Redner(in): Christina Weiss
Datum: 16.10.2005
Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss würdigte in ihrer Rede in der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche die Erfolge der Integrationspolitik in Deutschland.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/48/905248/multi.htm
Berlin ist eine weltoffene, eine begehrte Stadt der zeitgenössischen Kunst. Wir geraten schier ins Schwärmen, wenn wir registrieren, wie viele international bekannte Künstlerinnen und Künstler in Berlin leben und arbeiten. Wir haben uns angewöhnt, in manchen Kneipen oder Läden nur noch in einer Fremdsprache zu bestellen. Wir bewundern die flirrende Internationalität, die Mischung von Bräuchen und Traditionen, die aus der geteilten Stadt der geteilten Welt eine geeinte Metropole macht. Wir freuen uns darüber, dass die Kultur durch Aufnahme so stark profitiert, sie vorantreibt und beflügelt. Wie aber steht es um die Kultur der Aufnahme? Wie viele andere Staaten in Europa ist Deutschland im Laufe des 20. Jahrhunderts vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland geworden. Wir erwarten von Migranten, dass die Bereitschaft zur Integration wächst. Der rot-grünen Bundesregierung ist es mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und dem Zuwanderungsgesetz gelungen, eine über Jahrzehnte vernachlässigte Integrationspolitik anzupacken. Die Erfolge sind mit Händen zu greifen. Dabei lassen wir uns weiterhin von dem Gedanken leiten, mit den Schicksalen menschlich umzugehen, den Dialog zu fördern, ohne Werte in Frage zu stellen. Gleichgültigkeit wäre ein schlechter Ratgeber. Wir sehen in den spanischen Exklaven in Marokko, dass das Wohlstandsgefälle zu einem Marsch der Entrechteten führt, der immer stärker anschwillt und eine Dramatik entwickelt, die uns tief beunruhigt.
Wenn wir heute auch stolz sein können auf Erfolge der Integrationspolitik in Deutschland, dann tragen die Kirchen daran einen großen, einen wichtigen Anteil. Der karitative Auftrag, der Dienst am Menschen, bestimmt auch die Ausländerarbeit der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. In beeindruckender Weise haben sich viele Projekte um Zuwanderung und Integration verdient gemacht. Für ein stabiles und friedliches Zusammenleben sind diese Initiativen von unschätzbarem Wert.
Es erfüllt mich obendrein mit großer Bewunderung, in welcher Weise der Bürgersinn angesprochen und eingefordert wurde, als viele Projekte Mitte der neunziger Jahre finanziell auf der Kippe standen. Es ist ein schönes Zeichen und eine wunderbare Idee, Künstlerinnen und Künstler um Werke zu bitten, die für den guten, den zukunftsweisenden Zweck versteigert werden. Weil Kunst eben einen neuen Blick auf die Welt eröffnet, ein Schlüssel zu ihr ist, weil sie die Fähigkeit besitzt, zur Toleranz zu erziehen, weil sie beweist, dass es zu dem, was besteht, immer auch noch mindestens eine Alternative gibt, habe ich die Schirmherrschaft über die zehnte Kunstauktion von Herzen gern übernommen. Denn die Künste sind für mich die produktivste Variante einer erneuernden, erfrischenden Subversion - wo auch immer. Die Bewegung in unseren Köpfen ist der Antrieb für Veränderung, auch wenn es um die Kultur der Aufnahme geht. Die Fragen von kultureller Herkunft, von der Vielfalt in der Integration bewegen uns alle. Der ungarische Schriftsteller György Konrad nennt als Preis für das Bleiben das Lernen. Das gilt aber nicht nur für den Einwanderer, der sich in einer anderen Sprache, in einer anderen Kultur, in einem Rechtssystem behaupten muss, das gilt auch für die, die andere bei sich aufnehmen. Wie erhalten wir uns eine Offenheit gegenüber fremden Kulturen, ohne im romantischen Überschwang die Grundwerte unserer Verfassung oder Gesellschaft relativieren zu lassen? Darüber werden wir nachzudenken haben, und die Kraft der Kunst kann uns dabei helfen, weil sie uns frei und mündig macht. Das gilt gerade für eine Stadt wie Berlin, wo die Kunst der Gegenwart ständig neue Fragen und neue Antworten exemplifiziert, wo die Neugier auf die Welt sprichwörtlich ist und es eine Voraussetzung für jeden ist, global zu denken. Vor allem in der Kunst lassen sich neue Perspektiven erkennen.
Wenn, ja wenn wir zulassen, von der Kunst irritiert, geschockt, durchgerüttelt zu werden, um unser Leben zu ändern. Dies alles kann ein Kunstwerk auslösen, wenn es nur einen Betrachter hat, der offenen Auges ist.
Um neue Perspektiven geht es auch Ihnen bei Ihrer Kunstauktion, und es ist ein großes Glück, dass Sie, verehrter Bischof Huber, dieses Projekt von Beginn an mit viel Engagement unterstützt haben. Es ist eine Erfolggeschichte ohne Beispiel, die vor allem auch die Vorteile der Zuwanderung herausstellt. Was als Antwort auf eine akute Notlage begann, hat sich zu einem wichtigen Ereignis der Kulturstadt Berlin entwickelt, was das Verdienst von Johanna Ertel und Hanns Thomä samt ihrer vielen Helferinnen und Helfern ist. Man spürt die Lust und die Leidenschaft, mit der Sie zu Werke gehen. Ihnen allen gebührt Dank. Eine besondere Lobpreisung sei den Künstlerinnen und Künstlern, den Spenderinnen und Spendern gewidmet, die mehr als 450 Kunstwerke zur Verfügung gestellt haben.
Ich wünsche der Auktion einen großen Erfolg und hoffe sehr, dass das Vorjahresergebnis noch überboten wird! Ich danke Ihnen!