Redner(in): Angela Merkel
Datum: 08.03.2006

Untertitel: Ein neues Regierungsprogramm für die Informationsgesellschaft und ein nationaler IT-Gipfel sollen die digitale Entwicklung in Deutschland beschleunigen. Das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwochabend bei der Eröffnung der Computermesse Cebit in Hannover angekündigt. In die Förderung zukunftsträchtiger Schlüsseltechnologien sollen zusätzliche sechs Milliarden Euro fließen.
Anrede: Sehr geehrte Herren Ministerpräsidenten, insbesondere lieber Christian Wulff, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Frau Kommissarin, liebe Kollegin Annette Schavan, liebe Kollegen aus Regierungen anderer Länder, lieber Herr Berchtold, lieber Herr Sarin, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/03/2006-03-08-hightech-strategie-fuer-deutschland,layoutVariant=Druckansicht.html


Herr Oberbürgermeister, ich freue mich ganz besonders, dass ich heute hier bei der 20. CeBIT dabei sein darf. Ich möchte Ihnen ganz herzlich für die Gastfreundschaft der Stadt Hannover danken. Ich glaube, ich sage etwas Wahres und trotzdem nichts Betrübliches: Eigentlich sind Sie die einzige Konstante der CeBIT. Sie waren auch vor 20 Jahren schon dabei.

Kanzler und Ministerpräsidenten kommen und gehen, aber wir freuen uns, dass einer die ganze Geschichte kennt.

Die Kanzlerin mit Oberbürgermeister Schmalstieg, Vodafone-Vorstand Sarin und Bitkom-Präsident Berchtold ( von links )

Meine Damen und Herren, gestern vor 130 Jahren, am 7. März 1876, erhielt Alexander Graham Bell das Patent für seine Idee eines Fernsprechgeräts. Er hatte es, ohne bereits ein funktionsfähiges Telefon gebaut zu haben -so etwas soll auch heute manchmal vorkommen - , bereits drei Wochen zuvor als Patent angemeldet.

Kurz darauf, am 10. März 1876, soll er das erste Telefonat mit seinem Assistenten - der hielt sich im Nebenraum auf - geführt und gesagt haben: "Mr. Watson, kommen Sie her. Ich möchte Sie sehen." Ich erzähle Ihnen diese Geschichte aus zwei Gründen. Es ist bekannt, dass schon vor Bell andere Tüftler ähnliche Apparaturen erfunden hatten, zum Beispiel 1861 der Deutsche Philipp Reis. Aber es war Alexander Graham Bell, der diese Erfindung zu einem marktfähigen Produkt weiterentwickelte und damit auch einen der Grundsteine für diese Messe gelegt hat.

Was vor 130 Jahren in einer kleinen Werkstatt begann, war die Grundlage einer weltumspannenden Industrie. Der Weltmarkt für Informations- und Kommunikationstechnologie insgesamt hat heute ein Volumen von knapp 2Billionen Euro. Wenn man das mit dem vergangenen Jahr vergleicht, dann ist das ein Plus von 4 % . Auf der CeBIT 2006 wird man sich einen exzellenten Überblick über diesen faszinierenden Markt verschaffen können.

6.000 Aussteller aus 71Ländern - Sie, die hierher gekommen sind, machen die CeBIT zur weltweit größten und wichtigsten Messe der Informations- und Kommunikationsindustrie. Hunderttausende Fachbesucher und interessierte Laien aus aller Welt werden hierher kommen und in den nächsten sieben Tagen mit Interesse durch die Messehallen gehen. Ich möchte Sie im Namen der Bundesregierung hier in Deutschland, hier in Hannover ganz herzlich begrüßen.

Die Geschichte von Alexander Graham Bell habe ich zum einen erzählt, weil aus einer Erfindung ein marktfähiges Produkt wurde, das dazu beigetragen hat, die Welt zu verändern. Aber zum anderen scheint das, was Alexander Graham Bell sagte,"Mr. Watson, kommen Sie her, ich möchte Sie sehen", trotz aller Informations- und Kommunikationstechnologie auch wichtig zu sein: nämlich der persönliche Kontakt der Menschen. Er findet auf dieser Messe statt, im Gespräch, im Sinne einer Zukunftswerkstatt.

Meine Damen und Herren, wir als Deutsche sind stolz darauf, dass wir uns in vielen Phasen unserer Geschichte als Zukunftswerkstatt verstanden haben. Als ich heute vor der Eröffnung der CeBIT Christian Wulff in seiner Staatskanzlei besuchte, hat er mir ein Faksimile übergeben, das mir deutlich gemacht hat: Keine CeBIT ohne einen bestimmten Deutschen, nämlich Leibniz. Denn Gottfried Wilhelm Leibniz ist der Erfinder des binären Codes. Leibniz hat 1697 an den Wolfenbütteler Herzog geschrieben, dass er das Funktionsprinzip der Dyadik erfunden hätte und dass diese Dyadik die Grundlage des binären Codes ist. Für ihn bedeutete die Eins damals Gott, die Null das Nichts. Daraus haben sich dann die Computersprachen entwickelt. So ist die Geschichte.

Das war also 1697. Die Erfindung des Telefons kam dann im 19. Jahrhundert. Wenn wir einmal sehen, mit welcher Beschleunigung sich diese Innovationen in der heutigen Entwicklung Bahn verschafft haben, dann zeigt das, in welcher interessanten Phase wir heute leben.

Meine Damen und Herren, Zukunftswerkstatt Deutschland hatte auch etwas mit Konrad Zuse zu tun. Er hat den ersten Computer gebaut. Wir sind auch froh, dass das erste Auto in Deutschland gebaut wurde und dass hier das Aspirin erfunden wurde. Ich sage das, weil ich der festen Überzeugung bin, dass Deutschland an diese Tradition sehr selbstbewusst wieder anknüpfen sollte.

Innovation ist die Grundlage für Wohlstand. Heute, in einer stark vernetzten Welt, geht es um die Frage, ob wir uns einem wachsenden Wettbewerb selbstbewusst stellen oder ob wir uns vor diesem Wettbewerb verschließen. Unsere Antwort kann nur sein: Wir wollen in diesem Wettbewerb mitmachen. Wir sehen, dass Wettbewerber hinzugekommen sind. Wir wissen, dass in China, in Indien, in vielen Teilen der Welt ungeahnte Erfolge gefeiert werden. Wir sagen: Es ist gut so, dass viele darum wetteifern, vorne dabei zu sein, aber wir wollen in diesem Wettbewerb mitmachen.

Meine Damen und Herren, nur so werden wir die Herausforderungen, vor denen wir stehen, begreifen und auch bewältigen können. Das heißt, den Wohlstand erhalten, Arbeitsplätze schaffen und der demografischen Entwicklung, der wir in ganz Europa und in besonderer Weise in Deutschland begegnen, auch etwas entgegensetzen zu können.

Wenn es um Politik geht, dann geht es natürlich nicht um die direkte Entwicklung der Innovation, so wie wir es eben gehört haben, sondern es geht darum, dass Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzt, dass Politik sozusagen eine Umgebung schafft, in der sich Innovationen vernünftig entwickeln können.

Wir haben heute im Kabinett die Erarbeitung eines Programms beschlossen. In diesem Programm soll es darum gehen, bis zum Sommer die entsprechenden Rahmenbedingungen für die Informationsgesellschaft noch einmal zu überprüfen und zu erweitern.

Natürlich wird ein Schwerpunkt dieses Programms der weitere Ausbau der digitalen Infrastruktur sein. Bei der Nutzung von Breitband-Internet hat Deutschland in den letzten Jahren aufgeholt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir nicht die Treiber der Entwicklung waren, das heißt, dass wir die Abstände zu den führenden Nationen kleiner machen müssen. Wir wollen die DSL-Struktur ausbauen, genauso aber auch die Kabelinfrastruktur. Ich glaube, dass die Industrie in Deutschland zusammen mit vernünftigen politischen Rahmenbedingungen in Deutschland und in Europa dazu die notwendigen Entwicklungen beisteuern kann.

Es gibt natürlich bei der Beschreitung solcher neuen Wege - und diese stehen uns jeden Tag ins Haus - auch immer wieder Zielkonflikte. Ich nenne ganz ausdrücklich einen solchen Konflikt, mit dem sich sowohl die Europäische Kommission als auch die Bundesregierung immer wieder befassen müssen: Das ist der Konflikt zwischen Innovation, Investitionen in Innovation und dem Bekenntnis zum Wettbewerb. Diesen Konflikt gibt es im Übrigen nicht nur in der Informations- und Telekommunikationsbranche, sondern genauso auch in anderen Bereichen, wie in der Europäischen Union zu sehen ist.

Wir müssen in diesem sich rasant entwickelnden Markt immer wieder - das ist im Übrigen die eigentliche Herausforderung für die Politik - die entsprechenden Rahmenbedingungen verändern. Deshalb, so glaube ich, hochverehrte Kommissarin, werden wir im nächsten Jahr auch eine Revision der EU-Richtlinie zur Telekommunikation in Angriff nehmen müssen. Wir wollen uns während der deutschen Präsidentschaft hierbei sehr engagieren.

Meine Damen und Herren, wir haben in der neuen Bundesregierung in unserem Investitionsprogramm mit Bedacht einen Schwerpunkt auf ein 6-Milliarden-Euro-Programm zur Förderung von Zukunftstechnologien gesetzt. Wir tun dies, weil der Bund seinen Beitrag dazu leisten muss, damit es Deutschland schafft, 3Prozent unserer Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung aufzuwenden.

Die neuen Maßnahmen werden wir in der "Hightech Strategie Deutschland" zusammenfassen. Die Bundesforschungsministerin Annette Schavan wird dies tun. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass wir dies nicht im luftleeren Raum angehen können, sondern dass wir dazu die Kooperation mit den Akteuren brauchen. Ich freue mich, dass auch seitens der Bundesländer die Bereitschaft besteht, den Länderanteil zur Erreichung des 3Prozent-Ziels beizusteuern. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Gedanke, den wir durchsetzen müssen.

Aber das bedeutet natürlich auch, dass die Wirtschaft ihren Beitrag dazu leisten muss. Wir wissen, dass in Deutschland auf einen öffentlich ausgegebenen Euro für Forschung und Entwicklung zwei Euro aus dem wirtschaftlichen Bereich an Investitionen für Forschung und Entwicklung hinzukommen müssen, um dieses 3Prozent-Ziel bis zum Jahr 2010 erreichen zu können. Das heißt, jeder muss in diesem Zusammenhang seinen Beitrag leisten.

Deshalb habe ich bereits im Wahlkampf darauf hingewiesen -für die Bundesregierung und für mich ganz persönlich- , dass ich einen "Rat für Innovation und Wachstum" einrichten möchte. Er soll von Dr. von Pierer geführt werden und soll der Beratung der Bundesregierung, zumindest der einschlägigen Ressorts, dienen, weil es ganz wichtig ist, dass wir als Politiker in diesem sich schnell verändernden Innovationsprozess an dem Verstehen, an dem Wissen und dann auch an dem Schaffen der geeigneten Rahmenbedingungen teilhaben und diese aktiv gestalten können. Wir brauchen also eine enge Verzahnung von Politik und den Akteuren im wirtschaftlichen Bereich.

Wir können dabei auf einer Initiative der vergangenen Bundesregierung und des Bundeskanzlers Gerhard Schröder aufbauen, der mit "Partner für Innovation", einen Anstoß gegeben hat, um das Gefühl für Technik, für Innovation weiter zu verbreiten. Es sind daraus 60 spannende Projekte entstanden, an denen sich über 300 Akteure beteiligt haben. Damit ist eine Phase der Ermutigung in Gang gekommen, die wir in der neuen Bundesregierung fortsetzen wollen. Wir wollen sie fortsetzen im "Rat für Innovation und Wachstum" als Beratungsgremium, gerade auch als Beratungsgremium, an dem sich auch mittelständische Unternehmen beteiligen können, um zu zeigen, wie sie sich den Herausforderungen der Globalisierung stellen können. Das ist für sie oft noch komplizierter als für die großen internationalen Akteure.

Wir wollen weiter unter der Leitung der Bundesforschungs- und -bildungsministerin einen "Dialog Wissenschaft und Politik" installieren, der dafür Sorge trägt, dass die zusätzlichen Forschungsmittel so ausgegeben werden, dass sie Ressourcen aus dem wirtschaftlichen Bereich binden. Dieser Dialog soll auch dafür Sorge tragen, dass wir die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen, wirtschaftlich in Deutschland besser aktiv werden zu können.

Ich glaube, dass dieses Herangehen ganz wichtig ist. In einer Welt, die sich immer stärker vernetzt, müssen auch Politik und Wirtschaft, ohne dass wir als Politiker daran denken, steuernd eingreifen zu können, voneinander wissen und miteinander agieren. So wie wir in diesem Jahr seitens der Bundesregierung einen nationalen Energiegipfel durchführen wollen, möchte ich auch im Jahr der Informatik, das wir nicht ohne Grund ausgerufen haben, einen nationalen Gipfel für Informatik, für IT-Technologien veranstalten.

Ich glaube, dass dies wichtig ist, damit wir ein besseres Gefühl dafür bekommen, welche Ressourcen wir haben und welche wir noch weiterentwickeln müssen. Denn wir sind nach meiner Auffassung an einem ganz spannenden Punkt angelangt, weil das, was die Informatik kann, zunehmend alle Bereiche unserer Arbeits- und Lebenswelt durchdringen wird.

Wir müssen in Deutschland ganz nüchtern konstatieren, dass wir sowohl bei der Entwicklung von Speicherkapazitäten und Chips als auch bei der Entwicklung von Software nicht immer vorne mit dabei sind. Aber in der Phase der Implementierung in alle Bereiche des Lebens haben wir in Deutschland -ich sage auch in Europa- wieder eine Chance, weit vorn mit dabei zu sein. Diese Chance sollten wir ergreifen.

Es ist -ich sage das ganz klar, aber auch mit der nötigen Unschärfe- für die Politik in einer Zeit, in der sich Technologien so rasant ändern, sie so rasant in alle Lebensbereiche eingreifen, gar nicht immer einfach, die Setzung der entsprechenden Rahmenbedingungen -vom Arbeitsrecht über das Steuerrecht bis zum Urheberrecht und vielen anderen Dingen- in der Zeitspanne zu erreichen, in der es notwendig wäre, um neuen Technologien Bahnen zu verschaffen.

Das ist eine Aufgabe, die uns dazu zwingt zu akzeptieren, dass sich das Wissen auf der Welt in immer kürzeren Zeiträumen verdoppelt, dass sich gerade im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie die Dinge rasant entwickeln. Wir, die wir eher aus der Schule des Bürgerlichen Gesetzbuches kommen, in dem die Gesetze von 1923 auch einmal verändert werden können, müssen sehr schnell, sehr klar lernen, wesentliche Entwicklungen nicht zu behindern, sondern ihnen Raum zu lassen. Das impliziert auch den Mut zur Lücke in der Politik. Auch dafür ist Deutschland nicht immer bekannt gewesen.

Meine Damen und Herren, wir führen die vielen Aktivitäten innerhalb der Politik -und ich bin auch den Akteuren in der Wirtschaft sehr dankbar- auch deshalb durch, weil wir vor allem unsere jungen Menschen dazu animieren müssen, in diesen Bereichen ihre beruflichen Chancen zu sehen. Wir haben in Deutschland 5Millionen Arbeitslose. Das ist richtig. Aber wir haben gleichzeitig Zehntausende von Ingenieuren zu wenig. Wir haben zu wenige junge Leute, die sich dafür entscheiden, in der Informationstechnologie ihre Berufschancen zu sehen. Wir haben über viele Jahre nicht die notwendige Offenheit und Neugierde für Technik und Innovation gehabt. Wir müssen diese Tendenz umdrehen, weil davon abhängen wird, ob wir mit denen, die in der Welt vorne dabei sind, mithalten können.

Meine Damen und Herren, nachdem in den vergangenen Jahren DSL-Internet, Internet-Telefonie und vieles andere, was heute schon Eingang in den Massenmarkt gefunden hat, im Vordergrund stand, möchte ich heute ein anderes Beispiel von dieser Messe herausgreifen. In diesem Jahr befassen wir uns an einer besonderen Stelle vielleicht mit etwas, was für viele noch Neuland sein wird, nämlich Radio Frequency Identification, RFID. Ich bin davon überzeugt, dass RFID unsere Arbeitswelt, aber auch vieles, was wir in unserer Freizeit machen, massiv verändern wird. Wer sich für diese Technologie interessiert, der wird sehen -Herr Berchtold hat es eben gesagt- , dass sich die gesamte Logistik verändern wird, bis weit in Alltsgsbereiche wie Einkauf und viele andere hinein.

Auch hierbei wird es wieder darauf ankommen, dass wir zuerst die Chancen sehen und nicht als Erstes nach den Risiken fragen. Ich will die Risiken nicht ausblenden, aber ich will ganz deutlich sagen: Deutschland ist in vielen Bereichen vorne mit dabei; und wir wollen diese Position nicht aufgeben, indem wir Bedenken tragen, sondern wir wollen sie befördern. Ich jedenfalls werde mir das mit großem Interesse anschauen.

Meine Damen und Herren, wir werden auch seitens der öffentlichen Hand ein Beispiel setzen mit der Gesundheitskarte. Und wir werden beim E-Government spürbare Fortschritte machen. Auch darüber haben wir heute im Kabinett gesprochen. 440 Dienstleistungsangebote macht der Bund inzwischen schon. Das spart Zeit -es ist eben vom Zeitmanagement geredet worden- , und es spart Bürokratiekosten.

Wir wollen seitens des Bundes auch den Ländern und Kommunen anbieten, in einem gemeinsamen Aktionsplan "Deutschland-Online" vernetzt an die Sache heranzugehen. Denn der Bürger lebt in Deutschland, in seinem Bundesland, in einer Kommune und möchte aber auch ein möglichst einheitliches, verwaltungsübergreifendes Angebot.

Die Beratungen über diesen Plan werden übrigens in den nächsten Tagen beginnen, und zwar hier auf der CeBIT. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen. Ich will nicht sagen: Da kann nichts mehr schief gehen. Aber zumindest ist es ein gutes Omen.

Meine Damen und Herren, damit bin ich bei einem Thema, das für Deutschland von allergrößter Wichtigkeit ist, nämlich beim Abbau von Bürokratie. Die neue Bundesregierung hat sich vorgenommen, nicht nur punktuell bürokratische Hemmnisse abzubauen, sondern beim Bundeskanzleramt einen so genannten Normenkontrollrat einzurichten, der darüber befindet, wie man die Bürokratiekosten messen kann und welche Reduktionsmöglichkeiten man hierbei hat.

Wir wissen, dass das niederländische Standardkostenmodell -angewandt in ähnlicher Form auch in Großbritannien- und das auch in Europa implementiert werden soll, deutliche Fortschritte gebracht hat. Ich finde, wir können an diese guten Reformen und Erfahrungen anknüpfen.

Meine Damen und Herren, gerade im mittelständischen Bereich wird das von allergrößter Bedeutung sein. Wenn wir bedenken, dass heute 4 bis 6Prozent des Umsatzes eines mittelständischen Betriebes in Bürokratiekosten aufgehen, wenn wir um die Knappheit an Eigenkapital wissen, dann heißt das, eine Halbierung der Bürokratiekosten könnte erhebliche Innovationskräfte in Deutschland freisetzen. Das ist gerade in den Branchen, die sich schnell entwickeln, von allergrößter Bedeutung.

Wir haben uns das Ziel gesetzt, dass Deutschland in den nächsten zehn Jahren -das ist gar nicht mehr viel Zeit- in den wesentlichen Daten bei Wachstum, Beschäftigung und Ausgaben für Forschung und Innovation wieder unter die ersten drei in Europa kommt. Ich glaube, wir müssen verstehen, dass wir das nicht schaffen, indem wir eine große Reform machen, sondern dass wir das nur schaffen können, indem wir viele verschiedene Reformen gleichzeitig auf den Weg bringen, die in die gleiche Richtung weisen. Ich nenne das einen modernen Reformansatz und kann darauf verweisen, dass auch in der IT-Branche die Erfahrung gezeigt hat, dass nicht der Großrechner das effizienteste Produkt ist, sondern dass die Vernetzung vieler kleiner Rechner miteinander die Lösungen vorangetrieben haben - also: flache Hierarchien, breite Vernetzung, hohe Variabilität.

Das wiederum muss auch der politische Ansatz sein: nicht die große Lösung von der Zentrale, sondern Lösungen möglichst nahe beim Menschen, mit möglichst vielen Freiräumen. Das sind die lernfähigsten Systeme. Hierbei wollen wir weiter aus Ihrer Branche lernen, wenn wir politisch handeln. Weisen Sie uns darauf hin, wenn wir davon abweichen.

Meine Damen und Herren, ich habe in der großen Koalition, die sicherlich manche politische Unterschiedlichkeit zu überwinden hat, die in manchen Fragen auch nach wie vor trotz guter Zusammenarbeit unterschiedlicher Meinung ist, wie man bestimmte Probleme lösen muss, gesagt: Wir müssen viele kleine Schritte gehen, damit wir Deutschland auf den richtigen Weg führen.

Wir haben in einer ersten Etappe ein Investitionsprogramm von 25Milliarden Euro beschlossen -ich habe über den Teil Forschung und Innovation berichtet- ; wir haben in Bezug auf die Zukunft des Rentensystems sehr klar gesagt, dass wir Änderungen vornehmen müssen, dass sich das Renteneintrittsalter in einer älter werdenden Gesellschaft nach oben verschieben muss. Wir müssen es aber genauso schaffen, älteren Arbeitnehmern bessere Arbeitsmöglichkeiten zu geben. Wir müssen die Lohnzusatzkosten unter 40Prozent senken.

Nach dieser Anfangsetappe werden wir weitere Schritte in Angriff nehmen: Das wird die Gesundheitsreform sein, das werden Maßnahmen bei der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sein, obwohl wir hier sicherlich die größten Differenzen innerhalb der großen Koalition haben; das wird das Thema sein, dass wir die Unternehmensbesteuerung in Deutschland mit verlässlichen -ich betone, verlässlichen- Rahmenbedingungen, aber natürlich auch attraktiven Steuersätzen durchsetzen; das wird die Tatsache sein, dass wir gerade unseren Familienunternehmen mit einer Neuregelung des Erbschaftssteuerrechts ein Stück Ermutigung geben; das wird auch die Tatsache sein, dass wir in Deutschland solide Finanzen brauchen.

In einer älter werdenden Gesellschaft mit den demografischen Problemen, die Deutschland hat, ist es zwingend notwendig, dass wir lernen, nicht immer Wechsel auf die Zukunft zu ziehen, sondern endlich von dem zu leben, was wir erwirtschaften. Ich halte das nicht nur für eine fiskalische, sondern auch für eine moralische Aufgabe.

Meine Damen und Herren, Deutschland ist kein Billiglohnland und will es auch nicht werden. Aber wenn Deutschland kein Billiglohnland ist, sondern ein Land ist, das hohe Löhne und einen hohen Lebensstandard erhalten will, dann muss es für Innovationen, für Erneuerungen, für Veränderungen offen sein und stehen.

Wir wissen, dass wir lernen müssen, dass es nicht reicht, flexiblere Flächentarifverträge zu haben, um die Belegschaften zu motivieren, sondern wir müssen auch Lösungen finden, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an dem Gewinn, an der Entwicklung des Unternehmens zu beteiligen. Diese Frage ist in Deutschland über Jahrzehnte hinweg diskutiert worden. Für mich ist sie eine zentrale Frage der Sozialen Marktwirtschaft. Sie ist letztlich immer daran gescheitert, dass man sich auch der Frage stellen muss, was passiert, wenn ein Unternehmen einmal keinen Gewinn erzielt. Man kann nicht nur an den Chancen teilhaben, sondern man muss sich auch mit den Risiken auseinander setzen. Aber ich glaube, dass wir hier Lösungen finden müssen.

Wenn wir wissen, dass in Großbritannien und den Niederlanden fast jeder dritte Mitarbeiter an Unternehmen beteiligt ist, in Deutschland aber nur jeder zwanzigste, dann haben wir bei wachsender Bedeutung des Kapitals noch einen unglaublichen Nachholbedarf. Ich glaube, gerade in den neuen Arbeitsbereichen wäre es sehr sinnvoll, zu Lösungen zu kommen.

Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass die CeBIT 2006 eine Messe der Zuversicht wird. Das Klima ist in diesem Jahr in Deutschland gut. Die Erwartungen sind hoch. Sie repräsentieren eine Branche, die auch in den vergangenen Jahren überdurchschnittliche Wachstumsraten aufgewiesen hat und die -auch das ist ganz wichtig- Einstellungen vornimmt, das heißt, zunehmende Beschäftigungszahlen in vielen Betrieben aufweist.

Wir haben erst vor der Eröffnung der Messe mit Herrn Berchtold darüber diskutiert, ob ich sagen soll, dass die IKT-Branche mit 87Milliarden Euro Bruttowertschöpfung im Jahr 2004 den Maschinen- und Automobilbau überholt hat. Ich habe gesagt: Ich sage das einfach mal. Und ich sage das nicht -das würde ich mich in Hannover niemals trauen- im Gegensatz zur Automobilindustrie, sondern ich sage das, weil erstens die Automobilindustrie ihre Innovationen in Deutschland im Wesentlichen aus dieser Branche schöpft. Ich sage das zweitens, weil es zeigt, wie sich die Dinge in Deutschland verschieben, wissend, dass unsere Automobilindustrie auf dem Weltmarkt eine führende Position einnimmt und gleichzeitig wissend, dass wir bei der IKT-Technologie noch sehr viel zulegen müssen.

Ich bin deshalb der Meinung - und ich werde das auch mit der Europäischen Kommission in Bezug auf die deutsche Präsidentschaft intensiv diskutieren; deswegen freue ich mich, Frau Kommissarin Reding, dass Sie heute Abend hier sind- , Europa sollte sich überlegen, ob es nicht noch einmal einen gemeinsamen Anlauf gibt, einen gemeinsamen Anlauf, Schwerpunkte zu setzen. Wir haben in anderen Bereichen gezeigt, dass wir es schaffen können, Weltchampions zu werden. Ich sage allerdings auch, wir müssen in Europa lernen, dass, wenn wir von Europa profitieren wollen, wir nicht europäische Richtlinien erarbeiten dürfen, um anschließend national zu handeln, sondern wir müssen uns auch zu europäischen Champions bekennen. Alles andere wird in die Irre führen, meine Damen und Herren.

Vor Ihnen liegen jetzt sieben spannende, lange und hoffentlich erfolgreiche Messetage. Ich freue mich, mir morgen bei einem Rundgang einen kleinen Einblick in die Vielfalt der neuen Technologien geben lassen zu können. Ich habe ein bisschen Sorge, so vieles nicht zu verstehen, ein bisschen Hoffnung, an manches noch anschließen zu können. Aber allein mit SMS kann man heute auch nicht mehr überleben. Auch das muss ich lernen.

Manchmal bekommt man Angst, alt zu werden, wenn man sieht, wie schnell sich die Dinge verändern. Aber die Neugierde auf das, was neu ist, auf das, was Sie präsentieren werden, lässt vielleicht meine Befürchtungen morgen schwinden und ich werde dann voller Freude zurückfahren können. Auf jeden Fall bin ich ganz gewiss, dass Sie hier in Hannover gern gesehene Gäste sind, dass Sie sich wohlfühlen werden. Wir freuen uns, dass Sie alle aus Deutschland und aus vielen anderen Ländern zu uns gekommen sind.

20 Jahre CeBIT - eine Erfolgsstory. So soll es bleiben. Herzlichen Dank, dass ich sie heute eröffnen darf. Die CeBIT ist hiermit eröffnet. Das ist für Sie, glaube ich, das wichtigste Signal des heutigen Abends.