Redner(in): Angela Merkel
Datum: 02.05.2006

Anrede: Sehr geehrter Herr Bürgermeister Böhrnsen, sehr geehrter Herr Staatsminister Neumann, sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrter Herr Enders, sehr geehrter Herr Dudok, Herr Dordain, Frau Dale, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/05/2006-05-02-rede-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-bei-eads-anlaesslich-der-uebergabe-des-weltraumlabors-c,layoutVariant=Druckansicht.html


ich freue mich außerordentlich, heute hier bei Ihnen zu sein.

Ich habe mir vorhin das "Columbus" -Modell angesehen. Wenn wir einmal darüber nachdenken, dass vor mehr als 500 Jahren der Namensgeber des "Columbus" auf eine Reise gegangen ist, dann war sie damals vergleichsweise ungewiss -gemessen an den Zielkoordinaten, die unseren "Columbus" jetzt erwarten. Wir kennen die Reiseroute. Sie ist uns hier beschrieben worden: Einmal nach Florida und dann weiter zur ISS.

Dieses Projekt ist ein Projekt einer Kooperation -so wie es eben schon gezeigt wurde- , die ein wenig über eine Welt verrät, die weniger Grenzen kennt. Die internationale Raumstation wurde von den USA, Russland, Japan, Kanada und europäischen Ländern gemeinsam entwickelt und aufgebaut. Das zeigt, dass sich heute vertrauensvolle Zusammenarbeit entfalten kann. Begonnen hat sie -wie ein Vorbote- schon vor dem Ende des Kalten Krieges; heute ist sie aber voll entfaltet.

Seit Ende 2001 ist die ISS permanent mit Astronauten besetzt und umkreist die Erde. Sie bewegt sich in 400Kilometern Höhe mit einer Geschwindigkeit von 28.000 Kilometern in der Stunde. Man kann sich vorstellen, dass das ziemlich schwierig zu bewerkstelligen ist.

Ich habe mich eben danach erkundigt, ob dort noch messbare Restmengen von Schwerkraft vorhanden sind. Aber es ist wohl nicht mehr nachweisbar, wurde mir gesagt. Insofern ist die Schwerelosigkeit sicher auch etwas, was den verschiedenen Forschungsdisziplinen unglaubliche Fortschritte gebracht hat.

Ich habe mir -wie gesagt- zunächst mit Herrn Dudok "Columbus" angesehen und einen kleinen Einblick über die experimentellen Möglichkeiten gewonnen. Wir haben davon eben auch gehört. Insofern will ich sehr deutlich machen, dass die wissenschaftlichen Möglichkeiten, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, natürlich von unschätzbarem Wert sind.

Es wird oft gefragt -das ist hier eben auch angeklungen- , was denn nun dabei herauskommt. Das Schöne an der Grundlagenforschung ist, dass manchmal etwas ganz anderes dabei herauskommt, als man eigentlich dachte. Ich bitte alle, die an der Entwicklung mitarbeiten -das ist auch eine Bitte an uns selbst, die Politiker- , der Forschung auch Entfaltungsmöglichkeiten zu lassen. Es kann sein, dass es in einem bestimmten Zeitraum keinen messbaren Nutzen und dann in einem ganz kleinen Zeitraum einen sehr großen messbaren Nutzen gibt.

Ich weiß jedenfalls, dass wir weder die Sattelitenkommunikation noch den CD-Spieler, wahrscheinlich kein Teflon und auch viele andere Materialien nicht hätten, wenn es nicht die Raumforschung gegeben hätte. Das heißt, hier sind sehr viele Nutzungsmöglichkeiten für den zivilen Sektor entstanden, auf die wir sonst hätten verzichten müssen.

Wir haben auf der ESA-Ministerkonferenz als neue Bundesregierung auch gleich sichtbare Signale dafür setzen können, dass die Bundesrepublik Deutschland weiterhin ihren Part in der europäischen Raumfahrtforschung spielen wird. Wir haben finanzielle Signale gesetzt.

Ich glaube, es war auch ein wichtiger Punkt, nach einer Zeit der Stagnation jetzt wieder mit leichten Steigerungen zu arbeiten. Dass wir bei dem Erdbeobachtungsprogramm GMES, bei Kleinsatelliten und auch beim weiteren ISS-Programm dabei sind, ist sehr gut. Dass wir jetzt finanzielle Sicherheit für einen Zeitraum bis 2009 und eine entsprechende Planbarkeit haben, wird die Beteiligten an der Raumfahrtindustrie sehr freuen.

Wir sind uns natürlich gewiss, dass hier wegen der begrenzten kommerziellen Nutzungsmöglichkeiten ein Bekenntnis der öffentlichen Hand notwendig ist. Das reicht ja schon viele Jahre zurück. Staatsminister Neumann, der heute in einem anderen Bereich tätig ist, hat z. B. schon vor Jahren Weichen dafür gestellt, dass wir heute da sind, wo wir sind.

Wir werden auch dafür Sorge tragen, dass Raumfahrtzentren -Herr Bürgermeister, auch wie Bremen- einen festen Standort in Deutschland haben. Wir wissen, dass die Raumfahrtindustrie durch eine schwierige Phase gegangen ist, was die Beschäftigungsentwicklung anbelangt. Aber ich glaube, man kann sagen: Auf dem Niveau, auf dem wir jetzt sind, wollen wir auch weitermachen. Es ist ein kleiner, aber ausgesprochen feiner Bereich, der einem Land, das den Anspruch hat, ein Hochtechnologieland und ein führendes Wissenschaftsland zu sein, sehr gut ansteht.

Deshalb ist es auch ein politisches Ziel -das will ich hier ganz ausdrücklich sagen- , in der Raumfahrtindustrie dabei zu sein, weil das über die reinen materiellen Werte hinaus auch eine -für mich jedenfalls- symbolische Kraft hat.

Das Ganze ordnet sich -deshalb waren wir auch in der Lage, die finanziellen Zusagen zu geben- in eine Strategie der neuen Bundesregierung ein, die darauf ausgerichtet ist, mit 6Milliarden Euro mehr für Forschung, Entwicklung und Innovation in der jetzigen Legislaturperiode ein Zeichen dafür zu setzen, dass Deutschland es schaffen kann, 3 % des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben.

Wir wissen, dass die öffentlichen Aufwendungen dafür etwa ein Drittel ausmachen und zwei Drittel aus dem privaten Bereich hinzukommen müssen. Das heißt für die gesamte Forschungslandschaft, dass wir in den neuen Wissenschaftsgebieten bezüglich der Rechtsetzung und der Rahmenbedingungen die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen müssen. Nicht Technikbehinderung und Forschungsfeindlichkeit ist notwendig, sondern Offenheit. Insofern werden wir uns in verschiedensten Programmschwerpunkten genau um diesen Teil bemühen. In dieser Forschungsstrategie wird die Raumfahrt einen festen Platz neben der Informations- und Kommunikationstechnologie, den optischen Technologien und der Bio- und Nanotechnologie haben.

Es geht natürlich darum, dass wir uns Zukunftsmärkte auch dadurch eröffnen, dass wir nicht nur die Innovationskraft der schon bekannten großen Unternehmen, sondern auch der kleinen und mittleren Untenehmen stärken. Wir müssen versuchen, in vernünftiger Weise Aufstockungen für Programme zu schaffen, um auch kleinen und mittleren Unternehmen, die das wirtschaftliche Rückgrat in Deutschland bilden, die Chance zu geben, sich in einer globalen Welt des härteren Wettbewerbs zu behaupten.

Wir wollen Spitzenforschung fördern. Deutschland hat ein System der Bewertung von Spitzenforschung, das aus meiner Sicht beispielhaft ist. Wir müssen darauf achten -und wir werden das im nächsten Jahr auch im Rahmen unserer Präsidentschaft in der Europäischen Union tun- , dass die europäischen Forschungsstrukturen so ausgerichtet sind, dass wirklich Exzellenz die Voraussetzung dafür ist, dass Geld fließt. Es kann nicht sein, dass Regionalprinzipien im Forschungs- und Innovationsbereich durchschlagen. Ich denke, dass Europa auf diesem Gebiet einen sehr vernünftigen Weg geht.

Die Exzellenzinitiative für Hochschulen ist ein wichtiger Schritt gewesen. Der Pakt für Forschung und Innovation ebenso. Und die gezielte Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist auch ein solcher Schritt. Ich erlebe immer wieder -man glaubt es kaum- , dass in Deutschland jährlich 10.000 Ingenieure zu wenig ausgebildet werden gemessen an dem, was unser Arbeitsmarkt verkraften würde.

Das heißt, man kann jungen Menschen nur immer wieder sagen: Geht in die technischen Berufe; dort existieren Zukunftsperspektiven. Ich sage das etwas vereinfacht. Wir haben Jahre und Jahrzehnte hinter uns, in denen die Technik nicht galt, wie sie in einem Land mit dem Selbstverständnis von Deutschland gelten sollte. Das muss sich wieder ändern. Ich bin ganz gewiss, das wird sich ändern, wenn wir alle gemeinsam daran mitarbeiten.

Meine Damen und Herren, wir werden seitens der Politik versuchen, uns mit einem Rat für Innovation und Wachstum, den Herr Dr. von Pierer leiten wird, ganz gezielt beraten zu lassen. In einer Welt -es wurde hier schon von den sich beschleunigenden Innovationszyklen gesprochen- , in der sich die Dinge immer schneller ändern -wir müssen sehen, das Wissen der Menschheit verdoppelt sich innerhalb von vier bis fünf Jahren; das ist die Dauer einer Legislaturperiode- , ist es natürlich ganz wichtig, dass Politik, Wissenschaft und Technik engstens miteinander kommunizieren. Die Politik kann die Rahmenbedingungen nicht richtig setzen, wenn sie nicht mehr weiß, was um sie herum in den interessanten und wichtigen Gebieten geschieht.

Auf der anderen Seite können die Politiker diese Dinge nur erfassen, wenn sie wenigstens in der Lage sind, mit den richtigen Worten die richtigen Fragen zu stellen. Dann können sie Antworten erhoffen. Oft gibt es aber so komplizierte Gebiete -ich sage das als Physikerin, die sehr viel vergessen hat- , dass man gar nicht mehr in der Lage ist, die richtigen Fragen zu stellen, um in eine intensive Kommunikation einzutreten. Deshalb ist es mir ganz persönlich als Bundeskanzlerin wichtig, einen beständigen Beratungsstab zu haben, der uns auf neue Entwicklungen aufmerksam macht und uns in diese neuen Entwicklungen einführt.

Wir wissen, wo wir gut sind. Wir wissen, wo wir Nachholbedarf haben. Ich denke, dass wir gerade am heutigen Tag wieder ein faszinierendes Beispiel erleben, wie Spitzentechnologie aus Deutschland -jedenfalls mit einem hohen deutschen Anteil- eine Weltreise unternimmt und dann auch in die Lage kommt, die Welt zu umrunden.

Das sollte für viele beispielhaft zeigen, was wir schaffen können. Wir hoffen natürlich, dass uns die NASA gut auf die Reise bringt. Wir haben gemerkt, dass wir in der Schlange etwas nach vorn gekommen sind. Falls sich noch eine Lücke ergibt: Wir rücken auch gern noch ein Stück vor, liebe Frau Dale. Wir sind sozusagen bereit. Wir wollen unseren Anteil am internationalen Programm erbringen. Wir wünschen Herrn Reiter vorher natürlich eine gute, spannende und interessante Reise mit all den Experimenten, die dann durchzuführen sind. Vielleicht kommt ja wieder etwas ganz Neues dabei heraus. Dann lassen Sie uns das wissen.

Ich freue mich, heute dabei zu sein. Ich möchte ganz ausdrücklich all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die über eine lange Zeit an "Columbus" gearbeitet haben und -wie ich mir eben angesehen habe- noch die letzten Hände an das Werk anlegen, ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Das ist eine faszinierende Aufgabe. Aber es ist auch eine Aufgabe, bei der man sich nicht viele Fehler leisten kann und insofern eine, die volle Aufmerksamkeit erfordert.

Sie stehen stellvertretend für das, was in der Bundesrepublik Deutschland geleistet werden kann. Ich beglückwünsche Bremen dafür, dass er der Ort ist, an dem Raumfahrt eine wichtige Rolle spielt, zusammen mit den anderen Orten, die ich vielleicht auch noch bereisen kann.

Ich sage Ihnen allen ein herzliches Dankeschön, wünsche "Columbus" eine gute Reise und allen eine internationale Kooperation in der Raumfahrtindustrie zum Wohle der Menschen auf der ganzen Welt. Herzlichen Dank.