Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 24.10.2005

Anrede: Lieber Herr Irwin, verehrter Herr Botschafter, verehrte gnädige Frau, vor allen Dingen lieber Herr Immelt, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/25/907425/multi.htm


Ich finde, Herr Irwin, dass Sie sich keinen besseren Ort für diese Veranstaltung hätten aussuchen können. Zum einen befinden wir uns mitten im Herzen von Berlin, also der Stadt, die wie keine andere Stadt in Deutschland als Symbol für enge deutsch-amerikanische Freundschaft steht. Freundschaft heißt ja nicht, dass man immer einer Meinung ist, sondern Freundschaft heißt, dass man eine feste gemeinsame Basis hat, und zwar in der Politik ausgehend von unverrückbaren gemeinsamen Werten. Auf dieser Basis finde ich, dass man gerade mit Amerika, mit Amerikanerinnen und Amerikanern hart, deutlich, aber auch immer freundschaftlich reden kann. Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb es schön ist, hier zu sein. Die Exponate in diesem Museum erinnern durchaus an die Anfänge des Unternehmens für das Jeff Immelt in besonderer Weise steht. Zwei Männer haben für den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt auf diesem Sektor eine besondere Bedeutung gewonnen. Es sind Werner von Siemens auf der einen Seite und Thomas Edison auf der anderen Seite. Aus dem Forschungsdrang der beiden entstanden zwei große bedeutende Unternehmen auf unseren Kontinenten. Ich glaube, auf beide - und dass muss man an diesem historischen Ort sagen - können wir stolz sein. Beide Unternehmen stehen weltweit für modernste Technologie: für Kraftwerke, Spitzenmedizin, Datenverarbeitung und Transportinfrastruktur. Sie stehen im Übrigen auch für Finanzdienstleistungen in einem Maße, das schon beachtenswert ist. Im Übrigen denke ich, dass Sie gespürt haben, dass Sie auf den Märkten der Welt nicht nur Wettbewerber, sondern auch zu großen Teilen Partner sind.

In Deutschland - und wir finden das gut - blickt General Electric auf eine 80 Jahre lange und durchaus erfolgreiche Tradition zurück. Es ist eine, die Sie insbesondere wieder belebt haben. General Electric ist damit ein gutes Beispiel für die traditionsreichen transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen, die für uns weit über das Ökonomische hinaus immer eine besondere Qualität hatten. Ich fand es gut und schön, dass ich, als ich hierher gekommen bin, große Flächen gesehen habe, auf denen sich General Electric mit dem Thema Zukunft befasst. Es macht z. B. deutlich, wie wichtig es ist, auf erneuerbare Energien zu setzen. Das ist durchaus aktuell in der politischen und ökonomischen Diskussion in Deutschland. Es macht deutlich, dass ein solches Unternehmen begreift, dass es ganz falsch wäre, Ökonomie und Sensibilität für die natürlichen Lebensgrundlagen gegeneinander auszuspielen. Wenn ökonomischer Fortschritt nachhaltig sein soll, ist er nur möglich, wenn man beides miteinander vereinbart.

Geprägt wurde dieses Unternehmen natürlich durch Menschen. Sie haben, verehrter Herr Immelt, General Electric vom wirklich legendären Jack Welch übernommen. Obwohl dies kaum möglich erscheint und viele das nicht vermutet haben, haben Sie das Unternehmen noch schlagkräftiger, noch moderner, noch wettbewerbsfähiger gemacht. Gleichzeitig haben Sie einen sehr großen Beitrag zu den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und den USA geleistet. Aber nicht nur das: Sie sind uns, den Deutschen, in Freundschaft verbunden. Wir mögen das und wissen das sehr zu würdigen. Für Sie galt immer, dass gute Handels- und Wirtschaftsbeziehungen ein festes Fundament gerade auch für politisch unruhige Zeiten sind. Unter Ihrer Verantwortung hat sich General Electric entschlossen, stärker als jemals zuvor in Deutschland zu investieren, und zwar zu einem Zeitpunkt, als über den Standort Deutschland mehr lamentiert als debattiert worden ist. In dieser Zeit, als noch nicht ganz klar war, wie gut wir geworden sind, haben Sie in Garching buchstäblich den Spaten selber in die Hand genommen, um dieses Forschungsinstitut zu gründen. Bereits ein knappes Jahr später wurde das neue europäische Forschungslabor von General Electric eröffnet.

Angesichts der kurzen Bauzeit - elf Monate vom ersten Spatenstich bis zur Eröffnung der Forschungseinrichtungen - scheint das auch gar nicht so schlecht gewesen zu sein, was die Schnelligkeit von Entscheidungen in Deutschland anging. Wir sind vorangekommen. Ich denke, auch das kann man sehr selbstbewusst und ohne jeden Anflug von Überheblichkeit sagen. Mich freut jedenfalls sehr, was geleistet worden ist. Ich bin durchaus stolz darauf, dass sich General Electric trotz anderer ebenfalls attraktiver Standorte in Europa für die Investition in Deutschland entschieden hat. Dieser Schritt zeig im Übrigen auch - auch das ist Anlass zu Selbstbewusstsein - , dass Deutschland als Forschungsstandort wahrlich zur Weltspitze gehört. Es zeigt aber auch, dass das Investitionsklima in unserem Land stimmt. Wer ohne Vorurteile auf unser Land schaut, erkennt, dass wir den Vergleich mit konkurrierenden Standorten in Europa, aber auch darüber hinaus wahrlich nicht zu scheuen brauchen. Sie befinden sich, lieber Jeff Immelt, übrigens mit Ihrer Entscheidung in guter Gesellschaft: Wir haben z. B. vor zehn Tagen mit AMD in Dresden eine Chip-Fabrik eröffnet. Das ist auch eine Investition, die man vor ein paar Jahren in Deutschland so nicht für möglich gehalten hätte, die sich aber für das Unternehmen im wahrsten Sinne des Wortes auszahlt. Das ist durchaus auch betriebswirtschaftlich gemeint. Mich freut natürlich, dass inzwischen auch international beachtete Wirtschaftszeitungen, die mit Deutschland gelegentlich das eine oder andere Problem hatten, wie z. B. der "Economist", deutlich machen, dass wir keinen Vergleich mit dem Ausland zu scheuen brauchen, was unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit angeht.

Wir sind - und darauf sind wir durchaus stolz - im Export die Besten und besser als alle anderen. Wir müssen nachziehen, was die Binnenkonjunktur und den Binnenmarkt angeht. Aber die Tatsache, dass wir ungeachtet dessen, dass wir rund 4 % unseres Bruttoinlandsprodukts jährlich - und das ist bis zum Jahr 2019 vereinbart - von West nach Ost transferieren, trotzdem auf den Märkten der Welt real Marktanteile gewinnen, sagt etwas über die Kraft der deutschen Volkswirtschaft und keineswegs über die gelegentlich beleuchtete Schwäche aus. Trotz dieser beachtlichen Erfolge - und davon bin ich überzeugt - muss der begonnen Reformprozess in Deutschland fortgesetzt werden. Ich zweifle auch nicht daran, dass die neue Bundesregierung diesen Prozess konsequent fortsetzen wird.

Das gilt übrigens auch - und deswegen habe ich mich über diese Großplakate von Ihnen gefreut - für die eingeleitete ökologische Modernisierung unserer Wirtschaft. Um nur ein Beispiel zu nennen: Gerade die Energiepreise, mit denen wir konfrontiert werden, zeigen doch, dass es wichtig und richtig ist, so wie Sie nicht allein, aber eben auch auf erneuerbare Energien zu setzen. Wer, wenn nicht die entwickelten Länder der Welt, sollen Vorreiter sein? Wir müssen das auch tun, um den Entwicklungsländern mehr an Möglichkeiten für ihre eigene Entwicklung zu geben. Sie, lieber Jeff Immelt, haben früh erkannt, dass Ökologie und Ökonomie keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille sind. Was gut für die Umwelt ist, ist immer häufiger auch gut für das Geschäft. Umweltfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit sind die Kennzeichen innovativer Produkte und Verfahren in der Gegenwart, aber erst recht in der Zukunft. Auch unter diesen Kriterien wird im europäischen Forschungslabor bei Ihnen in München geforscht, und zwar, wie Sie betonen, von "den besten Köpfen der Welt". Deutschlands Ressourcen der Zukunft - und wir wissen das - liegen in den Köpfen der Menschen. Deswegen sind Sie bei uns richtig aufgehoben. Wir können und müssen internationaler werden. Dabei helfen Sie auch mit Ihrem Unternehmen und mit den Menschen, die aus anderen Ländern und anderen Kulturen zu uns kommen, um in den Wettbewerb der "besten Köpfe" einzugreifen. Wir möchten alles daran setzen, dass auch künftig Firmen wie Ihre, verehrter Herr Immelt, wie General Electric also, sich für unseren Standort entscheiden, weil sie hier die Mitarbeiter finden, die sie zur Entwicklung ihrer innovativen Produkte brauchen.

Wir sind - und auch darauf sind wir stolz - bei den internationalen Patenten führend. Das gilt auch für die Wissenschaftseinrichtungen, die Sie brauchen, um enge Zusammenarbeit mit ihnen zu pflegen. In wichtigen Schlüsseltechnologien der Bio- und Nanotechnologie und auch der Energieforschung sind deutsche Forscher weltweit Spitze. Auch das ist gut und zeigt, dass Sie richtig entschieden haben. Wir können noch besser werden. Wir wollen das auch und werden uns anstrengen. Das ist einer der Gründe, warum in den beginnenden Koalitionsverhandlungen vereinbart worden ist, dass wir die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in dieser Dekade bzw. jedenfalls zum Ende der Dekade auf 3 % bringen. Das ist unter den großen Industrienationen Europas wirklich gut. Im Vergleich zu kleineren Nationen ist das noch nicht die Spitzenleistung, aber wir müssen dahin kommen. Ich glaube, wir haben auch eine Chance, dahin zu kommen.

Deutschland und die USA - es gilt, das aus aktuellem Anlass zu sagen - haben sich stets nachdrücklich für den Ausbau des Welthandelssystems eingesetzt. Heute ist unser zentrales gemeinsames Ziel der erfolgreiche Abschluss der Doha-Welthandelsrunde. Wie die USA verspricht sich insbesondere Deutschland durch eine weitere Liberalisierung der Waren- und Dienstleistungsmärkte einen weiteren Anschub, was Beschäftigungsmöglichkeiten angeht. Dass das auch sensibel gemacht werden muss, was die sozialen Fragen angeht, lässt sich regeln. Darauf werden wir achten. Es kommt aber jetzt darauf an, dass wir in Hongkong weiter kommen. Das hat übrigens auch mit dem Agrarsektor zu tun, wo die Amerikaner Vorschläge gemacht haben, die sich hören lassen können. Sie müssen noch besser werden. Aber die Europäer müssen auf diese antworten. Für uns, für die Europäer, verhandelt die Europäische Kommission. Sie muss in Stand gesetzt werden so zu verhandeln, dass die Agrarmärkte insbesondere für die Länder der Dritten Welt bei uns offener werden und sie im Gegenzug ihre Märkte in ihrem eigenen Interesse für Produkte aus unseren Ländern weiter öffnen können. Ich glaube, dass wir dafür sorgen müssen, dass insbesondere die USA und Europa hier gemeinsame Positionen entwickeln. Davon sind wir noch ein bisschen entfernt, was aber nicht heißt, dass man das nicht erreichen könnte.

Meine Damen und Herren, wir wissen - und darauf ist hingewiesen worden - , dass unsere beiden Länder seit langem gemeinsame demokratische Grundwerte und Überzeugungen, geschichtliche Erfahrungen und gemeinsame kulturelle Traditionen verbinden. Unsere enge Verbundenheit basiert auch auf dem Prinzip gegenseitiger Solidarität. Das ist ein Prinzip, das sich wechselseitig als durchaus belastbar erwiesen hat, und zwar unabhängig von gelegentlichen Unterschieden in der aktuellen Politik. Das haben Deutsche insbesondere dann gespürt, als es während des Kalten Krieges um praktizierte Solidarität aus Amerika ging. Ich hoffe, wir haben nach den Terroranschlägen im Jahre 2001 ein bisschen Solidarität zurückgeben können und konnten deutlich machen, dass wir gemeinsam denen, die diese Terroranschläge verübt haben, entgegengetreten sind, und zwar in Afghanistan im Rahmen von "Enduring Freedom". Ich bin ganz sicher, das wird so bleiben. Wir haben das auch - wir hätten noch mehr leisten können, aber Amerika ist ein großes und starkes Land und hat das dann selber gepackt - während der schrecklichen Wirbelsturmkatastrophe im Süden der USA gezeigt. Ich glaube, man kann sagen: Wir wissen, dass wir aufeinander angewiesen sind und dass wir uns aufeinander verlassen können.

Meine Damen und Herren, Jeff Immelt hat ohne Zweifel einen großen Beitrag zur deutsch-amerikanischen Freundschaft geleistet. Ich hoffe persönlich sehr, dass er uns auch künftig gewogen bleibt, denn der "Partnership Award" der amerikanischen Handelskammer ist beides: Er ist zum einen eine Anerkennung für bereits geleistetes, also für erworbene Verdienste. Aber dieser Preis wird auch als Ansporn dafür verliehen, die deutsch-amerikanische Beziehungen weiter zu festigen und sie auszubauen, wo immer das möglich ist. In diesem Sinne haben Sie noch viel vor sich. Ich hoffe, dass Sie auch noch viel vor haben. Ich aber, meine Damen und Herren, freue mich sehr, dass die Jury einen so würdigen Preisträger wie Sie, lieber Jeff Immelt, ausgewählt hat. Sie haben es wirklich verdient, denn - und lassen Sie mich das auch sehr persönlich sagen - Sie vereinen große Kenntnisse in der Ökonomie und großes Durchsetzungsvermögen, was Sie auch in Ihrem Unternehmen brauchen, mit feinsinnigem Humor und einer sehr, sehr menschlichen und sympathischen Ausstrahlung, wie ich gelegentlich habe erfahren können. Nicht zuletzt deshalb hat die Jury eine gute und richtige Wahl getroffen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.