Redner(in): Christina Weiss
Datum: 12.10.2005

Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss würdigt in ihrer Rede im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek zu Berlin die erfolgreiche Arbeit des Ibero-Amerikanischen Instituts der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/25/901725/multi.htm


Jorge Luis Borges, Schriftsteller, Weltbürger und eine Zeitlang Direktor der argentinischen Nationalbibliothek, hat uns in seiner berühmten Erzählung "Die Bibliothek von Babel" wunderbare Rätsel über die Welt der Bücher aufgegeben. Borges schildert die Hallen jener Bücherei zu Babel - "ausgestattet mit Regalen, rätselhaften Bänden, unerschöpflichen Treppen" - als ein eigenes Universum so unvorstellbaren Ausmaßes, dass es nur das Werk eines Gottes sein könne.

Im Falle des Ibero-Amerikanischen Instituts hat sich jener Büchergott besonders großzügig gezeigt, denn dieses Universum im Herzen Berlins besteht nicht nur aus Regalen, Bänden und Treppen, es ist zugleich ein theatrum mundi und ein Leuchtturm der Forschung, ist nicht nur Bibliothek, sondern auch Veranstaltungszentrum und Ort der Wissenschaft. Das Institut hat damit ein Aufgabenfeld, das weit über die Rolle einer normalen Bibilothek hinausreicht. So verwundert es nicht, dass neben vielen anderen Künstlern auch Jorge Luis Borges hier zu Gast war - im Jahre 1964 war es.

Der 75jährige Erfolg des Ibero-Amerikanischen Instituts liegt womöglich in einem Wort verborgen, oder besser, in einem Präfix: Es handelt sich um die schlichte lateinische Präposition "inter", die "zwischen" bedeuten kann,"inmitten von" oder aber "während"."inter" ist eine Präposition, die Grenzen überschreitet, die Verbindungen herstellt zwischen Dingen, die verschieden oder voneinander entfernt sind. Oder die eine Gleichzeitigkeit erzeugt von Ereignissen, die auf den ersten Blick unabhängig voneinander sind."inter" ist sozusagen ein Borges-Wort, und es ist für das Ibero-Amerikanische Institut wie gemacht.

Die vielzitierte Globalisierung stellt uns alle vor große Herausforderungen. Mehr denn je brauchen wir Einrichtungen, die uns für diese Herausforderungen trainieren, die unser Denken beweglich machen, die uns Kenntnisse vom Fremden, vom Anderen vermitteln auch jenseits von Reiseführerprosa und Marktbeobachtungen. Das Ibero-Amerikanische Institut steht für eine Kultur der grenzenlosen Offenheit und Neugier im besten Humboldtschen Sinne, für eine Völkerverständigung im Geist der Toleranz und Aufklärung. Es ist international und interkontinental, ist Mittler und Botschafter zwischen den Ländern und Kulturen.

Deshalb ist das Haus an der Potsdamer Straße längst auch ein verlässlicher und kompetenter Knotenpunkt in einem Netzwerk von Goethe-Instituten, wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen weltweit, der iberoamerikanischen, spanischen und portugiesischen Botschaften in Berlin. In diesem vielstimmigen Orchester spielt das Institut immer wieder neue Leitmotive an, sorgt für inspirierende dynamische, rhythmische und melodiöse Variationen. Und weil jeder Stillstand Rückschritt bedeutet, bin ich sicher, dass das Institut auch künftig neue Partner einbeziehen und damit das Netzwerk zum Schwingen bringen wird.

Das wird ihm umso leichter fallen, als das Institut gleichzeitig eine Bühne für die Künste ebenso wie für Debatten und Dialoge ist. Ich finde es bemerkenswert, dass seit Bestehen dieses Hauses die Trennung zwischen Wissenschaft und Kunst aufgehoben scheint. So kann eine "Lateinamerikanische Filmnacht" ganz selbstverständlich stehen neben einer Tagung über "Venezuela am Scheideweg". Oder das Festival "Buenos Aires -Berlin" wird ergänzt durch ein Symposion über "Urbane Erinnerungskulturen" in den beiden Metropolen. Damit ist das Institut interdisziplinäres Schaufenster lateinamerikanischer, spanischer und portugiesischer Kultur und Forum für deren kritische, wissenschaftliche Reflexion.

In dieser Vielfalt ist das Ibero-Amerikanische Institut der Stiftung Preussischer Kulturbesitz ein vorbildlicher Sachwalter jenes Zwischenreiches, das vom Wörtchen "inter" beherrscht wird. Das Haus ist wichtiges Instrument des Kulturaustauschs und damit ein politischer Berater und Moderator im Austausch Deutschlands mit der Welt. Mitten in Berlin bietet uns das Institut eine fantastische Startrampe hinüber ins ibero-amerikanische Universum. Und von dort, auch das hat uns Borges gelehrt, können wir auch den eigenen Himmel besser sehen.

Vielen Dank!