Redner(in): Angela Merkel
Datum: 16.05.2006

Untertitel: am 16. Mai in Mainz
Anrede: Meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/05/2006-05-16-grusswort-der-bundeskanzlerin-anlaesslich-des-festakts-zum-70-geburtstag-von-kardinal-lehmann,layoutVariant=Druckansicht.html


Herr Bundestagspräsident,

Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts,

Herr Bundeskanzler,

Eminenzen, Exzellenzen,

sehr geehrte Festgäste,

sehr verehrter, lieber Kardinal Karl Lehmann,

es ist heute viel, insbesondere von Kardinal Kasper, zu Ihrer Leistung im bisherigen Leben gesagt worden. Gratulationen durch die Deutsche Bischofskonferenz sind ausgesprochen worden und ich freue mich, dass ich jetzt im Reigen der Gratulanten die herzlichen Grüße der Bundesregierung überbringen darf. Ich möchte Ihnen persönlich und im Namen der ganzen Bundesregierung ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren, Gesundheit wünschen, Wohlergehen und Gottes Segen!

Wer Sie, lieber Herr Kardinal, kennt, dem prägt sich ein, dass Sie ein Mensch von ungeheurer Energie sind. Sie sind präsent hier im Bistum - viele wissen davon zu berichten - , in Berlin, an vielen Orten in Deutschland und nicht zuletzt in Rom. Sie sind ein geschätzter und viel gefragter Partner der Politik. Und wir wissen, dass das, was wir an Ihnen als Gesprächspartner schätzen, daraus erwächst, dass Sie einer der bedeutendsten Theologen der Gegenwart sind. Kardinal Kasper hat sehr zu Recht darauf hingewiesen. Sie sind jemand, der die Theologie nicht nur wissenschaftlich betreibt, sondern Theologie und Philosophie liebt und mit Emotionen erfüllt. Sie sind jemand, der immer um die Konflikte der Zeit weiß, der die Zeichen der Zeit in unserer Gesellschaft benennt und in den weltweiten Herausforderungen erkennt, der sie immer wieder aufgreift und sich in christlicher Verantwortung mit ihnen auseinandersetzt. Für Sie sind Friedenssehnsucht und christliche Werte immerfort Motivation und Ansporn, auch - und das ist hier heute schon gesagt worden - für das Zusammenwirken der Kirchen. Und gerade deshalb ist die Einheit der Christen auch für Sie eine dauerhafte Aufgabe. Dies alles hat Sie eben zu diesem geschätzten Gesprächspartner für uns, die Vertreter der Politik, gemacht. Aber Sie haben uns auch immer wieder überrascht in den Gesprächen. Stehet fest im Glauben ", das ist der Appell des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth. Das ist, auch davon haben wir heute gehört, nicht zufällig der Bischofsspruch von Ihnen. Sie stehen in Treue zur Kirche, aber vor allen Dingen auch zu den Menschen - im festen Vertrauen auf den letzten Sinngrund der Welt und auf die sinnstiftende Kraft der Kirche. Und Ihr Wappen, der Petersschlüssel, das Mainzer Rad, ein aufgeschlagenes Buch, auch Symbol der Bibel, dies sind Symbole Ihres Bischofsamtes. Das Buch, das haben wir ja heute schon gesehen, ist Ihnen dabei natürlich besonders nahe. Die Tatsache, dass Sie seit 23 Jahren Bischof in dieser Stadt und seit bald zwei Jahrzehnten Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz sind, diese Erfahrungen, sie verleihen Ihnen die große moralische Autorität, die alle spüren, die mit Ihnen ins Gespräch kommen dürfen. Was Sie tun, tun Sie aus Leidenschaft. Sie vertreten das Evangelium offensiv und - man spürt es und das war für mich in meinen persönlichen Begegnungen mit Ihnen immer das Allerwichtigste - Sie sind ein Freund der Menschen. Ein Freund der Menschen, der offen auf Menschen zugeht.

Als ich anfangs der 90er Jahre in die Politik kam als Jugend- und Frauenministerin, da haben wir sehr offene Gespräche geführt, in denen ich Neugierde auf die deutsche Einheit gespürt habe. Ich, eine Protestantin, Sie, ein katholischer Bischof: Das waren zwei Welten. Aber die Einheit der Kirche musste ja auch wachsen in Form dieser zwei Personen. Hier handelt ein Mensch, und das habe ich persönlich immer geschätzt, der den Zweifel auch durchaus ausdrücken kann und zugibt, dass es ihn gibt, der sich aber vom Zweifel nie unterkriegen lässt. Sie haben die Fähigkeit, durchaus eine Weile im Zwist zu leben, aber Zwist auch immer wieder beilegen zu können, ohne dass Ihnen der Humor, der Optimismus und die gute Laune verloren gehen.

Meine Damen und Herren! Sie, verehrter Herr Kardinal, kennen und achten die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten, die Sie in Ihrer Arbeit als Bischof, als Seelsorger, als Hirte der Kirche zu erfüllen haben und die wir in unserer Verantwortlichkeit als Politiker zu erfüllen haben. Sie haben nie versucht, Grenzüberschreitungen zu begehen, aber Sie haben immer versucht, uns zu verstehen. Dies ist mein persönlicher Eindruck. Und Sie haben uns als Politiker aber auch nie aus der Verantwortung entlassen, niemals so getan, als wenn wir nicht unsere Konflikte auch selbst lösen müssten. Und dass Sie dies mit dieser Inbrunst, mit dieser Leidenschaft, mit dieser immer währenden Offenheit getan haben, dafür möchte ich Ihnen danken. Ich möchte Sie bitten, bleiben Sie das, was Sie für uns sind: Ein wichtiger, ein unverzichtbarer Gesprächspartner, der für unsere Sorgen und Nöte ein offenes Ohr hat, der uns immer wieder den Weg zeigt auch in eine zukunftsweisende Betrachtung und der uns Rat gibt, die Probleme, die wir in unserem Lande haben, zu lösen.

Lieber Kardinal Lehmann, von Ihnen stammt der Satz: "Glück ist eine Sache der Aufmerksamkeit, man merkt es meistens erst hinterher." Glück ist sehr wertvoll, aber eben kein Dauerzustand. Umso mehr gilt es, die Momente zu schätzen, in denen das Leben ganz und heil ist. Und ich wünsche Ihnen, lieber Kardinal Lehmann, viele solcher Momente. Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück und Gottes Segen, gelegentlich Zeiten der Muße, aber auch weiterhin Kraft für Ihr wichtiges Amt zum Wohle der Kirche, der Christen und der Menschen in unserer Gesellschaft. Alles Gute!