Redner(in): Angela Merkel
Datum: 11.05.2006
Untertitel: Zur Aufklärungsarbeit der Geheimdienste gebe es keine Alternative. Deshalb sei es notwendig, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) in wichtigen Teilen nach Berlin zöge. Dies hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede zum 50-jährigen Bestehen des BND gesagt.
Anrede: Sehr geehrte Kollegen de Maizière und Schäuble, sehr geehrter Herr Präsident Uhrlau, sehr geehrte Exzellenzen, sehr geehrte Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, sehr geehrter Herr Kinkel, Herr Professor Schöllgen, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/05/2006-05-11-50-jahre-bundesnachrichtendienst,layoutVariant=Druckansicht.html
Die Rede im Wortlaut ( Mitschrift )
Ich freue mich sehr, mit Ihnen heute hier ein besonderes Jubiläum begehen zu dürfen -eine 50-Jahrfeier an einem wahrhaft historischen Ort!
Der Schlüterhof des Zeughauses hat sich seit der Wiedereröffnung vor zwei Jahren zu einem der beliebtesten Orte in Berlin für verschiedenste Veranstaltungen entwickelt. Das Zeughaus steht oder stand zumindest sehr lange für einen Teil der preußisch-deutschen Geschichte, der uns wiederum zu einem Teil heute sehr fern liegt.
Besonders deutlich wird dies an der lateinischen Inschrift am Hauptportal, die uns mit martialisch anmutenden Worten verkündet: "Den Waffentaten zur Anerkennung, den Feinden zum Schrecken, den Völkern und Bundesgenossen zum Schutz, hat FriedrichI. , der erhabene und unbesiegte König der Preußen, dies Zeughaus zur Bergung aller Kriegswerkzeuge sowie kriegerischer Beute und Trophäen von Grund aus erbauen lassen im Jahre 1706."
Es ist wahr: Solche Ansichten liegen uns heute fern -und das auch aus gutem Grund. Und doch gibt es eine gewisse Verbindung: Auch heute müssen wir -die Demokratien, der Staat der Bundesrepublik Deutschland und die deutsche Gesellschaft- "wehrhaft" sein, wenn auch in ganz anderem Sinne als im Verständnis unserer Vorfahren im 18. und 19. Jahrhundert.
Damit möchte ich den Bezug zu diesem Gebäude beenden, denn mir ist eigentlich Folgendes wichtig: 50Jahre Bundesnachrichtendienst stehen zunächst für den Schutz vor Bedrohung im Kalten Krieg in einem gespaltenen Europa und Deutschland und nunmehr, seit Überwindung der europäischen Teilung, für den Schutz unseres Landes in Zeiten neuer Bedrohungen.
Die Fragen zur inneren und äußeren Sicherheit stellen sich dabei heute völlig anders als zu Zeiten des Kalten Krieges. Präsident Uhrlau ist darauf eben auch schon eingegangen. Die neuen Herausforderungen, mit denen wir und die Staatengemeinschaft insgesamt konfrontiert sind, werden häufig beschrieben. Deshalb möchte ich hier nur einige wenige Stichworte nennen: internationaler Terrorismus, Proliferation von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen, Organisierte Kriminalität und illegale Migration.
Diese Entwicklungen sind häufig mit einer zunehmenden Zahl instabiler Staaten oder sogar dem Zerfall von Staaten verbunden. Die neuen Bedingungen in der Außen- und Sicherheitspolitik -zumindest bin ich davon überzeugt- werden uns noch viele Jahre beschäftigen. Aber Sie haben zumindest heute schon dazu geführt, dass Deutsche an vielen Orten der Welt Dienst im Interesse unseres Landes und seiner Freunde und Verbündeten tun. Das sind Orte, die noch vor wenigen Jahren auf der Weltkarte hätten gesucht werden müssen.
Meine Damen und Herren, hier sind wir mitten im Thema: Die große Aufgabe, uns diesen Herausforderungen als wiedervereinigtes Deutschland zu stellen und nach angemessenen Antworten zu suchen, können wir mit Sicherheit ohne unsere Nachrichtendienste gar nicht erfüllen. Den Nachrichtendiensten kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Dies gilt, was die äußere Sicherheit betrifft, vor allem für den Bundesnachrichtendienst.
Eines der wichtigsten Felder nicht nur unserer Außen- und Sicherheitspolitik ist zurzeit z. B. der Iran. Unsere Teilnahme an der Suche nach einer Lösung des Nuklearproblems, an der Verhinderung, dass der Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangt, wäre ohne die Informationen und ohne die Expertise des BND nur sehr schwer vorstellbar. Ähnliches gilt auch für die Einschätzung der Bedrohungen, die vom internationalen Terrorismus ausgehen.
Ein in der Staatengemeinschaft fest integriertes Land mit der gewachsenen internationalen Verantwortung, wie sie Deutschland heute trägt, braucht verlässliche und das heißt vor allen Dingen auch eigene Lagebilder und Lagebeschreibungen von den verschiedenen Krisenregionen der Welt.
Wir brauchen solche Lagebilder, die ganz deutlich über diejenigen aus der Berichterstattung der diplomatischen Vertretungen und der Medien hinausgehen, da selbst regional weit entfernte Entwicklungen in einer enger zusammenwachsenden Welt potenziell einen direkten Einfluss auch auf uns oder unsere Verbündeten haben können.
Hierbei sind die Einsätze der Bundeswehr -auch das ist schon genannt worden- ein ganz spezielles Thema. Die nachrichtendienstliche Begleitung durch den BND zum Schutz und zur Sicherheit unserer Soldaten ist unverzichtbar -sei es in Afghanistan, auf dem Balkan, am Horn von Afrika oder im Sudan.
Dabei handelt es sich inzwischen um Regionen, die nicht unmittelbar oder seit langem zu den herkömmlichen Interessens- und Aufklärungsschwerpunkten des BND gehört haben. Das heißt, innerhalb kürzester Zeit mussten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BND völlig neue Kompetenzen erwerben. Das gelang auch, und dafür möchte ich im Namen der ganzen Bundesregierung ein herzliches Dankeschön sagen. Das jüngste Beispiel, mit dem Sie konfrontiert wurden -das war auch nicht von vornherein absehbar- , war die Tatsache, dass es eine Anfrage an die Europäer und damit auch an Deutschland gibt, die Wahlen im Kongo abzusichern. Daher musste innerhalb kurzer Zeit eine neue Expertise erworben werden, um den sicheren Einsatz der Soldaten zu garantieren.
Vom Kalten Krieg hin zur aktuellen Sicherheitslage -das ist aus diesen Beispielen völlig klar ersichtlich- musste sich der BND auch immer vollkommen neuen Anforderungen stellen. Ich möchte ausdrücklich sagen: Dies ist unter einem hohen Anpassungsdruck in bemerkenswerter Weise gelungen. Ich denke, dass im Übrigen vielleicht nur noch die Bundeswehr einen ähnlich hohen Anpassungsdruck zu bewältigen hatte.
Meine Damen und Herren, heute präsentiert sich der BND als kompetenter Dienstleister und Gesprächspartner von Regierung, Parlament und Wirtschaft. Und diese Funktion als unentbehrlicher Dienstleister könnte der BND nicht in diesem Maße erfüllen, wenn er nicht bereits in einigen Teilen hier am Regierungssitz in Berlin vertreten wäre. Deshalb ist es grundsätzlich richtig und notwendig, dass der Bundesnachrichtendienst in wesentlichen Teilen nach Berlin kommt, die für seine Funktion und die Beratung der Politik unverzichtbar sind. Ich bin zuversichtlich, dass nach vielen Gesprächen und vielen Unbestimmtheiten nunmehr die Weichen für ein Umzugskonzept gestellt werden können. Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen.
Meine Damen und Herren, dies ist eine Festveranstaltung, ein Jubiläum. Trotzdem will ich ein Thema nicht unerwähnt lassen, das die Öffentlichkeit in den letzten Wochen besonders beschäftigt hat: Die Arbeit des BND im Zuge des Irak-Konflikts. Ich habe selbstverständlich nicht die Absicht, dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages Ratschläge zu erteilen. Die Kontrolle der Regierung auch durch einen Untersuchungsausschuss ist ureigenstes Recht des Parlaments und der Opposition, und davor habe ich Respekt. Ich wünsche mir nur eines, nämlich dass als Ergebnis der Arbeit des Untersuchungsausschusses die Notwendigkeit der Aufklärungsarbeit von Nachrichtendiensten in keiner Weise in Frage gestellt wird; denn das wäre mit unseren Sicherheitsinteressen -das sind sehr elementare Interessen- nicht vereinbar. Wir brauchen unsere Nachrichtendienste, um es kurz und knapp auf den Punkt zu bringen, und dazu gibt es keine Alternative.
Wer die Notwendigkeit von Nachrichtendiensten bejaht, der muss erkennen, dass zur Substanz der Arbeitsfähigkeit eines Auslandsnachrichtendienstes natürlich die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch mit anderen Diensten gehört. So ist gerade die Zusammenarbeit mit den USA für den BND auch in Zukunft nicht nur wichtig, sondern notwendig.
Meine Damen und Herren, 50 Jahre BND bedeuten eine lange Geschichte -sicherlich auch mit Tiefen, aber eben auch eine Geschichte von vielen Erfolgen, die der Natur eines Nachrichtendienstes gemäß -wir haben es ein bisschen beim Eingangsfilm gemerkt- nicht immer der Öffentlichkeit präsentiert werden können. Für die Bewältigung der gegenwärtigen sowie der zukünftigen Herausforderungen, für Ihren Beitrag zur Gewährleistung einer zeitgemäßen und rechtsstaatlichen "Wehrhaftigkeit in der Demokratie" wünsche ich Ihnen, lieber Herr Uhrlau, sowie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, stets eine glückliche Hand und versichere Ihnen die Unterstützung der Bundesregierung. Oder lassen Sie es mich auf einen Punkt bringen: Danke für Ihr Engagement in den letzten 50 Jahren, herzlichen Glückwunsch zum heutigen Jubiläum und besten Erfolg für die nächsten 50Jahre zum Wohle unseres Landes in Frieden und Freiheit. Herzlichen Dank!
Der BND wurde in seiner jetzigen Form am 1. April 1956 gegründet. Er ist dem Bundeskanzleramt unterstellt. Als einer von drei deutschen Geheimdiensten ( neben Verfassungsschutz und Militärischem Abschirmdienst ) ist erfür die Auslandsaufklärung zuständig.
Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA kümmert sich der Dienst verstärkt um Erkenntnisse über den internationalen Terrorismus, die organisierte Kriminalität, Geldwäsche und Schleusertätigkeiten.
Der BND beschäftigt gegenwärtig rund 6000 Mitarbeiter. Sie sind derzeit auf die beiden Standorte Pullach bei München und Berlin verteilt.