Redner(in): k.A.
Datum: 25.05.2006

Anrede: Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/05/2006-05-25-grusswort-von-vizekanzler-muentefering-beim-dgb-bundeskongress,layoutVariant=Druckansicht.html


Ich will einige Gedanken aufgreifen, die in Eurer Diskussion der vergangenen Tage eine Rolle gespielt haben. Ich habe natürlich in den vergangenen Tagen Euren Kongress verfolgt und weiß, worüber Ihr diskutiert habt.

Die Würde des Menschen im Arbeitsleben zu beachten, ist der Kerngedanke Eurer Diskussionen; das ist auch in Eurem Leitantrag aufgeschrieben. Das ist gut. Darauf können wir uns leicht verständigen. Wir können einig sein in diesem Ziel, die Würde des Menschen im Arbeitsleben zu beachten, wie überhaupt die ersten Artikel unseres Grundgesetzes geeignet sind, nicht nur sonntags, sondern alltäglich Richtlinie unseres Zusammenlebens zu sein. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Das sind schöne, klare Sätze. Die Wahrheit ist kurz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und weil das so ist, sagen wir: Sozial ist, was menschenwürdige Arbeit schafft. Das muss das Prinzip der Politik sein.

Menschenwürdige Arbeit, das ist auch das Ziel des 25-Milliarden-Programms der Bundesregierung, durch das über 100 Milliarden Euro Investitionen ausgelöst werden. Die steuerliche Förderung und die Zuschüsse für Instandsetzung und Modernisierung von Wohnungen, Haus und Grundstück, die energetische Gebäudesanierung, sowie die besondere Förderung von Kinderbetreuung und Pflege im Haushalt werden genutzt. Die KfW meldet bereits eine große Nachfrage. Die Rechnung der Bundesregierung geht auf. Der Binnenmarkt ist beim verbesserten Wachstum dabei, zwar nicht großartig, aber immerhin und deutlich besser als in den vergangenen Jahren.

Das alles hätten wir nicht in 2006 hin bekommen, und wir könnten nicht gleichzeitig 2007 das Maastricht-Kriterium und die Vorgaben des Grundgesetzes einhalten, würden wir nicht steuerliche Subventionen abbauen und die Mehrwertsteuer in 2007 erhöhen. Es gibt zu viele Kleingläubige und zu viele Defensivspieler. Wir haben die Chance, dass es gelingt, dass wir in diesem Jahr 2006 mit deutlich verbessertem Wachstum auch am Arbeitsmarkt Bewegung bekommen. Das wollen wir alle miteinander. Gleichzeitig wollen wir dafür sorgen, dass der Staat handlungsfähig bleibt und dass wir auch das erreichen, was uns Maastricht und das Grundgesetz aufgegeben haben.

0,5 Prozentpunkte der Mehrwertsteuer - das sind 3,6 Milliarden Euro, das wisst Ihr - gehen direkt an die aktiv Beschäftigten; denn ein Prozentpunkt dieser Mehrwertsteuererhöhung wird komplett zur Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung genutzt, kommt also jeweils zur Hälfte den Arbeitnehmern und Arbeitgebern zugute. Die anderen zwei Prozentpunkte der Mehrwertsteuererhöhung gehen zur Hälfte in die Kassen von Bund und Ländern, die damit Geld für Investitionen vor Ort erhalten. Zu tun gibt es dort genug. Zu tun heißt: Arbeitsplätze beim Handwerk und bei den kleinen und mittleren Unternehmen schaffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Koalitionsvertrag dieser Großen Koalition, die keiner gewollt hat, die aber nun da ist - das ist gewissermaßen eine List der Demokratie - , enthält viele sozialdemokratische Ideen. Weil es hier gerade eine kleine Reaktion gab, noch ein Hinweis: 1966 gab es schon einmal eine Große Koalition. Die Älteren unter Euch können sich gut daran erinnern. Ich war damals Juso und natürlich engagiert dagegen. Ich habe Herbert Wehner geschrieben, er solle das lassen. Er hat nicht auf mich gehört; wahrscheinlich hat er Recht gehabt.

Dass diese Große Koalition jetzt zustande gekommen ist, ist auch eine Chance für das Zusammenwirken der großen demokratischen Parteien, der Parteien, die auch in der Einheitsgewerkschaft im DGB zusammenwirken. Viele Kolleginnen und Kollegen sind bei den Sozialdemokraten, viele bei den Christdemokraten und Christsozialen. Das hat eine gute große Tradition.

In Deutschland haben wir 35 oder 36 Jahre lang nach einer Melodie gelebt: Wenn etwas nicht geklappt hat, waren - so haben wir gesagt - im Zweifelsfall die Schwarzen schuld. Die Schwarzen haben gesagt: Die Roten sind schuld. Wir haben uns jetzt alle ein bisschen beruhigt, und manchmal ward Ihr mit dabei. Nun sitzen die Schwarzen und die Roten am Tisch, die Probleme liegen mitten drauf, und wir können keinen mehr finden, dem wir es hinschieben.

Wir müssen die Probleme jetzt lösen. Das machen wir auch, das wissen wir auch, und dafür bitte ich Euch um Eure Unterstützung, auch weil in diesem Programm der Großen Koalition viel drin ist, was sozialdemokratische Idee und Konzeption ausmacht. Dass niemand das 25-Milliarden-Programm ein Konjunkturprogramm nennt, heißt ja nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es keines wäre.

Ich verstehe, dass Ihr über manche Punkte, die wir tun, kritisch redet. Ich fände es besser, Ihr würdet über das reden, was wir Gutes tun. Das 25-Milliarden-Programm ist ein solches Positivum. Es bringt Arbeitsplätze. Darüber sollten wir ehrlich und offen miteinander sprechen. Etwas wie das, was wir in diesem Jahr machen, haben wir über eine ganze Zeit in Deutschland nicht geschafft. Wir wollen nämlich in diesem Jahr ganz bewusst die Konjunktur stützen und dafür sorgen, dass zusätzliches Geld beim Staat und bei den Kommunen ankommt, damit auch dort die Arbeit getan werden kann, die getan werden muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gewerkschaften sind ein natürlicher, ein kritischer und ein wichtiger Partner der Politik. Deshalb war es für uns so wichtig, dass die Gewerkschaften in Deutschland stark bleiben, dass die Mitbestimmung bleibt und dass auch die Tarifautonomie bleibt. Bevor wir begonnen haben, über Koalitionen überhaupt zu sprechen, haben wir vier Bedingungen auf den Tisch gelegt. Und die erste Bedingung der deutschen Sozialdemokratie war: Es bleibt bei der Tarifautonomie, unbestritten und unbeschnitten, und es bleibt beim Flächentarif. Es bleibt dabei, dass die deutschen Gewerkschaften stark sind und stark bleiben und dass ihnen keiner in den Arm fällt.

Diese Große Koalition, liebe Kolleginnen und Kollegen, war die Alternative zu Schwarz-Gelb. Wir sind in der letzten Wahl knapp daran vorbei gerutscht. Die Botschaft war eindeutig. Die Menschen wollten Rot-Grün nicht mehr, sie wollten aber auch Schwarz-Gelb nicht. Wir haben in den Verhandlungen folgende vier Forderungen auf den Tisch gelegt: Erstens: Die Tarifautonomie bleibt. Zweitens: Steuerfreiheit für Nacht- , Feiertags- und Sonntagszuschläge. Drittens: Elterngeld. Und viertens: 3 Prozent für Forschung und Technologie ab 2010. Ich komme darauf noch zurück.

Es ist ganz wichtig, dass auch in Zukunft die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich in Deutschland zusammenschließen und ihre Rechte erstreiten, und da, wo es nötig ist, auch erstreiten können. Wir wissen, wie wichtig es für die Demokratie in diesem Lande ist. Deshalb, bei allem, was wir in dem einen oder anderen Punkt im Konkreten auszustreiten haben, Klaus, eines gilt unter uns ganz klar: Wir wollen, dass es starke Gewerkschaften gibt, dass auch in Zukunft in Deutschland Arbeitnehmer wissen, wie sie ihre Rechte organisieren und wie sie sie mit den Gewerkschaften durchsetzen können. Das gilt unabhängig von allem, was wir sonst an der einen oder anderen Stelle auszustreiten haben.

Die Statik der Demokratie braucht starke Gewerkschaften und nimmt Euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, in die Verantwortung. Die Eigenschaften, die eine gute Politik ausmachen, gelten auch für die gewerkschaftliche Arbeit.

Die erste Eigenschaft: Leidenschaft in der Sache, für die Sache kämpfen. Jawohl.

Zweite Eigenschaft: Verantwortungsgefühl für das Ganze. Wissen, dass es immer noch etwas über den eigenen Bereich hinaus gibt, an das man zu denken hat.

Das Dritte ist Augenmaß. Das Wünschbare nicht aus den Augen verlieren, aber das Machbare tun. Das sind die Tugenden, die man braucht. Nicht alles, was man sich wünscht, geht oder geht sofort. Also muss man das tun, was machbar ist und trotzdem in die richtige Richtung zeigt.

Gerade in einer Zeit, in der die öffentliche Debatte über Staat und Wirtschaftspolitik oft nur noch sehr eingeengt stattfindet, können starke Gewerkschaften wichtige Bündnispartner für die Politik und für das Soziale im Lande sein. Viele Menschen sind verunsichert, weil sie daran zweifeln, ob Politik, ob der Staat etwas ausrichten kann gegen die unsozialen Kräfte des globalen Marktes. Das trifft auch Euch vor Ort. Wenn Forderungen gegenüber internationalen Konzernen nur schwer durchsetzbar sind. Wenn Unternehmen ihren Standort und ihre Arbeitnehmer in Stich lassen und wegziehen. Oder wenn eine anonyme Finanzindustrie lukrative Unternehmen ungeniert ausbeutet.

Der Kapitalismus ist nicht zu Ende. Er sieht anders aus als vor 100, vor 140 Jahren. Das ist heute die Finanzindustrie, die sich weltweit organisiert. Allen, die schnell mal eben glauben, sie haben eine Antwort darauf, sage ich: Vorsicht! Das müssen wir miteinander organisieren. Das müssen wir miteinander vorantreiben und dafür sorgen, dass Finanzinteressen nicht die Politik auf dieser Welt bestimmen.

Politik muss kämpfen um ihren Primat. Das gilt auch für die Gewerkschaften. Wenn ich das sage, sagen mir manche Manager, das sei ja ganz anständig, aber ich solle das sein lassen, das könne man nicht gewinnen. Sie sagen: Geld regiert die Welt. Darauf sage ich, Nein. Mich nicht. Die deutsche Sozialdemokratie nicht. Wir werden nicht zulassen, dass Geld die Welt regiert. Wir wollen den politischen Primat. Wir wollen, dass Wirtschaft für die Menschen da ist, nicht umgekehrt. Dafür streiten wir, und wenn wir gescheit sind, tun wir das miteinander.

Die Rezepte aus den Siebzigerjahren tragen nicht mehr weit. Die Welt hat sich seitdem ein paar Mal gedreht und verändert. Wir haben nicht mehr die gleichen nationalen Rahmenbedingungen, auch nicht die gleiche nationale Gestaltungskraft wie zu Zeiten von Plisch und Plumm, Schiller und Strauß, damals in der Großen Koalition. Wir müssen miteinander neue Wege finden, Mechanismen und Regeln, wie man dieser Entwicklung Herr werden kann - in Deutschland, aber auch in Europa und weltweit.

Die deutsche Sozialdemokratie hat 1930 einen Parteitag in Heidelberg gehabt. Damals haben unsere Vorfahren beschlossen, wir brauchen eigentlich eine Weltregierung, die das mal alles klärt. Aber wir wissen, die UNO und alles, was es da an Regierungen und Institutionen gibt, ist weit davon entfernt, diesen Kapitalismus der Finanzindustrie in den Griff zu bekommen.

Das ist ein Thema, das uns gemeinsam angehen muss, das wir in Europa auch gemeinsam begonnen haben. Darauf gibt es keine einfachen Antworten. Aber gesprächsbereit bin ich, sind wir, auch in dieser Regierung. Was kann man eigentlich an dieser Stelle tun, damit die Menschen, die Schwächeren, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, nicht untergepflügt werden angesichts dieser Entwicklung? Es gibt welche, die wissen dafür schon die Lösung. Deshalb sollte der, der gerade dazwischengerufen hat, mir einen Brief schreiben. Schreib auf, wie Du Dir das so vorstellst. Dann sage ich mal, wie man das machen kann.

Wer glaubt, das könnte man einfach so lösen, muss daran denken: Die Grenzen sind auf, die totale Mobilität auf dieser Welt ist da. Das gilt für die Menschen, das gilt für das Geld. Wer glaubt, man könnte eben mit nationalen Instrumenten dies alles in die richtige Spur lenken, der verkennt seine Muskeln. Da ist mehr und anderes erforderlich.

Michael Sommer hat auf dem SPD-Parteitag vor zehn Tagen hier gesagt, dass der DGB unser kritischer Begleiter sein will. Kritisch ist in Ordnung, aber Begleiter heißt auch, dass wir den Weg gemeinsam zu gehen versuchen. Das ist richtig. Beides ist richtig: Begleitung und Kritik.

Wir haben eines gemeinsam: Wir wissen, Einigkeit macht stark. Die deutsche Sozialdemokratie, das sage ich ganz klar, hat in diesem Land, in diesem Volk keine Mehrheit ohne einen Schulterschluss mit den Gewerkschaften. Ich sage Euch aber auch: Ihr seid auch darauf angewiesen, dass die große deutsche Sozialdemokratie und Ihr dicht beieinander sind. Noch einmal: Einigkeit macht stark.

Es muss klar sein, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wer den Staat als Instrument der Gesellschaft will, weil der für Ausgleich sorgen und Demokratie möglich machen kann, der muss auch die Finanzierung des Staates sicherstellen.

In diesem Jahr liegt die deutsche Staatsquote bei 45,7 Prozent. Das sind zwölf Prozentpunkte weniger als in Schweden, acht Prozentpunkte weniger als in Frankreich, etwa gleichviel wie in Großbritannien. Der deutsche Staat ist im Vergleich zu anderen Ländern keineswegs aufgebläht.

Was lehrt das alles, wenn man sich die ganzen anderen europäischen Länder anguckt und die Entwicklung dort? Die Höhe der Staatsquote ist kein Argument für oder gegen Wachstum, für oder gegen sozialstaatliches Handeln. Wichtig ist, ob die staatlichen Mittel klug - das heißt auch wachstumsfördernd - eingesetzt werden.

Wir werden, um den Staat handlungsfähig zu halten, die Haushaltskonsolidierung fortsetzen und mit der Föderalismusreform für eine klare Organisation von Bund und Ländern sorgen.

Auch das gehört zu dem dazu, was in diesem Lande geklärt werden muss. Wir wollen, dass Spitzenverdiener zu einem starken Gemeinwesen beitragen. Deshalb haben wir die Reichensteuer durchgesetzt.

Die Lockerheit und die Leichtigkeit, mit der Ihr alle Bemühungen, die es da gibt, kommentiert, wie das einige jetzt getan haben, zeigt, dass wir darüber noch ein bisschen miteinander diskutieren müssen. Es gilt nämlich: Was kann man durchsetzen? Das ist die Frage des Augenmaßes. Natürlich kann man sagen, wir hätten an der Stelle gerne mehr. Darüber könnt Ihr mit mir leicht sprechen. Aber Tatsache ist: Was kann man erreichen? Was haben die Sozialdemokraten an der Stelle erreicht? Wer hat da Flagge gezeigt, wer nicht?

Deshalb sind all die klugen Sprüche, es sollte mehr sein, Sprüche von Leuten, die an das Wünschbare denken, die aber das Machbare aus den Augen verlieren. Ich stehe hier für das Machbare. Das ist der entscheidende Punkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sozialstaat ist der Garant für das soziale Versprechen, das wir machen. Niemand fällt in Deutschland ins Wertfreie, wenn er arbeitslos oder krank wird, einen Unfall hat oder in den Ruhestand geht.

Unser Staat ist organisierte Solidarität.

Es gibt verlässliche Sicherheit auch im Wandel. Aber der Staat muss sich auch wandeln, um diese Sicherheit künftig noch zu gewährleisten. Das gilt zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt.

Wir haben unter vielen Protesten die Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengelegt. Dieser Schritt war und ist richtig. Damit geben wir Hunderttausenden die Chance auf Vermittlung, die vorher in der Sackgasse der Sozialhilfe steckten.

200.000 junge Menschen - Ihr könnt doch die Wahrheit nicht ignorieren - , die am 31. 12. 2004 erwerbsfähig und in der Sozialhilfe waren, die nicht als Arbeitslose gezählt worden sind, haben wir herausgeholt. Wir haben gesagt: Wir wollen, dass ihr eine neue Chance bekommt. Um die kümmern wir uns miteinander. An der Stelle könnten wir uns doch wenigstens einig sein, dass wir die Menschen nicht in der Sozialhilfe stecken lassen, sondern dass wir sie herausholen, dass wir sie auf den Arbeitsmarkt holen und mit ihnen zusammen prüfen, was wir tun können, damit sie wieder eine Chance haben. Das hat auch etwas mit Menschenwürde zu tun. Man darf sich das nicht immer so heraussuchen, wie es einem gerade recht kommt.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zulassen wollen, dass die Menschen, die vorher in der Sozialhilfe waren - 700.000, 800.000 insgesamt - , dort bleiben. Nein, sie sollen eine Chance bei uns auf dem Arbeitsmarkt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reform wird weiter entwickelt. Viele Regelungen werden angepasst, weil sie in den letzten anderthalb Jahren nicht funktioniert haben. Anderes wird verbessert. Der Regelsatz des Arbeitslosengeldes II Ost wird auf das Westniveau von 345 Euro angehoben. Dazu gehört andererseits, dass wir durch die Neudefinition von Bedarfsgemeinschaften und mit intensiver Begleitung und Inanspruchnahme von neuen Bedarfsgemeinschaften sparen, alles in allem 2 Milliarden Euro, die wir im Jahr der vollen Wirksamkeit, 2007, glauben weniger ausgeben zu können. Das ist nötig, weil wir nie die aus dem Blick verlieren dürfen, die mit ihren Steuern dies alles bezahlen.

Wir wollen, dass die Mittel im Bereich von Arbeitslosengeld II effizient und wirksam eingesetzt werden. Und wir wollen, dass alle, die einen Anspruch haben, auch ihr Recht bekommen, andere aber auch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wenn wir das soziale Versprechen bewahren wollen, dann gehört dazu auch, dass wir die sozialen Sicherungssysteme leistungsstark und vertrauenswürdig halten. Dazu müssen wir die Systeme modernisieren, sie auf der Höhe der Zeit halten, vor allem weil sich die Rahmenbedingungen deutlich ändern; Stichwort demographische Entwicklung.

Wir leben länger; das ist gut. Wir haben immer weniger Kinder; das ist schlecht. Die Lebenszeit steigt, die Lebensarbeitszeit sinkt. Die Rentenbezugsdauer hat sich in den letzten 40 Jahren im Durchschnitt von 10 Jahren auf heute 17 Jahre erhöht. 2025/2030 wird die Zahldauer der Rente etwa 20 Jahre sein. 1960 kamen acht Beschäftigte auf eine Rentnerin, einen Rentner. Heute sind es 3,5, und im Jahr 2030 - die Zahlen sind ja alle da - werden es voraussichtlich 2,1 Beschäftigte pro Rentnerin und Rentner sein. Dann müssen die das erwirtschaften, was nötig ist, um die Renten zu bezahlen. Das geht rechnerisch absehbar nicht auf. Deshalb sagen wir in einer klaren Reihenfolge:

Erstens. Alles dafür tun, damit wir in Deutschland mehr Arbeit haben; siehe 25-Milliarden-Programm und anderes.

Zweitens. Initiative 50plus. Ich habe sie angekündigt, und das werden wir auch noch einmal zuspitzen und verstärken und bündeln. Das wird noch zum Sommer vorliegen. Diejenigen, die 50 Jahre alt und älter sind, sollen mehr Chancen haben.

Drittens. Anhebung des faktischen Renteneintrittsalters von 60 auf 63 Jahre. Das läuft bereits seit Jahren. Ich habe dazu in den vergangenen Jahren keine großartigen Proteste gehört. Alle wissen das. Darüber ist wenig gesprochen worden.

Wir sind dabei, das faktische Renteneintrittsalter von 60 auf 63 Jahre zu erhöhen, weil, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland seit Mitte der Achtzigerjahre etwas passiert ist, was manche heute ignorieren, was man aber nicht ignorieren kann. Damals ist die Zahldauer des Arbeitslosengeldes von 12 Monate auf bis zu 32 Monate verlängert worden. Vorher bekam in Deutschland niemals einer länger als 12 Monate Arbeitslosengeld. Damals hat Blüm das verlängert, und wir haben dazu geklatscht. Das ist gar kein parteipolitischer Vorwurf. Einer hat damals dagegen protestiert, und das war meine IG Metall. Die hat sogar dagegen geklagt. Die IG Metall hat gesagt, die großen Unternehmen werden ihre Personalpolitik aus den sozialen Sicherungssystemen heraus finanzieren. So ist es gekommen. Die Parole hieß: Mit 54, 55 Jahren in einen kurzen Sozialplan, dann lange Zahldauer des Arbeitslosengeldes, dann mit 60 in die Frühverrentung mit 18 % Abschlag oder auch ohne Abschlag. Die Folge war, dass die großen Unternehmen aus der Arbeitslosenversicherung, aus der Rentenversicherung ihre Personalpolitik bezahlt haben, bis in die letzten Wochen und Monate hinein. Ihr wisst doch alle, wie das gelaufen ist.

Weil das so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, sagen wir: Wir müssen das faktische Renteneintrittsalter anheben. Von denen, die 55 und älter sind in Deutschland, sind 58 Prozent nicht mehr berufstätig, nicht weil sie alle nicht wollten, sondern weil 50 Prozent der Unternehmen in Deutschland niemanden mehr beschäftigt haben, der älter ist als 50. Wenn diese Gesellschaft nicht verrückt ist, sage ich wieder ganz klipp und klar: Diejenigen, die 55 und 60 Jahre alt sind, sind nicht altes Eisen. Die können noch etwas, die wissen noch etwas, die werden im Beruf und in dieser Gesellschaft gebraucht. Dafür trete ich ein, und ich bitte Euch dringend: Helft dabei mit, dass wir da einen Gesinnungswandel hinbekommen. Das ist weiß Gott nötig.

Dazu gehört auch das, was Klaus Wiesehügel eben gegeißelt hat, nämlich die Sache mit 67. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man konnte lange Zeit in Deutschland zwischen 60 und 65 in Rente gehen; wer früher ging mit Abschlag. Man wird das ab 2029 zwischen 62 und 67 machen können. Wer 45 Versicherungsjahre hat - viele vom Bau sind dabei - , wer mit 20 oder früher in den Job kommt, wird auch in Zukunft seine Rente ohne Abschlag erhalten. Bis zum Jahr 2029 ist eine lange Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich habe Euch eben die Zahlen deutlich genannt. Nun könnt Ihr alles ignorieren. Ich sage Euch nur: Dazu muss man gar kein Mathematiker sein, da reicht Volksschule Sauerland, um zu wissen, das haut nicht hin. Das wisst Ihr auch, und Ihr wisst ganz genau, dass man da etwas verändern muss. Das werden wir auch tun.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lasst uns, wenn wir an der Stelle unterschiedlicher Meinung sind, noch über einen Punkt sprechen, der auch mit Altersvorsorge zu tun hat und worüber wir uns vielleicht verständigen können. Die gesetzliche Rente bleibt das Kernstück der Alterssicherung, aber sie muss zunehmend ergänzt werden durch weitere kapitalgedeckte private Vorsorge. Ihr solltet - dies an diejenigen, die dazwischen rufen - Euch mal ein bisschen mit den Rentensätzen beschäftigen, wie sie sind. Der Rentenniveausatz wird im Jahr 2030 bei 43 Prozent liegen. Die werden bezahlt werden müssen von denen, die dann im Erwerbsleben sind.

Wer den Wohlstand von heute erhalten will, muss eine zusätzliche private Versicherung abschließen. Das kann man über die Riester-Rente machen. Es sind jetzt 6,2 Millionen Kolleginnen und Kollegen, die dabei sind. Das kann man auch durch eine betriebliche Rente machen. Das sind inzwischen 15,7 Millionen. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland macht längst solche zusätzliche private Vorsorge über betriebliche oder über Riester-Rente.

Wir möchten das verbessern. Wir möchten stärker als bisher über Kinderzuschläge die Familien fördern, die Altersvorsorge machen. Und wir möchten, dass diese Altersvorsorge im Bereich Riester-Rente, von mir aus auch in anderen Bereichen, stärker verbunden wird mit der Vorsorge im Bereich von Haus und Wohnung oder von Dauerwohnrecht. Denn das ist natürlich auch eine gute Vorsorge für die Zukunft. Die Gewerkschaften wissen es doch ganz genau: Was vor wenigen Wochen bei Metall verhandelt worden ist, hat doch eine starke Komponente gerade im Bereich der Altersvorsorge. Ihr seid doch alle mit dabei und macht das immer, und das ist doch auch gut. Wieso können wir uns nicht darauf verständigen, dass wir an der Stelle eine klare gemeinsame Linie halten? Wenn es um die Frage der Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Gewinn und Kapital geht, wieso können wir nicht sagen, lasst uns darüber sprechen, wie wir das in einer vernünftigen Weise zu einer vernünftigen Altersvorsorge ausgestalten? Das ist doch ein vernünftiger Weg. Ihr geht ihn an vielen Stellen, und wir sind gut beraten, wenn wir mehr darüber nachdenken.

Das, was heute an Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand durch das 5. Vermögensbildungsgesetz gemacht wird - steuerliche Vergünstigungen, Belegschaftsaktien - , ist alles vom Ertrag her bisher gering. Die Beteiligung an Gewinn und Kapital kann doch so wie jetzt im Metall-Vertrag deutlich auf Altersvorsorge orientiert werden.

Wir haben durch ein neues Gesetz eine Insolvenzsicherung eingebracht. Das ist auch noch mal eine zusätzliche Hilfe für die Kolleginnen und Kollegen, die fragen: Ja, ist das denn sicher, was ich da mache? Ja, wir müssen ein System haben, in dem solche betriebliche Rente oder Riesterrente so sicher ist, dass sie nicht verloren gehen kann, wenn man mal den Betrieb wechselt oder wenn ein Betrieb in Insolvenz geht. Das ist ja genau das System, um das es geht. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass wir an der Stelle unterschiedlicher Meinung sind.

Wer den Wohlstand von heute im Rentenalter erhalten will, muss zu dem, was gesetzliche Vorsorge ausmacht, zusätzlich privat zu sparen beginnen. Das ist bei den nachwachsenden Generationen noch wichtiger als bei denen, die heute an der Rente oder schon darin sind. Aber die Veränderungen der kommenden Zeit sind unabwendbar. Ich bin gern bereit, das bei anderer Gelegenheit noch einmal ausführlich und im Detail zu erläutern.

Meine Bitte ist: Werft das Angebot nicht weg! Wir sind bereit, ich bin bereit, in dieser Regierung dafür zu stehen, eine vernünftige, begleitende Altersvorsorge zu organisieren. Das ist keine Kleinigkeit, und es wäre ein großes gewerkschaftliches Thema, wenn Ihr sagen würdet: Jawohl, das ist etwas, was wir aufnehmen und womit wir zusammen mit Euch in der Politik vernünftige Entscheidungen treffen.

Die Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Konsequenzen einer älter werdenden Gesellschaft kommen unausweichlich, auch wenn einige zurzeit noch die Augen davor verschließen. Vielleicht wäre es besser, wir würden konstruktiv intensiver darüber sprechen, wie wir diese Entwicklung, die vor uns ist, aufnehmen.

Wieder will ich eine Zahl sagen zum Jahr 2050. - Ich weiß, wenn man das Jahr 2050 sagt, dann sagen welche: Das ist alles ganz weit weg. - Nun gut, ich werde nicht mehr dabei sein; ich werde dann im Himmel sein oder wo Sozialdemokraten so hinkommen. Das wird man sehen. Jedenfalls, im Jahre 2050 werden in Deutschland 12 Prozent der Menschen älter als 80 sein, 30 Prozent älter als 65, 16 Prozent jünger als 20. Bei den Menschen im Erwerbsalter - das sind heute 39,5 Millionen - zwischen 17 und 65 - werden 2050 aus den 39,5 Millionen 24 Millionen geworden sein - nicht, weil alle nicht mehr da wären, sondern weil viele ins Rentenalter hinein wachsen. Das kann man nicht einfach ignorieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die, die heute 22 Jahre und jünger sind, werden im Jahre 2050 noch erwerbstätig sein, und viele von Euch werden als fröhliche Rentner mit dabei sein. Wenn man das aber sein will, dann muss man jetzt beginnen, darüber nachzudenken und mindestens darauf hinzuweisen, mit welchen Problemen diese Entwicklung behaftet sein könnte. Wir werden das nicht alles durch Zuwanderung klären können - ich sage es Euch - , sondern wir werden uns Gedanken darüber machen müssen, wie eigentlich in einer sich so verändernden Gesellschaft die Dinge so gesetzt werden können, dass wir weiter im Wohlstand leben können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch ein paar Worte sagen zur Qualität der Arbeit, zu guter Arbeit. Wer will, dass Menschen länger im Berufsleben bleiben, dass sie bestehen können, Klaus, der steht in der Verantwortung, altersgerechte Arbeitsplätze anzubieten. Das ist unterschiedlich möglich, je nachdem, in welchem Beruf man sich bewegt. Ich weiß das. Menschen sind nicht genormt. Deswegen kann es auch keine allgemein gültige Norm für gute Arbeit geben. Aber man kann schon verschiedene Dimensionen guter Arbeit benennen.

Gute Arbeit ist Arbeit, die nicht unnötig und übermäßig Menschen körperlich belastet. Gute Arbeit ist eine, die den Fähigkeiten des Einzelnen entspricht und die Weiterbildung und Qualifizierung ermöglicht. Gute Arbeit ist eine, die nicht gesundheitsgefährdend ist. Gute Arbeit ist eine, die gerecht, ausreichend, mindestens aber existenzsichernd bezahlt wird. Gute Arbeit ist im Regelfall eine, die sozialversicherungspflichtig ist. Gute Arbeit ist eine, die angemessene Arbeitsbedingungen und -zeiten hat und deswegen auch mit Familie vereinbar ist. Gute Arbeit ist eine, die Menschen dient.

Hinter solch einem Leitbild guter Arbeit als Ganzem steht der Gedanke, dass Arbeitskraft nicht nur eine Ware ist, die verkauft wird. Wir haben und müssen den Menschen im Blick haben, wenn wir über Arbeit reden, seine Würde, die auch am Arbeitsplatz geschützt ist. Deswegen haben wir eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die diesem Ziel dienen sollen.

Dazu gehört auch, dass wir Betreuungsangebote im Krippenalter und in der Grundschule finanzieren im Sinne von Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dazu gehört die Steuerfreiheit der Sonn- , Feiertags- und Nachtzuschläge. Dazu gehört, dass wir stärker als bisher Wert darauf legen, uns Gedanken zu machen über die Qualität der Arbeit und wie wir im Sinne von Arbeitsschutz, aber weit darüber hinaus gehend im Sinne der Arbeitnehmer agieren können.

Und weil das alles so ist, heißt die Parole eben nicht schlicht Vorfahrt für Arbeit, sondern Vorfahrt für menschenwürdige Arbeit. Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen.

Die Arbeitswelt ist längst nicht frei von Belastungen. Studien zeigen, dass viele über mangelnde Qualifizierungs- und Aufstiegschancen klagen, über körperliche Belastungen, über Eintönigkeit, über Angst. Besonders problematisch ist das überall da, wo Gewerkschaften, Betriebsräte und Personalräte kaum oder keine Macht haben und Arbeitnehmerinteressen nicht gebündelt werden.

Seit die sozialliberale Koalition 1969 unter Willy Brandt das Thema Humanisierung der Arbeitswelt auf die Tagesordnung gesetzt hat, seit der große Otto Brenner und andere große Gewerkschafter Debatten und Initiativen zur Humanisierung der Arbeitswelt geführt haben, ist viel passiert. Manche Erwartungen und Forderungen von damals sind beantwortet, neue sind dazu gekommen. Viele rechtliche Neuregelungen gibt es, aber das heißt nicht, dass die Aufgabe abgeschlossen wäre. Ganz im Gegenteil! Unsere Arbeitswelt ändert sich heute so schnell, dass jeder Stillstand in der Qualitätsdiskussion die Gefahr des Rückschritts birgt.

Die Überlegungen, wie man einen Arbeitsplatz in der Schwerindustrie human ausgestaltet, helfen nur begrenzt bei der Frage, wie ein solcher Arbeitsplatz in einem Callcenter aussehen soll. Wir versuchen, vor allen Dingen mit der Initiative "Neue Qualität der Arbeit", die Erkenntnisse aus der jahrelangen Forschung in die Praxis zu bringen. Es geht um Modelle, die funktionieren und die bekannter werden sollen. Das ist ein strategischer Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, an dem wir miteinander zu arbeiten haben. Und auch an dieser Stelle bitte ich um intensive Zusammenarbeit und Begleitung - kritisch, aber doch zielgerichtet.

Auch gering Qualifizierte müssen in diesem Land Chancen auf Arbeit haben und dafür einen Lohn bekommen, von dem sie leben können - ein anderes wichtiges Ziel unserer Politik.

Dies ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ein Zielkonflikt: Arbeit für gering Qualifizierte, die so bezahlt ist, dass sie davon sich und ihre Familie ernähren können. Und natürlich sehe ich, welche Problematik darin steckt - Ihr auch. Trotzdem muss man dieses wollen.

Ich habe die Debatte um die Frage der existenzsichernden Löhne im Frühjahr 2004 begonnen, mit vielen Gewerkschaftern zusammen, auf dem Gewerkschaftsrat meiner Partei. Wir waren uns damals nicht einig. Und die Antwort auf diese Problematik ist nicht leicht. Wir sind in einer Diskussion, und wir werden im Herbst dieses Jahres als Bundesregierung einen Vorschlag machen, wie man in dem Bereich existenzsichernde Löhne im Weiteren vorgehen sollte. Heißt die Antwort Kombilohn? Heißt die Antwort gesetzlicher Mindestlohn? Heißt die Antwort tariflicher Mindestlohn? Die Debatte läuft, und ich warne sehr vor vorschnellen Entscheidungen jetzt.

Es ist gut, wenn wir miteinander darüber sprechen, was wir uns wünschen und was machbar und umsetzbar ist. Ich sage Euch ganz klar: Mir wäre es am liebsten, wir würden über den tariflichen Mindestlohn viele der Probleme, die es da gibt, lösen - Stichwort Entsendegesetz. Mir wäre das am liebsten, weil ich mich in Sachen Mindestlohn immer zurückgehalten habe. Denn das ist natürlich etwas von Einmischung in die Tarifautonomie, die mir heilig ist. Deshalb muss man sehen: Was kann man an der Stelle tun, um das hinzubekommen?

Das kann flankiert werden mit gezielten Kombilohnmodellen für bestimmte Gruppen, unter 25 oder über 50, aber klar ist: Wir wollen keinen flächendeckenden und dauerhaften Niedriglohnsektor.

Und erlaubt mir auch noch mal - wir sind da im guten Gespräch - , an der Stelle um eines zu bitten: Wir sollten uns angewöhnen, dass wir die Ziele miteinander beschreiben. Dann kann man über die Instrumente streiten, mit denen man sie erreicht. Da gibt es in dieser Regierung welche, die glauben an das Instrument Kombilohn. Es gibt andere, die glauben mehr an das Instrument des Mindestlohns, des tariflichen oder des gesetzlichen. Das ist aber die Frage zwei. Die Frage eins ist: Welche Ziele haben wir miteinander? Ideologisiert nicht Instrumente, sondern lasst uns Instrumente nutzen, um Ziele zu erreichen!

Das ist ein wichtiger Unterschied, den man sehen muss.

Und weil das so ist, lasst uns mit diesem Thema ganz nüchtern umgehen. Eines muss nur deutlich sein: Das, was in Deutschland an Arbeitsmarkt stattfindet, kann so nicht weitergehen. Die Kolleginnen und Kollegen haben das Gefühl: Oben ist der Deckel drauf, und der freie Fall nach unten ist eröffnet. Sie haben 4,50 Euro Stundenlohn gesehen, dann 4 Euro, 3,50 Euro, 2,98 Euro. Wenn Leute, die den ganzen Monat lang arbeiten, täglich zur Arbeit gehen und dann mit 600, 700 oder 800 Euro brutto nach Hause kommen, dann ist das sittenwidrig, und das darf so nicht bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Das darf so nicht bleiben, weil derjenige, der arbeitet, sich und seine Familie davon ernähren können muss, aber auch weil das volkswirtschaftlich der falsche Weg ist. Alle diejenigen, die uns erzählen wollen, möglichst niedrige Löhne, ob als Löhne oder wie auch immer, seien die Chance, Deutschlands Wohlstand dauerhaft zu sichern, irren sich sehr. Billig können andere Länder besser als wir. Wir werden nur Wohlstandsland bleiben, wenn wir gut sind, wenn wir sehr gut sind, wenn wir sehr, sehr gut sind und wenn wir dafür auch hohe Löhne bekommen. Hochleistungsland und Hochlohnland - das ist die Chance, die Deutschland hat. Und dafür will ich in dieser Regierung kämpfen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Und seid ein bisschen vorsichtig mit der einfachen Lösung 7,50 Euro für alle oder, wie andere sagen, 8 Euro für alle. Wenn das kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht der Familienvater als Alleinverdiener mit zwei Kindern mit weniger Geld nach Hause als der, der Arbeitslosengeld II bekommt. - Ja, Ihr könnt ruhig pfeifen. Auch ich habe es mir angeguckt. Aber das nutzt nichts. Steckt mal die Pfeifen weg und denkt doch einfach mal nach. - Ja, lasst uns doch miteinander sprechen. Das hilft doch alles nichts. Wir müssen das Machbare machen.

Derjenige, der als Lediger Arbeitslosengeld II bekommt, muss 6 Euro oder 6,50 Euro haben, um das gleiche Geld in der Tasche zu haben, wenn er beschäftigt ist. Der Familienvater mit zwei Kindern oder die Mutter, ist egal, muss als Alleinverdiener oder Alleinverdienerin 11 Euro oder 11,50 Euro haben, um dasselbe Geld in der Tasche zu behalten. Es geht nicht um den Mindestlohn, sondern es geht um das Mindesteinkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deshalb sage ich: Macht es Euch an der Stelle nicht zu leicht. Wir müssen eine Kombination hinbekommen, die alles das mitberücksichtigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer in diesem Land Wohlstand sichern will, wer Altersvorsorge betreiben will und alle Dinge bedenkt, die dafür erforderlich sind, der wird zum guten Schluss an einen entscheidenden Punkt kommen. Die Frage ist die der Bildung, der Ausbildung, der Qualifizierung, der Forschung, der technischen Entwicklung. Wenn Deutschland im Jahr 2030/2040 einen Wohlstand hat wie heute, dann werden auch diejenigen, die überaltert sind, noch im Wohlstand leben können, und dann wird man sich zu streiten haben über ein paar Prozentpunkte hin und her. Wenn aber der Wohlstand bis dahin gesunken sein sollte, was nicht so sein muss, dann können wir heute Gesetze schreiben, und Ihr könnt beschließen, was Ihr wollt, dann wird weniger zu verteilen sein für die Alten und für die Jungen.

Die entscheidende Frage ist also: Wie halten wir den Wohlstand hoch? Wir haben in der SPD-Bundestagsfraktion vor zwei Jahren lange über die Frage geredet: Wollen wir im Jahre 2030 einen Rentenniveausatz von 46 Prozent oder von 43 Prozent haben? Weil wir gut sein wollten, haben wir gesagt: 46 Prozent. Ich habe dann aber noch einmal nachgefragt: von was? 46 Prozent von wenig ist weniger als 43 Prozent von viel. Die Frage ist: Was werden die hundert Prozent sein im Jahre 2020/2030? Wer morgen ernten will, muss heute säen. Wir müssen heute investieren in die Köpfe und in die Herzen der Jungen.

Deshalb sage ich Euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu diesem Kapitel meiner Ausführungen: Wer in diesem Land wirklich Wohlstand sichern will, der muss alles dies angehen, was der Arbeits- und Sozialminister in seiner Funktion zu erledigen hat. Der muss aber auch wissen: Das Wichtigste ist, dass wir in die Köpfe und in die Herzen der jungen Menschen investieren. Da entscheidet sich die Zukunftsfähigkeit dieses Landes.

Deshalb sage ich auch Klaus Wiesehügel und anderen, die über die Rente sprechen: Bei allem Respekt, Rente wird in Deutschland leicht als Synonym zu arm erwähnt, was nicht stimmt. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, ja, hört noch einen Augenblick zu. Es gibt arme Rentner, es gibt aber auch solche, denen es ganz gut geht. - Ja, es gibt arme aktiv Beschäftigte, und es gibt solche, denen es ganz gut geht. Wenn wir glauben, wir könnten in dieser Gesellschaft trennen zwischen Arm und Reich, indem wir die aktiv Beschäftigten und die Rentner gegeneinander stellen, dann ist das doch Unsinn. Dass wir in diesem Jahr die Rente nicht erhöht haben, hängt doch damit zusammen, dass die Einkommen der aktiv Beschäftigten in den vergangen Jahren nicht gestiegen sind.

Ich sage Euch ganz klar und deutlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn ich Geld zu verteilen hätte - ich habe es nicht - , ich würde es den Familien mit aufwachsenden Kindern geben. Das sind diejenigen, die am meisten brauchen, damit sie etwas für ihre Kinder, für deren Bildung und für deren Weiterbildung tun können. Das ist die wichtigste Aufgabe in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Niemand von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit. Das, was sich im Bereich Ausbildung tut, ist völlig unbefriedigend.

Ich weiß, dass es Vorschläge gibt, was wir denn tun könnten. Ich sage Euch nur: Die Chance mit einer Abgabe wird es nicht geben. - Das könnt Ihr bedauern; diese Meinung kennen wir ja voneinander. Ich als Minister muss trotzdem gucken, was ich tun kann, damit es weitergeht. Deshalb müssen wir die Unternehmen und die Unternehmer, die guten Willens sind, ansprechen und mit denen und den Gewerkschaften zusammen versuchen, das zu organisieren.

Dass mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen keine Ausbildung mehr machen, ist nicht in Ordnung. Ich fordere die Unternehmer und die Unternehmensverbände an dieser Stelle nochmals dazu auf: Sorgen Sie dafür, dass in den nächsten Wochen zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Wir haben noch fünf Jahre, in denen viele junge Menschen aus der Schule kommen; erst dann werden es deutlich weniger.

Ich war vor 14 Tagen in Mecklenburg-Vorpommern. Da ist die Zahl derer, die aus der Schule kommt, halb so hoch wie 1992. In fünf oder sieben Jahren wird das im Westen der Republik ähnlich sein. Deshalb muss man, wenn man Facharbeiter morgen und übermorgen haben will, heute ausbilden. Auszubilden nach dem Bedarf des einzelnen Betriebes nutzt dabei nichts; das reicht nicht. Ausgebildet werden muss im Interesse der Menschen und im Interesse unserer Volkswirtschaft darüber hinaus. Wir müssen erreichen: kein junger Mann und keine junge Frau von der Schule in die Arbeitslosigkeit. Dafür streite ich, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich will die Chance eines Grußwortes nicht zu sehr ausdehnen. Deshalb möchte ich zu Europa, wozu ich eigentlich auch noch einiges ausführen wollte, nur noch ein Stichwort mitgeben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich habe mit Michael Sommer, mit Dietmar Hexel und mit anderen schon oft über die Frage gesprochen: Was ist eigentlich unsere Aufgabe in Europa? Was können wir eigentlich tun? Wir wissen alle miteinander: Die politische Linke hat es nicht geschafft, sich zu organisieren, nicht in Europa und auch nicht hinreichend im gewerkschaftlichen Bereich. Wir müssen da besser werden, und daran müssen wir miteinander arbeiten. Aber das kann nicht heißen, dass wir Europa als eine Nebensache ansehen, sondern Europa ist die politische Aufgabe und Vision für die kommenden Jahre und Jahrzehnte. Ich sage das ganz besonders den Jungen.

Ich habe noch gelernt, dass Engländer und Franzosen unsere Feinde sind; sie standen meinem Vater im Krieg gegenüber. Das ist Gott sei Dank längst vorbei. Wir haben seit 61 Jahren an dieser Stelle in Europa Frieden. Das gab es, wenn man in die Geschichtsbücher guckt, noch nie. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir Wohlstandsregion sein können. Deutschland alleine wird das nicht schaffen. Aber die 450 oder 500 Millionen Menschen in diesem Europa haben eine Chance, auch im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Deshalb nur kurz meine herzliche Bitte: Kümmert Euch um diesen Teil Europapolitik, der von ganz besonderer Bedeutung ist.

Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine herzliche Bitte: Helft mit, damit in Deutschland eines klar wird über alle parteilichen und sonstigen Grenzen und Unterschiede hinweg. Es gibt in Deutschland wieder Menschen, die den alten Geist des Nationalsozialismus verbreiten. Ich nenne sie nicht Neonazis; das ist viel zu verharmlosend. Das sind Leute, die andere Menschen verfolgen, und das sind solche, die dabei sind, den Jungen das Gift einzuträufeln.

Denen mit Glatze und mit Stiefeln, die gewalttätig werden, kein Pardon, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist so, wie das in den 20er- , 30er-Jahren in Deutschland auch gewesen ist. Das waren nicht irgendwelche wildgewordenen Arbeitslosen, die damals Adolf Nazi an die Macht gewählt haben, sondern das waren Leute mit Nadelstreifen und Krawatte und mit sehr viel Geld. Ich sage auch zu denen in Brandenburg und Sachsen, wo sie ganz besonders auftreten: Wir haben sie zu bekämpfen. Aber niemand rechnet Euch das an. Wir wissen auch jetzt in diesem Deutschland 2006, dass der Kampf vor allem gegen die gehen muss, die mit viel Geld dabei sind, solche Dinge zu finanzieren und vorzubereiten und die jungen Menschen zu verführen.

Es darf in Deutschland nicht mehr möglich sein, dass Menschen Angst haben müssen, nur weil sie anders sind als andere. Ob es die Hautfarbe oder die Religion oder keine Religion ist oder welche Eigenart auch immer den Einzelnen ausmachen: Jeder muss nach seiner Eigenart in diesem Lande frei und liberal im guten Sinne leben können. Dazu wollen wir beitragen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Teil der Punkte, die ich angesprochen habe, haben Eure Zustimmung nicht. Das wusste ich, als ich kam. Ich glaube aber, dass es richtig ist, dass wir offen und ehrlich miteinander sprechen. Es ist sehr wichtig, dass die deutschen Gewerkschaften, der DGB und die Einzelgewerkschaften, und die deutsche Sozialdemokratie in einem engen Kontakt miteinander bleiben, dass wir uns auch über den richtigen Weg streiten.

Ich glaube übrigens, Reibung erzeugt Hitze, aber auch Fortschritt. Ich glaube gar nicht an die Harmoniemelodie, die manche aus dem konservativen Lager in diesem Lande allzu gern singen. Es kommt nicht darauf an, dass man sich immer verträgt. Und ich kann auch austeilen. Das geht immer auf Gegenseitigkeit. Wenn ich von meiner Sache überzeugt bin, kämpfe ich dafür. Aber die Motivationslage, dass wir sagen, wir wissen, wo die gemeinsamen Ziele sind, und jetzt suchen wir den Weg, wie wir dahin kommen, das ist das, was uns gemeinsam begleiten muss.

Viele gute Entscheidungen noch auf diesem Kongress, intensives Miteinander in den kommenden Jahren! Und herzliches Glückauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, Euch allen!