Redner(in): Angela Merkel
Datum: 03.02.2006
Untertitel: Wettbewerb bedeutet Wandel.Den Menschenmuss dabei gezeigt werden, dassWandel und Veränderung mehr Chancen als Risiken mit sich bringen. Das geht nur durch klare Ziele, Verlässlichkeit im Handeln und Vertrauen in die Fähigkeiten der Menschen. Dafür brauchen siemehr Freiräume und mehr Verantwortung, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Eröffnung der privaten Hochschule in Berlin.
Anrede: Sehr geehrter Herr Dr. Schulte-Noelle, sehr geehrter Herr Dr. Cromme, Sehr geehrter Herr Professor Abell, sehr geehrter Herr Professor Plinke, sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, sehr geehrte Studentinnen und Studenten, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/02/2006-02-03-bundeskanzlerin-merkel-zur-eroeffnung-der-european-school-of-management-and-technology,layoutVariant=Druckansicht.html
Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der Eröffnung des Campus der European School of Management and Technology am Freitag, 3. Februar 2006, in Berlin
Ich freue mich, heute gemeinsam mit Ihnen die Eröffnung der "European School of Management and Technology" feiern zu dürfen.
Die ESMT ist mit dem Anspruch gegründet worden, in Deutschland eine private Management-Schule von internationalem Format aufzubauen.
Nachdem an den Standorten München und Köln bereits seit 2003 die Führungskräfteausbildung läuft, kann nun mit der Einweihung dieses Gebäudes auch am zentralen Campus in Berlin der Lehrbetrieb beginnen. Für den ersten MBA-Kurs haben sich bereits Studenten aus 15 Ländern eingeschrieben. Das ist nebenbei auch ein Hinweis auf den Nutzen, den die Attraktivität der Stadt Berlin für eine solche Institution bedeutet.
Die Studenten werden beim Betreten dieses Hauses vor allem an das vor ihnen liegende Leben und an ihre Zukunft denken. Das ist auch völlig richtig. Da Zukunft ohne Wissen um die Vergangenheit aber orientierungslos ist, möchte ich bei dieser Gelegenheit an die Vergangenheit dieses Gebäudes und dieses Ortes in Berlin erinnern. Denn sie sind voller Geschichte.
Der heutige Tag, der 3. Februar, ist zudem ein symbolträchtiges Datum für die Mitte Berlins. Genau heute vor 61Jahren, am 3. Februar 1945, wurde das Berliner Stadtschloss bei einem Luftangriff weitgehend zerstört.
Damit und mit dem endgültigen Abriss des Schlosses in den fünfziger Jahren wurde der Stadt eine Narbe zugefügt, die bis heute nicht geheilt ist.
Die anhaltenden Diskussionen um den Abriss des Palastes der Republik und den Wiederaufbau des Schlosses machen dies deutlich.
An diesem Ort entzünden sich Kontroversen um den Umgang mit der eigenen Geschichte - Kontroversen, die auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher Biografien in Ost- und Westdeutschland verstanden werden müssen. Was mich anbelangt, so wissen Sie, dass ich den Wiederaufbau des Schlosses befürworte.
Einen Beitrag zur Versöhnung der Deutschen mit der historischen Mitte Berlins kann in meinen Augen auch die "European School of Management and Technology" hier im ehemaligen Staatsratsgebäude leisten. Denn eine bessere Symbiose aus ostdeutscher und planwirtschaftlicher Vergangenheit mit europäischer und marktwirtschaftlicher Zukunft kann man sich kaum vorstellen.
Aus dem ehemaligen Dienstsitz des höchsten Staatsorgans der DDR wird nun eine internationale Managementschule. In die Schaltstelle sozialistischer Zentralverwaltungswirtschaft zieht eine private Institution, die sich der Ausbildung zum Unternehmertum in der Sozialen Marktwirtschaft verschrieben hat. Dies ist Ausdruck der mit der Wiedervereinigung für alle Deutschen wiedergewonnenen Freiheit. Nehmen Sie es als Auftrag, in ihren Studiengängen intensiv die Bedingungen und Voraussetzungen von Freiheit in Verantwortung zu diskutieren.
Den Architekten, Innenarchitekten und Restauratoren ist mit der Sanierung dieses denkmalgeschützten Gebäudes ein echtes Meisterwerk gelungen. Es kombiniert den sprichwörtlichen Charme der Sechzigerjahre mit modernster Haus- und Veranstaltungstechnik.
Von der gelungenen Arbeit können sich ab heute nicht nur die Studierenden und der Lehrkörper überzeugen, sondern auch die Berliner Öffentlichkeit. Denn - und das finde ich wichtig - das Gebäude ist teilweise auch der Öffentlichkeit zugänglich.
Meine Damen und Herren,
ein ganz besonderer Dank gebührt den insgesamt 25 Unternehmen und Verbänden, die dieses Projekt ermöglicht haben. Über 100Millionen Euro haben sie dafür aufgebracht. Das verdient Anerkennung. Es ist ein hervorragendes Beispiel dafür, was durch privatwirtschaftliches Engagement möglich werden kann.
Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir hier durchaus noch Nachholbedarf. Wir haben es uns in Deutschland angewöhnt, zuerst auf den Staat zu schauen und immer wieder neue Ansprüche an ihn zu formulieren.
Heute, in Zeiten knapper öffentlicher Kassen, stößt diese Mentalität mehr und mehr an Grenzen.
Nicht alles, was der Staat bislang finanzieren konnte, wird er auch zukünftig noch leisten können. Wir werden deshalb stärker als bisher zwischen Prioritäten und Nachrangigem unterscheiden müssen. Hier ist die moderne Bürgergesellschaft gefordert. Privates und unternehmerisches Engagement kann in vielen Fällen den Raum ausfüllen, den der Staat freigibt.
Die Geldgeber und Initiatoren der EMTS haben nicht gewartet und auf den Staat geschaut, sondern selbst die Sache in die Hand genommen.
Ich hoffe sehr, dass die EMTS dieses Selbstverständnis nicht nur ihren Studierenden weitervermittelt, sondern dass ihr Beispiel auch in anderen Bereichen Schule macht.
Natürlich haben auch der Bund und das Land Berlin zum Gelingen dieses Projekts beigetragen, indem sie mit dieser Liegenschaft ein Filetstück im Zentrum Berlins zur Verfügung gestellt haben.
Ebenfalls in diesem Gebäude residiert die "Hertie School of Governance" für Führungskräfte aus Staat, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen. Beide Hochschulen verbindet eine enge Partnerschaft, die in meinen Augen gepflegt und ausgebaut werden sollte.
Ein enger Austausch zwischen Wirtschaft, Politik und Verwaltung kann nicht nur das gegenseitige Verstehen fördern. Vernetzung ist auch eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung neuer Ideen.
Von der Innovationskraft unserer Gesellschaft - sei es im politischen oder im unternehmerischen Bereich - hängt ganz wesentlich unsere Zukunftsfähigkeit ab. Ich würde es deshalb außerordentlich begrüßen, wenn aus der EMTS heraus immer wieder Anstöße zu Weiterentwicklung und Innovation gegeben werden.
Gerade weil die Erneuerungsfähigkeit unserer Gesellschaft ganz wesentlich von ihrer Kreativität und ihrem Ideenreichtum bestimmt wird, unternimmt die neue Bundesregierung erhebliche Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung. Er ist einer der fünf Schwerpunktbereiche, in denen wir Wirtschaft und Wachstum neue Impulse verleihen wollen.
Mein langfristiges Ziel lautet dabei: Deutschland soll in zehn Jahren wieder unter den ersten Drei in Europa hinsichtlich Wachstum, Beschäftigung und Innovation stehen. Wir haben uns deshalb das Ziel gesetzt, bis 2010 3Prozent unserer Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung auszugeben. Dies wäre ein Spitzenwert unter den führenden Industrienationen weltweit.
Wir werden als Bund dafür in den nächsten vier Jahren etwa 6 Milliarden Euro zusätzlich in die Hand nehmen. Wir sind zuversichtlich, dass auch die Länder ihren Beitrag in der Größenordnung von rund 4Milliarden Euro beisteuern werden.
Mit dem 6-Milliarden-Programm des Bundes werden wir insbesondere Querschnitts- und Schlüsseltechnologien fördern. Und wir werden durch eine Innovationspolitik aus einem Guss bessere Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung schaffen.
Alles dies wird Teil der neuen "Hightech-Strategie Deutschland" sein.
Rund zwei Drittel der Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Deutschland werden von der Wirtschaft erbracht. Das ist in anderen europäischen Ländern nicht viel anders. Deswegen rufe ich die Wirtschaft auf, ebenfalls ihren Beitrag zu leisten, damit wir unser Land auf Dauer an der internationalen Spitze halten können.
Die Politik wird ihrerseits innovationshemmende Regelungen überarbeiten, Verfahren verkürzen und Genehmigungs- und Bürokratielasten reduzieren. So können die Investitionen mehr Früchte tragen.
Meine Damen und Herren,
es gibt keine Innovation ohne kluge Köpfe und keine internationale Wettbewerbsfähigkeit ohne eine Spitzenstellung bei den Bildungs- und Forschungseinrichtungen.
Wir brauchen in Deutschland deshalb neben einer hohen Qualität in der Breite auch internationale Exzellenz. Darum haben wir gemeinsam mit den Ländern eine Exzellenzinitiative gestartet, mit der wir Spitzenleistungen unserer Hochschulen fördern.
Insgesamt stehen für dieses Programm 1, 9Milliarden Euro zur Verfügung, von denen der Bund drei Viertel trägt, die Länder ein Viertel. Die Ergebnisse der ersten Stufe des Wettbewerbs wurden kürzlich präsentiert; insgesamt 36 Universitäten sind aufgefordert worden, ihre Anträge für die zweite Stufe abzugeben. Im Herbst wird dann entschieden, welche Standorte der Spitzenforschung unterstützt werden.
Parallel dazu wird die nächste Auswahlrunde laufen, bei der sich wiederum alle Universitäten bewerben können. Gefördert werden so insgesamt 40 Graduiertenschulen, 30 Exzellenz-cluster und 10 Spitzenuniversitäten.
Schon jetzt ist diese Initiative ein großer Erfolg. Sie setzt deutliche Impulse für eine Ausrichtung der deutschen Hochschulen hin zu mehr Wettbewerb. Sie motiviert die Forscher und gibt starke Leistungsanreize.
Meine Damen und Herren,
Wettbewerb bedeutet Wandel, und Wandel ist anstrengend. Es ist eine der schwierigsten, aber auch wichtigsten Aufgaben für die Führung eines Landes wie auch eines Unternehmens, den Menschen Wege zu zeigen, wie Wandel und Veränderung mehr Chancen als Risiken mit sich bringen können.
Das geht nur durch klare Ziele, Verlässlichkeit im Handeln und Vertrauen in die Fähigkeiten der Menschen, indem man ihnen mehr Freiräume und mehr Verantwortung gibt. Motivation und Leistungsanreize sind deshalb fester Teil moderner Führungsmethoden. Das gilt für die Politik ebenso wie für die unternehmerische Führung, wie sie an dieser Hochschule in Zukunft vermittelt wird.
Der Erfolg eines Unternehmens hängt entscheidend davon ab, inwieweit es gelingt, die Mitarbeiter für die Ziele des Unternehmens zu begeistern und ihr Engagement zu wecken. Dies aber ist nur mit einer langfristigen Unternehmensstrategie zu erreichen. Kurzfristiges Gewinnstreben, ohne die langfristigen Unternehmensperspektiven zu entwickeln, kann letztlich auf die Mitarbeiter eher demotivierend wirken.
Sie, geehrter Professor Abell, haben dies einmal so ausgedrückt: "Shareholder Value ist ein sehr gutes Ergebnis, aber ein sehr schlechtes Ziel."
Wenn dies der Geist ist, mit dem an der "European School of Management and Technology" in Zukunft gelehrt wird, begrüße ich das sehr.
Der "European School of Management and Technology" - und insbesondere den Studentinnen und Studenten, die hier im Januar ihre Ausbildung begonnen haben - wünsche ich für die Zukunft viel Erfolg!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.