Redner(in): Angela Merkel
Datum: 02.05.2006
Untertitel: Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel gehalten anlässlich der Grundsteinlegung für das "N3"-Zentrum für Triebwerksüberholung am 02.05.2006 in Arnstadt.
Anrede: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Dieter Althaus, sehr geehrter Herr Kollege Tiefensee, sehr geehrter Herr Mayrhuber, sehr geehrter Herr Cheffins, sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, sehr geehrter Herr Botschafter, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag, aus dem Landtag und aus dem Thüringer Kabinett, aber vor allen Dingen: meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/05/2006-05-02-rede-von-bundeskanzlerin-merkel-anlaesslich-der-grundsteinlegung-fuer-das-n3-zentrum-fuer-trie,layoutVariant=Druckansicht.html
die Sie heute gemeinsam die Grundsteinlegung des Werkes "N3" begehen,
ich freue mich sehr, dass ich eingeladen wurde, und möchte Lufthansa und Rolls-Royce zu ihrer Investitionsentscheidung gratulieren.
Ich bin davon überzeugt, dass Sie die richtige Entscheidung getroffen haben. Ich weiß, dass diese nicht ganz einfach war, dass sie, wie immer, ökonomischen Kriterien gerecht werden musste, dass sie allerdings auch die Fähigkeit verlangte, langfristig zu denken und sozusagen die Integration aller Chancen und Risiken vorzunehmen. Aber Sie werden im guten Sinne überrascht sein, wenn Sie es nicht schon sind. Ihre Worte haben darauf hingedeutet, dass Sie diesen Prozess bereits mit großer Zufriedenheit begleiten.
Für eine Region wie diese ist die Schaffung von 500Arbeitsplätzen -eines Tages vielleicht noch mehr- , und zwar nicht für unqualifizierte, sondern wirklich qualifizierte Arbeitnehmer, eine unglaubliche Chance. Die Investition von 100MillionenEuro gibt wichtige Impulse. Es ist sozusagen ein "Triebwerk" für die Region, dass hier in Zukunft Triebwerke regeneriert und renoviert werden, und es ist eine wunderbare Sache, dass Lufthansa und Rolls-Royce als Jointventure die Triebwerke -ich bin dankbar, dass Sie uns dieses Präzisionswerk an Mechanik noch einmal gezeigt haben- hier wieder flott machen werden.
Hier werden künftig die Turbinen der neuen A380 -Großraumflugzeuge der Lufthansa-Flotte gewartet. Ich habe eben gefragt, was man denn zwischen dem 1. April und dem Zeitpunkt, zu dem die ersten Wartungen für den A380 anfallen, tun wird; aber es gibt ja glücklicherweise auch kleine Schwestern und Brüder bei der Airbus-Serie. Insofern wird es also auch bis dahin etwas zu tun geben.
Diese Grundsteinlegung zeigt uns zweierlei. Einmal zeigt sie uns, dass wir in den neuen Bundesländern wirklich sehr gute Chancen haben, Hochtechnologien zu entwickeln. Ich denke hierbei an die Geschwindigkeit der Genehmigungsverfahren, an die Innovationskraft der Landesregierung, an die Fördermöglichkeiten, die wir erarbeitet haben, und auch daran, dass man sich in Bezug auf Brüssel immer wieder durchkämpfen musste. Das darf ich auch mit Blick auf den Kollegen Tiefensee sagen, der an vielen Stellen für die Einsicht werben muss, dass sich ganz Deutschland nur gut entwickeln kann, wenn die neuen Bundesländer wirklich eine Chance bekommen.
Ich denke dabei auch an das, was ich die Flexibilität, die Bereitschaft, für einen Arbeitsplatz auch wirklich Veränderungen anzunehmen, nennen würde, was, wenn ich auch andere Großprojekte wie zum Beispiel die Chip-Fabrik in Dresden, AMD oder das neue DHL-Frachtdrehkreuz in Leipzig anschaue, aus meiner Sicht an vielen Stellen beispielhaft für ganz Deutschland ist. All das ist nur zustande gekommen, weil die Bereitschaft vorhanden war, neue Wege zu gehen, sich des internationalen Wettbewerbs bewusst zu sein, trotzdem den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern die Dinge beim Schopf zu packen und die Chancen zu nutzen.
Thüringen - jetzt sozusagen verbunden mit der Lufthansa - gibt ein wichtiges Signal für die Bundesrepublik und für das Bekenntnis zum Flugverkehr, zur Mobilität. Sie haben davon gesprochen, Herr Mayrhuber. Die Luftfahrt ist eine Wachstumsbranche.
Ich habe heute sozusagen meinen Tag der Luft- und Raumfahrtindustrie. Denn ich war heute Morgen schon in Bremen und habe dort das Labor "Columbus" für die ISS an die ESA mit übergeben.
Heute hier bei dieser Grundsteinlegung dabei zu sein, bietet mir die Möglichkeit, für die Bundesregierung zu sagen: Wir bekennen uns zur Mobilität. Wir haben sehr bewusst und ohne Vorgabe, bei welchem Verkehrsträger das geschehen soll, zusätzliche Investitionen in unserem 25-Milliarden-Investitionsprogramm angekündigt. Das ist auch ein Bekenntnis und ein ganz wichtiges Signal für eine Wachstumsbranche -die Verkehrsbranche ist eine und dazu gehört natürlich der Flugverkehr. In manchen Regionen sind hier jährliche Wachstumsraten von 5 % und in Asien, in China zum Beispiel, sogar bis zu 10 % zu verzeichnen. Es besteht eine sehr harte Konkurrenzsituation, wenn wir uns vor Augen führen, wie auch im arabischen Raum darum gerungen wird, Flughäfen und Drehkreuze aus Europa in andere Regionen zu verlagern. All das beobachten wir, und wir wissen: 20.000 neue Flugzeuge in den nächsten 20Jahren, also 1.000 pro Jahr, bedeuten natürlich auch, dass wir sowohl an der Produktion als auch am Betrieb teilhaben wollen.
Herr Mayrhuber, selbstverständlich wissen wir, dass Lufthansa ein globales Unternehmen ist. Aber wir sind trotzdem stolz darauf, dass es in Deutschland seine Heimat hat, und das soll so bleiben.
Mit Rolls-Royce und dem Jointventure von Lufthansa und Rolls-Royce zeigt sich ein Zweites, was mir sehr am Herzen liegt: Wir werden in Europa nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn wir auch die Kraft zu europäischer Kooperation und dazu haben, europäische Champions zu werden. Zu glauben, dass wir uns mit nationalem Protektionismus gegenüber der Konkurrenz in der Welt fortentwickeln können, hieße, die Chancen Europas völlig zu verkennen. Deshalb werden wir neben dem Denken in nationalen Kategorien an dieser Stelle auch das europäische Denken weiterentwickeln müssen. Dafür ist dieses Jointventure ein sehr gutes Beispiel.
Wir wollen das Luftfahrtforschungsprogramm, das Anfang 2007 in Kraft treten wird -dies ist ein Beweis für das Bekenntnis der Bundesregierung zur Luftfahrt- , gegenüber dem Vorgängerprogramm aufstocken. Wir wollen, dass das Programm für die Zeit von 2007 bis 2009 mit insgesamt 160MillionenEuro ausgestattet wird, und wir wollen damit Innovation, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit zusammenbringen.
Herr Mayrhuber hat schon ganz unscheinbar Worte wie "Emissonshandel" anklingen lassen. Ich könnte jetzt noch die "Ticket Tax" erwähnen, um die "Folterinstrumente" beim Namen zu nennen. Sie dürfen aber davon ausgehen, dass wir darauf achten werden, dass daraus keine wirtschaftlichen Nachteile gegenüber anderen Anbietern insbesondere in Europa entstehen. Ich glaube, das ist auch der Punkt, auf den Sie Wert legen können.
Auch werden wir natürlich auf dem internationalen Parkett dafür Sorge tragen, dass europäische Anbieter eine Chance haben."Level Playing Field" - Sie werden wissen, was das bedeutet. Von der US-Regierung und der EU muss eine Lösung, und zwar eine vernünftige Lösung bezüglich der Meinungsverschiedenheiten zwischen Airbus und Boeing gefunden werden. Ich glaube, dass auch dafür die Europäische Kommission von allergrößter Bedeutung ist. Solche Streitigkeiten kann heutzutage ein Land überhaupt nicht mehr alleine bewältigen.
Wir werden also, wo politisch möglich, unser Bekenntnis für beide Unternehmen und für den Luftverkehr sehr deutlich machen. Wir werden sie ermuntern, umweltfreundlich vorzugehen. Das ist, denke ich, keine Frage. Dazu braucht man auch hochleistungsfähige Triebwerke. Deshalb ist dies hier ein Beispiel dafür, dass Technikbegeisterung und Mobilität zusammenkommen können. In den nächsten Jahren werden wir mit Sicherheit weitere innovative Wege gehen.
Die Bundesregierung wird in dieser Legislaturperiode 6MilliardenEuro mehr für Forschung und Entwicklung ausgeben. Das ist unser Beitrag dafür, in Deutschland, wie in anderen Ländern heute schon üblich, 3 % des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aufzuwenden. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass wir auf Dauer wettbewerbsfähig bleiben und unseren Lebensstandard halten können. Denn wenn wir, was den Lebensstandard anbelangt, teurer sind als andere, dann müssen wir immer um so viel besser sein, wie wir teurer sind. Das ist eine der ganz wenigen, nicht außer Kraft zu setzenden Realitäten, mit denen wir uns manchmal vielleicht schwer tun, die aber nicht zu umgehen sind. Im Rückblick auf die frühere DDR wissen wir, dass es böse endet, wenn man unentwegt gegen mathematische Wahrheiten verstößt. Die Menschen in den neuen Bundesländern wissen darum, dass Wettbewerb nicht auszuschalten ist, dass wir uns öffnen müssen und dass wir deshalb auch offen sein müssen für neue Technologien.
Ich hatte zunächst über die zusätzlichen Infrastrukturmaßnahmen gesprochen. Aber auch die genannten 6MilliardenEuro für zusätzliche Forschungsmaßnahmen sind mehr als nur eine Geldsumme. Sie sind ein klares Bekenntnis zur Offenheit gegenüber Forschung und Entwicklung. Wir haben in Deutschland zu lange Technologien nicht hoch genug geachtet. Wir haben in der Politik teilweise schon vorher gesagt, was wir glauben, was gut ist und was nicht, was für ein Ergebnis Grundlagenforschung haben sollte oder nicht. Eine solche Vorgehensweise funktioniert nicht. Deshalb müssen Wissenschaft und Forschung natürlich auch dem Gedanken der Freiheit unterliegen, damit etwas Vernünftiges herauskommt. Dann hat Deutschland aus meiner Sicht in den verschiedenen interessanten Technologiebereichen auch wieder eine Chance; und das, was wir über Jahrzehnte als "made in Germany" kennen gelernt haben, kann sich dann auch in den neuen Technologien ausreichend entwickeln.
Mein Dank gilt all jenen, die an diesem Projekt mitgearbeitet haben, der Landesregierung, da, wo es notwendig war, auch den europäischen Regierungen, aber vor allem jenen, die vor Ort dafür eintreten, dass so etwas schnell möglich wird, dass es unkompliziert möglich wird. Wir wissen, in Deutschland kann man alles auch sehr kompliziert machen, aber man kann es mit der gleichen Rechtslage auch relativ einfach gestalten. Ob der eine Pfad beschritten wird oder der andere, hängt zum Schluss immer von Menschen ab, die etwas wollen, an Menschen, die bereit sind, über den Schatten ihrer eigenen Kompetenz zu springen und sich mit den Kompetenzen anderer Seiten zu verbünden und einen gemeinsamen Weg zu gehen.
Dass die Dinge hier so schnell vorangegangen sind, dass bei der Grundsteinlegung schon der Keller vorhanden ist - das alles spricht dafür, dass Thüringen ein guter Investitionsstandort ist, dass Arnstadt ein besonders gutes Gebiet ist, dass wir hier überhaupt in einer guten Mittellage sind. Als eher Norddeutsche bin ich immer ein wenig darüber traurig, dass wir nicht so viele "Mittelpositionen" zu bieten haben. Aber ich beglückwünsche Thüringen, ich beglückwünsche Arnstadt und ich beglückwünsche auch Deutschland zu dieser Investition.
Herzlichen Dank und Ihnen alles Gute in diesem Lande.