Redner(in): k.A.
Datum: 31.10.2005
Untertitel: Auf einem Naturschutz-Symposium der Michael-Otto-Stiftung in Hamburg hat Bundesumweltminister Jürgen Trittin auf die verheerenden Folgen der globalen Erwärmung für die Ökosysteme und die Vielfalt der Arten hingewiesen.
Anrede: Sehr geehrter Herr Otto, lieber Olaf Tschimpke, sehr geehrter Herr Prof. Leuschnermeine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/31/910031/multi.htm
Naturschutz durch Klimaschutz, Hamburg, 31. 10. 2005
Der Klimawandel ist inzwischen global Realität. Wir alle erleben ihn im eigenen Land - aber schlimmer noch sucht er die Menschen gerade in den armen Ländern des Südens heim. Ergebnisse der Klimaforschung sind inzwischen sogar zur Schlagzeile in der BILD-Zeitung geworden. Doch die Erfahrung mit Katrina oder Wilma, der unübersehbare Rückgang der Alpengletscher wie der Verlust an Grönlandeises verdecken eher die Komplexität des Klimawandels.
Erst wenn wir uns einen Lebensraum genau anschauen, erkennen wir das Ausmaß des Klimawandels und die Vielfältigkeit seiner Auswirkungen. Deshalb freue ich mich, dass die Michael Otto Stiftung dieses Symposium zum 20-jährigen Jubiläum des Nationalparks Wattenmeer dem Zukunftsthema Klimawandel und Naturschutz widmet. Denn das hochsensible Ökosystem Wattenmeer und der Küstenschutz werden vom Klimawandel besonders stark betroffen.
Übermorgen findet die zehnte gemeinsame Konferenz der niederländischen, dänischen und deutschen Umweltminister zum Schutz des Wattenmeers statt. Auf der Agenda stehen auch Klimawandel, Natur- und Küstenschutz. Deutschland wird 2006 den Vorsitz der trilateralen Wattenmeerkooperation übernehmen. Wir haben bereits im Vorfeld vereinbart, dass die trilaterale Zusammenarbeit der nächsten Jahre sich auf Anpassungsstrategien für das Wattenmeer an die Auswirkungen des Klimawandels konzentrieren soll. Die Arbeitsgruppe "Küstenschutz und Meeresspiegelanstieg" untersucht bereits seit einigen Jahren intensiv Auswirkungen des Klimawandels auf das Wattenmeer. Die Arbeitsgruppe wird gezielte Vorschläge für konkrete, nachhaltige Anpassungsmaßnahmen entwickeln, z. B.
die Integration von Küstenschutz in die Raumplanung unddie Wirksamkeit umweltverträglicher Sandaufspülungen an der Wattenmeerküste. Bisher nehmen wir vor allem wahr, welche Auswirkungen der Klimawandel auf uns Menschen hat. Über Ernteeinbußen und vor allem Flutkatastrophen wird in den Medien breit berichtet. Aber auch die Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt sind gravierend und betreffen uns Menschen massiv. Inzwischen gibt es belastbare Klimamodelle. Die Vegetationsgürtel werden sich nach Norden bzw. in höher gelegene Gebiete verschieben. Der Verlust von Gletschern undder Anstieg des Meeresspiegels verändern Lebensräume. Ob alle Arten gleichermaßen mit diesen Veränderungen mithalten können, ist fraglich.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur fortschreitenden Klimaänderung und ihrer Folgen werden immer zuverlässiger. Klimaforscherinnen und Klimaforscher müssensich korrigieren, nicht weil sie den Klimawandel über- , sondern weil sie ihn unterschätzt haben. Das International Panel on Climate Change stellte fest, dass natürlicheSysteme besonders anfällig sind, und dass einige durch die Klimaänderung irreversibel geschädigt werden. Diese Risiken beginnen nicht erst bei einer Erwärmung um mehr als 2 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten. Einige schwere Schädigungen und Verluste treten bereits viel früher ein.
Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung hat festgestellt, dass eine globale Klimaerwärmung von mehr als 2 Grad Celsius die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen massiv zerstören würde. Das damit einhergehende Artensterben wäre verheerend. Denken Sie nicht nur an beliebte Großtiere wie Eisbären oder Walrösser, sondern auch an die Wattwürmer, die eine große Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Wattenmeeres haben.
Der Klimawandel bedroht in besonderem Maße global wertvolle Ökosysteme in Küstenfeuchtgebieten. Wie das Wattenmeer. Bei einer Erwärmung um mehr als 2 Grad droht das Abschmelzen des gesamten Grönlandeises. Dann würde der Meeresspiegel langfristig - über mehrere Jahrhunderte - um weitere sieben Meter ansteigen. Was bliebe dann von der einzigartigen Artenvielfalt und Schönheit des Wattenmeeres? Was bliebe von Hamburg?
Wir erleben gerade eine Dürrekatastrophe im Amazonasgebiet. Die Dürre offenbart, dass die Zerstörung des Regenwaldes noch stärker voran geschritten ist, als wir befürchtet haben. Bei einer Erwärmung um mehr als 2 Grad droht auch das riesige Ökosystem des Amazonas-Regenwaldes abzusterben.
Das hätte erstens enorme Konsequenzen für den Wasserhaushalt in Südamerika, zweitens würden noch mehr Treibhausgase in die Atmosphäre freigesetzt, aus einer Senke würde eine Quelle von Treibhausgasen und drittens verlöre die globale Klimabalance einen wichtigen Pfeiler - den wir wiederum hier spüren würden. Der Klimawandel ist für die biologische Vielfalt eine Zeitbombe. Die biologische Vielfalt ist eine existentielle Grundlage für das menschliche Leben. Eine intakte Natur ermöglicht heutigen und künftigen Generationen eine hohe Lebensqualität.
Aber Klimaschutz ist nicht nur notwendig für die Erhaltung der biologischen Vielfalt, sondern Naturschutz trägt umgekehrt zum Klimaschutz bei. IntakteÖkosysteme tragen z. B. innerhalb des Wasserkreislaufs und des Strahlungshaushalts zur Regulierung des Klimas bei. Viele Ökosysteme sind natürliche CO2 -Senken. Dagegen setzen der Raubbau an Wäldern, die Trockenlegung von Sümpfen und Mooren oder die Ausdehnung von Äckern auf kohlenstoffreiche Böden klimaschädliche Gase frei.
Die Bundesregierung hat deshalb in den vergangenen Jahren sowohl den Klimaschutz als auch den Naturschutz entscheidend vorangebracht. National undinternational. Ich denke insbesondere an den Weltgipfel von Rio: an das Übereinkommen über die biologische Vielfalt und die Klimarahmenkonvention. Deutschland hat bei beiden Konventionen eine führende Rolle übernommen und durchgreifende Erfolge erzielt
Zuerst zum Naturschutz:
Wir haben die wertvollen Naturschutzflächen in Ostdeutschland bewahrt. Heute geht es darum, die Flächen vom Grünen Band bis zur Grenzheide auch über eine Stiftung zu sichern. Wir haben noch in der zweiten Septemberwoche diesen Jahres 200.000 Hektar Ostsee und 300.000 Hektar Nordsee in der Zone ausschließlicher wirtschaftlicherNutzung unter Schutz gestellt.
Wichtig war uns daneben aber vor allem eines: Wir haben Naturschutz zur Querschnittsaufgabe gemacht - ihn aus der Nische der Sonntagsreden geholt:
Ich denke an das Bundesnaturschutzgesetz, das Naturschutz und nachhaltige Naturnutzung entscheidend voranbringt. Mit dem Gesetz zum Vorbeugenden Hochwasserschutz haben wir Flüssen und Flusslandschaften mehr Raum zur Entwicklung gegeben. Der Bundesverkehrswegeplan ist heute naturverträglicher ausgerichtet als früher - rund 700 von 2000 Verkehrsprojekte wurden so umgeplant oder fallen gelassenWir haben die Agrarwende durchgesetzt und damit den Anreiz gemindert, zu Lasten der Natur zu produzieren. Wir haben den Flächenverbrauch vermindert ( von 130 ha / Tag auf 93 ha / Tag, 2003 ) - aber das Ziel von 27 ha / Tag in 2015 will noch erreichtwerden. Wir haben vor zwei Monaten eine Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt vorgelegt. Sie formuliert Leitbilder, Ziele und Maßnahmenfür Naturschutz und nachhaltige Naturnutzung - auch im Hinblick auf denKlimawandel. Deutschland hat sich international erfolgreich für Naturschutz stark gemacht:
Die Agenda des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg formuliert als ein wichtiges Ziel, die Verlustrate der biologischen Vielfaltbis zum Jahre 2010 signifikant zu reduzieren. Auf meine Initiative hat die Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt 2004 beschlossen, ein weltweitesSchutzgebietsnetz aufzubauen. Nun zum Klimaschutz:
Neben dem Naturschutz sind die Energiewende und der Klimaschutz Leuchttürme der rotgrünen Regierungszeit. National wie international. Die Bundesregierunghat sich in der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie verpflichtet, die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Die Energiewende in Deutschland umfasst alle Bereiche:
Ausstieg aus der Atomenergie, Energieeinsparung, Verbesserung der Energieeffizienz, Förderung der erneuerbaren Energien. Wir haben uns im Erneuerbare- Energien-Gesetz verpflichtet, bis zum Jahr 2020 mindestens 20 Prozent der Stromversorgung mit erneuerbaren Energien zu produzieren. Bis 2050 soll sich die Hälfte der gesamten Energieversorgung aus erneuerbaren speisen. International haben wir uns für zwei Meilensteine erfolgreich engagiert:
für die renewables2004 in Bonn. Sie hat den weltweiten Einstieg in erneuerbare Energien fundiert, und für das Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls in diesem Jahr. Es ist das bedeutendste internationale Umweltabkommen und ein Paradigmenwechsel in der internationalen Umweltpolitik: Erstmals gibt es völkerrechtlich verbindliche Obergrenzen für Treibhausgasemissionen. Wir haben mit dem Emissionshandel ein neues Instrument der Umweltpolitik entwickelt und realisiert, das trotz der Haltung der Bush-Administration in einzelnen US-Bundesstaaten auf großes Interesse stößt. Deutschland ist verpflichtet, im Zeitraum 2008 bis 2012 insgesamt 21 Prozent weniger klimaschädliche Gase zu produzieren als 1990. Knapp 19 Prozentpunktehaben wir bereits erreicht. Wir sind damit Vorreiter innerhalb der EU. Die Bundesregierung hat im Nationalen Klimaschutzprogramm 2005konkrete Minderungsmaßnahmen für die Sektoren beschlossen, die nichtam Emissionshandel teilnehmen. Die Kernfrage des Klimaschutzes, insbesondere wenn wir sie im Zusammenhang mit Naturschutz stellen, ist: mitigation or adaptation - also Minderung oder Anpassung? Ist es vordringlicher und nachhaltiger, primär Zeit, Geld und Know- How in die Reduzierung der Klimagase zu investieren - oder ist es besser, sich auf Anpassungsstrategien zu konzentrieren?
Wir müssen beides tun. Aber im Bewusstsein, dass wir rasche Erfolge bei der Reduzierung der Klimagase brauchen, damit Anpassungsleistungen nicht auf verlorenem Posten stehen. Anpassung ist im Grunde nur Schadensbegrenzung für kurze Zeit. Wenn das Grönlandeis schmilzt, ist unser Wattenmeer verloren. Trotz künstlicher Sandbänke.
Der Klimawandel wirft auch und gerade für den Naturschutz wichtige Fragen auf:
Führt der bisherige Gebietsschutz angesichts prognostizierter Arealverschiebungen durch die globale Temperaturerhöhung noch zum Ziel? Können wir die Managementpläne für den Nationalpark Wattenmeer mit Blick auf den steigenden Meeresspiegel anpassen? Kann Naturschutz noch besser zur Prävention von Hochwasserschäden durch Extremwetter beitragen? Was bedeutet der Klimawandel zum Beispiel für wandernde Tierarten? Wie können wir im Rahmen des Übereinkommens zur Erhaltung wandernder Tierarten darauf reagieren? Das Bundesumweltministerium will bis 2008 eine Konzeption "Naturschutz und Klimawandel" entwickeln. Wir wollen dabei die Herausforderung in all ihrenDimensionen analysieren und integrierte Lösungsvorschläge vorlegen.
Der Erfolg dieser Konzeption wird jedoch auch davon abhängen, dass wir die Beschleunigung des Klimawandels verlangsamen und die globale Erwärmung aufhalten. Die Europäische Union verfolgt das Ziel, die globale Erwärmung unter der 2-Grad-Marke zu halten.
Auf Minderungsziele herunter gebrochen fordert die 2-Grad-Marke:
den Anstieg der globalen Emissionen in den nächsten 10 - 20 Jahren zu stoppen. Das ist ein unbedingtes Muss, die Industrieländer müssen dafür bis 2020 zwischen 15 bis 30 Prozent ihrer Emissionenminderndie globalen Emissionen bis 2050 auf die Hälfte des Wertes von 1990 zusenken. Um solche Minderungsziele faktisch erreichen zu können, brauchen wir eine zweite Verpflichtungsperiode im Rahmen des Kyoto-Protokolls. Eine Emissionsobergrenzeist der bestmögliche Anreiz für Einsparung und zugleich das Dach für kostengünstige flexible Instrumente. Die 2-Grad-Marke ist unsere Richtschnur für die Verhandlungen über Kyoto-II. Die erste endet 2012. Die Verhandlungen über Kyoto-II beginnen auf der Vertragsstaatenkonferenz im November und Dezember in Montreal.
Die Fortentwicklung des Klimaregimes im Rahmen des Kyoto-Prozesses bietet auch wichtige Chancen, Synergieeffekte zwischen Naturschutz und Klimaschutz optimal zunutzen. Ein großes Potenzial, das beim Kampf gegen den weltweiten Klimawandel nicht unberücksichtigt gelassen werden darf, liegt bei den Wäldern. Wälder werdenseit 2002 als CO2 -Senken im Rahmen des Kyoto-Protokolls begrenzt angerechnet. Aber Wald ist nicht gleich Wald. Es geht nicht nur um Quantität, sondern auch um ökologische Qualität. Die Regeln für Waldprojekte in Ländern des Südens liegen inzwischen vor. Wir müssen die Klimaschutzbilanz des einzelnen Waldes erhöhen und zugleich der Entwaldung entgegenwirken. Das wirkt sich gleichzeitig positiv auf den Erhalt der Arten aus.
Die Senkenwirkung von Wäldern muss dauerhaft gewährleistet sein. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass Anreize zur Neuschaffung von Senken nicht zur Entwaldung anreizen. Es muss dabei berücksichtigt werden, dass die Bindung von CO2 in Wäldern oder anderen Ökosystemen nicht langfristig gesichert werdenkann. Gerade die Anrechnung von Senken kann auch zu einem fehlenden Fokus auf nachhaltige Nutzung der Wälder und geringerem Schutz der biologischen Vielfalt führen. Hier müssen Lösungen gefunden werden, die zu einer doppelten Dividende führen. Neben hohen ökologischen Qualitätsstandards müssen Aufforstungsprojekteauch soziale Standards, d. h. vor allem die Bedürfnisse der jeweiligen lokalen Bevölkerung berücksichtigen.
Am Beispiel Wald zeigt sich, wie wichtig eine enge Zusammenarbeit zwischen der Klimarahmenkonvention und dem Übereinkommen über die biologischeVielfalt ist. Im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention im November und Dezember dieses Jahres in Montreal wird hierzu mit demgleichzeitig tagenden wissenschaftlichen Ausschuss des Übereinkommens über die biologische Vielfalt ein gemeinsames Treffen durchgeführt werden. Ich begrüße das sehr, denn es ermöglicht, Synergieeffekte zwischen Klimaschutz und Naturschutz umfassender zu nutzen als bisher.
Katrina und Wilma haben uns gerade wieder gezeigt, dass wir beim Thema Naturschutz und Klimawandel national wie international erst am Anfang stehen. Am Beginndes Klimawandels - und in der ersten Phase des Klimaschutzes. Wir werden zur Bewältigung der Herausforderungen noch viel zu forschen haben.
Aber vor allem werden wir vorbeugend handeln müssen. Minderung jetzt ist eine Chance, Anpassungskosten morgen zu vermeiden.
Dafür wünsche ich uns allen viel Erfolg! Davon hängt viel für die Zukunft des Wattenmeers ab.