Redner(in): Michael Naumann
Datum: 17.03.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/48/11848/multi.htm


Generalanzeiger: Zur Zeit der Bundeshauptstadt Bonn beteiligte sich der Bund zu 70 Prozent an den repräsentativen Kulturkosten. Jetzt gibt es einen abgeschmolzenen Betrag bis 2003. Das bedeutet schon 40 Prozent weniger für die Bonner Einrichtungen. Ist der Bund auch für die Zeit danach in der Pflicht?

Naumann: Was vom Bund in Bonn geschaffen wurde, wird vom Bund auch über 2003 hinaus unterstützt. Das gilt besonders für die Museumsmeile. Da wird es keine Abstriche geben.

Und die Gesamtförderung des Kulturhaushaltes?

Sie gilt noch bis 2003. Und dann wird sich folgendes herausstellen: Die Haushaltslage der Stadt ist exemplarisch gut. Durch die Ansiedlung der Telekom am Rhein hat die Stadt ein enorm potentes Wirtschaftsunternehmen für sich gewonnen. Dies ist vor allem die Leistung der Oberbürgermeisterin, Bärbel Dieckmann.

Im Bonn / Berlin-Vertrag heißt es, die Kulturinstitutionen am Rhein müssten "angemessen" finanziert werden.

Dabei handelt es sich eben in erster Linie um die Museumsmeile, zu der auch das Museum König zählt.

Wie würden Sie die Atmosphäre der Gespräche mit der Stadt Bonn charakterisieren?

Sie wurden einvernehmlich geführt. Der Bund stützt Bonn ja auch nicht in einem spärlichen, sondern in einem - für eine Stadt dieser Größe - sehr großzügigen Rahmen. In Bonn ist nicht "Not am Mann".

Springen wir nach Berlin: Sie planen eine Champions League der Kulturinstitutionen. Und schon kommt die Kritik, Sie seien ein "Effizienzfetischist".

Sie berufen sich auf einen Zeitungsbericht, dessen Autor sich bei mir jedenfalls keine Informationen geholt hat. Im übrigen ist der effiziente Umgang mit Steuergeld kein Fetisch, sondern schlichtes Gebot.

Also nur Vorurteile?

Die Wahrheit ist: Die Stadt Berlin und der Bund haben ein großes Interesse daran, den teilweise undurchsichtigen Finanzschlüssel bei der Förderung von Kulturinstitutionen zu Gunsten vor allem von Haushaltsklarheit und Planungssicherheit zu verändern. Nur so lassen sich die Berliner Kulturinstitutionen vor allfälligen Krisen in Zukunft schützen.

Der Herr des Verfahrens ist immer der Geldgeber, also letztendlich Sie.

Nein. Berlins "Kulturhoheit" steht nicht zur Debatte. Ich habe immerhin durchgesetzt, dass die Bundeszuwendungen im Jahre 1999 gegenüber 1998 von 60 auf 120 Millionen Mark verdoppelt wurden. Dieser Ansatz wurde für die Folgejahre bis 2003 auf jährlich 100 Millionen verstetigt. Nimmt man alle Leistungen des Bundes für die Berliner Kultur zusammen, fließen aus meinem Etat 667 Millionen Mark nach Berlin. Das resultiert in einem legitimen Wunsch des Bundes, mitzureden - dort, wo es nötig oder möglich wird.

Und wo ist das Problem?

Die Stadt zieht offenkundig eine Summe, die mit den Zuwendungen des Bundes für die Berliner Kultur beinahe identisch ist, vom eigenen Haushalt wieder ab. Die Kulturförderung wird damit de facto zu einem Beitrag zur allgemeinen Haushaltssanierung. Das ist aber nicht der Zweck von Kulturpolitik des Bundes. Wir können nicht mit für Kultur vorgesehenen Mitteln Kindertagesstätten oder Straßenbau mitfinanzieren. Mein Ansatz entspricht also lediglich zielgerichteter Kulturpolitik. Das ist kein Effizienzfetischismus.

Wie stehen Sie zu dem Vorschlag, der Bund solle die Staatsoper übernehmen?

Ein Staat leistet sich keine eigene Oper. Das wäre eine Art Staats-Wagnerianismus.

Sind drei Opern in Berlin zuviel?

Solange sie durchschnittlich zu 90 Prozent ausgelastet sind, was der Fall ist: Nein.

Stichwort "Jüdisches Museum", ein kultureller Leuchtturm, den Sie neben wenigen anderen Projekten konzentriert fördern wollen.

Das Jüdische Museum wurde erst von der Stadt Berlin gebaut, dann inhaltlich konzipiert, und anschließend fehlte das Geld. Der Bund will jene kulturellen Institutionen in Berlin fördern, die zu anderen nicht in Lokal-Konkurrenz treten, und dies sind in erster Linie die Berliner Festspiele, das Jüdische Museum, das Philharmonische Orchester, das Haus der Kulturen der Welt.

Ein Sprung zum Holocaust-Memorial: Ist das Zaudern des Berliner Senats noch spürbar?

Das ist vorbei. Der Senat kooperiert durch seine Kuratoriumsmitglieder. Es gibt eine zielorientierte Zusammenarbeit.

Bleibt es beim Zeitplan?

Wir müssen uns im Kuratorium vor allem über den Inhalt des "Orts der Information" einigen. Aber alle Summen, die als Kosten genannt werden, sind spekulativ. Der Architekt muss erst die Pläne vorlegen. Falls sie zu teuer werden, muss man sich auf eine kleinere Variante einigen.

Wie sehr schaden die Nazi-Aufmärsche in Berlin dem Auslandsbild?

Es ist immerhin schon ein Fortschritt, dass diese Herrschaften mit ihrer stupenden Blödheit nicht durch das Brandenburger Tor marschieren können, sondern davor stehen bleiben müssen. Wichtig ist: Es gab Festnahmen, und Hitler-Gruß und Nazi-Parolen bleiben in Deutschland verboten.

Hat das neue Kanzleramt irgend eine architektonische Ästhetik?

Sie ist postmodern. Aber die wirkliche Schönheit eines Hauses erschließt sich von innen...

Nennen Sie Ihre wichtigsten Projekte für die kulturpolitische Debatte der nächsten Jahre.

Erstens: Eingang in die Bauplanungsphase des Holocaust-Mahnmals. Zweitens: Eintritt in die Diskussion um die zivilrechtliche Neufassung des Stiftungsrechts. Drittens: Sicherung der Finanzierung der Wiederherstellung der Berliner Museumsinsel. Viertens: Etablierung einer Bundeskulturstiftung. Fünftens: Verstärkung der kulturpolitischen Rolle der Bundesrepublik in Brüssel. Wir müssen vor allem den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegen die wettbewerbsrechtlichen Zumutungen aus Brüssel verteidigen. Sechstens: erfolgreicher Abschluss des Bündnisses für den Film.