Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 04.05.2006

Untertitel: Kulturstaatsminister Bernd Neumanneröffnete am 4. Mai 2006 die Ausstellung "Geschichtsort Olympiagelände" im Berliner Olympiastadion. Die Ausstellung zeigt neben der Geschichte des Geländes auch den Missbrauch des Langemarckmythos bis 1945.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/05/2006-05-04-eroeffnung-der-ausstellung-geschichtsort-olympiagelaende-im-berliner-olympiastadion,layoutVariant=Druckansicht.html


ich freue mich, Sie zur Eröffnung der Ausstellung "Geschichtsort Olympiagelände" begrüßen zu dürfen. Vier Wochen vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland klärt sie auf über die Geschichte dieses Ortes, der ja während des kommenden Turniers mehr als einmal im Fokus der Weltöffentlichkeit stehen wird.

Das Berliner Olympiastadion ist heute, so scheint es zumindest, ein ganz normaler Veranstaltungsort. Dabei ist die Geschichte des Stadions und des gesamten Areals durchaus sichtbar, aber bis dato den meisten Besuchern kaum noch präsent. Gleichwohl befinden wir uns hier auf einem Gelände, das ein wichtiges historisches Zeugnis darstellt. Es handelt sich um ein Bauwerk jener Kategorie, die der Münchner Kunsthistoriker Norbert Huse einmal als "unbequeme Denkmale" bezeichnet hat. Denn es verweist unverkennbar auf die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur.

Das Stadion und das ehemalige Reichssportfeld wurden für die Olympischen Spiele 1936 erbaut. Dieser Umstand allein verlangt nach einer angemessenen historischen Dokumentation, zumal wir es mit einem sehr weitgehend erhaltenen baulichen Ensemble aus der NS-Zeit zu tun haben. Die politisch-ästhetische Funktion von Architektur im so genannten Dritten Reich, ihre Indienstnahme, lässt sich an diesem Areal wie an kaum einem anderen exemplarisch ablesen. Das Olympiagelände ist zweifellos ein Erinnerungsort von nationaler und internationaler Bedeutung. Manche Details seiner Architektur sind uns durch Dokumentationen oder Szenen aus Leni Riefenstahls Filmen geläufig.

Meine Damen und Herren, in Deutschland fand die erste wirkliche sportliche Großveranstaltung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erst im Jahre 1972 statt. Die Olympischen Spiele in München setzten sich nicht nur, aber auch durch die Architektur des Stadions augenfällig von den Spielen der Nationalsozialisten ab. Und der Münchner Bau von Günter Behnisch war, wie Sie wissen, auch der Austragungsort des Finales der Fußball-WM von 1974. In diesem Jahr wird es anders sein: In ein paar Wochen wird die Welt auf das Berliner Olympiastadion schauen. Im Mittelpunkt steht - hoffentlich und sicherlich - der Sport, aber der bauliche Rahmen wird ebenfalls wahrgenommen werden. Auch vor diesem Hintergrund war die historische Aufarbeitung des Geschichtsortes Olympiagelände überfällig. Ich bin sehr froh, dass es der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit dem Berliner Senat gelungen ist, die Dokumentation des Geländes zu ermöglichen und voranzubringen. Und ich bin auch froh, dass diese Dokumentation in fachlich bestens ausgewiesenen Händen lag.

Die historische Dokumentation, die wir heute eröffnen, erstreckt sich auf das Stadion, seine unmittelbare Umgebung und bezieht ebenso die Langemarckhalle ein, in der wir stehen. Die Dokumentationsausstellung hier umfasst alle relevanten Aspekte des historischen Ortes: die Zusammenhänge zwischen Gesellschaft, Sport und Politik, die Olympischen Spiele von 1936 und die Geschichte des Geländes von 1909 bis heute.

Ein besonderes Augenmerk gilt dem "Mythos von Langemarck", der Instrumentalisierung einer Schlacht, die im November 1914 unweit der belgischen Küste stattgefunden hat. Dieser Kampf in Flandern gehört zu den erschreckendsten Kapiteln des Ersten Weltkrieges, denn rund 80.000 unausgebildete junge Männer fanden dort einen sinnlosen Tod. Und die Verfälschung der historischen Tatsachen bildet ein erschreckendes Kapitel der nationalsozialistischen Propaganda, eine kalkulierte und zynische Leugnung militärischen Versagens. Der "Kult" um Langemarck, die Produktion des Mythos war allerdings keine Erfindung der Nationalsozialisten, sondern eine Erblast der Weimarer Republik - auch darüber klärt diese Ausstellung auf.

Jede Ausstellung auf diesem Gelände muss sich einem Zwiespalt stellen: Es geht um Dokumentation, um Nüchternheit und Ratio, um das Gegenteil von Manipulation. Das ist eindeutig. Und es geht zugleich um Vielschichtiges, um schwer Artikulierbares: um einen sensiblen Umgang mit der Wucht des Objekts, um die emotionalen Aspekte der Architektur, die steingewordene Hybris.

Ich bin überzeugt davon, dass die Ausstellung diese Spannung aushält. Sie wird in meinen Augen der Aufgeladenheit des Ortes, seiner historischen Belastung gerecht. Sie informiert und klärt auf. Und sie stellt sich der menschenverachtenden Inszenierung, ohne ihrerseits in bloße Gefühlsregie abzugleiten.

Ich danke dem Deutschen Historischen Museum, Herrn Generaldirektor Professor Ottomeyer, Herrn Dr. Rother und insbesondere Frau Kretzschmar für die Konzeption und Realisierung der Ausstellung. Ich danke dem Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner für den sensiblen Umgang mit der Architektur des historischen Ortes. Und ich danke allen weiteren Beteiligten wie der Topographie des Terrors dafür, dass sie ihr Wissen und ihr Engagement in dieses Projekt eingebracht haben.

Damit eröffne ich die Dokumentationsausstellung "Geschichtsort Olympiagelände". Ich wünsche ihr viele aufmerksame und genaue Blicke. Und ich wünsche ihr nachdenkliche Besucher, denn es geht um einen Teil der Geschichte, der vielen von uns heute fern scheint, aber der beständigen Auseinandersetzung bedarf.