Redner(in): k.A.
Datum: 14.10.2005

Untertitel: Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung Edelgard Bulmahn gehalten anlässlich der internationalen Friedenstagung "Einstein weiterdenken, Wissenschaft - Verantwortung - Frieden" am 14. Oktober 2005 in Berlin.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/49/902849/multi.htm


Sehr geehrter Professor Rittberger, sehr geehrte Frau Professor Muller, sehr geehrter Professor Amin, sehr geehrter Dr. Ellsberg, meine sehr geehrten Herren und Damen,

I. ich freue mich Sie heute zur Eröffnung der Konferenz "Einstein Weiterdenken" begrüßen zu dürfen und bedanke mich herzlich für die Einladung. Hier zu sprechen ist mir eine Ehre und eine große Freude.

Im Jahr 1809, in der Zeit der Napoleonischen Kriegszüge durch Europa, schrieb der deutsche Schriftsteller Jean Paul:[1] "Gegen den Krieg schreiben ist allerdings so viel als harte Winter scharf rügen, oder die Erbsünde. [...] Der Friede war bisher nur eine blühende Vorstadt mit Landhäusern und Gärten vor der Festung des Kriegs, der jene bei jedem Anlass niederschoss."

Über 100 Jahre später erlebte Albert Einstein, kurz nachdem er hier in Berlin seine Direktorenstelle am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik angetreten hatte, den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Es war dieser Krieg, so der Historiker Fritz Stern, der Einstein, den bis dahin Unpolitischen, politisierte - und es blieb die Frage von Krieg und Frieden, die ihn bis zum Ende seines Lebens nicht mehr losließ.

Mir scheint fast, als ob Albert Einstein dem Bild des Friedens als "blühender Vorstadt", der jederzeit die Vernichtung drohte, hätte zustimmen können. Denn Albert Einstein, der jüdische Emigrant, versehen mit der Erfahrung zweier katastrophaler Massenvernichtungskriege, wusste sehr genau, wie brüchig und gefährdet ein Frieden sein konnte, der bei Lichte betrachtet keiner war.

Deshalb feiern wir in diesem Einsteinjahr 2005 nicht allein den hundertsten Geburtstag seiner bahnbrechenden wissenschaftlichen Arbeiten. Wir feiern ebenso den Bürger Albert Einstein, einen zutiefst politisch denkenden und handelnden Menschen. Einstein resignierte nicht angesichts der Katastrophen des 20. Jahrhundert. Im Gegenteil, er war nicht nur kritischer Beobachter, sondern er bezog als Wissenschaftler, als überzeugter Pazifist und Humanist engagiert und oft deutlich Stellung, er mischte sich ein, wann und wo er es für richtig und nötig hielt.

Für Einstein waren Unabhängigkeit und Freiheit zeitlebens hohe Werte, mit ihnen maß und beurteilte er die Welt: Unabhängigkeit der Wissenschaft, Freiheit der Forschung, uneingeschränkter Zugang und Austausch von Informationen zwischen den Forschenden - das waren die Fixpunkte schon des jungen Wissenschaftlers, hierzu hat er sich immer wieder geäußert. Diese Forderung nach Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft war aufs Engste verbunden mit dem Bekenntnis, dass die Wissenschaftler für die Folgen ihrer Erkenntnis mit verantwortlich sind.

Meine Damen und Herren,

es ist dieses Verständnis von der Rolle und von der Verantwortung der Wissenschaft, das Einstein wie kein zweiter Naturwissenschaftler vor oder nach ihm geprägt hat und weswegen er als politisches Gewissen der Welt gefeiert wird, auch und insbesondere in Deutschland in diesem Jubiläumsjahr. Einsteins Widerwillen gegen autoritäre Systeme, seine Abscheu vor Krieg als Form der Konfliktlösung und sein Widerstand gegen die Einschränkung wissenschaftlicher und bürgerrechtlicher Freiheiten zieht sich als grundsätzliche Haltung wie ein roter Faden durch sein Leben.

Dabei hat Einstein seine eigene Berühmtheit wiederholt eingesetzt, um politische und gesellschaftliche Missstände anzuprangern.

Bis zu seinem Lebensende wurde Einstein eines immer wichtiger: eine Welt ohne Krieg zu schaffen. Das letzte öffentliche Bekenntnis Albert Einsteins, das Russell-Einstein-Manifest, von Einstein wenige Tage vor seinem Tod unterzeichnet, geschrieben vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs und der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, ist zugleich sein Vermächtnis an die Menschheit.

Meine Herren und Damen,

Albert Einstein wusste: Frieden ist kein gegebener Zustand, sondern Ziel und Ergebnis gesellschaftlicher und politischer Gestaltung. Frieden ist ein Prozess, der vorausschauend und dauerhaft gestaltet werden will. Frieden verlangt klare Vorstellungen und einen Konsens darüber, wie wir miteinander leben wollen. Frieden sichert die menschliche Existenz und ermöglicht zugleich ein demokratisches Miteinander.

Eine der Verbindungslinien, die zwischen uns Heutigen und Albert Einstein besteht, ist der Kalte Krieg: Einstein erlebte noch seinen Beginn, wir feierten sein Ende. Trotz aller großen Freude darüber, müssen wir uns heute mehr denn je die Frage stellen: Wie können wir das, was danach kommt, friedlich gestalten?

Gerade die jüngste Vergangenheit hat uns auf schreckliche Weise gezeigt, dass wir, um mit Egon Bahr zu sprechen, uns eben nicht bequem zurücklehnen und eine "Friedensdividende" genießen können! "Der Schock des 11. September", so Bahr weiter,"hat die Verwundbarkeit nicht nur des mächtigsten, sondern potenziell jeden Staates durch entstaatlichte Gewalt gezeigt."

In den neunziger Jahren haben wir fast 100 kriegerische Konflikte gezählt, mit mehr als fünf Millionen Toten. Die vorwiegend innerstaatlichen und ethnischen dieser neuen Kriege überfordern alte Lösungsansätze erkennbar, ebenso die Konflikte, die ihre Ursachen etwa im Raubbau an knappen natürlichen Ressourcen haben.

Wir leben in einer neuen Welt, doch Atomwaffen gibt es weiterhin. Die Möglichkeit der Umstellung von der zivilen Atomenergieproduktion zum Atomwaffenprogramm besteht ebenfalls nach wie vor. Angesichts dieser Situation bleibt das Russel-Einstein-Manifest im 21. Jahrhundert so gültig wie im 20. Jahrhundert."One world or none" - die Erkenntnis der Unterzeichner des Manifestes, dass es einer Weltregierung oder zumindest einer "global governance" bedarf, mit Kontrolle über Rüstung und Abrüstung, ist weiterhin uneingeschränkt aktuell.

Dies gilt ebenso für die Debatte um den so genannten "dual-use", also für die Möglichkeit, theoretische Forschungsergebnisse zu zivilen, aber auch zu kriegerischen Zwecken gleichermaßen nutzbar zu machen.

II. Meine Herren und Damen,

die Krisen und Konflikte nach dem Ende des Kalten Krieges machen eindringlich deutlich, wie sehr die Friedenswissenschaft gefordert ist. In kaum einem anderen Forschungsbereich, das habe ich schon 1992 nachdrücklich kritisiert, ist der Rotstift so konsequent eingesetzt worden wie in der Friedensforschung.

Sicher hat die von Francis Fukuyamas propagierte Idee vom "Ende der Geschichte" dazu beigetragen. Dass wir uns - leider noch nicht - auf dem Weg zu einem friedlichen und gerechten Ende der Geschichte bewegen, weiß heute auch Fukuyama - sein neues Buch "Staaten bauen" kündet davon.

Die rot-grüne Regierung hat deshalb bewusst und gezielt die Entwicklung der Friedenswissenschaft gefördert. Der eindruckvollste Beleg dafür ist die Gründung der Deutschen Stiftung Friedensforschung ( DSF ) . Krisen- und Konfliktprävention sowie die Unterstützung friedenswissenschaftlicher Nachwuchsforscher wurde so zu einer Kernkompetenz der DSF.

Wir haben uns dabei sehr bewusst an die Tradition der Konfliktforschung durch Gustav Heinemann gehalten - dass jede Mark für den Frieden tausendmal sinnvoller ausgegeben ist als jeder Dollar für die Rüstung. Wir haben im Rahmen unserer bundesstaatlichen Kompetenzen die Friedensforschung an den Hochschulen gefördert, haben der Friedenswissenschaft zuletzt durch den neuen Carl-Friedrich von Weizsäcker Lehrstuhl neue Möglichkeiten für Forschung und Lehre geschaffen.

Aus der Erfahrung meines eigenen politischen Lebens kann ich sagen: Friedenswissenschaft gehört an die Hochschulen und Universitäten, öffentlich geförderte Rüstungsforschung nicht. Und die immer wieder thematisierte "dual-use" -Forschung muss dabei zu mindestens genauer kontrolliert werden.

In dem Ziel der Kriegsverhinderung wussten und wissen wir uns auch einig mit der Friedensbewegung. Die gemeinsame Ablehnung des Irak-Krieges zusammen mit Frankreich und Russland hat das Ansehen Deutschlands als einer friedlichen Mittelmacht in der Welt gestärkt und wird weithin auch als Zeichen eines liberalen offenen und friedlichen Deutschlands wahrgenommen.

Ich sage das nicht leichthin, denn ich kenne aus vielen Veranstaltungen und Debatten auch die Differenzen, die diese Regierung mit mindestens Teilen der Friedensbewegung hatte und hat.

III. Meine Herren und Damen,

1994 traf ich den Physiker und Friedensnobelpreisträger Joseph Rotblat. Diese kurze Begegnung mit dem Mitunterzeichner des Russel-Einstein Manifests, Begründer der Pugwash-Bewegung und lebenslangen Kämpfer gegen Atomwaffen, hat mich tief beeindruckt und berührt.

Joseph Rotblat hatte große Pläne im Einsteinjahr 2005. Er, der 1944 als einziger Wissenschaftler das Manhattan-Projekt verließ, wollte zum 60. Jahrestag des Abwurfs der Atombombe auf Hiroshima eine Neuauflage des Einstein-Russel-Manifests für das 21. Jahrhundert schreiben und verkünden.

Er hatte zugesagt, die große Berliner Ausstellung "Albert Einstein - Ingenieur des Universums", die vor wenigen Tagen zu Ende gegangen ist, zu eröffnen. Er war bis zuletzt fest entschlossen, hier und heute bei uns zu sein und die internationale Öffentlichkeit zu ermahnen und zu ermutigen.

Dieser große Mann der Friedensbewegung wollte mit seiner verbleibenden Kraft noch einmal nachdrücklich für die Notwendigkeit des Engagements gegen Krieg und Atomwaffen werben. Leider konnte Joseph Rotblat diese Pläne nicht mehr verwirklichen. Er starb nach längerer Krankheit im Alter von 94 Jahren in der Nacht zum 1. September.

Wo andere verzweifelten an den Realitäten der Kriege, an ihren Grausamkeiten und den vielfach auch unzulänglichen politischen Reaktionen, hatte er immer wieder die Kraft zu handeln. Mit seiner Pugwash-Bewegung hat er selbst Politik gemacht. Die Abrüstungs- und Kontrollverträge seit 1963 bis zum Vertrag zur Beseitigung von Mittelstreckenraketen hat er maßgeblich mit beeinflusst.

Albert Einstein sagte kurz vor seinem Tod: "Ich habe meine Sache hier getan." Das gilt auch für den vielfach ausgezeichneten und dennoch bis zum Lebensende bescheiden gebliebenen Joseph Rotblat. Es liegt jetzt an uns, sein Lebenswerk klug und in seinem Sinne fortzuführen. Meine Herren und Damen, es ist kein leichtes Erbe, das wir hier antreten.

IV. Meine Damen und Herren,

das Einsteinjahr nähert sich langsam dem Ende zu. Es war ein ganz besonderes Wissenschaftsjahr. Ich bin froh, dass es von den Bürgerinnen und Bürgern, Studentinnen und Studenten, Schülerinnen und Schülern und von der Wissenschaft selbst, einen so großen Zuspruch erfahren hat. Der Einladung, sich mit Einstein, seinen Theorien, seinen Ideen und Überzeugungen sowie seinem politischen Engagement zu beschäftigen, sind sehr viele Menschen gefolgt.

Mit unserem vielfältigen und umfangreichen Veranstaltungsprogramm haben wir gemeinsam mit unseren zahlreichen Partnern aus Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft die vielen Facetten des Jahrhundertgenies Albert Einstein sichtbar gemacht.

Meine Herren und Damen,

auch Ihnen danke ich nachdrücklich für Ihr Engagement in diesem Jahr und wünsche dieser wichtigen Konferenz anregende und spannende Diskussion - und natürlich nicht zuletzt viel Erfolg!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 1] Jean Paul "Kriegserklärung gegen den Krieg"