Redner(in): Christina Weiss
Datum: 04.11.2005

Untertitel: Am 4. November hat Kulturstaatsministerin Christina Weiss im Rahmen einer Galaveranstaltung an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" (HFF) in Potsdam den Deutschen Kurzfilmpreis 2005 verliehen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/52/912052/multi.htm


heute absolviere ich, so darf man vermuten, meinen letzten öffentlichen Auftritt als Staatsministerin für Kultur und Medien, und ich bin glücklich darüber, dass es ein Fest der Filmförderung ist, mit dem ich scheide. Keine meiner wahrlich breit gestreuten Aufgaben hat mich in den letzten drei Jahren mehr gefordert, über kein Thema habe ich öfter und intensiver gesprochen und verhandelt als über die Zukunft des deutschen Films. Mit etwas Stolz darf ich sogar bekennen, dass es eben auch die Filmpolitik war, in der ich die größten und dauerhaftesten Erfolge erringen konnte - sei es mit dem neuen Filmförderungsgesetz, sei es mit der Aufwertung der Berlinale, mit der Reformierung des Deutschen Filmpreises oder mit unseren zahlreichen Förderprogrammen, unter denen der Kurzfilmpreis ja lediglich als primus inter pares gelten kann. Ich möchte nicht verhehlen, dass ich diese große Aufgabe ohne Ihre Hilfe, meine sehr verehrten Damen und Herren, ohne die Filmindustrie, die Filmemacherinnen und Filmemacher, ohne die Hochschulen und Förderanstalten nicht hätte meistern können, und so möchte ich diesen besonderen Anlass auch dafür nutzen, mich ganz herzlich bei allen zu bedanken, die sich mit Verve für die Zukunft des deutschen Films engagiert haben und dies gewiss auch weiter tun werden. Der deutsche Film braucht Sie - und er hat es verdient!

Ich freue mich, am heutigen Abend mit Ihnen gemeinsam in diesem besonderen Haus ein Genre ehren zu können, das wie kein zweites lange, zu lange im Schatten der "großen" Filmkunst stand. Zu Unrecht, möchte ich betonen, denn der Kurzfilm ist nicht nur der Quell der Kinematographie. Er ist gerade heute, in Zeiten der beliebigen Verfügbarkeit von Film- und Speichermedien, die wohl größere Filmkunst - für Macher und Zuschauer gleichermaßen. Zudem sollte man nicht vergessen, dass nur der Kurzfilm in der Lage ist, Regisseurinnen und Regisseuren den raschen Einzug ins Paradies zu sichern, denn schon der große Charlie Chaplin warnte uns: "Filmemacher sollten bedenken, dass man ihnen am Tag des Jüngsten Gerichts alle ihre Filme wieder vorspielen wird!"

Ohne Zweifel: das Paradies ist neben unserem Kurzfilmpreis das zweite lohnende Ziel für all jene, die in der Lage sind, ihre Geschichten kurz und bündig zu erzählen. Bevor sie das eine oder andere erreichen, darf ihre Arbeit zu den intellektuellen Herausforderungen unserer Zeit zählen, steht sie doch im denkbar größten Kontrast zur "Beredsamkeit" des heutigen Spezialeffektkinos, das oft genug drei Stunden braucht, um eine Geschichte zu erzählen. Lumière konnte dies in fünf bis zehn Minuten erledigen, und es ist ein beruhigendes Zeichen, dass er noch immer talentierte Nachahmer findet. Natürlich weiß ich, dass es nicht allein die Ökonomie der Aufmerksamkeit, sondern auch die des Marktes ist, die vor allem junge Filmemacherinnen und Filmemacher "zwingt", sich in filmischer Kürze zu üben. Doch ich möchte sie gern davor warnen, darin ein besonders beklagenswertes Phänomen zu entdecken, denn aus der Biologie wissen wir, dass sich in der Entwicklung des einzelnen Lebewesens die Entwicklung der Arten wiederholt. Das bedeutet, grob gesagt, auch jedes menschliche Embryo hat irgendwann einmal Ähnlichkeit mit einem Fisch. Und genauso wiederholen die meisten Filmemacher für sich die Entwicklung des Kinos als Ganzes: Sie beginnen mit Kurzfilmen und arbeiten sich dann zu längeren Formaten vor. Der Kurzfilm als ältestes aller Filmformate, ist demnach zugleich ein jugendliches Genre. Wer Kurzfilme macht, ist entweder jung oder jung geblieben. Die Kunst der kurzen Form ist die Wurzel des Kinos - und ohne sie wäre das Ganze nichts.

Das Kino oder das TV-Format "in Spielfilmlänge" trägt und bewegt unser mediales System, doch es ist der Kurzfilm, der den Takt dazu schlägt. Längst hat er sein Mauerblümchendasein überwunden und die Aufmerksamkeit und Bedeutung wiedererlangt, die ihm gebührt. Dazu haben nicht zuletzt die internationalen Erfolge deutscher Kurzfilme beigetragen, und ich meine damit nicht nur die Medienresonanz auf Oscar-Verleihungen und Oscar-Nominierungen, bei denen Deutschland einzigartig dasteht. Weltweit gibt es kaum mehr ein Festival, bei dem nicht ein deutscher Kurzfilm wenigstens einen Preis gewinnt! Ich könnte Ihnen jetzt leicht den Abend, ja die ganze Nacht und den nächsten Morgen dazu verderben, wenn ich mir erlauben würde, allein die Liste der Erfolge aus dem Jahre 2005 Wort für Wort vorzutragen. Doch keine Angst - auch ich bedenke den Einzug ins Paradies... Diese Fülle jedoch ist ein Indiz für den hohen Stand der Ausbildung deutscher Filmemacherinnen und Filmemacher und für ihr gewaltiges kreatives Potenzial.

Trotz der großen und wachsenden Erfolge des deutschen Spielfilms hat sich der Kurzfilm in mancherlei Hinsicht als das künstlerisch globalisierungsfähigste deutsche Kinogenre erwiesen. Dazu hat, so hoffe und glaube ich, auch die Kurzfilmförderung des Bundes beigetragen. Jeder der anwesenden Filmemacher, egal ob auf dem Podium oder im Publikum, wird gewiss schon einmal von einer der immerhin fünf Fördermaßnahmen profitiert haben.

Es sind neben dem Deutschen Kurzfilmpreis,

das Projekt "Deutscher Kurzfilmpreis unterwegs", das die nominierten Filme in vielen deutschen Städten sichtbar macht,

unsere bewährte Produktionsförderung,

die Förderung der AG Kurzfilm, die filmpolitische Lobbyarbeit im In- und Ausland leistet,

sowie der Kinoprogrammpreis für Filmtheater mit herausragendem Kurzfilmprogramm, bei dem der Spitzenpreis in diesem Jahr erstmals 10 000 Euro betrug.

Last but not least will ich erwähnen, dass ich gerade erst gestern Abend einen der beiden Innovationspreise meines Hauses an die Kurzfilmagentur Hamburg verliehen habe. Damit wurde speziell der Aufbau einer Online-Datenbank zu Kurzfilmverleihern honoriert - auch das ein gutes wegweisendes Zeichen.

Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung: das gewachsene Selbstbewusstsein des Kurzfilms zeigt sich auch am Beispiel der Gala, die wir heute gemeinsam feiern. Erstmals ist diese Veranstaltung allein dem Kurzfilm gewidmet und wir haben beschlossen, den Kurzfilmpreis zukünftig an wechselnden Orten - um genauer zu sein: in verschiedenen Filmhochschulen zu verleihen, um gerade das besondere Engagement der Hochschulen, der Studierenden und der Absolventinnen und Absolventen zu würdigen. Ich glaube, das ist ein guter und würdiger Weg, ein altes und stets wieder junges Genre mit den Menschen zu feiern, die sich ihm - aus welchen Gründen auch immer - verschrieben haben, und ich bin gespannt wie Sie, wer heute mit einem Preis die Filmhochschule "Konrad Wolf" verlassen wird.

Da bei einer Kurzfilmgala die Rede nicht länger sein sollte als die meisten Filme bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und schlage vor, mit der Preisverleihung zu beginnen.

Vielen Dank!