Redner(in): Angela Merkel
Datum: 26.06.2006

Untertitel: Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der Delegiertenversammlung des Deutschen Bauernverbandes am 26. Juni in Magdeburg
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Sonnleitner, sehr geehrte Herren Minister Bussereau und Veerman, sehr geehrter Herr Kollege Seehofer, sehr geehrter Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sehr geehrte Frau Ministerin Wernicke, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, verehrtes Präsidium, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/06/2006-06-26-rede-von-bundeskanzlerin-merkel-bei-der-delegiertenversammlung-des-deutschen-bauernverbandes,layoutVariant=Druckansicht.html


Lieber Herr Sonnleitner, lassen Sie mich mit einem herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wiederwahl zum Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes beginnen, und lassen Sie mich Ihnen sagen, dass ich mich freue, heute wieder einmal beim Deutschen Bauernverband zu sein. Wir haben inzwischen schon eine lange Tradition von Treffen, zum einen aus der Zeit, in der ich Umweltministerin war, und zum anderen aus der Oppositionszeit. Ich erinnere mich gerne an viele Bauerntage - ob in Nürnberg, Rostock oder andere - und denke, dass wir den Dialog auch weiter aufrechterhalten werden.

Sie wissen, dass ich der festen Überzeugung bin, dass die Zukunft der ländlichen Räume in Deutschland von allergrößter Bedeutung für die Befindlichkeit des gesamten Landes ist. Zu den ländlichen Räumen, in denen immerhin 50 % der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland leben, gehören die Bauern und die bäuerlichen Betriebe als fester Bestandteil dazu. Deshalb ist es nicht ein partikulares Interesse, wie es den landwirtschaftlichen Betrieben geht, sondern es ist ein gesamtgesellschaftliches Interesse. Das möchte ich Ihnen als Bundeskanzlerin hier und heute sagen.

Herr Sonnleitner hat eben schon davon gesprochen: Es gibt über eine Million Beschäftigte im Haupt- und Nebenamt, viele Familienarbeitskräfte, Saisonarbeitskräfte, es gibt kleinere und größere Betriebe. Es gibt also sehr unterschiedliche Betriebsgrößen, so dass es für den Deutschen Bauernverband nicht immer eine einfache Aufgabe ist, die unterschiedlichen Interessen - von Nord nach Süd, von West nach Ost - zusammenzubringen. Uns, der Politik gegenüber, treten Sie dann doch mit einem einheitlichen Meinungsbild auf. Aber ich weiß, dass Sie es manchmal nicht so leicht haben, alle Dinge zu bündeln. Deshalb ist es für uns als Politiker wichtig, den Gesprächspartner Deutscher Bauernverband zu haben. Wenn wir uns mit jedem Einzelinteresse in Ihrem Verband "herumschlagen" - um es so zu formulieren - müssten, dann wäre die politische Arbeit für den zuständigen Minister und alle anderen Betroffenen um Größenordnungen komplizierter.

Ich glaube, wir haben es mit der neuen Bundesregierung und in der Großen Koalition geschafft, einen Teil der Spannungen, die es in den letzten Jahren mit Blick auf die Existenzformen und die Bearbeitungsformen der Landwirtschaft gegeben hat, aufzuheben und wieder zu einem besseren Miteinander zu kommen.

Ich erinnere mich an die "Grüne Woche" am Anfang dieses Jahres. Wir sind der festen Überzeugung, dass die konventionelle Landwirtschaft und der ökologische Landbau ihre Existenzberechtigung haben. Wir gehen vom mündigen Bürger aus, der seine Entscheidungen trifft, welcher Sorte von Produkten er sich zuwenden möchte. Und wir wissen, dass in der konventionellen Landwirtschaft mit der "guten fachlichen Praxis" - ich könnte jetzt sagen: unter der immerwährenden Beobachtung z. B. von Umweltministern - ein außerordentlich hoher Standard von Landwirtschaft und nachhaltiger Landwirtschaft erreicht wurde. Ich finde, das muss immer wieder gesagt werden, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass der ökologische Landbau per se etwas Besseres ist. Er ist eine andere Form des Wirtschaftens, aber beide Existenzformen haben ihre Berechtigung. Und die "gute fachliche Praxis" gehört zu den höchstentwickelten, die wir kennen.

Ich glaube, es ist in den ersten Monaten der Regierungszeit auch gelungen, ein paar Dinge abzuräumen. Ich denke dabei an die Legehennenverordnung und die Schweinehaltungsverordnung. Sicherlich wird es immer wieder einmal Diskussionen geben, auch in Ihren Kreisen. Aber unter dem Strich haben wir einen sehr guten Kompromiss gefunden, der die wirtschaftliche Form in einem wettbewerblichen Raum in der Europäischen Union - und für die Landwirte ist dieser ja nun wirklich massiv, weil es sich um einen völlig vergemeinschafteten Politikbereich handelt - mit Aspekten des Tierschutzes und des Verbraucherschutzes zusammenbringt. Ganz wird das nie gelingen, wie die Demonstranten heute vor der Tür gezeigt haben, aber ich kann nur sagen: Die Emotionalität ist sozusagen weiter heruntergeschraubt, weil wir aus meiner Sicht sehr gute Kompromisse gefunden haben.

Meine Damen und Herren, kaum eine Branche ist so im Wandel wie die Landwirtschaft. Sie steht immer wieder vor riesigen Herausforderungen. Deshalb will ich, Herr Sonnleitner, einige Worte zu den Punkten sagen, die auf der Tagesordnung stehen.

Die WTO-Verhandlungen sind jetzt in einer Phase, in der Sie mit Recht darauf hinweisen, dass die deutsche und auch die europäische Landwirtschaft bestimmte Konstanten und bestimmte Sicherheiten brauchen. Ich habe die Haltung der Europäischen Union im Zusammenhang mit den Verhandlungen in Hongkong, die parallel zu denen über die "finanzielle Vorausschau" stattgefunden haben, ausgesprochen gewürdigt. Ich habe mich damals mit dem französischen Präsidenten sehr eng abgestimmt; wir haben Telefongespräche von Brüssel nach Hongkong geführt. Wir haben sogar dafür gesorgt, dass diejenigen, die in Hongkong nachts um drei Uhr noch zwei Stunden schlafen wollten, nicht sofort um halb vier geweckt wurden, sondern wir haben noch ein bisschen gewartet.

Ich darf Ihnen an dieser Stelle sagen, dass auch ich der Überzeugung bin, dass wir sicherstellen müssen, dass die Bewegungsspielräume jetzt erst einmal von anderen eingeräumt werden. Wir brauchen Angebote zur massiven Verbesserung z. B. im Bereich der Industriezölle. Ich habe dazu viele Gespräche geführt und muss ganz ehrlich sagen: Ich hoffe, dass sich alle Beteiligten des Ernstes der Lage bewusst sind.

Ich weiß, dass die europäische Landwirtschaft bereits einen großen Beitrag geleistet hat, und ich weiß natürlich auch, dass die Interessen der europäischen Landwirtschaft und der deutschen Wirtschaft nicht unbedingt parallel laufen. Auch Sie können natürlich zu sich sagen: Wer gibt hier etwas für wen? Deswegen möchte ich Ihnen einfach ein Dankeschön für die Verantwortungsbereitschaft, die Sie in der Vergangenheit bereits bewiesen haben, aussprechen. Ich finde es wichtig und richtig, dass Sie sich konstruktiv in diese Verhandlungen eingebracht haben. Das führt natürlich zu einer Umstellung der Förderstrukturen innerhalb der europäischen und damit auch der deutschen Landwirtschaft. Ich glaube, dass es jetzt die Aufgabe von anderen ist - damit meine ich in ganz besonderer Weise die G20 - , ein deutliches Signal zu setzen, dass sie sich bewegen und ihre Verantwortung kennen.

Wir haben oft miteinander über die Frage gesprochen - dafür bin ich der deutschen Landwirtschaft auch sehr dankbar - , was globaler Wettbewerb gerade im landwirtschaftlichen Bereich bedeutet - wir haben dabei auch über die Zuckermarktordnung und andere Dinge geredet. Man kann nicht einfach nur nach wirtschaftlichen Effizienzpunkten aussortieren. Wenn die reine Wettbewerbsbetrachtung in der Landwirtschaft - ohne dass ökologische Komponenten eine Rolle spielen - um sich greift, dann gibt es Bereiche, die keine Chance mehr haben. Aber es kann nicht sein, dass Deutschland in der Entwicklungshilfe am Schluss wieder für Kosten aufkommt, die durch eine unsachgemäße Landwirtschaft an anderer Stelle auf der Welt verursacht wurden.

Deshalb können Sie sich darauf verlassen - hier sitzen im Übrigen drei Landwirtschaftsminister, die wie die Löwen kämpfen, wenn es um die Interessen der europäischen Landwirtschaft geht - , dass wir verantwortungsbewusst mit Ihren Interessen umgehen, da ich bis jetzt noch nicht ausreichend Bewegung in anderen Bereichen sehe.

Wir alle wissen, dass Fortschritte bei der Welthandelsrunde auch in unserem Interesse sind. Ich muss Ihnen sagen, dass es eine verstärkte Tendenz gibt, rund um die Welt bilaterale Handelsabkommen abzuschließen. Es kann aber eigentlich nicht im europäischen Interesse sein, wenn wir anfangen müssen, mit jedem Einzelnen Verhandlungen zu führen. Wir haben bisher immer auf den multilateralen Ansatz gesetzt. Aber wenn das nicht funktioniert - ich habe auch sehr ausführlich mit dem brasilianischen Präsidenten über die Frage der Industriezölle gesprochen - und sehr selektiv gearbeitet wird - auch von den Entwicklungsländern, die sich ja auch nicht immer einig sind; sie sind sich gerade noch einig, wenn sie mit uns sprechen, aber untereinander haben sie oft sehr unterschiedliche Interessen - , dann fällt das sehr auseinander.

Deshalb sage ich noch einmal: Verantwortungsbewusstes Verhandeln, und auch andere müssen einen Beitrag leisten. Wir wissen, was Sie bereits mit Blick auf die bisherigen Verhandlungsergebnisse geleistet haben."Hongkong" war dabei ein weitgehendes Zugeständnis, dessen sind wir uns bewusst.

Meine Damen und Herren, weiter haben wir die "finanzielle Vorausschau" vereinbart. Der Herr Präsident hat das Wort der Revision gar nicht in den Mund genommen - das, was zwischen dem heutigen Zeitpunkt und 2013 liegt - , aber es ist klar, dass eine solche Revision den Interessen der Landwirtschaft entgegenkommen muss und dass das, was vereinbart ist, erst einmal gilt.

Sie wissen, dass wir immer wieder - auch in der Union - darüber nachgedacht haben, ob in der Landwirtschaftsfinanzierung auch andere Instrumente noch Platz greifen können. Ich weiß, dass Herr Sonnleitner sehr skeptisch ist, was eine Kofinanzierung anbelangt. Aber ich glaube, wenn man verlässliche nationale Mittel hat - das ist natürlich die Voraussetzung - , dann sollte man den Gedanken der Kofinanzierung für die Zukunft der europäischen Landwirtschaftsfinanzierung nicht ausschließen. Ich sage Ihnen, dass hier Möglichkeiten gefunden werden können, die nach meiner festen Auffassung in einem Europa der 27 unseren Interessen besser gerecht werden als die völlige Vergemeinschaftung der Mittel in einem sehr großen Europa mit sehr unterschiedlichen Interessen. Und es wäre mir recht, wenn gerade die Kollegen, die heute hier sind - aber auch einige andere - , unvoreingenommen und auch in unserem eigenen Interesse überlegen: Wie können wir in einer so großen Europäischen Union die Interessen unserer Landwirte in besonderer Weise sicherstellen?

Meine Damen und Herren, Herr Sonnleitner, Sie haben über die zweite Säule der Förderpolitik gesprochen. Ich fürchte - wir müssen ja auch ehrlich miteinander umgehen - , an dieser Stelle kann ich Ihnen nicht alle Versprechen geben, die Sie gerne von mir hätten. In den vielen Jahren, in denen wir uns kennen, konnten wir uns immer darauf verlassen, dass ich mir nicht für fünf Minuten einen schönen Applaus geholt habe, um anschließend riesige Enttäuschungen zu produzieren. Ich will hier nicht wiederholen, was ich in den letzten Tagen zum Bundeshaushalt gesagt habe. Wir sind nach wie vor in einer komplizierten Situation und versuchen, alles für die deutsche Landwirtschaft zu tun. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, aber Versprechungen größerer Ordnung kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht machen.

Was die Einbindung der Interessen der deutschen Landwirtschaft in die Gesamtpolitik der Bundesregierung anbelangt, so habe ich Ihnen bereits gesagt: Die Förderung der ländlichen Räume gehört für uns in ganz besonderer Weise zu den Aufgaben, die wir, die Bundesregierung, verfolgen und die ich verfolge. In diesem Zusammenhang ist das Verabschieden der Föderalismusreform, was wahrscheinlich - davon gehe ich jetzt aus - diese Woche gelingt, ein ganz wichtiger Punkt. Denn auch wir wollen, dass bestimmte Dinge in den Ländern flexibel geregelt werden können; wir wollen den Ländern die Möglichkeit geben - das ist immer Politik der Union gewesen - , in einem Wettbewerbsmechanismus zu versuchen, ihre Dinge in vernünftiger Art und Weise zu regeln.

Wir haben dafür Sorge getragen, dass im Zusammenhang mit der Umsatzsteuererhöhung die Vorsteuerpauschale so gestaltet wurde, dass Sie weniger Bürokratie und trotzdem ähnliche Wirkungsweisen haben. Ich freue mich, dass Sie das auch gewürdigt haben. Das Ergebnis war keineswegs selbstverständlich; dafür haben wir hart kämpfen müssen. Ich glaube, dass dieses vereinfachte Verfahren eine sehr nützliche Option gerade für kleinere Betriebe ist. Ich hoffe, Sie sind damit auch zufrieden. - Ja, vielen Dank. Man möchte jetzt auch ein bisschen Beifall haben; denn so etwas ist hart erkämpft. Manchmal kommen ja auch Pfiffe, aber ich finde, das Gute muss auch einmal gelobt werden.

Meine Damen und Herren, wir haben - der Bundeslandwirtschaftsminister wird sich das mit Ihnen gemeinsam anschauen - mit der Reform der sozialen Sicherungssysteme, Rentenreform, Gesundheitsreform, Unfallversicherung wichtige Aufgaben vor uns. Alle diese Dinge betreffen auch die Landwirtschaft in besonderer Weise. Agrarsoziale Sicherung ist ein ganz wichtiger Punkt. Sie wissen, dass gerade die sehr unterschiedliche Alterstruktur bei den Beschäftigten in der deutschen Landwirtschaft dazu führt, dass wir ein besonderes Auge darauf werfen müssen, dass die Langfristigkeit und die Demografiefestigkeit dieser agrarsozialen Sicherung gegeben sind. Ich darf Ihnen sagen, was Sie schon wissen: Es gibt keinen besseren Experten für die Frage, wie man die agrarsoziale Sicherung in die deutschen Sozialsysteme einarbeiten kann, als Horst Seehofer. Da ist er ein Glücksfall. Das ist er sowieso, aber in dieser Frage ist er ein besonderer Glücksfall für die deutsche Landwirtschaft.

Die Reform der sozialen Sicherungssysteme, das können Sie jeden Tag in der Zeitung verfolgen, gehört zu den ganz wesentlichen Aufgaben der Politik der neuen Regierung - weit über die landwirtschaftlichen Belange hinaus. Lassen Sie mich deshalb an dieser Stelle ein Wort zur Zukunft der Rente und zur Zukunft unseres Gesundheitssystems sagen. In einer älter werdenden Gesellschaft stehen wir alle miteinander vor riesigen Aufgaben mit Blick auf die Zukunft der sozialen Sicherung. Sie wissen selbst, wenn Sie sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse schaffen, wie schwierig es ist, Lohnkosten und Lohnzusatzkosten zu erwirtschaften. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir ein Stück Entkopplung der sozialen Sicherung von den Arbeitskosten brauchen.

Das ist in einer angespannten finanziellen Lage nicht einfach, aber wir haben seit einigen Jahren eben das nicht mehr, was wir über Jahrzehnte in der Bundesrepublik Deutschland hatten, nämlich z. B. im Gesundheitssystem bezogen auf das Bruttosozialprodukt eine parallele Entwicklung der Kosten und der Einnahmen. Das Bruttosozialprodukt und sein Wachstum haben sich über viele Jahrzehnte parallel zu den wachsenden Gesundheitsausgaben entwickelt. Inzwischen steigen die Ausgaben im Gesundheitssystem sehr viel stärker, als unser Bruttosozialprodukt wächst. Daraus entsteht eine Kluft, die nichts anderes bedeutet, als dass die Ankopplung der Sozialsysteme an den Faktor Arbeit den Faktor Arbeit tendenziell immer stärker belastet - und das in einer globalen Wettbewerbssituation, in der andere Länder die sozialen Fragen ganz anders lösen. Darauf müssen wir nach meiner festen Überzeugung reagieren. Ansonsten wird uns die Einnahmenbasis, nämlich die Abgaben in Renten- und Krankenversicherungssysteme usw. , immer weiter wegbrechen.

Dieses Thema gehört zu den kompliziertesten Themen; denn Sie alle wissen, wie wichtig es ist, dass sich in einem Land wie unserem die Menschen auf Gesundheitsvorsorge und auf Behandlung im Krankheitsfalle verlassen können. Das hat etwas mit dem immensen Sicherheitsbedürfnis der Menschen in unserem Lande zu tun. Deshalb müssen wir mit Augenmaß an dieses Thema herangehen.

Allerdings darf ich Ihnen auch sagen, dass wir alle Lücken, alle Möglichkeiten zu mehr Wettbewerb, zu mehr Transparenz, zu mehr Effizienz in diesem System auch nutzen werden. Es fallen heute Kosten an, die nicht nötig sind, die auch mit der eigentlichen Gesundheitsvorsorge nichts zu tun haben. Aber wer weiß, wie schwierig es ist, gewachsene Strukturen zu durchbrechen, der weiß auch, vor welch schwieriger Aufgabe wir stehen.

Meine Damen und Herren, ein weiteres Thema ist die Rentenversicherung. Sie alle wissen, aufgrund der demografischen Veränderung muss sich die Lebensarbeitszeit verlängern. Das ist im Übrigen ein Prozess, den Sie im ländlichen Raum ganz anders erleben, als es bei Industriearbeitsplätzen der Fall ist.

Einen weiteren riesigen Schwerpunkt in unserer Regierungsarbeit setzen wir auf das Thema Forschung und Entwicklung. Ich glaube, das wird gerade dem ländlichen Bereich und der Landwirtschaft sehr zugute kommen. Wir wollen auf der einen Seite natürlich alles daran setzen, die genetische Vielfalt der Kulturpflanzen zu erhalten. Hier müssen wir alles daran setzen, dass das auch wirklich passiert. Auf der anderen Seite wollen wir die klassische Züchtung als Grundlage für die Entwicklung leistungsfähiger Sorten weiterentwickeln und sowohl für die konventionelle als auch für die ökologische Landwirtschaft einsetzen.

Ein weiteres Thema ist die "Grüne Gentechnik". Ich sage ausdrücklich: Die Menschen müssen und werden selbst entscheiden, inwieweit sie sich im Lebensmittelbereich gentechnisch veränderten Lebensmitteln zuwenden. Die Skepsis in unseren Breitengraden ist groß. Die Verbraucher sind sehr zögerlich. Dem muss man natürlich ins Auge sehen und Rechnung tragen.

Wir müssen nur wissen - gerade die Landwirtschaft muss es wissen - , dass jenseits der Lebensmittel Möglichkeiten entstehen - ich komme gleich noch auf die Themen Biodiesel und "Weiße Gentechnik" zu sprechen - , dass in diesen beiden Bereichen, also in industriellen Anwendungsbereichen, riesige Chancen für die deutsche Landwirtschaft liegen können. Es wäre fatal, wenn wir auf dem Forschungs- und Entwicklungsgebiet an dieser Stelle Weichenstellungen verpassen würden, für die Deutschland mit seinen Kenntnissen die besten Voraussetzungen hat. Frau Wernicke weiß, wovon ich spreche. Das müssen wir mit Vernunft und Augenmaß angehen.

Deshalb unterstütze ich die vielen Bemühungen von Horst Seehofer, gerade im Bereich der Forschung einen Schritt zu gehen, bei dem wir die Interessen der Landwirte mit denen der Forscher zusammenbringen. Das ist kein einfacher Weg. Deshalb werden wir in den nächsten Wochen sehr intensiv über die Novelle des Gentechnikrechts miteinander reden. Das Haftungsrecht muss präzisiert werden. Sicherheit, Transparenz und Wahlfreiheit müssen die Maßstäbe sein, nach denen wir die Dinge entwickeln. Wir müssen die so genannte "gute fachliche Praxis" vernünftig definieren. Das heißt also, wir müssen Ihre Sorgen und Ängste hinsichtlich der langfristigen konventionellen Bewirtschaftung, z. B. wenn Forschungsfelder angelegt werden, ernst nehmen. Aber auf der anderen Seite bitte ich Sie - gerade mit Blick auf die Rechtsetzung, die wir jetzt für Biokraftstoffe vornehmen - , sich nicht Türen zu verstellen, die eines Tages von allergrößter Bedeutung sein könnten.

Damit bin ich beim Thema der erneuerbaren Energien und der erneuerbaren Kraftstoffe. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Biokraftstoffe eine große und großartige Zukunft haben. Wir müssen jetzt eine Lösung finden; und ich glaube, Herr Sonnleitner, morgen früh ist es so weit, nach dem, was ich höre. Wir hatten schon einmal eine Lösung gefunden, die auch nicht so schlecht war. Wir haben also notfalls eine Position, auf die wir zurückgreifen können, bei der die Pflanzenöle - ich glaube, in herausragender Weise, wenn ich das einmal so sagen darf - bedacht wurden. Andererseits haben wir Akzente dafür gesetzt, dass wir die Kraftstoffe der zweiten Generation, also die technologisch einsetzbaren Kraftstoffe, in vernünftiger Weise entwickeln können. Wenn es Deutschland als ein Land, das nun wirklich über eine herausragende Automobilindustrie verfügt, schaffen würde, gleichzeitig auch die Basis für Anteile der Kraftstoffe mit zu entwickeln und dabei technisch eine vordere Rolle in der Welt zu spielen, dann wäre das hervorragend und würde auch der wirtschaftlichen Entwicklung der ländlichen Räume sehr helfen.

Wenn ich mir anschaue, was unsere Partner in der Vereinigten Staaten von Amerika inzwischen auf die Waagschale werfen, um auf diesem Gebiet zu ackern, dann kann ich nur sagen: Sie haben es zwar jahrelang nicht gemacht, aber wenn die Amerikaner sich sozusagen einmal an die Startrampe stellen, dann investieren sie auch mit gigantischen Mitteln.

Ich glaube, dass die Beimischungspflicht, die wir jetzt einführen, in drei bis fünf Jahren eine unglaubliche Sicherheit darstellt. Ich verstehe, dass das jetzt auch Vertrauensschutz ist, das ist gar keine Frage; aber für die langfristige Zukunft bietet das unglaubliche Möglichkeiten. Wenn wir es dann noch schaffen, die Biomassekraftwerke und vieles andere genauso gut zu entwickeln - auch da sehe ich für sehr interessante Technologien eine riesige Chance - , dann haben wir wieder etwas für die ländlichen Räume getan.

Wir müssen ja schauen, dass wir die Infrastruktur der ländlichen Räume auch in vernünftiger Weise weiterentwickeln - auch mit Blick über eigentliche Agrarprodukte hinaus. Wenn ich mir ansehe, wie sich heute Sparkassen, Volksbanken, Landwirte z. B. für innovative Biomassekraftwerke entscheiden, dann sind das Strukturentscheidungen, die ich mir nur wünschen kann, weil Sie als bäuerliche Betriebe ja auf vernetzte Strukturen angewiesen sind. Wir haben darüber oft bei der Preisbildung im deutschen Lebensmittelbereich, bei der Nahrungsmittelindustrie gesprochen. Sie müssen sehen, dass Sie sich in der wirtschaftliche Kette auf möglichst breitem Fundament möglichst weit und diversifiziert nach vorne arbeiten, damit Sie nicht so anfällig sind gegen Risiken, die es auch in Ihrem Bereich leider gibt.

Mein letzter Punkt soll sein: Ich möchte Ihnen ein herzliches Dankeschön sagen. Wir hatten es im Ausgang des Winters mit der Vogelgrippe zu tun - damals auf der Insel Rügen. Für viele Geflügelhalter war das ein wahnsinniger Schock. Die Umsicht, die Ruhe trotz der gewaltigen Betroffenheit und auch die Kooperation mit der Politik waren an dieser Stelle vorbildlich. Wenn man weiß, wie schnell ohne jedes eigene Verschulden, ohne jede Misswirtschaft durch äußere Ereignisse die gesamte Existenz eines bäuerlichen Betriebs auf einen Schlag gefährdet sein kann, dann muss daraus - und darauf werde ich in der gesamten Gesellschaft achten - auch eine Hochachtung vor ihrer Tätigkeit entstehen.

Deutschland ist ein Land, das, gemessen an anderen Teilen der Welt, von Naturkatastrophen weitestgehend verschont ist. Aber gerade im landwirtschaftlichen Bereich sind Sie sozusagen noch am ehesten betroffen von Klimaveränderungen, Witterungseinflüssen, Krankheiten und Seuchen, die man nicht bekämpfen kann und gegen die kein Kraut gewachsen ist, bei denen man nur versuchen kann, das Schlimmste zu verhindern. Diese Ehrfurcht und Demut vor der Natur, die bei Ihnen immer da sein wird, müssen wir ein Stück weit auch in die gesamte Gesellschaft hineinbringen.

Deshalb an letzter Stelle ein herzliches Dankeschön denen - da möchte ich die Landfrauen mit einschließen - , die immer wieder werbend für die Branche der landwirtschaftlichen Betriebe eintreten, die vieles tun, um das Leben in den ländlichen Räumen attraktiv zu machen, um den Städtern, die manchmal relativ entfremdet auf den Bauernhof kommen, das Leben und Arbeiten dort ein wenig näher zu bringen. Man hat ja den Eindruck, dass mit voranschreitender Zeit das Verständnis der jungen Menschen und Kinder von ländlichen Abläufen immer schlechter wird. Sie wissen, das habe ich schon als Jugend- und Frauenministerin immer gesagt, als ich noch sehr viel mit Landfrauen zu tun hatte: Ich bin der festen Überzeugung, wir könnten uns manches Programm, das später nach Schadenseintritt vom Staat aufgelegt wird, sparen, wenn junge Menschen, wenn Kinder die Erfahrung mit der Natur sehr viel direkter machen würden, wenn sie ein Stück mehr Ehrfurcht lernen und die Endlichkeit der menschlichen Kräfte gegenüber der Natur wahrnehmen würden. Ich glaube, das würde auch manche Schlägerei verhindern können. Das ist meine etwas romantische Ansicht auf das ländliche Leben. Deshalb machen Sie weiter so; zeigen Sie der Gesellschaft, wie schön das Landleben ist, wie hart Sie arbeiten, welche guten Produkte Sie hervorbringen, und Sie werden eine Bundesregierung haben, die Sie konstruktiv und wohlwollend begleitet. - Herzlichen Dank!