Redner(in): Christina Weiss
Datum: 15.10.2005

Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss würdigt in ihrer Rede in Donaueschingen die Bedeutung des Preises für eine eigenständige Radiokunst.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/93/902393/multi.htm


durch den Gang der politischen Ereignisse ist das Grußwort, das ich heute zur Verleihung des Karl-Sczuka-Preises 2005 spreche, zu einer Art Abschiedsrede geworden. Meine Zeit als Staatsministerin für Kultur und Medien geht in einigen Wochen zu Ende. Sie werden mir glauben, dass es für mich keinen reizvolleren Zufall geben konnte, als dort aufzuhören, wo vor drei Jahren ein Weg endete und ein neuer anfing.

Als Jurymitglied beim Karl-Sczuka-Preis hielt ich im Herbst 2002 die Laudatio, nur wenig später war ich Staatsministerin. In der Zwischenzeit ist es mir gelungen, die Donaueschinger Musiktage in die feste Finanzierung der Kulturstiftung des Bundes zu übernehmen. Gemeinsam mit dem SWR, der Landesstiftung Baden-Württemberg, dem Land Baden-Württemberg, der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung, der Großen Kreisstadt Donaueschingen und dem Fürstenhaus konnte diese erste Adresse für Ungehörtes etabliert werden. Heute gratuliere ich dem Karl-Sczuka-Preis zum fünfzigjährigen Bestehen, verabschiede mich aus dem Amt, halte aber gleichwohl einer Kunst die Treue, der immer meine große Leidenschaft gehörte. Mein Engagement für eine eigenständige Radiokunst wird bleiben, verlassen Sie sich darauf!

Der Bildungsauftrag des Radios, der noch ganz selbstverständlich war, als dieser Preis vor nunmehr 50 Jahren vom damaligen SWF-Intendanten Friedrich Bischoff gestiftet wurde, ist heute leider ein wenig verblasst. Die Begriffe Radio und Kunst erscheinen, so ist mein Eindruck, den meisten Menschen im Zeitalter des durchhörbaren Formatradios als geradezu gegensätzlich. Unendlich fern und fremd sind ihnen die Zeiten, in denen Kurt Weill voraussah - ich zitiere - : "Wir können uns sehr gut vorstellen, dass zu den Klängen und Rhythmen der Musik neue Klänge hinzutreten, Klänge aus anderen Sphären: Rufe menschlicher und tierischer Stimmen, Naturstimmen, Rauschen von Winden, Wasser, Bäumen und dann ein Heer neuer, unerhörter Geräusche, die das Mikrophon auf künstlichem Wege erzeugen könnte, wenn Klangwellen übereinandergeschichtet oder ineinander verwoben, verweht und neu geboren würden."

Diese Vision einer "absoluten Radiokunst" zeichnete der Komponist im Jahre 1925 auf. Damals enthusiasmierte das junge Medium viele Intellektuelle noch ebenso, wie es heute das Internet tut.

Diese Faszination des Radios hat bei den Kreativen zwar bis heute nicht nachgelassen, wie die hohen und tendenziell steigenden Teilnehmerzahlen dieses Wettbewerbs zeigen. Und auch alles, was Weill über die technischen Möglichkeiten vorausgesagt hat, ist spätestens mit der Digitalisierung eingetroffen. Dennoch befindet sich das Hörspiel als Radiokunst in einer Zwickmühle. Zwar fördern es tapfere öffentlich-rechtliche Sender wie der SWR. Doch die Kluft zwischen der überwältigenden Mehrheit der Hörerinnen und Hörer und leider auch der Radiomacher, die alles Widerspenstige aus dem Medium verbannen möchten, und der aufgeschlossenen Minderheit, die auch und gerade hier Experimente erwartet, ist größer geworden.

Die Zeiten sind vorbei als man, wie Klaus Ramm schreibt, Stockhausen und The Shadows, Chris Howland und Pierre Schaeffer ganz selbstverständlich in einem Programm hören konnte.

Doch auch wenn die Gelegenheiten für den Radiohörer, sein Ohr gelenkig zu trainieren, selten geworden sind, so merken wir doch, wie groß die oft genug unbewusste Sehnsucht nach dem Abenteuer des Hörens ist - wir sehen es an der Freude, mit der Menschen reagieren, wenn Radiosender sie nicht unterschätzen. Und wir sehen es an der Resonanz, die die Radiokunst alljährlich hier in Donaueschingen hat.

Das Hörspiel kann eine Schule des Hörens sein. Das Hörspiel reizt die Fähigkeit zum Hören auf eigene Weise. Zuhörend geraten wir unwillkürlich in die Beobachtung und die Reflexion des eigenen Hörens.

Am Anfang braucht es allerdings den Moment der Verführung zum Ohrenspitzen, den Moment, der Lust macht auf Weiterhören, der den Anstoß gibt zu Aufmerksamkeit und Konzentration. Die Schule des Hörens gehört mit zum Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und damit natürlich auch zur kulturpolitischen Aufgabe des Staates. Wir brauchen die Spielräume der Wahrnehmungsschulung, um kreativ nutzbringend und kontrolliert mit den Medien umgehen zu können. Die Mündigkeit des Radiohörens lässt sich auf spielerische Weise über die künstlerischen Angebote üben. Die Voraussetzungen beim Publikum sind heute gut. Denn die Zahl der Menschen, die ihren Ohren trauen, hat sich in den vergangenen Jahren gewaltig erhöht. Das so genannte "Hörbuch" ist - wie man auch auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse wieder sehen wird - zum Massenmedium geworden.

Neben den reinen Literaturlesungen beschert die Hörbuchbranche auch "echten" Hörspielen ein zweites Leben auf CDs. Umgekehrt hat der Gedanke an solche Zusatzverwertungen die Lust der Radiosender auf Hörspiele erneut beflügelt. Und Übertragungswege wie Internet, UMTS oder digitales Radio on demand eröffnen neue Möglichkeiten der Partneranbahnung zwischen dem Hörkünstler und dem abenteuerlustigen Hörer.

Doch der gewissermaßen natürliche Verbreitungsweg des Hörspiels wird immer der Rundfunk bleiben - wenn der Rundfunk seine Natur nicht verleugnet. Der öffentlich rechtliche Rundfunk hat die Kunstgattung Hörspiel geschaffen. Und der Karl-Sczuka-Preis ist ein äußerst lebendiger Beweis dafür, dass er sein Geschöpf noch immer liebt, es fördert und Freude an ihm hat. Er ist nunmehr einer der beiden ältesten deutschen Medienpreise, doch er sieht gar nicht alt aus.

Dafür haben neben Neufassungen der Satzung vor allem die Menschen gesorgt, die in den vergangenen 50 Jahren mit Begeisterung die Wettbewerbe organisiert und den Preis schließlich verliehen haben. Ich möchte mich bei allen Jurymitgliedern aus fünfzig Jahren Karl-Sczuka-Preis bedanken - für ihr Engagement und ihre gelenkigen Ohren, wie Franz Mon sagen würde.

Ich danke dem mittlerweile im SWR aufgegangenen SWF für die Erfindung dieses Preises und beiden Sendern dafür, dass sie nun schon seit fünfzig Jahren für Qualität bürgen. Ich danke all den Künstlerinnen und Künstlern, die in dieser Zeit den Wettbewerb immer wieder spannend gemacht haben, indem sie die Idee der Radiokunst in ihren Produktionen lebendig werden ließen: Das Kunstwerk muss seinen eigenen künstlerischen Ausdruck entwickeln, um die Idee, den Entwurf einer Weltsicht, durch die hörbaren Sprachen des Radios zu erzeugen.

Und nicht zuletzt gratuliere ich ganz herzlich den diesjährigen Gewinnern - Hanna Hartman zum Karl-Sczuka-Preis und Antje Vowinckel zum Förderpreis. Auch ihnen vielen Dank.