Redner(in): Christina Weiss
Datum: 20.10.2005

Untertitel: Kulturstaatsministerin Christina Weiss gratuliert auf der Frankfurter Buchmesse der Kurt Wolff-Stiftung zum fünfjährigen Bestehen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/44/905344/multi.htm


ich freue mich sehr, heute mit Ihnen "aus der Reihe zu tanzen". Wir feiern den Geburtstag der Kurt-Wolff-Stiftung, die mein Vorgänger Michael Naumann vor fünf Jahren gründete. Er hat dafür gesorgt, dass der Bund neben dem Börsenverein, dem Freistaat Sachsen und der Stadt Leipzig der größte Förderer dieser Stiftung ist. Und ich habe als Staatsministerin dafür Sorge getragen, dass die Mittel noch einmal verdoppelt werden konnten.

Dieses Geld ist zur Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene in Deutschland gut angelegt. Genau so wichtig ist es aber, dass unabhängige Verleger unter einem gemeinsamen Dach zusammenfinden. Ihre erste Aktion als "Kurt Wolff-Verlage" ist heute eine wunderbare Gelegenheit, um Meinungen und Erfahrungen, Wissen und Begeisterung aneinander weiterzugeben - gerade zwischen den verschiedenen Verlegergenerationen.

In den letzten Jahren ereignete sich eine Welle von Verlagsneugründungen. Unter teilweise haarsträubenden wirtschaftlichen Bedingungen operierten die Selbstausbeuter in WGs und Hinterhäusern und brachten doch schöne, wunderschöne Bücher heraus. Dennoch stellte man bald ernüchternd fest: Vermögen ist oft eher die Voraussetzung als das Ergebnis von Verlagsgründungen. Oft fehlt das Geld für teure Werbung, für den eigenen Stand hier auf der Buchmesse oder für die Mitgliedsbeiträge im Börsenverein. Verlegerische Leidenschaft reicht auch nicht immer aus, wenn es darum geht, besondere Bücher in den Sortimenten der großen Filialisten unterzubringen.

So neu wie diese Verlage sind ihre Probleme nicht. Klaus Wagenbach hat schon 1994, anlässlich seines 30. Verlagsjubiläums, gefragt: "Wie überlebt man gute Bücher?" Die Frage zielt auf den Umstand, wie man sich auch dann noch dauerhaft auf dem Buchmarkt behaupten kann, wenn der Zeitgeist sich ändert, die öffentliche Aufmerksamkeit nachlässt. Verlage wie Wagenbach oder Libelle, Rotbuch oder Merve, Transit oder Nautilus, Stroemfeld oder Maro haben in jahrelanger Arbeit Strategien entwickelt, um der Branchenkonzentration auch langfristig zu trotzen. Längst haben sie einen Kreis von Stammautoren um sich versammelt, die ihnen immer wieder hervorragende Manuskripte liefern, haben Vertriebs- und Werbemöglichkeiten erprobt.

Was manchen Neugründern an solch langjähriger Erfahrung und verlegerischem Know-How fehlen mag, machen die Jüngeren dagegen oft durch einen selbstverständlicheren Umgang mit Internetliteratur oder CD-Rom-Publikationen wett. Ihnen fällt es mitunter leichter, auf neue Entwicklungen in der Medienlandschaft zu reagieren; wie leicht gelingt es ihnen oftmals, die neuen, digitalen Medien mit dem Medium Buch zusammenzuführen, anstatt sie als Konkurrenz zum gedruckten Wort zu betrachten. Ich spreche da nicht nur von schicken Auftritten im Internet. Viele der jüngeren Verlage orientieren sich auch mit ihren Programminhalten stark medienübergreifend, arbeiten eng mit Musikern und Bands, mit Grafikern, aber auch mit Internetplattformen oder Webdesignern zusammen; so finden sie ganz neue Wege für die Büchermacher des 21. Jahrhunderts. Ich denke hier besonders an das Netzwerk Kook, aus dem vor anderthalb Jahren der Verlag Kookbooks hervorging, aber auch an das Label Lauter Niemand oder das Internetportal satt.org

Hier können Ältere und Jüngere viel voneinander lernen. Natürlich machen sie sich auch Konkurrenz - aber doch nur insofern, als diese bekanntlich das Geschäft belebt. Natürlich muss jeder von Ihnen seinen eigenen Mittelweg finden zwischen der notwendigen Einbindung in vorhandene Branchenstrukturen und der Wahrung seiner Unabhängigkeit. Ich weiß, wie schwierig das in Zeiten der zunehmenden Verlagskonzentration ist.

Ihre Stärke kann aber in der Gewissheit liegen, dass die wirklich guten Bücher in einem ganz anderen Sinn reich machen. Ihr Kapital ist nicht in erster Linie ein finanzielles; sondern es ist Ihre verlegerische Kühnheit, der Mut zum Experiment und zu ungewöhnlichen, speziellen Themen; zu den nur scheinbar abgelegenen Inhalten.

Wie oft hat sich die Literatur des 20. Jahrhunderts in Verlagen wie Ihren erneuert. Denken Sie an Lawrence Ferlinghetti. Mit seinem Kleinverlag City Lights Books wurde er Ende der 50er Jahre zum Vorbild vieler kleiner Verlage in den Vereinigten Staaten. Denken Sie auch an Nabokovs "Lolita" : Sie erschien vor 50 Jahren bei Olympia Press und wurde ein Welterfolg. Ermutigend ist aber auch das Beispiel des Verbrecher Verlags: 1995 veröffentlichten sie ihr erstes Buch "Cordula killt dich oder: Wir sind doch nicht die Nemesis von jedem Pfeifenheini." von Dietmar Dath. In diesem Jahr feiert der Verlag seinen 10. Geburtstag. Dass sie nun auch erstmals einen eigenen Stand in Frankfurt haben, zeigt, dass auch die "Verbrecher" ihre Nische gefunden und behauptet haben. Herzlichen Glückwunsch!

Als Kurt Wolff-Verlage steht nunmehr keiner von Ihnen als Einzelkämpfer da. Nutzen Sie Ihre gemeinsame Öffentlichkeit dafür, dass möglichst viele, möglichst unterschiedliche unabhängige Verlage auf Dauer eine Nische finden zwischen den mehr als 21 000 Buchhandlungen und Verlagen, die es in Deutschland gibt. Tanzen Sie möglichst wild aus der Reihe. Hoffentlich hilft Ihnen die heutige Veranstaltung, dafür eine gemeinsame Choreographie zu finden.