Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 28.03.2000

Untertitel: Zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen, um der Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirtschaft zu ihrem 50-jährigen Bestehen zu gratulieren.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/39/78739/multi.htm


I. Zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen, um der Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirtschaft zu ihrem 50-jährigen Bestehen zu gratulieren.

Sie haben dazu beigetragen, die Beteiligung der Mitarbeiter am Betrieb und den Kontakt zwischen Beteiligungsunternehmen zu fördern.

Die Beteiligung der Menschen am Haben und Sagen ist eine der Säulen der Sozialen Marktwirtschaft.

Heute steht der Gedanke der Teilhabe und der Beteiligung im Mittelpunkt eines umfassenden, sozialdemokratischen Konzepts der Modernisierung.

Es geht nicht nur darum, den veränderten Anforderungen der Wirtschaft und der Arbeitsmärkte gerecht zu werden. Es geht, weit darüber hinaus, um die Beteiligung an einer Gesellschaft, die dem einzelnen ein Mehr an Mündigkeit, ein Mehr an Eigenverantwortung und ein Mehr an Selbständigkeit geben soll.

Ich bin sicher: Nur eine solche Gesellschaft der Teilhabe wird zukunftsfähig sein.

Es geht um die Beteiligung des Einzelnen an den gesellschaftlichen Entscheidungen, an der Gestaltung der zivilen Bürgergesellschaft, aber auch an der gesellschaftlichen Solidarität.

Darüber hinaus möchte ich die Möglichkeiten der Beteiligung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft und im Betrieb auf drei Ebenen skizzieren:

als finanzielle Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital;

als erweiterte Teilhabe im Arbeitsprozess und als Partnerschaft bei der Modernisierung;

als neue Aufgaben und Möglichkeiten der Mitbestimmung insbesondere bei der Sicherung von Beschäftigung.

Es ist für mich übrigens kein Zufall, dass es heute die deutsche Sozialdemokratie ist, die das Projekt der Teilhabe, das Projekt einer Gesellschaft von Teilhabern ins Zentrum ihrer Modernisierungsbemühungen stellt.

Sozialdemokraten wie Georg Leber und Philipp Rosenthal engagieren sich seit Jahrzehnten für die Kapitalbeteiligung der Mitarbeiter. Philipp Rosenthal hat dies in seinem eigenen Unternehmen auf vorbildliche Weise umgesetzt und immer wieder neue Impulse für die Vermögensbildungspolitik gegeben.

Mitarbeiterbeteiligung ist ein Weg, den arbeitenden Menschen ihren gerechten Anteil am Erarbeiteten zu geben.

Mitbestimmung und Beteiligung am Produktivvermögen tragen auch dazu bei, die rasanten Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft besser zu meistern.

Immer besser ausgebildete Menschen, die immer mehr in das betriebliche Geschehen eingebunden sind, werden auch eher gewillt sein, sich außerhalb ihres Betriebes in der Gesellschaft und für die Gesellschaft zu engagieren.

Auch auf der betrieblichen Ebene lassen sich die Vorteile von Beteiligungsmodellen mit Händen greifen. Jeder weiß, dass teilhabende Mitarbeiter, die auch materiell am Betriebserfolg interessiert sind, die weitaus besseren Ergebnisse produzieren.

Die Identifikation der Mitarbeiter mit dem eigenen Unternehmen ist stärker. Ihre Motivation ist höher. Ihr Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge wird geweckt. Auf diesem Weg wird auch die Unternehmenskultur gefördert.

Einen Beleg hierfür hat die Studie der AGP zur Unternehmenskultur aus dem Jahr 1995 geliefert. Die besonders erfolgreichen Partnerschaftsbetriebe wiesen zu 80 Prozent eine Gewinn- und Kapitalbeteiligung auf.

Es zeigt sich deutlich, dass beide Seiten Unternehmen und Beschäftigte davon profitieren, wenn Mitarbeiter zu Mitunternehmern werden.

Ein aktuelles und gutes Beispiel hierfür sind auch die jungen Unternehmen, die sich erfolgreich an der Börse etablieren.

Hier entwickelt sich eine Unternehmenskultur, für die Mitarbeiterbeteiligung am Produktivkapital zunehmend zur Selbstverständlichkeit wird. Mitarbeiter werden durch Kapital- und Erfolgsbeteiligung für die Unternehmen gewonnen, motiviert und an sie gebunden.

Stock-Optionsmodelle ermöglichen die in diesen Branchen üblichen hohen Gehälter und haben sich als gutes Argument erwiesen, kreative Bewerber einstellen und beschäftigen zu können.

Mitarbeiterbeteiligung kann auch helfen, eines der großen Zukunftsprobleme im Mittelstand zu lösen.

Viele Betriebsinhaber sorgen sich um die Zukunft ihres Unternehmens, weil es in der Familie keinen geeigneten Nachfolger gibt und so der Generationenwechsel gefährdet ist.

Es liegt auf der Hand, dass Mitarbeiter über Kapitalbeteiligungen hier für den Fortbestand des Unternehmens sorgen können.

II. Trotz der unbestreitbaren Vorteile von Mitarbeiterbeteiligungen und trotz aller staatlichen Fördermaßnahmen, die sich in mehreren Gesetzen zur Vemögensbildung niedergeschlagen haben, fällt die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital in Deutschland immer noch eher bescheiden aus.

Es hat zwar Fortschritte gegeben. Heute besitzen viel mehr Haushalte Grundvermögen und Geldvermögen als vor 40 Jahren. Aber das Ziel einer möglichst ausgewogenen Vermögensverteilung ist noch längst nicht erreicht:

Noch immer besitzen die reichsten 10 Prozent der Haushalte rund 50 Prozent des Privatvermögens, während die untere Hälfte der Gesellschaft nur über rund 4 Prozent am Privatvermögen verfügt.

Vor allem beim Produktivvermögen gibt es noch einen großen Aufholbedarf für die privaten Haushalte:

Nur 11 Prozent der Arbeiterhaushalte und 18 Prozent der Angestelltenhaushalte in Westdeutschland besitzen Aktien.

In den neuen Bundesländern sind es nur 3 Prozent der Arbeiterhaushalte und 6 Prozent der Angestelltenhaushalte.

Nur 6 Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland sind an ihrem arbeitgebenden Unternehmen beteiligt. Dabei handelt es sich ganz überwiegend um Belegschaftsaktien.

Es gibt also noch viel zu tun auf dem Weg zur Teilhabegesellschaft.

III. Mit ihrer Steuersenkungspolitik hat die Bundesregierung dafür gesorgt, dass den Bürgern vom Brutto mehr übrig bleibt. Insgesamt senken wir die Steuern bis zum Jahr 2005 um mehr als 70 Milliarden DM.

Davon entfallen gut 50 Milliarden DM auf die privaten Haushalte, knapp 20 Milliarden DM auf den unternehmerischen Mittelstand und ein geringer Betrag auf die großen Konzerne.

Ein lediger Durchschnittsverdiener wird so pro Jahr um 2.400 DM entlastet, eine Familie mit zwei Kindern sogar um 4.050 DM.

Dieses zusätzliche Einkommen schlägt sich zum einen in einer stärkeren Binnenkonjunktur nieder und stärkt auf diese Weise den wirtschaftlichen Aufschwung.

Aber es kann natürlich auch für eine zusätzliche Vermögensbildung z. B. in Form der Anlage in Aktien genutzt werden, und viele Bürger tun dies auch.

So ist die Zahl der Aktionäre in Deutschland seit dem Börsengang der Telekom 1996 von 3,7 Millionen auf über 5 Millionen angewachsen.

Mit der Unternehmensteuerreform werden die Unternehmen insbesondere im Mittelstand entlastet. Dies macht sie widerstandsfähiger gegenüber internationaler Konkurrenz. Und es macht sie attraktiver, so dass sie weiter an Wert gewinnen.

Durch die vorgesehene Steuerbefreiung für Gewinne, die Kapitalgesellschaften aus dem Verkauf von Kapitalbeteiligungen erzielen, geben wir einen wichtigen Impuls für die notwendige Modernisierung und Restrukturierung der Wirtschaft. Zugleich eröffnen sich dadurch neue Anlagemöglichkeiten für private Interessenten. In der Sparförderung haben wir mit dem 3. Vermögensbeteiligungsgesetz, das am 1. Januar 1999 in Kraft getreten ist, eine Akzentverschiebung zwischen den Sparformen vorgenommen, um die Anlage in Produktivkapital attraktiver zu machen.

Früher war das Produktivkapital bei der Förderung gegenüber Geldvermögen benachteiligt. Diese Benachteiligung haben wir beseitigt.

Hierfür haben wir die Sparzulage für Beteiligungen am Produktivkapital von 10 auf 20 Prozent verdoppelt und die Einkommensgrenzen erhöht.

Beschäftigte in Ostdeutschland erhalten sogar 25 Prozent Sparzulage für die Anlage in Beteiligungen, um bei der Eigentumsbildung möglichst rasch aufzuholen.

Zwei Drittel aller Arbeitnehmer kommen jetzt in den Genuss der Förderung, wenn sie vermögenswirksame Leistungen zum Erwerb von Beteiligungen verwenden.

Auch steuerlich wird die Vermögensbildung gefördert. Lohn, der in Form von Vermögensbeteiligungen ausgezahlt wird, ist unabhängig vom Einkommen bis zu 600 DM in halber Höhe steuer- und sozialabgabenfrei.

Ich weiß, dass die AGP sich eine noch großzügigere Förderung wünscht. Hierfür gibt es allerdings im Haushalt keinerlei finanzielle Spielräume. Die Haushaltskonsolidierung hat Vorrang.

Im übrigen kommen stabile Staatsfinanzen der Vermögensbildung zugute. Denn eine solide Haushaltspolitik sorgt für niedrige Zinsen und weiter steigende Aktienkurse.

Darüber hinaus ist Haushaltskonsolidierung eine der wichtigsten Voraussetzungen für nachhaltiges Wirtschaftswachstum und erhöht damit den Wert von Mitarbeiterbeteiligungen.

Die Koalitionsvereinbarung sieht eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital und am Gewinn der Unternehmen als neue Säule der Alterssicherung vor.

Wir denken daran, die künftige zusätzliche kapitalgedeckte Altersvorsorge durch eine neue Zulage zu fördern. Damit wird die Förderung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand insgesamt ausgebaut.

Bei der Vermögensbildung zur Alterssicherung spielt natürlich die Frage des Insolvenzschutzes eine besondere Rolle.

In den neuen Ländern gibt es Modelle, mit denen ein wesentlicher Teil des Mitarbeiterkapitals über Landesbürgschaften für den Fall des Konkurses abgesichert wird.

Eine 100-prozentige Absicherung kann es nicht geben, denn die Chance des Vermögenszuwachses durch Mitarbeiterbeteiligungen kann nicht gänzlich vor dem Verlustrisiko geschützt werden. Über dieses Thema werden wir im Bündnis für Arbeit noch zu sprechen haben.

IV. Nach meiner Überzeugung haben es vor allem die Tarifpartner in der Hand, der Vermögensbildung neuen Schwung zu geben.

Im Bündnis für Arbeit streben Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften ausdrücklich einen Ausbau der Möglichkeiten der Vermögensbildung und der Gewinnbeteiligung für Arbeitnehmer an.

Ich appelliere deshalb an die Tarifparteien, es nicht bei Absichtserklärungen zu belassen, sondern konkrete Vereinbarungen zu treffen.

Erfolgsbeteiligungen sind natürlich auch dazu geeignet, die Tarifpolitik zu entlasten. Die 90er Jahre haben gezeigt, dass sich die Position der Arbeitnehmer bei der Einkommensverteilung nicht allein durch Lohnpolitik verbessern läßt.

Der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen ist nicht gestiegen, sondern gesunken.

Die Beschäftigten hätten mehr von ihren Tariferhöhungen gehabt, wenn sie durch Kapitalbeteiligungen am Vermögenszuwachs der Unternehmen beteiligt gewesen wären.

Über Investivlohnkonzepte ist zwar viel geredet worden. Aber es ist zu wenig geschehen.

Ich weiß, welche Widerstände und Tabus es in beiden Lagern gibt.

Die Unternehmen fürchten einen wachsenden Einfluss der Gewerkschaften, wenn sie in überbetriebliche Kapitalbeteiligungen durch Tariffonds als gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien einwilligen.

Viele kleine Unternehmen erkennen nicht den Vorteil einer Mitarbeiterbeteiligung, der in der faktischen Stärkung der Eigenkapitalbasis besteht.

Sie wollen "Herr im Haus" bleiben und sich in ihre Geschäftspolitik nicht durch beteiligte Belegschaftsangehörige hineinreden lassen.

Auf der anderen Seite fürchten die Gewerkschaften einen Verlust an Einfluss und Macht, wenn aus abhängig Beschäftigten haftende Miteigentümer werden.

Deshalb ist es um so wichtiger, auf die vielen praktischen Beispiele hinzuweisen, die zeigen, dass es für Unternehmer und Beschäftigte von Vorteil ist, Kapitalbeteiligungen zu vereinbaren.

Es sind zum Glück nicht mehr nur Pioniere wie Philipp Rosenthal, die beweisen, dass es geht. Gerade in den neuen Ländern gibt es eine ganze Reihe von erfolgreichen Modellen der Mitarbeiterbeteiligung.

Diese haben es manchem Unternehmen überhaupt erst möglich gemacht, den Sprung von der Plan- zur Marktwirtschaft zu überleben.

Ein interessantes Modell ist auch der Zeitwertfonds von VW. Zeitguthaben werden in eine Kapitalbeteiligung umgewandelt.

Diese wird von verschiedenen Kapitalanlagegesellschaften professionell verwaltet.

Solche Beispiele zeigen, dass die betriebliche Praxis die Ideologie längst überholt hat. Auch die unter dem Dach des Bündnisses für Arbeit zustande gekommene gemeinsame Erklärung von BDA und DGB gibt Anlass zu Optimismus.

Auf der Grundlage der Flächentarifverträge soll auf betrieblicher Ebene eine stärkere Beteiligung der Beschäftigten am Unternehmenserfolg angestrebt werden.

Die Reihenfolge ist ganz klar. Zuerst sind die Sozialpartner am Zuge.

Dann wird die Bundesregierung Festlegungen über mögliche gesetzgeberische Maßnahmen zur stärkeren Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital treffen.

V. Meine Damen und Herren,

Mitarbeiterbeteiligungen sind ein richtiger Ansatz, um im Strukturwandel die gesellschaftliche Stabilität zu wahren.

Unternehmen, die ihre Beschäftigten durch Beteiligungen an sich binden, werden die Chancen der Globalisierung besser nutzen und die Risiken zurückdrängen können.

Die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand bringt uns jener Teilhabegesellschaft näher, die gerade wir Sozialdemokraten anstreben.

VI. Ich habe bisher über die Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivkapital, am wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen gesprochen. Aber Mitarbeiterbeteiligung bedeutet gerade in einer Zeit, in der sich Wirtschaftsleben und Arbeitswelt dramatisch verändern, noch mehr.

Neue Formen der Mitarbeiterbeteiligung sind auch in der betrieblichen Arbeitsrealität notwendig.

Auf die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaftsbeziehungen, auf den wachsenden Konkurrenzdruck und auf den verschärften Kostenwettbewerb haben die Unternehmen in den 90er Jahren mit einem Umbau ihrer Strukturen und einer Neuorganisation der Wertschöpfungsketten reagiert.

Wer sich am Markt behaupten will, der muß produktiver sein als die Konkurrenz. Das ist auch heute das Gebot der Stunde.

Höhere Produktivität durch Rationalisierung, durch optimalen Einsatz moderner Techniken und durch größere Flexibilität in der Produktion zu erzielen das ist längst nicht mehr alleinige Sache der Experten aus der Produktionsplanung.

Wer die Produktivität im Unternehmen steigern will, muß alle Mitarbeiter einbeziehen.

Mit starren Vorgaben von oben, mit engen Vorschriften und lückenlosen Kontrollen läßt sich kein Unternehmen der Zukunft schaffen.

Gerade die deutschen Unternehmen werden sich im internationalen Wettbewerb mit wissensintensiven Produkten und Dienstleistungen behaupten müssen.

Ohne qualifizierte, motivierte und engagierte Mitarbeiter sind solche Produkte aber nicht zu entwickeln und herzustellen.

Die Unternehmen brauchen Arbeitnehmer, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Arbeitnehmer, die in der Lage sind, Probleme selbständig zu lösen. Die es als selbstverständlich betrachten, Arbeitsabläufe aus eigener Anschauung und Erfahrung heraus zu verbessern.

Eine Arbeits- und Unternehmenskultur, die von Bevormundung, Leistungskontrolle und Unselbständigkeit geprägt ist, läßt keinen Platz für den modernen Arbeitnehmer, den manche ja schon als "Unternehmer der eigenen Arbeitskraft" bezeichnen.

In der Gesellschaft wie in den Betrieben sind die erforderlichen Innovationen nur zu erreichen, wenn die Fähigkeiten und die Kreativität jedes Einzelnen genutzt werden. In den Unternehmen verlangt das eine neue Praxis der Beteiligung und der Kooperation.

Unser Modernisierungskonzept eröffnet auch den Arbeitnehmern neue Perspektiven. Der klassische Industriearbeiter hat Rationalisierung oft als Bedrohung empfunden.

Für ihn war der technische Wandel immer bloß die Angelegenheit des Unternehmens. Das ist längst nicht mehr so. Heute wollen die meisten Arbeitnehmer Mitspieler in einem erfolgreichen Team sein.

Sie wollen der Rationalisierung nicht ausgeliefert sein, sondern sich mit eigenen Ideen und Vorschlägen einbringen. Sie wollen dazu beitragen, daß die Wirtschaftlichkeit ihres Unternehmens verbessert und die Kosten gesenkt werden.

Diese Arbeitnehmer begreifen es als gemeinsame Sache von Beschäftigten und Unternehmensleitungen, dass sich das Unternehmen in der verschärften internationalen Konkurrenz behauptet.

Sie sperren sich nicht gegen den technischen Wandel.

Sie wissen, daß kein Unternehmen auf Rationalisierung und Innovation verzichten kann, und sie unterstützen diese Entwicklung.

Und sie sind bereit, hierfür ihren Beitrag zu leisten. Rationalisierung vollzieht sich dadurch nicht mehr als eine fast ausschließlich technische Vorgabe, sondern findet gewissermaßen in Eigenregie der Beschäftigten statt.

Eine solche "Rationalisierungs-Partnerschaft", die im übrigen nicht gleichzusetzen ist mit völliger Interessenharmonie im Betrieb, wird es ohne Kooperation und Teilhabe nicht geben.

Ich kann darum die Unternehmen nur auffordern, in der Arbeitspolitik die Möglichkeiten etwa der Gruppenarbeit viel mutiger und viel entschlossener als bislang zu nutzen.

Nicht nur, weil hier noch ungeahnte Reserven stecken, um Kosten zu senken und die Effizienz zu steigern. Nein, vor allem weil darin auch die großartige Chance steckt, die Arbeit humaner, interessanter und abwechslungsreicher zu machen.

Ich kann nur dazu ermuntern, diesen Weg zu gehen. Ich weiß: Eine neue Unternehmenskultur läßt sich nicht vom Staat verordnen. Sie muß aus den Betrieben heraus entstehen.

Die Voraussetzungen für eine innovative Arbeitspolitik sind gegeben. Die Möglichkeiten auch tatsächlich zu nutzen, das ist gemeinsame Aufgabe von Tarifparteien, von Unternehmensleitungen und Betriebsräten.

Ganz gewiss brauchen wir also in Zukunft mehr Freiräume für die betriebliche Gestaltung des Innovations- und Rationalisierungsprozesses. Das bedeutet für mich aber keineswegs eine Absage an das deutsche System der Mitbestimmung. Im Gegenteil:

Die Unternehmen, die sich jetzt neu organisieren, sind weniger hierarchisch als früher. Sie bieten aber auch weniger Sicherheit und erfordern deshalb mehr Vertrauen.

Das deutsche System der Mitbestimmung ist hervorragend geeignet, diese Entwicklung zu unterstützen und zu erleichtern.

Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist ein fester Bestandteil der deutschen Wirtschafts- und Sozialordnung.

Sie ist aber auch eine Chance, den weiteren wirtschaftlichen und sozialen Wandel erfolgreich zu gestalten.

In den vergangenen Jahren haben sich viele Unternehmen durch einen radikalen Umbau ihrer Strukturen auf die veränderten Verhältnisse eingestellt und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen.

Im Unterschied zu vielen anderen Industrienationen ist dieser Übergang in Deutschland mit erstaunlich wenigen Konflikten belastet gewesen.

Die exportorientierten deutschen Unternehmen konnten sich für den Weltmarkt fit machen, weil Arbeitnehmer und Betriebsräte in der Regel die nötigen Anpassungen aktiv im Interesse der Beschäftigten mitgetragen haben.

Spätestens damit hat die Mitbestimmung in Deutschland ihre Bewährungsprobe bestanden. Weil die Mitbestimmung zunehmend den jeweiligen betrieblichen Notwendigkeiten angepasst wurde, hat sie zur erfolgreichen Modernisierung der deutschen Wirtschaft beigetragen.

Für die Zukunft geht es aus meiner Sicht darum, die Mitbestimmung noch besser als bisher zur Sicherung und Ausweitung von Beschäftigung zu nutzen.

Ich denke dabei besonders an die beschäftigungsorientierte Umsetzung von Tarifverträgen durch Betriebsvereinbarungen.

Schon heute gibt es viele beispielhafte Standortvereinbarungen auf betrieblicher Ebene. Diese Politik müssen wir konsequent fortsetzen: In den Betrieben, bei den Tarifverhandlungen zwischen den Tarifparteien und nicht zuletzt im Bündnis für Arbeit.

Meine Damen und Herren,

Mitbestimmung und Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen sind bewährte und geeignete Instrumente, den Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft zu gestalten.

Sie können dazu beitragen, die Qualität der Arbeit und die Betriebsergebnisse zu verbessern. Sie können auch eine wichtige Rolle spielen beim Umbau der Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere der Altersversorgung.

Vor allem aber bringen Mitbestimmung und Mitarbeiter-Beteiligung uns in einer Zeit, da viele alte Gewissheiten der Sozialen Marktwirtschaft in Frage gestellt werden, unserem großen gesellschaftlichen Ziel näher: Einer zivilen Teilhabegesellschaft, in der Verantwortung, Chancen und Mitsprache gerecht verteilt sind.