Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 19.10.2005

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/54/905254/multi.htm


Liebe Frau Strauss, lieber André Heller, lieber Franz Beckenbauer, lieber Otto Schily, meine sehr verehrten Damen und Herren und natürlich verehrte Exzellenzen aus vielen Ländern, die hier in Deutschland durch Sie präsent werden!

Willkommen also zu der Ausstellung "Rundlederwelten". Der Titel, das ist sicherlich so, klingt etwas rätselhaft. Aber wir alle wissen, dass das immer so ist, wenn Künstler Ereignissen Gestalt und vor allen Dingen Namen geben. Das weist auch auf Spannung hin. Diese Ausstellung, André Heller hat darauf hingewiesen, ist ein wesentlicher Bestandteil des Kunst- und Kulturprogramms der Bundesregierung zur Fußball-Weltmeisterschaft im nächsten Jahr. Ich erkläre Ihnen jetzt, wie das damals zu Stande gekommen ist. Das war schon eine unglaublich spannende Veranstaltung. Wir haben damals da gestanden, haben auch ein bisschen von der Fußball-Weltmeisterschaft geträumt und haben uns Chancen ausgerechnet, aber sicher war niemand von uns, und das konnte auch niemand sein. Vielleicht war es Franz Beckenbauer, der am sichersten war, aber ich bin nicht sicher, dass er sicher war; denn er war auch sehr aufgeregt, was man aus seiner Stegreifrede erahnen konnte.

Wir machen das also miteinander, nicht zuletzt, weil die Welt bei uns zu Gast ist, und noch mehr, weil sie vier Wochen lang auf Deutschland schauen wird. Was wir alle miteinander wollen - ich glaube: alle, die hier sind - , ist, dass das ein Deutschlandbild vermittelt, das durch Toleranz, durch Offenheit, ohne jeden Zweifel auch durch den Glauben an die eigene Kraft, aber vor allen Dingen durch eine selbstbewusste Bescheidenheit gekennzeichnet wird. Ich bin ganz sicher, dass uns das gelingen wird. Dass die Kunst ein wesentlicher Bestandteil dieses Fußballfestes geworden ist und werden wird, tut Deutschland gut; denn nur mit den Begriffen "ökonomische Effizienz","politische Zurückhaltung", aber auch "politisches Engagement" ist Deutschland ja nicht definiert, sondern es ist immer auch definiert worden - in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart und erst Recht in der Zukunft - durch das, was Künstler aus Deutschland und für Deutschland an Beitrag leisten können.

André Heller hat gesagt, dass wir vereinbart haben "Wir machen das" und dass das eingehalten worden ist. Man muss hinzufügen: Die Vorbereitungen für dieses Fußballfest, wie es zurecht genannt wird, laufen wirklich optimal. Auch das, was André Heller über die Kunst gesagt hat, ist ja toll, wenn man beobachtet, wie Menschen, die zu Hause oder in ihrer Arbeit nicht gelernt haben oder vielleicht nicht haben lernen können, Kunst als eine der ganz großen Herausforderungen des Lebens zu begreifen, auf einmal entdecken, was das für sie Wert ist und im wahrsten Sinne des Wortes zur Entfaltung von Persönlichkeit und zum Kennenlernen von anderen Dimensionen über das hinaus, was man an täglichem Ärger hat, beiträgt.

Ich bin sicher, wenn mir diese Bemerkung erlaubt ist, dass Jürgen Klinsmann bis zum Eröffnungsspiel auch ein tolles Team geformt haben wird. Das ist, wenn ich mir das erlauben darf, auch ein bisschen typisch deutsch: "Hosianna", wenn es gut läuft, - im Federation Cup ist es gut gelaufen; das kann man nicht ernsthaft bestreiten - , und ganz schnell "Kreuzigt ihn!", wenn einmal etwas nicht so gut läuft. Ich finde, er und die, die um ihn herum sind - Herr Bierhoff und Herr Löw ebenso - , haben das nicht verdient. Die haben es verdient, dass man ein Stück mehr Vertrauen in sie investiert; denn ohne das kann man eine solche Arbeit nicht machen. Deswegen rate ich all denen, die bereits jetzt schon wieder "Kreuzigt sie!" schreiben, zur Zurückhaltung. Ihr seid allemal nicht besser als die!

Ich glaube, sie werden das schaffen. Sie werden eine tolle Mannschaft hinbekommen, die begeisterungsfähig ist und von der sich Menschen begeistern lassen. Ich wünsche mir das jedenfalls, und wir sollten alle daran Interesse haben, dass das so kommt. Sie brauchen Geduld, sie brauchen Verständnis und sie brauchen vor allen Dingen Unterstützung von denen, für die Fußball eine der schönsten Nebensachen der Welt ist; ich sage ausdrücklich "eine der schönsten", denn es gibt ja auch andere. Die augenblickliche Diskussion schadet also mehr, als dass sie nutzt, und sie sollte schnell beendet werden. Dies war jetzt einer der berühmten "Basta" -Aussprüche. Ich bin ganz sicher, die wenigsten werden sich daran halten, aber das kenne ich schon.

Sport, Politik und Wirtschaft arbeiten, das muss man sagen, bei der Vorbereitung der Fußball-Weltmeisterschaft wirklich Hand in Hand. Alles wird rechtzeitig fertig sein; so sind wir nun einmal. Wir werden die Welt dann hier in Deutschland willkommen heißen. Ich will ohne Umschweife und ohne falsche Lobhudelei sagen: Lieber Franz Beckenbauer, das haben wir Ihnen zu verdanken, denn Sie sind in dem Amt als Präsident des Organisationskomitees wirklich erfolgreich. Ich glaube, wenn wir nicht Weltmeister werden sollten: An Ihnen läge es jedenfalls nicht! Ich habe verfolgen können - wie der Innenminister und wie übrigens auch André Heller, der damals ein sehr schönes Beiprogramm aus dem Hintergrund geliefert hat - , wie die Weltmeisterschaft nach Deutschland vergeben worden ist. Seit diesem Tag wird da wirklich gearbeitet, und zwar in guter Weise. Anfang des Monats ist Franz Beckenbauer zu einer "Welcome-Tour" aufgebrochen. In mehreren Etappen wird er die WM-Teilnehmer, die sich für 2006 qualifiziert haben, in ihren Ländern besuchen und sie persönlich zur Fußball-WM in Deutschland einladen. Ich finde, auch das ist eine Geste, die Respekt und ein herzliches Dankeschön verdient!

Meine Damen und Herren, diese größte internationale Veranstaltung, die je in Deutschland stattgefunden haben wird, ist der Bundesregierung immer Verpflichtung gewesen, und das gilt übrigens unabhängig von der Vorliebe für den einen oder anderen Verein in der 1. Bundesliga. Wir werden alles dafür tun, dass sich unser Land nicht allein während des Turniers, sondern auch im Vorfeld - das ist ja bereits sichtbar - von seiner wirklich besten Seite zeigt: fußballbegeistert, ohne Zweifel, aber eben gastfreundlich, weltoffen, tolerant, auch modern und innovativ, aber eben auch kulturell interessiert. Diese Ausstellung zeigt das auf sehr, sehr schöne Weise, finde ich.

Vor diesem Hintergrund ist eines klar: Eine Fußball-Weltmeisterschaft ist nicht nur ein sportliches Ereignis. Sie ist mehr als ein vier Wochen dauerndes Turnier. Sie schafft die unglaubliche Möglichkeit, dass sich Menschen aus Deutschland und aus aller Welt - aber auch die, die zu uns kommen, untereinander - begegnen können und dass sich Kulturen treffen und austauschen können. Das ist ja etwas in einer Welt, von der manche glauben - ich glaube es nicht - , dass es um Kämpfe zwischen Kulturen geht. Für mich geht es um den Kampf für Kultur und nicht um Kämpfe zwischen Kulturen.

Ich finde, dass die Idee, die Fußball-WM mit einem Kunst- und Kulturprogramm zu begleiten, eine großartige Idee ist, um so die Vorfreude der Menschen auf dieses Sportereignis im nächsten Jahr wirklich größer werden zu lassen. André Heller, das ist ihm zu danken, hat diese Idee aufgenommen und zu etwas, das es so noch nicht gegeben hat, in der Praxis verwirklicht. Der Kurator und künstlerische Leiter des Kunst- und Kulturprogramms der Bundesregierung zur Fußball-WM 2006 - das ist sein offizieller Titel; er hält nicht viel von offiziellen Titeln, aber man muss das machen, denn man braucht ja eine Kostenstelle - hat das folgendermaßen formuliert: Erfinde für ein weltumspannendes Fußballfest eine sinnlich-kulturelle Begleitung und lasse sie mit den fähigsten Verbündeten lebendig werden ".

Das werden Sie heute Abend sehen, jedenfalls einen Teil davon. Was dies konkret bedeutet, wird, wie gesagt, unter anderem hier sichtbar. Er hat seine Ideen wirklich in ganz, ganz schöner Weise umgesetzt. Sein wirklich unerschöpflicher Ideenreichtum und sein begnadetes Talent sind es, die dieses Kunst- und Kulturprogramm so vielseitig, so kreativ, aber - auf angenehme Weise, ohne erlaucht daher zu kommen - auch so anspruchvoll machen, ohne dass Menschen ausgeschlossen werden, die sich an der Begegnung mit Kultur erfreuen wollen. Ich denke, er hat also heute über seine Einführung hinaus einen wirklichen Beifall von uns allen verdient.

Jetzt steht in meinem Redetext, wem ich noch danken soll. Das tue ich auch wirklich, aber nicht nur all denjenigen, die sich administrativ verdient gemacht haben. Ich glaube, die Wichtigsten, bei denen man sich wirklich bedanken muss, sind diejenigen, die Kunst geschaffen haben. Denn ohne die stünden wir hier ziemlich arm da. Deswegen gilt all den Künstlerinnen und Künstlern, die mitgemacht haben und die großartige Werke geliefert haben, ein ganz herzliches Dankeschön dafür, dass sie sich so engagiert haben. Vielleicht bekommen sie auch eine Freikarte.

Ich soll jetzt noch darüber reden, dass Otto Schily dafür gesorgt hat, dass das Ganze auch bezahlt werden kann. Das lasse ich aber einmal weg. Das gehört sich an einem solchen Abend nicht. Ich soll darüber reden, dass es neben dieser Ausstellung natürlich noch viel mehr gibt. Das weiß ich. Über den Globus ist bereits geredet worden. Das ist wirklich toll. In meinem Redemanuskript steht noch, dass ihn 600.000 Menschen gesehen haben. Es sind, laut André , bereits 700.000, und es werden mehr; ich bin dessen sicher. Es ist einfach schön, das miterleben zu können.

Meine Damen und Herren, beim Kunst- und Kulturprogramm der Bundesregierung geht es nicht nur um den Fußball und die Faszination, die diese Sportart für viele von uns und natürlich für die meisten, die hier sind, ausübt. Es geht auch darum, dass wir den Gästen Deutschland kulturell und nicht nur als fußballbegeisterte Nation nahe bringen. Man kann sagen, dass sich das Medium Fußball wirklich gut dafür eignet. Fußball und Kunst begeistern Menschen über bestehende Grenzen, unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Sprachen und verschiedene Altersgruppen hinweg. In ihnen finden die Menschen eine völkerübergreifende gemeinsame Sprache, ein gemeinsames Verständnis füreinander, aber auch für die Sache, um die es geht.

Wir wissen alle, dass Fußball lange Zeit in so genannten gehobenen Kreisen, zu denen zu gehören sich manche - ich auch - bemüht haben, als "Proletensport", als einfache Form des Zeitvertreibs galt. Ich finde es gut, dass sich das geändert hat. Das Kunst- und Kulturprogramm, das wir hier vorstellen, macht dies auch für jedermann und jede Frau sichtbar. Man kann das auch lesen. Ich fand es schön: Ich habe etliches von dem, was André Heller gewürdigt hat, auch in den Betrachtungen lesen können. Dieses Programm und der Fußball insgesamt geben also bereits Anlass zu sehr differenzierten und sehr klugen Betrachtungen, die ich in den Zeitungen und Zeitschriften habe lesen können. Aber - auch das ist wichtig - Fußball ist Teil der Alltagskultur geblieben. Er ist darüber hinaus Thema der Literatur, des Films, aber eben auch der bildenden Kunst geworden, und das ist hier sichtbar.

Diese Bezüge zur bildenden Kunst gibt es nicht erst mit dieser Ausstellung. Es gibt sie schon sehr lange. Aber man muss hinzufügen: Bisher erschöpfte sich das überwiegend im Dokumentarischen. Jetzt ist eine neue Dimension hinzugekommen, und ich finde, dass es uns gut ansteht, dass wir miteinander dafür haben sorgen können. Die künstlerische Reaktion auf Fußball in den letzten zehn, fünfzehn Jahren ist also größer geworden. Eine Erweiterung der Palette betrifft die Medien, mit denen die Künstler arbeiten - hier ist es sichtbar: nicht nur Malerei, sondern auch Fotographie, Video, Installation - , und betrifft alle Formen der Kunst und vor allen Dingen die inhaltlichen Aspekte.

Die Ausstellung "Rundlederwelten" bietet die erste umfassende Bestandsaufnahme dieser erweiterten künstlerischen Rezeption, und nicht nur das: Die Ausstellung ist, das kann man sehen, nicht zuletzt eine Hymne an den Fußball, und das trotz einiger kritischer Aspekte, die sie aufgreift. Aber wenn man es ganz genau sieht: Diese Form der Kritik ist eigentlich Ausdruck höchster Zuneigung. Ich habe jedenfalls beschlossen, das alles in Zukunft so zu sehen. Das ist eine gute Perspektive; das müssen Sie zugeben.

Ich fand es schön, dass André Heller schon sehr Sensibles, Wichtiges und Richtiges zu Harald Szeemann gesagt hat, der leider gestorben ist und der diese Ausstellung sicherlich inspiriert hat. Ich möchte es auch nicht versäumen, den Angehörigen mein wirklich so empfundenes Beileid auszusprechen. Er war - das weiß jeder - ein herausragender Kurator und sicherlich einer derjenigen, der sich zurecht als einer der ganz wesentlichen Begründer eines wirklich modernen Ausstellungswesens haben bezeichnen können. Er hat eine klare Vision für diese Ausstellung entwickelt.

Aber ich finde, und auch das muss man sagen: Mit der jetzigen Kuratorin dieser Ausstellung, mit Ihnen, liebe Frau Strauss, ist jemand gefunden worden, der diese ursprünglich von ihm entwickelten Ideen auf sehr, sehr schöne Weise erweitert und hervorragend ins Werk gesetzt hat. Dafür, dass Sie das neben Ihrer so berühmten Arbeit gemacht haben, ganz herzlichen Dank!

Meine Damen und Herren, Fußball, das wird in dieser Ausstellung auf vielfältige Weise deutlich, ist wirklich nicht nur ein globales Sportphänomen, sondern auch ein globales Kulturphänomen. Ich finde, dass es für den Fußball, für die Ausstellung, für diejenigen, die sie machen, und für diejenigen, die Interesse daran haben, spricht, dass sich mehr als 60 renommierte internationale Künstlerinnen und Künstler engagiert haben. Nicht nur, aber auch, weil das so ist, bin ich sicher, dass es diese Ausstellung schaffen wird, Kunst- und Fußballfans enger zusammen zu bringen, was übrigens auch für die Aufnahme von Kunst ganz schön ist. Denn wenn man es schaffen könnte, diejenigen, die fußballbegeistert sind, und zwar möglichst alle, zu Kunstbegeisterten zu machen, dann wäre das ein Gewinn dieser Fußball-Weltmeisterschaft, der weit über den Sport hinaus ginge. Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass es so kommt.

Darüber hinaus wünsche ich Ihnen, die Sie heute hier sind, und denen, die diese Ausstellung noch sehen werden, viel Vergnügen und viele neue Perspektiven im Umgang mit der schönsten - für einige vielleicht nur der zweitschönsten - Nebensache der Welt. In diesem Sinne ganz herzlichen Dank Ihnen, Frau Strauss, und Ihnen allen, die das organisiert und die daran gearbeitet haben! Ganz herzlichen Dank den Künstlerinnen und Künstlern, und Ihnen allen einen wunderschönen Abend! Vielen Dank!