Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 03.04.2000

Anrede: Meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/93/7993/multi.htm


mit großen Erwartungen sind die Staats- und Regierungschefs der Staaten

Afrikas und der Europäischen Union zu diesem ersten Gipfeltreffen hier in Kairo

zusammengekommen.

Mein Dank geht an Präsident Mubarak und das ägyptische Volk für ihre

herzliche Gastfreundschaft.

Mein Dank geht auch an die Organisation für Afrikanische Einheit, die unter

dem Vorsitz des algerischen Präsidenten Bouteflika dieses Gipfeltreffen

gemeinsam mit der EU ermöglicht hat.

Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts und mit der Globalisierung der

internationalen Wirtschaft vollzieht sich auch in Afrika ein grundlegender

politischer und wirtschaftlicher Wandel.

Der Kontinent hat, wie wir alle wissen, mit Problemen zu kämpfen, die diesen

Wandel für die Menschen zu einer schwierigen Herausforderung machen. Und

errungene Erfolge werden allzu oft von Naturgewalten wieder gefährdet.

Lassen Sie mich auch von dieser Stelle aus den Opfern der Flutkatastrophe im

südlichen Afrika und ihren Angehörigen mein Mitgefühl und das der deutschen

Bevölkerung ausdrücken. Gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn tun wir

alles in unserer Macht Stehende, um die Not der Menschen zu lindern und ihnen

beim Wiederaufbau ihrer Heimat zu helfen.

Meine Damen und Herren,

Die Fortschritte beim Aufbau demokratischer Strukturen, bei der Durchsetzung

der Menschenrechte sowie bei der Bereitschaft zur regionalen Lösung von

Konflikten in vielen Ländern Afrikas sind unübersehbar.

Auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Afrika haben sich deutlich

verbessert.

Seit fünf Jahren wächst die Wirtschaft schneller als die Bevölkerung.

Insgesamt haben sich wesentliche Wirtschaftsindikatoren für Afrika deutlich

günstiger entwickelt.

Diese positive Entwicklung ist nicht zuletzt das Ergebnis einer grundlegenden

Neuorientierung in vielen Ländern Afrikas hin zu einer soliden

Wirtschaftspolitik, einer Stärkung der privaten Wirtschaft und einer Öffnung der

Märkte.

Dennoch zeigt der sehr geringe Anteil Afrikas von 2 % am dynamischen Wachstum

des Welthandels und der Direktinvestitionen, dass viele Länder den Anschluss an

die weltwirtschaftliche Entwicklung noch finden müssen.

Dies setzt zum einen voraus, dass innerhalb der Länder die Reformerfolge

konsolidiert und ausgebaut werden. Zum anderen, dass die globale Wirtschaft für

Afrika offen bleibt, den Zugang möglichst erleichtert. Deutschland wird

weiterhin seinen Beitrag zu beidem leisten.

Meine Damen und Herren,

gesunde wirtschaftliche Entwicklung eines Landes braucht Frieden und

Stabilität und Frieden und Stabilität brauchen wirtschaftliche

Entwicklung.

Grundlage dafür sind Demokratie und Rechtssicherheit, vorhersehbares und

kontrolliertes Handeln des Staates.

Ebenso kommt es darauf an, die Menschen teilhaben zu lassen an den Früchten

einer friedlichen Entwicklung. Die sozial gerechte Verteilung der Chancen und

Erträge des wirtschaftlichen Wachstums ist die Grundlage des gesellschaftlichen

Fortschritts nicht nur in Afrika.

Die Chancen der Länder im internationalen Wettbewerb werden von ihrer

politischen und materiellen Infrastruktur genauso bestimmt wie vom

Bildungssystem, der Technologie und der Leistungsbereitschaft und

Wandlungsfähigkeit der gesamten Gesellschaft.

Auch wenn Afrika mit einer Gesamtzusage von jährlich zwei Milliarden DM

die wichtigste Empfängerregion für deutsche Entwicklungsmittel bleibt, gilt

doch:

Die öffentliche Entwicklungshilfe kann Defizite nur zum Teil ausgleichen,

mehr und mehr wird es auf die Anstrengungen der afrikanischen Länder selbst

ankommen, um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaften zu stärken und günstige

Rahmenbedingungen für Investitionen zu schaffen.

Viele afrikanische Volkswirtschaften sind noch immer zu sehr von den

Exporterlösen für ein oder zwei Produkte oder Rohstoffe abhängig, deren Preise

oft konjunkturanfällig sind.

Der hohe Rohstoffanteil an den afrikanischen Exporten nach Deutschland und

Europa ist zudem Ausdruck der immer noch zu geringen industriellen

Fertigungsbreite vieler afrikanischer Volkswirtschaften.

Berufliche Bildung und Förderung kleiner und mittlerer Betriebe sind auch

deshalb Schwerpunkte in der deutschen Entwicklungshilfe.

Diese Unternehmen leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Beschäftigung,

zur technologischen Entwicklung und zur beruflichen Ausbildung und

Qualifizierung.

Wichtig ist darüber hinaus die Mobilisierung privaten Investivkapitals, lokal

wie international. Afrika kann vor allem dann von internationalem

Investitionskapital profitieren, wenn die Privatisierungsbemühungen fortgesetzt

und damit neue Möglichkeiten der Kooperation geschaffen werden.

Dabei verstehe ich "Privatisierung" in einem sehr umfassenden Sinn.

Es geht dabei nicht nur um eine Veränderung der Eigentümer-Strukturen und

eine Stärkung des privaten Kapitals. Privatisierung " meint auch und vor allem die Entfaltung der Initiativen und

Fähigkeiten aller Schichten der Bevölkerung. Phantasie und Motivation der

Menschen sind doch überall die stärksten Produktivkräfte

Besonders zu begrüßen sind in diesem Zusammenhang auch die zahlreichen

Bestrebungen um grenzüberschreitende regionale Integration in Afrika. Damit

entstehen größere Märkte für offene, wettbewerbsorientierte Wirtschaftsordnungen

ihrer Mitglieder. Freier Handel nach gemeinsamen Spielregeln wird gefördert und

eine wesentliche Voraussetzung zur Teilhabe an der Globalisierung wird

geschaffen.

Deutschland setzt sich im Rahmen der EU und innerhalb der WTO für eine

weitergehende Liberalisierung des Welthandels ein, die auch den Zugang für

Produkte der Entwicklungsländer zu den Märkten der Industrieländer verbessern

muss.

Wir wollen einen Beitrag zur sozialen Untermauerung globaler Märkte leisten,

der von den Menschen in Europa und Afrika zu Recht gefordert wird. Wir sind uns

bewusst, dass wir Mitverantwortung dafür tragen, die Früchte der Globalisierung

gerechter zu verteilen.

Meine Damen und Herren,

in diesem Zusammenhang ist die hohe Verschuldung der ärmsten Länder Afrikas

eine schwere Hypothek, die die Entwicklungschancen dieser Länder erheblich

beschränken.

Ich freue mich daher, dass es Deutschland auf dem Wirtschaftsgipfel 1999 in

Köln gelungen ist, mit der Vereinbarung der internationalen Schuldeninitiative

den Anstoß für eine weitergehende Entschuldung der ärmsten Länder zu geben.

Rund 80 % der potenziellen Empfänger dieser Schuldenentlastung liegen in

Afrika.

Als besonderes Zeichen unserer Solidarität werde ich dem deutschen Parlament

vorschlagen, zusätzlich zu den im Rahmen der Schuldeninitiative vereinbarten

Maßnahmen diesen ärmsten Ländern einen vollständigen Schuldenerlass zu gewähren.

Deutschland wäre damit bereit, für eine weitere Entlastung von bis zu

700 Mio. DM zu sorgen.

Ich bin zuversichtlich, dass auch die anderen Gläubigerländer unserem

Beispiel folgen werden.

Durch diese Initiative werden nicht alle Probleme auf einmal gelöst.

Doch mit der engeren Verknüpfung von Schuldenerleichterung," guter

Regierungsführung " und Armutsbekämpfung sollen die freiwerdenden Mittel den

ärmsten Bevölkerungsgruppen zugute kommen.

Dazu gehört insbesondere die Sicherstellung sozialer Grunddienste zur

Förderung der Grundbildung, der Basisgesundheit, der AIDS-Bekämpfung und zum

Schutz von Familien.

Meine Damen und Herren,

überall in Afrika läßt sich mit Händen greifen, wie groß die Bereitschaft der

Menschen ist, ihr Los in eigener Initiative zu verbessern. Wie groß die

Solidarität der Menschen untereinander ist.

Und auf welch hohen Einfallsreichtum wir bauen können, wenn es darum geht,

den Ländern Afrikas den Anschluss an die weltwirtschaftlichen

Entwicklungschancen zu ermöglichen.

Lassen Sie uns Europa und Afrika - diesen Weg gemeinsam und im Geiste der

Partnerschaft gehen.