Redner(in): Rolf Schwanitz
Datum: 04.11.2005

Anrede: Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/76/911976/multi.htm


der Wechsel der Präsidentschaft im Bundesrat fällt in eine Zeit, da auf der Bundesebene intensiv - und hoffentlich erfolgreich - über die Bildung einer neuen Regierung verhandelt wird. In diesem Zusammenhang betrachte ich es als gutes Omen, dass sowohl der bisherige als auch der neue Bundesratspräsident in ihren jeweiligen Ländern als Ministerpräsidenten einer Großen Koalition vorstehen.

Die Länder spielen ja bekanntlich häufiger eine Vorreiterrolle im politischen System der Bundesrepublik. Es wäre zu begrüßen, wenn sich dies im Hinblick auf die anstehende Regierungsbildung bestätigen würde.

Die Wahlen am 18. September haben für alle Seiten die Verhältnisse verändert. Es ist klar, dass der Bundesrat dabei nicht unmittelbar betroffen ist. Schließlich handelte es sich bei diesem Ereignis um die Wahlen zum Deutschen Bundestag und nicht um Landtagswahlen.

Dennoch hat sich unverkennbar auch das politische Koordinatensystem insgesamt klar verschoben. Denn Änderungen bei den Verfassungsorganen Bundesregierung und Bundestag haben immer auch Auswirkungen auf das Verhältnis der drei Verfassungsorgane untereinander und damit auch auf den Bundesrat selbst.

Mit dem Wahlergebnis vom 18. September stehen vor allem die großen Volksparteien in der Verantwortung, den Wählerauftrag umzusetzen. Natürlich betrachtet jede Seite die Verhandlungen als ergebnisoffen. Aber meiner Ansicht nach wäre es schlicht und einfach unverantwortlich, diesen Auftrag wegen der Beschwernisse auf dem Weg zu einer Verständigung erneut an den Wähler zurückzugeben.

Es braucht nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, dass die vielbeschworene Politikverdrossenheit dann zu einem allgemeinen Demokratieverdruss eskalieren würde. Kompromissbereitschaft, der Wille zum Ausgleich und zur Zusammenarbeit sind deshalb das Gebot der Stunde und der nächsten Jahre. Und zwar in beiden Häusern, Bundestag und Bundesrat. Denn genau das ist es, was die Menschen von uns allen erwarten, nicht zuletzt auch angesichts der Schwere der aktuellen Problemlagen.

Die Herausforderungen, die vor uns liegen, sind hinreichend bekannt, unter anderem deshalb, weil vieles bereits in der abgelaufenen Legislaturperiode Gegenstand intensiver Beratungen in Bundestag und Bundesrat war: Haushaltskonsolidierung, Föderalismusreform, Modernisierung des Arbeitsmarktes, Reform der sozialen Sicherungssysteme - um nur einige Stichworte zu nennen.

Ich selbst gehe alles in allem mit einem erheblichen Maß an Zuversicht in die vor uns liegende Zeit, und dies auch aus persönlicher Erfahrung. Gerade im Blick auf unsere Erlebnisse in den letzten 15 Jahren in Ostdeutschland sollten wir alle uns bewusst machen, zu welch großer Kraftanstrengung, zu wie viel Veränderungsbereitschaft, aber auch zu welcher Solidarität die Menschen in Deutschland fähig sind.

Die Menschen in Deutschland können viel bewegen, wenn der Weg inhaltlich bereitet, die Regierung entschlossen und die Perspektive vernünftig erklärt worden ist. Und genau darin liegt meines Erachtens die Chance und auch die Verantwortung in beiden am Gesetzgebungsprozess beteiligten Häusern.

Im Namen der Bundesregierung möchte ich Ihnen, Herr Ministerpräsident Platzeck, als dem bisherigen Bundesratspräsidenten, für Ihre erfolgreiche Arbeit im abgelaufenen Präsidentschaftsjahr herzlich danken.

Mit Ihrer umsichtigen und ausgleichenden Amtsführung haben Sie sich weit über den Bundesrat hinaus großen Respekt erworben. Zugleich haben Sie in Ihrer Amtszeit dazu beigetragen, dass das "ewige Organ" Bundesrat gerade auch in den bewegten Zeiten der letzten Wochen im besten Sinne für politische Kontinuität und Stabilität stand.

Ihnen, Herr Präsident Carstensen, möchte ich die Glückwünsche des Bundeskanzlers und der gesamten Bundesregierung für Ihre Amtszeit als neu gewählter Bundesratspräsident übermitteln.

Zu Ihrer Vita gehört, dass Sie, nicht zuletzt wegen Ihrer langjährigen Erfahrung im Deutschen Bundestag, selbst über Kenntnisse und Gespür für beide am Gesetzgebungsprozess beteiligten Häuser verfügen. Dies ist, wie ich meine, nicht die schlechteste Ausgangslage für eine erfolgreiche Präsidentschaft in dieser Zeit.

Herr Präsident, für Ihr neues Amt wünsche ich Ihnen Mut, Tatkraft und eine glückliche Hand - und uns allen gutes Gelingen.