Redner(in): k.A.
Datum: 26.04.2006

Untertitel: "Kommune ohne bürgerschaftliches Engagement ist nach dem Grundgesetz, nach den Gemeindeordnungen, aber vor allem in der Praxis nicht denkbar."
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/04/2006-04-26-rede-des-chefs-des-bundeskanzleramts-de-maizi_C3_A8re-beim-staedte-und-gemeindetag-mecklenburg-vorp,layoutVariant=Druckansicht.html


die Zukunft der Städte und Gemeinden ist für unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht von entscheidender Bedeutung: In seiner Stadt, in seiner Gemeinde, in seinem Landkreis erlebt der Bürger den Staat hautnah. Die Kommunen bilden das unverzichtbare demokratische Fundament unseres Staates. Unser Staat ist von unten nach oben gebaut - oder sollte es wenigstens sein... .

Daher sind leistungsstarke und zukunftsfähige Kommunen im vitalen Interesse aller, auch des Bundes. Es geht darum, ein stabiles und funktionierendes Gemeinwesen unter Einbeziehung sämtlicher staatlichen Ebenen zu sichern.

Die Kommunen sind eben nicht nur wichtiges Vollzugsorgan staatlicher Gesetze, sondern sie bilden auch die Grundlage vielfältigen gemeindlichen Lebens und sind erster Ansprechpartner für die meisten Lebenslagen der Bürgerinnen und Bürger.

Kommune ohne bürgerschaftliches Engagement ist nach dem Grundgesetz, nach den Gemeindeordnungen, aber vor allem in der Praxis nicht denkbar. Nirgendwo sonst sind Bürgerinnen und Bürger so unmittelbar von Entscheidungen der öffentlichen Hand betroffen. Und nirgendwo sonst nehmen Bürgerinnen und Bürger so intensiv und so verantwortungsvoll Einfluss auf das öffentliche Leben. Das hat eine lange Tradition in Deutschland.

Uns Politikern wird ja immer gerne vorgeworfen, wir würden bürgerschaftliches Engagement besonders dann loben und fordern, wenn wir kein Geld mehr für Soziales haben. Dem widerspreche ich entschieden. Für mich ist bürgerschaftliches Engagement ein Ausdruck von Freiheit und Verantwortung. Ein Gemeinwesen kann nur gut funktionieren, wenn die Einzelnen bereit sind, Verantwortung für sich und das Ganze mit zu übernehmen. Und in den Kommunen ist das der Fall.

Anrede,

ich möchte Ihnen einige wenige Punkte vortragen, die aus Bundessicht für die Zukunft der Kommunen besonders wichtig sind. Dabei beschränke ich mich - natürlich - auf das, wo der Bund eine Regelungskompetenz hat.

1. Die Föderalismusreform ist nach langen Verhandlungen und Beratungen nun auf den Weg gebracht und befindet sich in den parlamentarischen Beratungen.

Diese Reform bietet uns die historische Chance, die horizontal und vertikal verflochtenen Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten von Bund und Ländern klarer zu trennen und so Spielräume für eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung der staatlichen Ebenen zu eröffnen. Von der Verkürzung von Entscheidungswegen und von mehr Transparenz staatlichen Handelns werden wir alle profitieren: Bund und Länder werden Gesetzgebung schneller und effizienter umsetzen. Der einzelne Bürger wird staatliches Handeln besser verstehen und eigenverantwortlicher und souveräner agieren können. Die Kommunen sind ein wirklicher Gewinner der Reform: Zukünftig dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht durch Bundesgesetz übertragen werden.

Maßgeblich zur klareren Trennung der Verantwortlichkeiten trägt die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen mit der Abschaffung der Rahmengesetzgebung bei. Eine bürgernahe Aufgabenwahrnehmung kann am besten vor Ort erfolgen. Die Verlagerung von Materien in Landesgesetzgebungskompetenz, zum Beispiel für Ladenschluss- und Gaststättenrecht sowie Versammlungsrecht, entspricht daher dem Prinzip der Subsidiarität. Die Landtage werden gestärkt. Dies kommt letztlich dem einzelnen Bürger zu Gute und stärkt seine demokratische Teilhabe.

In einem weiteren Reformschritt wollen wir gemeinsam die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu ordnen.

2. Im steuerlichen Bereich steht vor allem die Reform der Unternehmensbesteuerung an, deren Umsetzung zum 1. Januar2008 geplant ist: Die Unternehmensteuerreform soll zu mehr Wachstumsdynamik in unserem Land beitragen. Deutschland steht auch bei der Besteuerung im internationalen Wettbewerb. Richtig ist, dass der Standort Deutschland auch seinen Preis hat und wir daher keine Billigtarife wie anderswo einführen können.

Auf der anderen Seite dürfen wir auch nicht die rote Laterne haben. Deutschland hat gegenwärtig die höchsten nominalen Steuersätze bei Kapitalgesellschaften in Europa. Dies muss geändert werden. Denn die Steuersätze haben eine wichtige Signalwirkung für Investoren.

Die geplante Unternehmensteuerreform muss jedoch haushaltspolitisch verkraftbar sein. Steuerausfälle wie seinerzeit bei der Umstellung der Körperschaftsteuer auf das Halbeinkünfteverfahren im Jahr 2001 kann sich die öffentliche Hand nicht mehr leisten. Seinerzeit brachen die Steuereinnahmen aus der Körperschaftsteuer von plus 20Milliarden Euro im Jahr 2000 auf einen Auszahlungsbetrag von minus 400Millionen Euro im Jahr 2001 ein.

Bei der Reform der Unternehmensteuer sind die Konsequenzen für die Gewerbesteuer mit Abstand am schwierigsten. Den Kommunen muss insbesondere eine verlässliche und stetige Finanzquelle verbleiben.

Entscheidend ist, dass Veränderungen bei der Gewerbesteuer nur im Einvernehmen mit den Kommunen erfolgen sollen. Deshalb machen Sie bitte mit. Verweigern Sie sich nicht einer Belebung, Veränderung, einer Einbeziehung der Gewerbesteuer in die Überlegungen zur Unternehmensteuerreform.

Anrede,

3. Kaum ein europapolitisches Thema hat in den vergangenen Monaten die Gemüter so bewegt wie die EU-Dienstleistungsrichtlinie. Der ursprüngliche, von der Europäischen Kommission 2004 vorgelegte Richtlinienentwurf hat bei vielen Menschen Befürchtungen vor den Folgen eines liberalisierten europäischen Wettbewerbs bei Dienstleistungen ausgelöst.

Kern der Kritik war dabei das sogenannte Herkunftslandprinzip, das ausländische Dienstleistungserbringer dem Recht ihres Herkunftslandes unterwerfen sollte, auch wenn sie in einem anderen Land tätig werden. Gerade diese Regelung wurde wiederum von den deutschen Unternehmen verteidigt, die täglich mit Hindernissen bei grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung zu kämpfen haben und sich daher hiervon erhebliche Erleichterungen versprochen haben.

In dieser schwierigen Diskussion hatte sich die Bundesregierung darauf verständigt, eine Überarbeitung des Richtlinienentwurfes zu fordern, die sowohl die ökonomischen Chancen einer Marktöffnung als auch die berechtigten Sorgen der Menschen im Blick hat.

Wir haben daher vor allem darauf gedrängt, das umstrittene reine Herkunftslandprinzip durch einen Mechanismus zu ersetzen, der diesem Anliegen gerecht wird. Dieser Ansatz war richtig. Denn nur ein Kompromiss, der soziale, gesellschafts-politische und wirtschaftliche Belange gleichermaßen berücksichtigt, hat Chancen auf Durchsetzung und breite Akzeptanz in der Öffentlichkeit.

Ich bin mir bewusst, dass der Richtlinienentwurf auch bei den Städten und Gemeinden die Besorgnis ausgelöst hat, ob künftig die öffentliche Daseinsvorsorge noch gewährleistet werden kann. Wir haben die Sorge ernst genommen. Aus diesem Grunde haben wir in den Verhandlungen gefordert, wichtige Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie zum Beispiel die Gesundheits- und Sozialdienstleistungen aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herauszunehmen.

Wie Sie wissen, hat das Europäische Parlament am 16. Februar in erster Lesung nach schwierigen Verhandlungen einen Kompromiss erzielt, mit dem die Balance zwischen ökonomischen Zielen einerseits und dem Interesse an der Wahrung nationaler Schutzstandards andererseits hergestellt werden soll. Es war, dies sollte man nicht vergessen, vor allem ein Verdienst der deutschen Abgeordneten von EVP und SPE, dass dieser Kompromiss zustande kam.

Auf dem Europäischen Rat am 24. März ist es dann nicht zuletzt durch Vermittlung der Bundeskanzlerin gelungen, eine gemeinsame Zustimmung der Mitgliedstaaten, die teilweise weniger und teilweise mehr Liberalisierung wollten, herbeizuführen. Die Europäische Kommission hat mittlerweile einen neuen Vorschlag vorgelegt, der sich erfreulicherweise eng am Parlamentsvotum orientiert.

Dies bedeutet: Das Herkunftslandprinzip wird ersetzt durch einen Katalog von strengen Anforderungen an die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten, die grenzüberschreitende Dienstleistungen künftig deutlich erleichtern sollen. So dürfen die Mitgliedstaaten künftig zum Beispiel keine Anforderungen an Ausrüstungsgegenstände und Arbeitsmaterialien der ausländischen Dienstleister stellen, es sei denn, diese sind für den Schutz der Gesundheit oder die Sicherheit am Arbeitsplatz unbedingt erforderlich. Ferner darf vom Dienstleister nicht verlangt werden, dass er eine Niederlassung im Staat der Dienstleistungserbringung unterhalten muss. Verboten ist zum Beispiel auch, dass der Dienstleister eine Genehmigung für die Ausübung der Dienstleistungstätigkeit beantragen muss, es sei denn, das Gemeinschaftsrecht erlaubt dies im Einzelfall.

Es bleibt andererseits dabei, dass die Dienstleistungserbringer grundsätzlich dem Recht des Ziellandes unterliegen. Damit ist zugleich verbunden, dass die Kontrollrechte der Mitgliedstaaten, in denen die Dienstleistung erbracht wird, nicht eingeschränkt werden.

Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen und Verkehrsdienstleistungen werden vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, wie zum Beispiel die Abfall- und Abwasserbewirtschaftung oder die Wasserversorgung unterliegen nicht den genannten strengen Anforderungen an die Gesetzgebung.

Durch diese Ausnahmetatbestände wird sichergestellt, dass die Daseinsvorsorge der Gemeinden und Städte auch weiterhin gewährleistet werden kann.

Für die Bundesregierung ist dies ein zentrales Element, das in den weiteren Verhandlungen nicht mehr in Frage gestellt werden darf.

Mit dem neuen Vorschlag der Europäischen Kommission haben wir jetzt eine gute Basis für einen zügigen Abschluss der Verhandlungen. Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende ein Ergebnis erzielen werden, das unseren Unternehmen Fortschritte bringen und zugleich unsere nationalen Schutzstandards bewahren wird.

Anrede,

4. Auch die Sparkassen und ihre Träger mussten in den letzten Jahren in einem schwierigen Marktumfeld anspruchsvolle Vorgaben der EU umsetzen.

Der Wegfall von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung im Juli 2005 hatte erhebliche Auswirkungen auf die geschäftspolitischen Rahmenbedingungen der öffentlichen Kreditinstitute.

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die Art und Weise, wie schnell und klug die Länder zuvor ihre Sparkassengesetze angepasst haben, große Anerkennung verdient.

Das Drei-Säulen-System des deutschen Bankenwesens hat damit wiederum seine Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Dies war nicht nur für die Sparkassen und Landesbanken selbst wichtig, sondern in gleichem Maße auch für Wirtschaft und Verbraucher.

Leistungsfähige Sparkassen tragen wesentlich zur Stabilität des deutschen Finanz- und Wirtschaftssystems und zur Sicherung einer flächendeckenden Versorgung aller Bevölkerungsgruppen mit Bank- und Finanzdienstleistungen bei.

Besonders wichtig ist dies für den Zugang des Mittelstandes zu Krediten. Hier haben Sparkassen eine herausragende Stellung. Und daran wird sich auch nach Umsetzung der neuen EU-Eigenkapitalvorschriften für Banken, die ja auf "Basel II" beruhen, nichts ändern.

Die Bundesregierung unterstützt dies, indem sie bei dem im Februar im Bundeskabinett beschlossenen Umsetzungsgesetz konsequent alle Wahlrechte zugunsten des Mittelstandes genutzt hat.

Der Schutz der Bezeichnung "Sparkasse" im deutschen Kreditwesengesetz dient der klaren Unterscheidbarkeit der Sparkassen von anderen Kreditinstituten. Die Bundesregierung wird deshalb diese Position in den anstehenden Gesprächen mit der EU-Kommission nachdrücklich vertreten. Dies setzt allerdings voraus, dass die Sparkassen öffentlich-rechtliche Institutionen bleiben. Man kann nicht diesen Markennamen nutzen wollen und gleichzeitig Privatbank sein.

Anrede,

5. Lassen Sie mich zum Schluss noch ein besonders wichtiges Thema ansprechen: Wir sind uns einig, dass es derzeit eine zentrale Aufgabe in unserem Land sein muss, mehr Beschäftigung für arbeitslose Menschen zu schaffen.

Ohne Erfolge auf dem Arbeitsmarkt wird es uns weder gelingen, unsere Zukunftsaufgaben zu lösen, noch die Lage unserer Finanz- und Sozialsysteme zu verbessern.

Dieser Erfolgsdruck gilt auch für das Hartz IV-Gesetz.

Es ist eine große Herausforderung, die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland aufzubrechen.

Dies kann nur gelingen, wenn alle Akteure am Arbeitsmarkt Verantwortung übernehmen und an einem Strang ziehen - und zwar in die gleiche Richtung.

Der deutsche Städtetag sowie der Städte- und Gemeindebund und auch der Landkreistag mit den jeweiligen Mitgliedern haben sich dieser Verantwortung voll gestellt.

Und dafür möchte ich Ihnen heute herzlich danken.

Sie haben sich in der schwierigen Startphase des Hartz IV-Gesetzes als kritischer, aber in jeder Hinsicht konstruktiver Partner der Bundesagentur für Arbeit gezeigt. Ohne die große Einsatzbereitschaft Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wäre es nicht möglich gewesen, eine derart tiefgreifende Reform trotz aller Probleme, die ich nicht leugnen will, umzusetzen.

Dieses besondere Engagement wird auch weiterhin gefordert sein. Wir brauchen die Erfahrungen, die Stärken und die Kompetenzen der Städte und Gemeinden, wenn wir wieder mehr langzeitarbeitslose Menschen in Arbeit bringen wollen. Das gilt etwa für ein qualifiziertes Fallmanagement oder auch für Maßnahmen der Jugendhilfe, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Ich weiß, dass teilweise noch unterschiedliche Perspektiven von Kommunen und Arbeitsagenturen in den Arbeitsgemeinschaften aufeinander treffen. Man kann es aber auch so angehen, dass gerade darin die Chance liegt, das "Beste aus beiden Welten" zu übernehmen und neue, kreative Lösungsansätze zu entwickeln.

Es ist für mich selbstverständlich, dass die Zusammenarbeit beider Akteure dabei auf gleicher Augenhöhe erfolgen muss und - ganz wichtig - , dass mehr Spielräume für eine gezielte lokale Arbeitsmarktpolitik eingeräumt werden müssen. Genau dies ist ja der Kern des Angebots an die Arbeitsgemeinschaften, eine entsprechende Rahmenvereinbarung abzuschließen.

Ein wichtiger Punkt für Städte und Gemeinden betrifft natürlich die finanziellen Grundlagen des neuen Leistungssystems:

Wie Sie wissen, hat die Bundesregierung ihre Zusage eingehalten, die Kommunen bei der HartzIV-Reform um insgesamt 2,5 Milliarden Euro jährlich zu entlasten. Der besonderen Situation der ostdeutschen Kommunen wird durch eine Erhöhung der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen Rechnung getragen. Es ist aber Aufgabe der Länder, die Unterschiede in den Be- und Entlastungen der Kommunen innerhalb eines Landes auszugleichen. Ein solcher Ausgleich ist dem Bund - wie Sie wissen - auch aus finanzverfassungsrechtlichen Gründen verwehrt.

Wir werden uns im Herbst neu über die Aufteilung der Unterkunftskosten für die Zeit ab 2007 verständigen müssen. Dabei ist wohl auch klar, dass das bisherige System der Kostenaufteilung nicht vernünftig ist. Es ist zu kompliziert, zu streitbefangen.

Ich gehe davon aus, dass eine faire und für alle Beteiligten tragbare Neuregelung gefunden wird.

Anrede,

ich komme zum Schluss:

Wir haben uns angewöhnt, in Deutschland immer nur darauf zu achten, was ein jeweils anderer tun, vor allem was er nicht tun soll.

Dieses System ist das bekannte "Schwarze Peter-Spiel". Es ist ein Spiel für Verlierer, einer verliert, keiner gewinnt.

Wir sollten diesen Mechanismus für die Zukunft unseres Landes hinter uns lassen. Wenn jeder vor allem bedenkt was und wie er selbst etwas tun kann, dann wären wir ein großes Stück weiter.

In diesem Sinne ermuntere ich Sie und uns alle zu einer guten und konstruktiven Zusammenarbeit zum Wohle unseres Landes.