diese Branche - und da stimme ich wieder mit Herrn Holtz überein - sehr selbstbewusst Gehör verschaffen, und zwar auch in der Gesellschaft. Das heißt, Veranstaltungen wie diese sollten dazu dienen, die fantastischen Leistungen, die Sie erbracht haben, auch wirklich in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Ich kenne nicht mehr die genauen Jahreszahlen, aber es gab auch im deutschen Maschinenbau, der ja nun wirklich der beste der Welt ist, eine Zeit, in der man Gefahr lief, in einer der Schlüsseltechnologien die Vorherrschaft an Japan abtreten zu müssen. Gott sei Dank ist das lange her und durch die Anstrengungen überwunden worden. Was da geleistet worden ist, ist in der Tat der Öffentlichkeit als ein Musterfall bekannt zu machen, wie Innovation in Deutschland trotz aller Dinge, die man kritisieren kann, funktioniert.

Die Investitionsgüterindustrie ist es, die mit ihren Maschinen und Anlagen für einen modernen und produktiven Kapitalstock auch in unserer Volkswirtschaft sorgt. Natürlich haben wir Schwierigkeiten. Aber sie liegen nicht so sehr im Investitionsgüterbereich. Jedenfalls aktuell nicht, wie die neuesten Daten zeigen. Sie liegen immer noch im Konsumbereich, was natürlich auch indirekte Auswirkungen auf Ihre Geschäfte hat. Das muss besser werden. Das ist doch gar keine Frage.

Ich finde, dass man trotzdem gerade bei einer solchen Veranstaltung, die ein gewaltiges Maß an Öffentlichkeit hat, darauf hinweisen sollte, dass diese mittelständisch geprägte Industrie einerseits wichtiger Technologieträger ist und uns wirklich im weltweiten Wettbewerb Freude macht und zum anderen fast 900.000 Menschen beschäftigt. Das sind mehr als in jeder anderen Industrie.

Was die Innovationskraft angeht, weiß ich nicht, welche Statistiken immer zitiert werden. Ich zitiere immer die, die Deutschland helfen. Knapp 30 % der weltweiten Patentanmeldungen im

Maschinenbau stammen aus Deutschland. Das ist doch kein Ausdruck mangelnder Innovationskraft. Das ist ein Ausdruck fantastischer Innovationskraft. Ich will gerne dazu beitragen, dass das weltweit bekannt wird. Sie müssen aber auch dazu beitragen, dass das weltweit bekannt wird.

Es kann doch keinen Zweifel daran geben, dass Ihre Branche zu den erfolgreichsten in Deutschland gehört. Ich weiß, dass die konjunkturbedingte Investitionsschwäche der vergangenen Jahre auch an Ihren Unternehmen nicht spurlos vorbeigegangen ist. Aber ich finde, dass man auch sagen sollte, dass Sie diese Schwäche durch erstaunliche Erfolge im Export ausgleichen konnten. Ob Weltmeister oder nicht: Sie haben diese Erfolge. Die Deutschen insgesamt sollten wissen, dass das so ist und sollten auch ein bisschen stolz auf diese Branche sein. Warum sollte das denn nicht möglich sein?

In den letzten Monaten konnten wir im Übrigen beobachten, dass auch die Inlandskonjunktur allmählich wieder Tritt fasst. Die Zuversicht der Wirtschaft in einen sich verstärkenden Aufschwung wächst. Das ist inzwischen von vielen festgestellt worden. Dies bekommt die Investitionsgüterindustrie bereits seit einigen Monaten durch deutlich höhere Bestellungen auch aus dem Inland zu spüren. Ebenso wie die Bestellungen zeigt die Produktionstätigkeit im verarbeitenden Gewerbe in den Sommermonaten nach oben. Das ist im Wahlkampf untergegangen, was ich auch verstehe. Den einen hat es einfach nicht interessiert, und den anderen hat es nicht interessiert, weil es nicht sein sollte. Viele Fachzweige Ihrer Branche arbeiten mittlerweile an der Kapazitätsgrenze, was wir alle wissen.

Ich weiß, dass die Hauptstütze der Konjunktur jedoch nach wie vor der Export ist. Auch in dieser Branche übertreffen die Bestellungen aus dem Ausland immer noch die Inlandsbestellungen bei weitem. Aber es wird besser. Ich finde, diesen Trend muss man auch und gerade auf einem solchen Kongress unterstützen.

Wir wissen, dass der Export in diesem Jahr die Rekordwerte des Vorjahres, die schon erstaunlich waren, wieder überschreiten wird. Trotz steigender Importpreise konnten wir bereits im ersten Halbjahr mit knapp 85 Milliarden Euro einen neuen Rekord beim Ausfuhrüberschuss einfahren.

Und dies trotz der seit Jahresbeginn nun wirklich exorbitant gestiegenen Ölpreise. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass die Sorge vor einer drastischen Wachstumsabschwächung aufgrund der hohen Ölpreise, wie wir sie in den 70er Jahren erlebten, unbegründet ist. Unsere Abhängigkeit vom Öl ist heute viel geringer als damals. Das ist auch das Ergebnis von Rahmenbedingungen einer Politik, die konsequent auf Energieeffizienz und die Stärkung erneuerbarer Energien gerichtet ist.

Zudem wissen wir, dass der hohe Ölpreis nicht durch eine Angebotsverknappung bedingt ist, sondern Ergebnis von Spekulationen auf den Weltmärkten und auch einer gestiegenen weltweiten Nachfrage. Wir werden uns also darauf einrichten müssen, dass wir die Freude, die wir in den 90er Jahren hatten, was den Ölpreis angeht, so wohl nie wieder erleben werden.

Die steigenden Ölpreise belasten die Verbraucher und Produzenten in diesem Lande. Aber unsere exportorientierte Volkswirtschaft profitiert auch von einer Weltkonjunktur, die auch mit diesem Problem zu tun hat.

Ein bedeutender Teil unserer Ölrechnung fließt zudem durch eine verstärkte Importnachfrage der Erdöl exportierenden Länder - gewiss zeitversetzt, aber deutlich - nach Deutschland zurück. Der Erfahrung nach - Berechnungen der Bundesbank und nicht der Regierung zeigen dies - dauert es rund ein Jahr, bis dieser Effekt voll zum Tragen kommt.

Dabei erstreckt sich die Nachfrage der aufstrebenden Ölnationen insbesondere auf Produkte, in denen Deutschland ganz besonders stark ist: Ich spreche von Maschinen und Anlagen, also den Produkten Ihrer Branche, meine Damen und Herren. Nicht umsonst verbucht Deutschland traditionell einen hohen Ausfuhrüberschuss im Handel, insbesondere mit den OPEC-Ländern. Im vergangenen Jahr hat Deutschland mit 16,7 Milliarden Euro genau doppelt so viele Waren in die OPEC-Staaten exportiert als von dort - einschließlich des Öls - bezogen.

Man muss auch einmal rational über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie reden. Die hohe Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im internationalen Vergleich ist unbestritten, wenn man nicht einseitige Betrachtungen anstellt. Zum Beispiel hat dies der entsprechende Index des Weltwirtschaftsforums auch in diesem Jahr wieder bestätigt.

Aber nicht nur die Unternehmen selbst, auch der Standort Deutschland bekommt in diesen Ranglisten inzwischen wieder insgesamt gute Noten. Auch das gehört einmal ausgesprochen. Das ist nämlich Anlass, optimistisch in die Zukunft zu schauen.

Wer ohne Vorurteile und ohne den uns Deutschen gelegentlich zu Recht nachgesagten Hang zum Pessimismus auf unser Land schaut, erkennt, dass wir den Vergleich mit konkurrierenden Standorten - zumal in Europa; es sind alles keine Billiglohnländer, wenn ich auf West- , Nord- und Südeuropa schaue - wahrlich nicht zu scheuen brauchen.

Gegenüber den anderen großen Ländern des Euro-Raums ist unsere preisliche Wettbewerbsfähigkeit seit Beginn der Währungsunion um sage und schreibe bis zu 20 % gestiegen. Dazu hat insbesondere die günstige Entwicklung der Lohnstückkosten beigetragen. Die Produktivität wächst in Deutschland schneller als im Euro-Raum insgesamt. Zudem ist die durchschnittliche Inflation seit Beginn der Währungsunion bei uns die niedrigste im Euro-Raum. In vielen Branchen lässt sich deshalb heute in Deutschland günstiger produzieren als in Italien, Frankreich oder auch Spanien.

Mit der dreistufigen Steuerreform haben wir Unternehmen und Bürger in Deutschland um knapp 60 Milliarden Euro gegenüber 1998, also dem Beginn meiner Regierungszeit, entlastet. Davon entfallen allein auf die mittelständischen Unternehmen rund 17 Milliarden Euro. Wir hatten im vergangenen Jahr mit 47,5 % die niedrigste Staatsquote seit der Wiedervereinigung. Ich weiß, dass das immer noch happig ist. Gleichwohl gehören wir - und das ist nun eindeutig - unter den OECD-Ländern zu den Ländern mit der niedrigsten Steuerquote, was nicht identisch mit der Abgabenquote ist. Das weiß ich wohl.

Schließlich - und auch das sollte man vor diesem Forum sehr deutlich sagen - ist und bleibt ein wesentliches Argument für den Standort Deutschland eindeutig das Maß an sozialem Frieden, das wir haben und das wir bewahren müssen. Das zeigt sich in einer im internationalen Vergleich äußerst niedrigen Streikquote. In Deutschland gehen im Schnitt nur fünf Arbeitstage pro 1.000 Beschäftigte im Jahr durch Streiks verloren. In Polen sind es drei Mal, in Großbritannien fünf Mal, in den USA neun Mal und in Spanien 50 Mal so viele. Auch das ist ein Argument, das man gelegentlich auch in der internationalen Diskussion, einschließlich der wissenschaftlichen Diskussion, ruhig verwenden kann. Es schadet nicht, wenn man als Deutscher auch einmal auf die Vorteile des Landes hinweist.

Meine Damen und Herren, ich glaube - und ich weiß, dass es hier sicher unterschiedliche Auffassungen dazu gibt - , dass ein Grund dafür in unserem bewährten Modell der Mitbestimmung liegt. Eine umfassende Teilhabe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schafft ein hohes Maß an Identifikation mit dem Unternehmen. Deswegen bin ich dagegen, dieses Instrument einfach in den Hintergrund zu schieben oder gar über Bord zu werfen.

Was wir dagegen brauchen, ist eine angemessene Verankerung der Mitbestimmung auf europäischer Ebene. Wir müssen die Mitbestimmung europatauglich machen. Ich habe unter der Leitung des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Biedenkopf eine entsprechende Gesprächsrunde organisiert, die sich mit dieser Frage beschäftigen soll. Ich gehe davon aus, dass es keine Schwierigkeiten gibt, dass die neue Regierung dieses Projekt weiterführen wird. Wenn es uns gelingt, die Teilhabe der Arbeitnehmer an den Entscheidungen und Ergebnissen der Unternehmen zu sichern, führt das nach meiner Auffassung immer noch zu einem Wettbewerbsvorteil und nicht zu einem Nachteil in der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.

Wir könne das ja einmal am Beispiel Chinas bereden, das, wie ich weiß, auch in Ihrer Branche nicht ohne Sorgen betrachtet wird. Was sind die größten Wachstumsrisiken Chinas, die regelmäßig aus der Wirtschaft und Wissenschaft genannt werden? Neben dem unzureichenden Rechtssystem und der gravierenden Umweltbelastung sind es vor allen Dingen wachsende soziale Spannungen in der Bevölkerung. Wir sollten nicht den Fehler begehen, diese Risiken und damit unseren Stabilitätsvorsprung klein zu reden. Und vor allem: Wir sollten doch miteinander dafür sorgen, dass der soziale Frieden ein Aushängeschild Deutschlands bleibt.

Ich halte es deshalb auch für falsch, zentrale Arbeitnehmerrechte wie den Kündigungsschutz immer wieder in Zweifel zu ziehen. Dort, wo der Kündigungsschutz als Einstellungshemmnis gewirkt hat und hätte wirken können - in kleinen Unternehmen, bei Unternehmensgründern und bei älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - , haben wir wirklich gezielt nachgesteuert. Das wird auch allgemein anerkannt. Der allgemeine Verzicht auf einen Kündigungsschutz würde weniger Sicherheit für Menschen bedeuten, die Planungssicherheit für ihre eigenen Familien genauso brauchen, wie das für jeden von uns auch angemessen ist. Ich glaube, dass man diesen Vorwurf wirklich nicht machen darf.

Meine Damen und Herren, ich denke, wir gehen miteinander davon aus, dass wir auch weiterhin den Reformprozess in unserem Land vorantreiben müssen.

Über die "Agenda 2010" hat der Herr Präsident geredet. Man sollte nicht nur darüber reden, sondern darf auch ruhig anerkennen, und zwar egal, wo man politisch steht, dass mit dieser Maßnahme unter schwierigsten Bedingungen - denn es gab einen Reformstau, und es gibt ihn bald nicht mehr - wirklich etwas auf den Weg gebracht worden ist, das bestimmte mentale Barrieren durchbrochen hat. Ich weiß, wie schwierig das ist. Es wird gesagt, dass ich zehn Landtagswahlen auch deswegen verloren hätte. Ich bin nicht ganz sicher, ob ich sie allein deswegen verloren habe. Aber der Prozess selber musste sein. Langsam sind wir an einem Punkt, wo ein sorgsam austarierter Reformprozess von einer breiten Mehrheit im Volk akzeptiert wird. Das muss man nutzen. Ich bin sehr dafür, dass das genutzt wird.

Ich fand und finde nach wie vor diese Reformen notwendig und richtig. Ich bin dafür, dass sie fortgeführt werden. Ich denke, für die kommenden Jahre gibt es folgende Herausforderungen - und da sind wir gar nicht so weit auseinander: Wir müssen mit der Senkung der Lohnnebenkosten weiter vorankommen. Aber wir müssen es auch bezahlen können. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Auch wenn wir hier bereits einiges erreicht haben, ist es wahr, dass im internationalen Vergleich die Lohnnebenkosten in Deutschland noch zu hoch sind.

Ich bin dafür, das Steuerrecht zu vereinfachen. Aber ich finde es ganz falsch, die soziale Komponente völlig außer Acht zu lassen. Ich will dazu ein Beispiel nennen. Als es um die Frage der Besteuerung der Sonntags- , Feiertags- und Nachtzuschläge ging, ist von denen, die dafür waren, gesagt worden, dass das steuersystematisch nicht ins Konzept passe. Wissenschaftlich mag das so sein. Ich will das gar nicht bestreiten. Wenn man dann aber den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften empfiehlt, jene 15 bis 17 % Gehalts- und Lohneinbußen, die sie durch die völlige Streichung dieser Privilegien erleiden würden, bei den Arbeitgebern wieder zu holen, muss ich allerdings sagen, dass das nicht recht mit dem Hinweis auf eine moderate Lohn- und Gehaltspolitik zusammenpasst. Das kann nicht in Ordnung sein.

Es ist doch nicht stimmig, auf der einen Seite zu sagen: Diese 15 bis 17 % , die dann wegfielen, holt ihr euch über das wieder, was ihr ansonsten als Inflationsausgleich und in Produktivitätszuwächsen bekommen könntet - es käme ja noch oben drauf - und gleichzeitig die Mahnung damit zu verbinden, eine vernünftige Tarifpolitik zu machen. Das funktioniert nicht. Das ist die Vorstellung aus der Wissenschaft, man könnte aktuell ein Steuerrecht auf dem Bierdeckel oder einer Seite Papier entwerfen. So kann das nicht gehen, weil das zu Verwerfungen führt, die nach meiner Meinung gesellschaftspolitisch nicht tragbar sind. Also muss und darf man bei der Besteuerung die soziale Komponente nicht außer Acht lasen darf.

Ich stimme zu, dass wir bei der Unternehmensbesteuerung weiterkommen müssen. Wir müssen rechtsformunabhängig besteuern. Ich will sehr deutlich machen, dass wir ohne jede Frage die Ergebnisse des Jobgipfels, die Sie genannt haben, umsetzen müssen, und zwar zu den Bedingungen, die entworfen worden sind.

Ich glaube, einer der wichtigsten Punkte ist die Frage, die Betriebsübergänge vernünftig zu regeln, also die Erbschaftssteuer. Das haben wir angepackt. Wir haben gesagt: Bei Weiterführung des Betriebes sollen 10 % der an sich fälligen Erbschaftssteuer jährlich erlassen werden, so dass sie in 10 Jahren auf Null ist. Das setzt die Weiterführung des Betriebes voraus. Das ist eine vernünftige Regelung, die dem Bund auch insofern nicht ganz so schwer fällt, weil die Erbschaftssteuer eine Steuer für die Länder ist. Das gebe ich ja zu. Aber es ist wirklich nicht so ein Betrag, dass sie daran kaputt gingen.

Möglicherweise kann eine große Koalition endlich dazu kommen, eine solche Regelung zu machen, die für viele mittelständische Familienunternehmen wirklich wichtig ist. Ich hielte es jedenfalls für aller Ehren wert, wenn sich die neue Regierung, die neue Mehrheit, dieser Sache wirklich annähme.

Des Weiteren gibt es keinen Grund dafür, bei einer Finanzierung aus dem Aufkommen der Unternehmensbesteuerung nicht auf die 19 % bei der Körperschaftssteuer zu gehen. Vielleicht steht das für diesen Kreis nicht im Vordergrund, aber es ist nicht unwichtig, wenn man über Wettbewerbsfähigkeit auf diesem Sektor auch in Europa nachdenkt.

Konsolidierung der Staatsfinanzen - eine Forderung, die keinesfalls leicht zu realisieren ist, die aber wichtig und richtig ist und die man in der neuen Regierung schrittweise machen muss und machen wird. Davon bin ich überzeugt.

Darüber hinaus gibt es Reformbedarf da, wo die sozialen Sicherungssysteme weiter zukunftsfest gemacht werden müssen. Wir haben wichtige Schritte eingeleitet - diese müssen fortgesetzt werden - bei der Gesundheit, im Arbeitsmarkt, bei der Pflege. Das sind, glaube ich, Projekte, die wirklich wichtig sind und die angesichts einer älter werdenden Bevölkerung auch notwendig sind, weil wir ansonsten einen Zusammenbruch der Systeme erleben würden, was niemand wollen kann.

Ich denke, es sind zwei Dinge für das, was vor uns liegt, sehr wichtig: Einerseits müssen wir im Bildungssystem besser werden. Ich habe nichts gegen Zuständigkeiten der Länder. Mein Eindruck ist aber, dass wir zumindest Standards vereinheitlichen müssen. Wir müssen dabei besser werden. Wir können es uns nicht leisten, eine einzige Begabung in unserem Volk unausgeschöpft zu lassen, denn die Frage, ob wir vorn dabei sind, entscheidet wirklich über unsere Zukunftsfähigkeit.

Das Gleiche gilt übrigens auch, was die Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen im Arbeitsprozess angeht. Das können Sie nicht alles allein bei der Politik abladen.

Wenn man über Chancengleichheit im Arbeitsprozess und wenn man über Flexibilität für Frauen, die Erziehungsarbeit leisten, spricht, dann kann das nur in den Betrieben organisiert werden. Ansonsten wird es nur in einem Teil der Gesellschaft organisiert und das ist zu wenig. Ich glaube, dass gerade Unternehmensführerinnen und Unternehmensführer, wie Sie es sind, darüber nachdenken müssen, was sie tun können, um die Potenziale, die hoch qualifiziert dort vorhanden sind, besser wirtschaftlich zu nutzen.

Denn - darüber sind wir uns alle im Klaren - am Ende dieser Dekade werden wir eher einen Facharbeitermangel als einen Überfluss haben. Diesen allein durch Zuwanderung ausgleichen zu wollen, würde die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft übersteigen. Das geht also nicht.

Der entscheidende Punkt ist: Wir können in dieser großen Koalition, von der ich hoffe, dass sie zustande kommt, auch die staatlichen Entscheidungsstrukturen bei uns effizienter machen. Das muss der nationalen Notwendigkeit wegen sein, vor allem aber auch deswegen, um uns europafest zu machen.

Ich nehme für mich nicht in Anspruch, dass alles richtig gemacht wurde. Ich nehme aber in Anspruch, dass wir die Weichen in die richtige Richtung gestellt haben. Jetzt müssen andere daran arbeiten, dass der Zug über diese Weichen die Fahrt aufnehmen kann.

Ich denke, meine Damen und Herren, Ihre Branche, der Maschinenbau, kann stolz darauf sein, zu den leistungsfähigsten Branchen überhaupt zu gehören. Es gibt keinen Grund dafür, sich irgendwo zu verstecken oder gar in Sack und Asche herumzulaufen.

Der Maschinenbau profitiert auch von den guten hiesigen Standortbedingungen - ich hoffe, ich habe einige davon genannt.

Ich bin wahrlich davon überzeugt, dass wir nur miteinander für mehr Wachstum und damit auch für mehr Beschäftigung in Deutschland sorgen können. Man darf nicht den Fehler machen, so zu tun, als wenn es nur darum ginge, was in erster Linie Ihre Aufgabe ist, die Unternehmen betriebswirtschaftlich in Ordnung zu halten.

Sie wissen das so gut wie ich. Auch Sie kennen die Zahlen, die nicht vom Mittelstand, aber doch von den ganz Großen des Landes in letzter Zeit in die Welt gesetzt worden sind, was den Abbau von Beschäftigung angeht. Man darf nicht den Fehler machen zu sagen, wir bringen unsere Unternehmen betriebswirtschaftlich in Ordnung, gelegentlich auch mit Personalabbau, und die daraus resultierenden Probleme interessieren uns nicht, diese legen wir einfach der Politik vor die Tür. Das kann nicht funktionieren.

Darüber zu reden, wie man Wachstum und Beschäftigung aufbaut, und zwar miteinander, könnte eine der besseren Möglichkeiten der großen Koalition, einer neuen Regierung also, sein, die auf vieles, was in den letzten sieben Jahren angeschoben worden ist, zurückgreifen kann und sollte. Nichts ist so gut, dass es nicht auch besser werden könnte. Wer wüsste es nicht besser als wir alle miteinander.

Ich meine, sowohl was Ihre Branche als auch was die veränderten Rahmenbedingungen der deutschen Politik angeht, sollten wir damit aufhören, uns schlechter zu reden, als wir wirklich sind. Das ist nicht Zweckoptimismus, sondern es hat damit zu tun, dass wir den Aufbruch, den wir, glaube ich, miteinander wollen und zu dem wir in der Lage sind, nicht hinbekommen werden, wenn wir als die ökonomischen, politischen und die kulturellen Eliten dieses Landes es nicht schaffen, den Menschen ein Beispiel zu geben. Ich möchte ihn aber hinbekommen.

Ich sage abschließend noch einmal: Am liebsten würde ich dies in einem anderen Amt tun. Nun ist es aber nicht so. Jedenfalls möchte ich mithelfen, daran zu arbeiten, dass das, was wir angefangen haben, in der neuen Regierung nach vorn gebracht wird, und zwar im Interesse unseres Landes und damit letztlich auch im Interesse der Unternehmen, die Teil dieses Landes sind.

In diesem Sinne vielen Dank und alles Gute für Sie.