Redner(in): Michael Naumann
Datum: 17.03.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/47/11847/multi.htm


Stuttgarter Zeitung: Wie ist es denn so für den deutschen Kulturstaatsminister, wenn er von der quirligen, glanzvollen Hauptstadt in die Provinz kommt?

Naumann: Diese Trennung zwischen Metropolenkultur und regionaler Kultur macht keinen Sinn. Bedeutende Teile unserer Kultur im zwanzigsten Jahrhundert sind in der sogenannten Provinz entstanden.

Dennoch befürchten viele, dass die neue Hauptstadt Berlin in Zukunft wichtige kulturelle Kräfte auf sich konzentrieren wird und dass der Rest des Landes früher oder später verödet.

Auf Grund unserer spezifischen Geschichte und Tradition besteht keine Gefahr, dass Deutschland jemals wieder ein zentralistisch regiertes Land wird, in dem sich alles auf einen einzigen Ort konzentriert. Im übrigen kann Berlin nichts dafür, und auch die Politiker dort sind nicht dafür verantwortlich, dass es nun einmal das größte deutsche Ballungszentrum ist. Und das bedeutet zwangsläufig, dass auch die kulturellen Bedürfnisse - und auch einige Angebote - dort größer sind als anderswo.

Wird es die wichtigen Künstler und Intendanten nicht doch früher oder später alle in die Metropole ziehen, so dass für die Provinz nur noch die undankbare Rolle des Sprungbretts übrig bleibt?

Den einen wird es in die Metropole ziehen, den anderen nicht. Die Kommunen im Westen sind finanziell ja wesentlich besser ausgestattet und haben für ihre Bürger auch ein außerordentliches kulturelles Umfeld geschaffen. Die Oper in Stuttgart ist zum zweiten Mal hintereinander zum Opernhaus des Jahres gekürt worden. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass es das schon mal vorher gegeben hat. Und im übrigen dürfte die Berliner Anziehungskraft auf die großen Regisseure und Intendanten angesichts der dortigen Etatnöte vorläufig gedämpft sein.

Die Schaffung Ihres Amtes ist von den Kulturministern der Länder mit Argwohn und Kritik begleitet worden. Wie klappt denn inzwischen die Zusammenarbeit?

Die ganze Debatte um mein Amt war eine rein verfassungstheoretische Diskussion. In der nun anderthalbjährigen Praxis hat es keinen realen Konflikt gegeben.

Auch nicht mit dem Berliner Senat?

Auch nicht in Berlin. Diejenigen, die in den Ländern für die Kulturarbeit zuständig sind, betreiben ihre Arbeit meistens ohne parteipolitische Nebentöne. Es gibt ja keine sozialdemokratische Oper und keine christdemokratische Tragödie - obwohl, Letztere gibt es inzwischen, aber die ist hoffentlich bald vorüber. Jedenfalls existiert zwischen den Kulturministern der Länder und dem Staatsminister für Kultur eine von der Sache her gebotene Solidarität gegenüber den Finanzministern. Jenseits aller Verfassungstheorie kommt es einfach darauf an, was der Bund für die Länder und die Kommunen finanziell leisten kann. Da hat der Bund einiges anzubieten. Und schließlich finden all die Objekte und Projekte, die wir fördern, in den Ländern und Kommunen statt und nicht in einem abstrakten Gebilde namens Bund.

Grasen wir doch einfach mal ein paar Themen ab, wo vielleicht doch der eine oder andere Streit droht oder gar schon tobt. Vor einem halben Jahr hieß es, Sie wollten die Akten der Zentralstelle für Aufklärung der NS-Verbrechen von Ludwigsburg nach Berlin schaffen.

Das ist ein klassisches Beispiel, wie sich ein Sturm im Wasserglas wieder gelegt hat. Die Lösung: Diese Institution wird dem Bundesarchiv in Koblenz, das unter meiner Fachaufsicht steht, zugeordnet.

Und wandert nach Berlin?

Nein, das heißt, sie kommt ins Bundesarchiv, mehr nicht. Es wird in Zukunft darauf ankommen, die Bestände zu digitalisieren und Suchprogramme zu entwerfen, die es Wissenschaftlern ermöglichen, auf die Akten wirksam zuzugreifen.

Streit soll es nach Berichten der žžBerliner Zeitung'' auch wieder um das Holocaust-Mahnmal geben, das nun sehr viel teurer als geplant werde, weil Sie sich angeblich immer noch ein besonders großes Dokumentationshaus wünschen.

Besagter Artikel zeichnet sich durch eine ganz besondere Spezialität aus: Es stimmt keine einzige Zahl. Der Autor ist einer Intrige aufgesessen.

Kommt trotz solcher Intrigen die Verwirklichung des Mahnmals gut voran?

Sie läuft in geordneten demokratischen Bahnen und folgt den Vorgaben des Bundestages, nicht den Vorgaben der žžBerliner Zeitung'' .

Und es gibt keine Spannungen zu anderen Gedenkstätten wie der benachbarten "Topografie des Terrors"'am Ort des früheren Gestapo-Hauptquartieres?

Weder jetzt noch in Zukunft. Die Mitarbeiter des Projektes "Topografie des Terrors"'sind aufgerufen, an der Konzeption des Informationshauses am Mahnmal mitzuarbeiten. Dazu zählt auch der "Topografie"'-Leiter, Professor Rürup. Er ist ein Kenner - und Mitglied des Mahnmal-Kuratoriums.

Sie planen eine Bundeskulturstiftung - noch so ein Streitobjekt. Oder sind Sie sich darüber mit den Ländern etwa einig?

Eine Bundeskulturstiftung ist kein Angriff auf die Kulturhoheit der Länder. Vielmehr ist an eine Art Feuerwehrtopf für kulturelle Projekte von nationalem Gewicht gedacht. Der Bund wird Beihilfe leisten zu Kulturprojekten der Länder. Die auf Länderebene bestehende Kulturstiftung ist nicht gefährdet, sondern kann sich weiter länderspezifisch engagieren. Aber es gibt Vorhaben, die überschreiten Landesgrenzen. Immer wieder wollen Landesmuseen bedeutende Kunstwerke kaufen, aber das Geld fehlt ihnen. Gegen eine solche Stiftung kann eigentlich kein Landespolitiker etwas einwenden.

Streitpunkt Bündnis für den Film. Kommen Sie voran?

Es geht entschieden voran. Im Februar haben wir die Neufassung der Filmförderrichtlinien des Bundes vorgestellt. Jetzt arbeiten wir im Rahmen des Bündnisses unter anderem an der Verbesserung der Exportbedingungen für den deutschen Film innerhalb und außerhalb Europas. Und wir werden die Fördermaßnahmen zwischen Bund und Ländern besser koordinieren.

Ein großes Wort. Tatsache ist doch, dass die Länder mit ihrer Filmförderung Standortpolitik betreiben und womöglich gar kein Interesse an einer besseren Koordinierung haben!

Jüngst wurde in einer Sitzung des Bündnisses für den Film mal behauptet, es sei schon alles koordiniert. Es gäbe jetzt identische Antragsformulare, die Geldquellen seien also vernetzt. Aber das geht haarscharf an den Tatsachen vorbei. Tatsache ist vielmehr, dass wir in Deutschland nur ganz wenige erfolgreiche Kinofilme haben. Das ist nicht die Schuld der verschiedenen Fördereinrichtungen, aber es gibt einen strukturellen Zusammenhang. Die bestehende Förderlandschaft ist für die Kreativen sozusagen ein weiches Prokrustesbett. Sie werden gefördert. Es geht ihnen gut. Aber sie kommen aus diesen Strukturen nicht raus in eine größere Unabhängigkeit - damit natürlich auch in größeres Risiko. Mit einem Wort, was die Filmförderung braucht, ist mehr Markt.

Schaffen Sie es selbst überhaupt noch abends ins Kino?

Natürlich. Wenn ich ins Kino gehe und zum Beispiel žžAmerican Beauty'' anschaue, dann ist das zum Glück gleichermaßen dienstlich wie privat.

Hat der Film Ihnen denn gefallen?

Dies ist ein Hollywood-Film, der künstlerisch und in seiner sinistren Wucht sehr beeindruckt. Gerade vor diesem Hintergrund halte ich übrigens die hiesige kulturelle Abwehrhaltung gegen den sogenannten Müll aus Hollywood für unberechtigt. Natürlich kommt da auch manches her, was mir nicht gefällt. Aber vielleicht gibt es ja so etwas wie eine ästhetische Mischkalkulation. Wenn wir in Deutschland so erfolgreiche Unterhaltungsfilme wie in Amerika hätten, dann hätten wir wohl auch erfolgreiche hochklassige Filme wie zum Beispiel žžAmerican Beauty'' .

Wäre žžAmerican Beauty'' , was ja das durchaus riskante Hollywood-Debüt eines englischen Theaterregisseurs ist, auch in Deutschland denkbar?

Warum nicht? Ich schätze, der hat 40 Millionen Dollar gekostet, davon entfallen 20 Millionen Dollar aufs Marketing. žžMarlene''hat 18 Millionen Mark gekostet. Aber zwischen der German Beauty und žžAmerican Beauty'' herrscht einfach ein Unterschied, der nicht bezifferbar ist.

Welcher?

Ich bin nicht der Bundesfilmkritiker.

Sie sind anderthalb Jahre im Amt. Länger als vier Jahre, so haben Sie gesagt, wollen Sie es nicht machen. Was sind Ihre Projekte bis Ende 2002?

Das ist doch schon eine ganze Menge - Bundeskulturstiftung, Bündnis für den Film, Holocaust-Mahnmal. Die Stiftungsrechtsreform wird viel Zeit in Anspruch nehmen, ebenso wie die Kulturförderung in den neuen Ländern. Das größte Projekt ist aber sicher der Wiederaufbau und Umbau der Museumsinsel in Berlin. Das ist ein enormer finanzieller Kraftakt, an dem sich die Länder angemessen beteiligen sollten. Das ist keine rein Berliner Angelegenheit.

Wär's nicht schön, bei den entsprechenden Richtfesten und Einweihungen nach 2003 nicht nur als Gast, sondern als amtierender Minister dabei zu sein?

Wie lange ich das mache, hängt nicht nur von meiner Entscheidung ab.

Ein wenig eigene Ambition muss aber doch dabei sein!

Hätte ich die nicht, würden wir nicht jetzt miteinander sprechen.