Redner(in): Frank-Walter Steinmeier
Datum: 18.10.2005

Anrede: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/24/904424/multi.htm


ich bin ja im Augenblick, was meine Aufgaben angeht, etwas "in between", und das werden Sie meiner Rede auch gleich anhören. Es ist von allem ein bisschen dabei; noch nicht sehr viel Außenpolitik, aber ich werde schon versuchen, in dem, was ich zur Lage der deutschen Innenpolitik und insbesondere zur Wirtschaftspolitik sagen werde, die außenpolitischen Bezüge erkennen zu lassen.

Wenn ich an dieser Stelle mit einem Glückwunsch an den Gastgeber beginne, wird Sie das vielleicht zunächst einmal irritieren. Aber ich sage ausdrücklich: Glückwunsch an den BDI für die Wahl dieses Ortes! Der deutsche Mittelstand trifft sich im Haus der Kulturen der Welt. Ich frage: Lässt sich ein besseres Symbol dafür finden, dass heute auch ein mittelständischer Unternehmer über die nationalen Grenzen und über die Grenzen des verfassten Europas hinaus denken muss? Das ist ein Symbol dafür, dass sich unser Land öffnen muss, dass wir die Fenster weit aufstoßen müssen, um das um uns herum wahrzunehmen, was sich außerhalb Deutschlands entwickelt. Was ich für fast noch wichtiger halte: Wie lässt sich am Ende besser zum Ausdruck bringen, dass in einer exportorientierten Wirtschaft wie der unsrigen langfristig nur der Erfolg haben wird, der ein Verständnis dafür entwickelt, wie unterschiedlich die Kulturen sind, in denen wir uns oder, genauer gesagt, Sie sich als mittelständische Unternehmer bewegen - einerseits als Käufer, andererseits als Verkäufer und, das weiß ich natürlich, zunehmend auch als Produzent?

Die eine Welt, die wir gemeinsam zu gestalten versuchen müssen, verlangt uns vieles ab: Offenheit ganz sicherlich - ich sprach eben davon - , Lernfähigkeit, aber vor allen Dingen noch sehr viel mehr. Ganz in diesem Sinne - lassen Sie mich das im Haus der Kulturen der Welt in Nachbarschaft zum Bundeskanzleramt sagen - werden wir uns alle sehr viel intensiver als in der Vergangenheit mit Kultur und fremden Kulturen, mit den Wechselwirkungen von politischer und wirtschaftlicher Ordnung, mit unterschiedlichen Ausformungen des Sozialstaates und mit unterschiedlichen Reformpfaden beschäftigen müssen.

Ich glaube, bei dieser Beschäftigung wird eines zunehmend klar werden, nämlich dass es nicht nur eine Straße, nicht nur einen Weg zum Erfolg gibt. Ich habe das ganz kürzlich in einem Bericht der "FAZ" wiedergefunden, die ein Gespräch mit dem Europa-Direktors des IWF, Michael Deppler, geführt hat, der in der jüngeren Vergangenheit ja nicht nur positive Berichte über Deutschland zu schreiben hatte, der aber dort nach der Wahl in Deutschland zum Ausdruck gebracht hat: Was Staaten am nötigsten brauchten, ist Einigkeit über den Weg, den sie beschreiten wollen. [...] Ob man sich dabei für das liberale oder das nordische Modell der skandinavischen Staaten entscheidet, ist unwichtig. Beide funktionierten sehr gut. Wichtig ist nur,"

sagt er in Bezug auf den Ausgang der Wahlen dass sich SPD und Christdemokraten in Deutschland auf eine Strategie festlegen und die Wirtschaft und Öffentlichkeit nicht dauernd mit neuen Kurswechseln überraschen."

Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Es wäre, glaube ich, zu kurz gegriffen, wollte man Deppler nur so verstehen, als gäbe es nur die Option, zwischen den beiden angesprochenen Modellen zu wählen. Ich sage das deshalb ausdrücklich, weil ich sagen will: Wir haben allen Anlass, unseren eigenen Weg nicht nur zu suchen, sondern ihn auch zu gehen, der sich wahrscheinlich irgendwo zwischen dem liberalen und dem skandinavischen Modell - ich vermute, näher am skandinavischen Modell - bewegen wird. Darum sage ich auch: Auch in der veränderten politischen Konstellation nach der Bundestagswahl wird es darum gehen, den Weg der "Agenda 2010" - mir ist wohl bewusst, dass die "Agenda 2010" in Zukunft einen anderen Namen tragen wird - , d. h. für mich ( den Weg ) der Reformen mit Augenmaß und sozialer Verantwortung, weiter zu gehen.

Ich sage aber, damit ich hier keine Skepsis ausdrücke:( Es gilt, ihn ) auch konsequent weiterzugehen. Denn ich glaube, wir werden die Zukunft dieses Landes nur dann gewinnen, wenn wir uns darüber klar werden, was Deutschland stark gemacht hat: weltoffene, innovative Unternehmer, eine gut ausgebildete, leistungsbereite Mitarbeiterschaft, ein hohes Maß an Ausgleich und sozialem Frieden und ein Staat, der für Rechtssicherheit und auch für Chancengleichheit sorgt. Dies alles müssen wir zugegebenermaßen an eine sich weiter dynamisch verändernde Wirklichkeit anpassen.

Ich habe über die "Agenda 2010" immer gesagt: Sie folgt dem Motto "Nur, wer sich verändert, bleibt sich treu". Ich vermute, dass uns dieses Motto auch in den nächsten Regierungsjahren begleiten wird. Das sage ich, obwohl ich weiß, Herr Thumann, dass sich viele hier im Raum durchaus ein anderes Wahlergebnis gewünscht haben, und ich könnte sogar hinzufügen: ich mir durchaus auch! Aber wir alle müssen den Wählerwillen wohl respektieren, einen Wählerwillen, der nach Lage der Dinge die beiden großen Volksparteien zur Zusammenarbeit geradezu zwingt. Darüber sollte man nun nicht nur traurig sein, auch nicht in diesem Saale; denn rückblickend haben diese beiden großen Volksparteien - SPD auf der einen Seite, CDU / CSU auf der anderen Seite - diesem Land in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg den Stempel aufgedrückt. Beide Parteien - einmal in der Führung, einmal in der Opposition und ein einziges Mal im Rahmen einer großen Koalition - haben dieses Land zu einer der stärksten und angesehensten Demokratien in der Welt entwickelt.

Nun haben uns offensichtlich die Wähler die Aufgabe übertragen, die Fundamente unserer Stärke neu zu festigen, zu schauen, wo das eine oder andere möglicherweise morsch, brüchig bzw. reparaturbedürftig geworden ist, und dort, wo das festgestellt wird, den entsprechenden und angemessenen Mut zur Veränderung zu zeigen.

Ihnen, Herr Thumann, der Sie das Ergebnis der Wahl vor kurzem eher sehr kritisch bewertet haben - in Ihren Worten: "Das Ergebnis ist ernüchternd, von Aufbruch keine Spur" - , sage ich: Ich habe natürlich als politisch Handelnder Verständnis für ein gewisses Maß an Enttäuschung, erst recht über Wahlausgänge. Ich muss aber dann doch an dieser Stelle meinen Widerspruch insofern anmelden, als ich sage: Ernüchterung nach einer zumal in diesem Jahr sehr harten Wahlauseinandersetzung muss ja nicht in jedem Falle schlecht sein, jedenfalls dann nicht, wenn diese Ernüchterung die Beteiligten auf den Boden der Tatsachen zurückbringt und sofort die Situation herbeiführt, aus der dann eingetretenen Lage das Beste zu machen.

Zu dieser Ernüchterung gehört auch, dass ich jedenfalls meine, dass diejenigen, die das, was an Veränderung in den Bereichen der Steuerpolitik, der Arbeitsmarktpolitik und der Renten- und Gesundheitspolitik ( begonnen wurde ) , in den Wahlkampfauseinandersetzungen - sagen wir besser: während der Wahlkampfauseinandersetzungen - immer sehr grundlegend dementiert haben, diejenigen, die in den vergangenen, zurückliegenden Monaten deshalb, weil angeblich nichts stattgefunden habe, abends zur besten Sendezeit den immer noch radikaleren Wechsel eingefordert haben, sich nach dem jetzt vorliegenden Wahlergebnis eben auch fragen lassen müssen, ob sie in der deutschen Bevölkerung nicht einen wichtigen Gesichtspunkt übersehen haben, nämlich die Tatsache, dass diese Art von politischer Verkündung, die dort stattgefunden hat, von der Bevölkerung offensichtlich weniger als Ausweg, sondern eher als Bedrohung angesehen worden ist. Mich hat es immer daran zweifeln lassen, wenn ich den Menschen überwiegend drohe, ob ich das Maß an Veränderungsbereitschaft, auf das wir, Gott sei Dank, nach einigen Jahren der Arbeit getroffen sind, am Ende erhalten kann.

Ich glaube, übersehen worden ist, dass wir auch in der Reformarbeit, auch in der Reform der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, an der Sie interessiert sind, den Sinn für das gesellschaftliche Gesamtgefüge behalten müssen oder, wiederum in dieses Haus zurückgeführt, für die Kultur dieses Landes haben und behalten müssen. Ich glaube, dass es an dieser kulturellen Sensibilität, wenn ich das Wort noch einmal nennen darf, durchaus manchem gemangelt hat. Dabei mache ich im Augenblick gar keinen Unterschied, ob aus dem Osten oder aus dem Westen, ob Politiker, Journalist oder Wirtschaftsführer. Schauen Sie sich im Rückblick noch einmal die eine oder andere Talkshow aus dem letzen halben Jahr an; die liefern reichlich Zeugnis davon.

Herr Späth, den ich vor kurzem bei den "Tonbacher Gesprächen" vertreten durfte, was ich hoffentlich Ihren Ansprüchen gemäß getan habe, hat eben darauf hingewiesen, dass der eingeladene Gast doch ein bisschen etwas über die gerade begonnenen Koalitionsverhandlungen sagen sollte. Das will ich gerne tun, obwohl wir im Augenblick ja mit der wirklich skurrilen Situation leben, dass die deutsche Bevölkerung spätestens seit dem gestrigen Tag den Eindruck hat, dass die Regierung eigentlich feststeht; jedenfalls sind alle Namen bekannt. Die Fotos sind in den Zeitungen, die Personen sind portraitiert, sodass es eigentlich losgehen könnte. Tatsächlich haben gestern Abend, 17 Uhr, die Koalitionsverhandlungen offiziell erst begonnen.

Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage: Solche Verhandlungen haben eine gewisse Logik. Natürlich werden wir in den nächsten drei Wochen auch noch manches Mal bei den schwierigen Fragen, die dort zu verhandeln sein werden, an den Rand des Scheiterns geraten, oder der eine oder andere wird drohen, dass Verhandlungen, wenn entsprechende Bereitschaft zum Entgegenkommen auf der anderen Seite nicht vorhanden ist, dann zum Ende kommen müssen. Aber lassen Sie mich hier im Ernst sagten: Ich gehe nach den Sondierungsgesprächen, bei denen ich dabei war, und nach der Eröffnung von gestern Abend davon aus, dass bei allen Beteiligten die große Bereitschaft besteht, die Koalitionsverhandlungen zu einem guten Ende zu führen.

Wenn ich "gutes Ende" sage, dann meine ich damit nicht nur, eine Regierung auf die Beine zu stellen - das natürlich auch; manche würden wohl sagen: das zuförderst - , sondern vor allen Dingen auch, mit dieser Koalition die Veränderungen anzugehen, die unser Land dringend braucht. Der Erfolg dieser Koalition wird umso größer sein, je mehr begriffen wird, dass Veränderung nicht allein - vornehmlich ja, aber nicht allein - Sache und Aufgabe der Politik ist.

Deshalb - gestatten Sie mir einen kleinen, kritischen Satz am Rande - halte ich es sogar in einem doppelten Sinn nicht für besonders hilfreich, wenn einige wenige bereits jetzt schreiben und kommentieren, das, was da im Entstehen begriffen ist, könne eigentlich nur eine "Koalition des Stillstands" werden. Das halte ich erstens für ungerecht, weil der Politik auf diese Weise eigentlich keine Chance gegeben wird und weil das, was da im Entstehen begriffen ist, schon im Prozess des Entstehens in das mediale Mahlwerk gegeben wird, aus dem dann eigentlich gar nichts mehr herauskommen kann, jedenfalls nichts, was die Erwartungen der Zuschauer zufrieden stellt.

Das ist mir aber fast nicht das Wichtigste. Wichtiger ist mir zweitens, dass in dieser eben geschilderten Art der Kommentierung der Veränderungsbedarf dieser Gesellschaft wieder vollständig an der Garderobe der Politik abgegeben wird. Ich habe es eben angedeutet: Politik wird weiterhin wichtig sein, aber was mindestens ebenso wichtig ist, ist, dass wir begreifen, dass die Erneuerung dieses Gemeinwesens ein gesamtgesellschaftliches Produkt ist und als solches begriffen werden muss. Ich bin wirklich fest davon überzeugt - diejenigen, mit denen ich bei den "Partnern für Innovation" seit einigen Monaten, wenn nicht Jahren, zusammenarbeite, wissen das - , dass es uns nicht gelingen wird, die Lethargie, die Stagnation in diesem Lande, von der wir alle reden, zu überwinden, wenn wir nicht lernen, in der Öffentlichkeit und insbesondere im Ausland mit unseren Stärken sehr viel selbstbewusster umzugehen, als wir es, meiner Ansicht nach jedenfalls, in der jüngeren Vergangenheit getan haben.

Umgekehrt frage ich mich immer: Warum muss eigentlich der "The Economist" darauf kommen, uns darauf aufmerksam zu machen, dass wir in den letzten Jahren in dieser Republik gemeinsam schon vieles zum Besseren verändert haben? Warum schreiben eigentlich ausländische Beobachter eher darüber, dass sich in diesem Lande bereits neuen Möglichkeiten entwickelt haben, die Investoren und Geschäftsleute sehr viel positiver und sehr viel interessierter auf dieses Land schauen lassen?

Mir wird jedenfalls immer deutlicher, dass dieser rabenschwarze Pessimismus und die Panikmache, die manche in der Vergangenheit leichtfertig betrieben haben, durchaus Auswirkungen auf den Binnenmarkt und die private Nachfrage gehabt haben. Ich sage ganz offen: Für mich persönlich ist es ganz schwer erträglich, wie wir im täglichem, fast schon masochistischem Eifer vor allen Dingen im Ausland die Auffassung verbreiten, Deutschland sei ein Absteiger, wir seien der kranke Mann, wenn nicht der Komapatient der Weltwirtschaft. Ich sage Ihnen aufgrund meiner Kontakte in Europa, und Sie alle werden ähnliche Erfahrungen machen: Ein Brite oder ein Franzose würde nie auf die Idee kommen, auf Tagungen im Ausland so über sein Land zu reden! Hier dagegen hat man den Eindruck, dieses Gerede diene manchmal dazu, sozusagen auch noch einen Nachweis von Weltläufigkeit zu erbringen.

Ich füge hinzu, damit Sie mich nicht missverstanden: Wir brauchen Ehrlichkeit und Klarheit, wohlgemerkt auch und gerade bezüglich unserer Schwächen. Wir brauchen sie aber auch hinsichtlich unserer Stärken. Weil das so ist, sage ich noch einmal: Mit Blick auf unsere Innovationsbilanz haben wir doch gar keinen Grund, mit gesenkten Köpfen durch die Gegend zu laufen. Wir sind das, was neuerdings auf den Fahnen mit Blick auf die Fußball-Weltmeisterschaft im nächsten Jahr steht, nämlich ein Land der Ideen! Gerade Sie in diesem Saal haben großen Anteil daran, dass Deutschland in Forschung und Technologie zu den Spitzenreitern gehört. 30 % aller weltweiten Patentanmeldungen im Maschinenbau kommen aus Deutschland. Sie wissen, dass die ( deutsche ) Automobilindustrie und ihre Zulieferer zu den weltweit attraktivsten gehört. Es gelingt immer wieder, in der Werkstoffforschung und der Metallurgie Entwicklungen zu präsentieren, die den Wettbewerbsvorsprung selbst vor der asiatischen Konkurrenz erhalten lassen. In jüngster Zeit sind wir - das sage ich Ihnen auch - auf dem Gebiet der Energieforschung, bei der Entwicklung regenerativer

Energietechnologien und bei der Energieeffizienz nach meiner Ansicht nicht nur vorne, sondern es wird uns aufgrund der Verknappungssituation und der Preissituation, in die wir bei Erdöl und Ergas geraten, gar nichts anderes übrig bleiben, als hierbei noch stärker zu investieren.

Letztlich - das muss ich hier nicht weiter ausführen, weil das im letzten Jahr vielfach auch das Interesse von Magazinen gefunden hat - bezeichnen wir völlig zurecht viele Mittelständler in diesem Lande als "hidden champions", die hier nicht in irgendeiner Nische, sondern mit weltweit vermarkteten Produkten ihren Erfolg garantieren. Auf diese Erfolge insgesamt - den der "hidden champions", den der Forschung und Entwicklung auch im deutschen Mittelstand, bei den Fachhochschulen, in Universitäten und in den Bereichen der Industrien, die ich Ihnen eben genannt habe - müssen wir, glaube ich, aufbauen. Ich freue mich insbesondere darüber, dass wir gerade im Bereich Forschung und Innovation in den letzten Jahren doch ein paar ganz entscheidende Forschritte gemacht haben.

Herr Späth, mit Blick auf die Koalition, die im Entstehen begriffen ist, sage ich: Ich freue mich vor allen Dingen darüber, dass es in einer der ersten Sitzungen, schon in den Sondierungsgesprächen, gelungen ist, Verständigung darüber zu erzielen, dass wir trotz der angespannten Situation der stattlichen Haushalte 3 % des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung reservieren wollen und dass wir auf diesem Wege den Zielen des Lissabon-Prozesses weiterhin Rechnung tragen wollen.

Herr Thumann, Sie sind Mitglied der "Partner für Innovation". Wir sind dort mit dem gemeinsamen Grundverständnis angetreten, dass wir endlich aufhören müssen, den jeweils anderen für die Probleme in unserem Land verantwortlich zu machen, und dass wir aufhören müssen, in den vorhin schon einmal genannten Talkshow die Bälle - gemeint ist eigentlich der Schwarze Peter - zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik hin und her zu schieben. Deshalb sage ich: Auch hierbei gilt, dass jeder gefordert ist. Nur gemeinsam kann das gelingen, wenn wir unser Land bei Forschung, Technologie, Bildung, Kinderbetreuung, der Sicherung des sozialen Zusammenhalts und des inneren Friedens voranbringen wollen.

Partner für Deutschland,"Partner für Innovation" - das bringt mich auf den weiteren Gedanken, den man im Augenblick auch in der Öffentlichkeit vorfindet: "Du bist Deutschland". - Das ist der gemeinsame öffentliche Auftritt der "Partner für Innovation", der den Gedanken, den ich eben zitiert habe, glaube, ich, ganz gut verkörpert. Darin steckt ein bisschen von dem Kennedy-Geist, den wir, glaube ich, brauchen, wenn wir eine Aufbruchstimmung in diesem Lande entstehen lassen wollen. Deswegen sage ich: Die große Koalition kann durchaus, allen skeptischen Stimmen zum Trotz, zu einem Erfolg werden, jedenfalls dann, wenn wir die Erneuerung insgesamt als gemeinsame Gestaltungsaufgabe begreifen.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren: Wenn wir - diejenigen, die an dieser Gestaltung und Erneuerung teilhaben - dem Land in dieser Weise dienen, dann werden wir das zusammenbringen, was ich für erforderlich halte, nämlich dass wir neue wirtschaftliche Stärke bringen und sozialen Zusammenhalt gleichzeitig erhalten, also beides, wenn Sie so wollen, in einen neuen Ausgleich bringen.

Was heißt das nun konkret für den mittelständischen Unternehmer, der sich, wie ich natürlich weiß, täglich im weltweiten Konkurrenzkampf beweisen muss?

Lassen Sie mich zunächst mit einigen positiven Signalen beginnen - und da wird sich vielleicht mit einiges mit der Rede von Herrn Koch decken, die er eben gehalten hat - , bevor ich auf das komme, was im Augenblick gerade besprochen wird.

Was die positiven Signale angeht, so will ich zunächst gar nicht die Politik loben, sondern ich weiß natürlich, dass viele der dringend notwendigen Anpassungsleistungen in den Untenehmen selbst geschehen sind, dass wir es aber in der Verbindung von Wirtschaft und Politik bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen durchaus hinbekommen haben, dass wir in der preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen weit nach vorne gekommen sind. In der Währungsunion ist seit Beginn unsere preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Wettbewerbsländer um 20 % gestiegen. Das hat wesentlich - und das ist in letzter Zeit häufig beschrieben worden - mit unserer verbesserten Situation, insbesondere bei den Lohnstückkosten zu tun. Aber auch das Wachstum der Produktivität geht im Augenblick deutlich schneller als im übrigen Raum der Europäischen Währungsunion.

Ich will mit diesen drei Anstrichen eigentlich nur eines zeigen: Es bewegt sich in diesem Lande durchaus etwas in die richtige Richtung. Es scheint ja auch davon zu künden, wenn ich zugrunde lege, dass in der zweiten Jahreshälfte auch die Konjunktur wieder etwas Fahrt aufgenommen hat und sich die Stimmung in Industrie und Handel deutlich aufgehellt hat. Wenn ich nicht ganz falsch liege, haben wir im Augenblick zum ersten Mal auch Signale, dass sich diese leichte Aufhellung auch in der Binnennachfrage niederschlägt. Das ist nicht bei jedem von Ihnen ( der Fall ) , wie ich weiß. Aber statistisch können wir davon ausgehen, dass die Auftragsbücher der Unternehmen einigermaßen gefüllt sind. Was den Stand aktuell angeht, haben wir bei den Ausrüstungsinvestitionen gegenüber dem Vorjahr einen Zuwachs von 5,8 % . Die Industrieproduktion zieht ebenfalls an.

Was ist die Aufgabe? Die Aufgabe ist jetzt, diesen Wachstumstrend, den ich vorsichtig sehe, zu festigen und zu verstärken.

Wie kann das geschehen? Das ist die Aufgabe der großen Koalition. Ich habe eben Ihre Umfrage gesehen. Ganz oben stand die Senkung der Lohnnebenkosten. Das kann keine Regierung aufweichen. Ich darf daran erinnern, dass wir eine Entwicklung hinter uns haben, bei der Sie eigentlich zu dem Ergebnis kommen müssten, dass die letzten Jahre sich gelohnt haben. Wir haben in den Jahren vor 1998 eine Entwicklung der Lohnnebenkosten von etwa 35 % auf 42 % gehabt. Wir haben sie seit 1998 mit dieser noch aktuellen Regierung, die seit heute Morgen geschäftsführend im Amt ist, immerhin stabilisiert und leicht rückläufig - aus Ihrer Sicht natürlich nicht genügend - gestalten können.

Aber diese Stabilisierung ist immerhin geschehen. Es kommt neben der Option, die Lohnnebenkosten zu senken, natürlich darauf an, die Systeme dabei gleichzeitig zukunftsfest zu machen. Das betrifft natürlich insbesondere die Politikbereiche, die in allerhöchstem Maße dem demographischen Druck ausgesetzt sind. Das sind insbesondere die Bereiche Rente und in zweiter Linie, aber kaum weniger, die Bereiche Gesundheit und vielleicht die Pflegeversicherung, die im Augenblick vielleicht am stärksten vom Handlungsdruck bedroht ist.

Wenn ich mir die Gespräche von gestern Abend und der vergangenen Woche in Erinnerung rufe, würde ich sagen: Der Handlungsbedarf wird jetzt in etwa gleich beschrieben. Die Ziele weichen nicht mehr voneinander ab. Bei den Instrumenten besteht noch Streit. Aber ich habe aus früheren Koalitionen die Erfahrung gemacht, dass, wenn man sich zu den gemeinsamen Zielen verpflichtet sieht - und das sehe ich in der großen Koalition - , die Verständigung über Instrumente am Ende möglich sein wird. Ich bin jedenfalls sehr zuversichtlich, dass es in diesen drei Bereichen gelingen wird.

Nach der bisherigen Beschreibung der Koalitionäre beider Seiten sollen Schwerpunkte auch in den Bereichen Bildung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesetzt werden. Das leistungsfähigere Bildungssystem - und das wissen Sie - ist in der föderalen Ordnung des Bundesstaates überwiegend Aufgabe der Länder. Aber von der Seite der Betreuung können wir auch bundesseitig das eine oder andere tun. Hier werden wir ganz sicher zu Verabredungen kommen.

Drittens, und das will ich hier hervorheben; das ist auch für Sie vielleicht im Augenblick, jedenfalls heute, das Zentralere. Es ist erkannt, dass einer unserer verbliebenen wesentlichen Standortnachteile die Unternehmensbesteuerung, vor allen Dingen die hohen Körperschaftssteuersätze sowie das komplizierte Unternehmenssteuerrecht sind.

Nun fangen wir in der großen Koalition Gott sei Dank nicht bei Null an. Sie haben den Jobgipfel dieses Sommers in Erinnerung. Bei diesem Gipfel, an dem auch schon Herr Müntefering, der Bundeskanzler, Frau Merkel und Herr Stoiber beteiligt waren, ist schon verabredet worden, den Körperschaftssteuersatz von 25 % auf 19 % zu senken. Dies ist nach meiner Ansicht in jeder Hinsicht ein durchaus wettbewerbsfähiger Körperschaftssteuersatz, der uns dann inklusive der Gewerbesteuer auf eine Gesamtsteuerbelastung von 33 % bringt. Damit liegen wir deutlich unter den Konkurrenten im benachbarten europäischen Ausland. Gemeint sind insbesondere Italien, Frankreich, aber etwa auch die Niederlande.

Nicht weniger wichtig als die Anpassung der Körperschaftsbesteuerung scheint mir die Reform des Unternehmenssteuerrechts insgesamt zu sein. Darüber herrscht zwischen uns möglicherweise auch kein Streit. Die Frage ist: Wie kommen wir hin? Wie wird das Ziel genauer beschrieben?

Wir sind im Frühjahr dieses Jahres den Weg gegangen und hatten den Sachverständigenrat um eine Expertise gebeten, also darum, uns einen Vorschlag zu entwickeln. Dieser Vorschlag wird kommen. Er wird Anfang des Jahres auf dem Tisch liegen und wird dann mit dem Modell der Stiftung Marktwirtschaft konkurrieren, die ebenfalls vorgearbeitet hat. Der Koalition wird dann gar nichts anderes übrig bleiben, als sich an diesen beiden Modellen zu orientieren und unter Zuhilfenahme der Modelle, die dort vorgelegt werden, entweder etwas Eigenes zu entwickeln oder sich für eines von den beiden zu entscheiden. Material wird dann jedenfalls vorliegen.

Was die Steuerbelastung jenseits der Unternehmenssteuerreform angeht, darf ich, weil in den Fragen die Politik meistens eher weniger Glaubwürdigkeit hat, an die letzte Begutachtung der OECD erinnern, die in der vergangenen Woche durch die Zeitungen gegangen ist und in der noch einmal wiedergegeben worden ist, dass Deutschland inzwischen zu den Ländern mit der niedrigsten Steuerquote gehört. Das betrifft ausdrücklich - ich weiß, dass hier im Saal Anlass dazu besteht, das zu sagen - auch die Personenunternehmen. Deshalb ist es verantwortbar, wenn Frau Merkel und Herr Müntefering gestern Abend nach der Eröffnungsrunde der Koalitionsrunde gesagt haben, dass die Reduzierung der Einkommenssteuertarife jedenfalls im Augenblick nicht als vordringlich begriffen wird.

Wenn ich Ihre Umfrage eben richtig gelesen habe, sehen Sie das hier im Hause durchaus auch so. Der Unterschied bleibt natürlich der, dass Frau Merkel und Herr Müntefering dieses in erster Linie vor dem Hintergrund der Entwicklung der Staatshaushalte zu begründen hatten. Dabei ist nicht nur der Bundeshaushalt gemeint, sondern die Entwicklung der Einnahmesituation bei Bund, Ländern und Gemeinden. Ich glaube, Sie geben mir Recht, wenn ich sage, dass hier Konsolidierungsbedarf herrscht, der im Augenblick die Frage einer weiteren Tarifsenkung bei der Einkommenssteuer in den Hintergrund treten lässt.

Ich darf auch sagen, dass letztlich zwei weitere Gesichtspunkte aus der Verabredung vom Sommer hinzukommen können und aus meiner Sicht auch in der großen Koalition zur Verabredung anstehen. Das ist die verbesserte Anrechnung der Gewerbesteuer bei der Einkommenssteuer. Dies war im Sommer ein Punkt. Ich darf für mich persönlich jedenfalls sagen, dass ich große Sympathie für den Vorschlag hatte und habe, die Erbschaftssteuer jährlich um ein Zehntel abzuschmelzen, wenn der oder die Erben den Betrieb weiter führen. Wir wissen, dass dieses ein Vorschlag ist, der den Unternehmensübergang wesentlich erleichtern würde und der uns - und das sage ich volkswirtschaftlich - dazu verhelfen könnte, dass "Know-how" in den Unternehmen und damit in Deutschland bleibt.

Damit habe ich sozusagen einige der Pflichtaufgaben, die für die große Koalition anstehen würden, genannt. Eine weitere kommt hinzu, von der ich glaube, dass sie überhaupt nur in der großen Koalition bewältigt werden kann. Das ist die Reform der föderalen Ordnung, bei der ich jedenfalls sehe, dass, wenn wir hier zu Fortschritten kämen, das Gemeinwesen insgesamt auf einen sehr viel besseren Weg käme, weil wir sehr viel schneller in der Lage wären, uns sozusagen nicht nur in der Analyse des Handlungsbedarfs einig zu werden, sondern durch eine verabredete höhere Geschwindigkeit der parlamentarischen Prozesse zwischen Bundestag und Bundesrat auch zu beschleunigteren Abstimmungsergebnissen und damit Gesetzgebungsvorgängen kommen könnten.

Neben der föderalen Ordnung bleibt dann noch ein Pflichtprogramm, das Sie alle kennen. Das sind der Bürokratieabbau, die Beschleunigung von Gründungs- und Genehmigungsprozessen, eine umfassende GmbH-Novelle, die Bereinigung des Bundesrechts, die wir in einem ersten Schritt mit der Streichung von ca. 300 Gesetzen begonnen haben, und vor allen Dingen die Vereinfachung des EU-Rechts, die sich der deutsche Vizepräsident zu Eigen gemacht hat und bei der auch wir und auch die anderen europäischen Mitgliedsstaaten natürlich in der Pflicht sind, mit Vorschlägen aufzuwarten.

Ich glaube, dass es am Ende der Verhandlungen in drei bis vier Wochen nicht nur zu ehrgeizigen Verabredungen zwischen den Partnern der großen Koalition kommen wird, sondern dass wir auch sicherstellen können, dass diese Verabredungen nachdrücklich, diszipliniert und mit langem Atem umgesetzt werden.

Ich habe vorhin den "Economist" an einer Stelle zitiert. Ich möchte ihn ein zweites Mal mit einer jüngeren Ausgabe aus der vorvergangenen Woche zitieren, die mit dem Titel überschrieben ist: "Die Sonne geht auch auf." Das meint ungefähr: Nicht jedes Rot ist Abendrot. Dort heißt es - und Sie dürfen einmal raten, wer gemeint ist - : Wer langsam und beharrlich ist, gewinnt tatsächlich das Rennen, nicht nur in Märchen. ( Dieses Land ) ist durch eine lange Folge von kleinen Reformschritten hindurchgegangen, die zusammengenommen Politik, Wirtschaft und Finanzmärkte sehr viel stärker verändert haben als die meisten Menschen wahrnehmen und dem Land eine langfristig glänzende Zukunft verheißen."

Dieses Land ist nicht Deutschland. Das Land, das der "Economist" beschreibt, ist Japan. Aber ich zitiere das deshalb, weil aus meiner Sicht nichts dagegen spricht, dass diese Worte in einigen Jahren - vielleicht früher, als manche von Ihnen denken - auch über Deutschland gesagt werden könnten.

Ich danke Ihnen!