Redner(in): k.A.
Datum: 14.04.2000

Anrede: Herr Präsident, sehr verehrte Damen, meine Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/06/8106/multi.htm


vielen Dank, Herr Bundeskanzler, für die anerkennenden Worte. Sie haben mich im Juli des vergangenen Jahres beauftragt. Ich habe diesen Auftrag ohne Zögern angenommen. Ich gehöre noch zu der Generation, die die unselige Nazizeit erlebt und den entsetzlichen Krieg mitgemacht hat. Es gibt im Leben Situationen, denen man sich stellen muss. Diese gehörte für mich dazu. Der Bundesminister der Finanzen hat mich gebeten, Ihnen diese ungewöhnliche Vorlage vorzustellen. 55 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und zum Ausklang des Jahrhunderts wird die Errichtung der Stiftung ein historischer Schritt sein, weil sie - zwischen den heute noch lebenden ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeitern und den Deutschen ein öffentliches Zeichen der Versöhnung setzen will. Ungewöhnlich ist das Gesetzesvorhaben, weil einerseits eine deutsche öffentlich-rechtliche Stiftung errichtet werden soll, andererseits parallel die Ergebnisse intensiver, internationaler Verhandlungen vor allem zum Thema Rechtsfrieden in den USA umgesetzt werden müssen. Uns allen liegt am Herzen, dass noch Lebende in den Genuss unserer Zuwendungen kommen. Etwa ein Prozent von ihnen stirbt in jedem Monat. An den Verhandlungen haben Abgeordnete des Innenausschusses dieses Hauses mitgewirkt und die Interessen des Deutschen Bundestages aktiv zum Ausdruck gebracht. Für diese hilfreiche Begleitung möchte ich nochmals herzlich danken. Meine Damen und Herren, am 17. Dezember 1999, in der 7. Verhandlungsrunde, haben wir hier in Berlin eine erste Vereinbarung erzielt: Bund und deutsche Unternehmen werden je zur Hälfte die Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" mit einem Stiftungskapital von 10 Mrd. DM ausstatten. In der 11. Verhandlungsrunde am 23. März 2000, ebenfalls hier in Berlin, haben wir uns auf die Aufteilung des Stiftungskapitals verständigt. Sie können sich vorstellen, wie schwierig dies alles war. Umso erfreulicher ist es, dass sowohl die Gesamthöhe wie das Verteilungsergebnis von allen Gesprächsteilnehmern ausdrücklich begrüßt und akzeptiert und nicht nur, wie ich pessimistischer vorhergesagt hatte, mit gleichmäßiger Unzufriedenheit hingenommen wurde. Der größte Teil, nämlich etwa 8,1 Mrd. DM, aufgestockt um 50 Mio. DM durch Zinsen, und möglicherweise um 100 Mio. DM aus dem Schweizer Bankenvergleich, ist für unmittelbare humanitäre Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter bestimmt. Die Empfänger leben mehrheitlich in Ost- und Mitteleuropa, aber auch in anderen Teilen der Welt. Zu Ihnen gehören auch die KZ-Arbeiter, die dem Programm "Vernichtung durch Arbeit" unterlagen: Juden, Sinti, Roma und viele andere. Die Stiftung wird mit jeder der 7 Partnerorganisationen je ein Abkommen schließen: Das sind die Versöhnungsstiftungen in Warschau, in Moskau, in Kiew, in Minsk, der deutsch-tschechische Zukunftsfonds in Prag, die Jewish Claims Conference in New York, und schließlich wir sind in Gesprächen darüber das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf. Darin werden die Leistungskriterien, die Auszahlungsmodi, die Kontrollen sowie die Verwaltungskosten eindeutig festgelegt. Diese Bindungen sind selbstverständlich, weil es auch um öffentliche Zuwendungen geht, um Mittel deutscher Steuerzahler. Bei den für die Partnerorganisationen festgelegten Beträgen handelt es sich um Höchstbeträge, die nicht überschritten werden können. Wenn Restmittel verbleiben, so unterliegt deren Aufteilung wiederum der Entscheidung des Kuratoriums. Der Betrag für Vermögensschäden von 1 Mrd. DM, wiederum aufgestockt durch 50 Mio. DM Zinsen aus den Unternehmensbeiträgen, hat mehrere Empfänger: 1. eine neu zu bildende Kommission, die über Einzelansprüche befinden wird, 2. die Internationale Kommission für Holocaust-Versicherungsschäden für unbezahlte und auch erbenlose Versicherungen und schließlich die Claims Conference für erbenlose Arisierungsforderungen. Ferner werden Mittel in Höhe von 700 Mio. DM für den Fonds "Erinnerung und Zukunft" bereitgestellt. Damit sollen Projekte der Erinnerung an die Bedrohung durch totalitäre Systeme, Völkerverständigung und Jugendaustausch gefördert werden. Dieser Zukunftsfonds ist von besonderer Bedeutung für die deutsche Wirtschaft und die Bundesregierung, aber auch z. B. die Regierung des Staates Israel. Mit ihm sollen Projekte gefördert werden, die an die Vergangenheit anknüpfen, und über unsere deutsche und europäische Vergangenheit hinaus in die Zukunft weisen. Angesichts der großen Konflikte im Kosovo, in Tschetschenien, und vielen kleineren Konflikten an den Nahtstellen Europas: Wer wollte bestreiten, dass die Lehren aus dem letzten Jahrhundert europäischer Geschichte an die nächsten Generationen weiterzugeben sind? Ein ukrainischer Zwangsarbeiter, der in Norwegen oder im Elsaß gearbeitet hat, soll, falls er dies wünscht, die Gelegenheit erhalten, seine alte Arbeitsstelle zu besuchen und mit möglichst vielen Menschen dort zu sprechen. Aber es müssen auch die konkreten Bedürfnisse der Überlebenden und ihrer Erben besonders berücksichtigt werden. Schließlich sind 200 Mio. DM für Verwaltungskosten, aber auch für angemessene Zahlungen an die US-Anwälte bestimmt, die unmittelbar an den Verhandlungen beteiligt waren. Es gibt also keine - wie gelegentlich befürchtet - Erfolgshonorare. Meine Damen und Herren, die Stiftung hat eine historische Dimension: Wir können das Leid der ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeiter nicht "wieder gutmachen". Wer kann überhaupt sagen, welche Summe Geldes für einen KZ-Aufenthalt angemessen wäre? Aber wir können mit der Errichtung der Stiftung zum Ausdruck bringen, was Bundespräsident Rau am 17. Dezember 1999 sagte,"dass ihr Leid als Leid anerkannt und dass das Unrecht, das ihnen angetan worden ist, Unrecht genannt wird". Meine Damen und Herren, es waren die NS-Organisationen der Reichs-regierung, die sogenannte "Fremdarbeiter" für die NS-Kriegswirtschaft rekrutierten. Welche Rolle auch immer die deutsche Wirtschaft in der Zeit des Nationalsozialismus spielte, bei der Zwangsarbeit handelte es sich um staatlich veranlasstes Unrecht. Die Zwangsarbeiter dienten als Ersatz für Arbeitnehmer, die zum Wehrdienst eingezogen worden waren. Es ist daher richtig, dass sich Wirtschaft und öffentliche Hand gemeinsam an der Finanzierung der Stiftung beteiligen. Ich halte es für eine gute Überlegung des Bundesfinanzministers, zur Finanzierung des Bundesanteils der Stiftung auf solches Vermögen des Bundes zurück-zugreifen, das schon in der Vergangenheit durch frühere Generationen erarbeitet worden ist. Es ist nicht einzusehen, dass nur die Steuerzahler der heutigen Generation diese Last schultern. Ich weiß mich mit der Bundesregierung und sicher auch mit dem Bundestag darin einig, dass mehr als 55 Jahre nach Kriegsende die Frage der Reparationen nicht mehr geöffnet wird. Der Bundeskanzler hat das Nötige dazu gesagt. Die Stiftung hat eine politische Dimension: Bei den Betroffenen handelt es sich zum überwiegenden Teil um Menschen aus Ost- und Mitteleuropa: aus Polen, aus Russland, aus der Ukraine, aus Weißrussland, aus der Tschechischen Republik und anderen Ländern, also vor allem um unsere osteuropäischen Nachbarn. Die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter ist, wie fälschlicherweise oft zu lesen war, keine nur jüdische Überlebende betreffende Frage. Wir wollen mit den osteuropäischen Ländern - so wie auch mit der Jewish Claims Conference - eine friedliche Zukunft gestalten und sichern. Es sollte daher auch unser politisches Interesse sein, alle Hürden aus dem Weg zu räumen, und den Überlebenden eine humanitäre Geste des guten Willens und des Friedens entgegen-zubringen. Die dritte, die wirtschaftliche Dimension, betrifft in erster Linie unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, unserem großen Handels- und Investitionspartner. Ich will hier nicht auf die möglichen Folgen von Sammelklagen oder Boykotts für unsere Wirtschaft eingehen, wenn wir keine Lösung gefunden hätten oder fänden. Amerikanischen Anwälten fällt auf diesem Gebiet ziemlich viel ein. Die deutsche Wirtschaft erhält auf der Grundlage der Stiftung die für ihre Aktivitäten in den USA erforderliche Rechtssicherheit. Diese Rechtssicherheit berührt unmittelbar deutsche Exporte und Investitionen in Amerika. Damit werden auch Arbeitsplätze in Deutschland gesichert. Sie schützt schließlich auch die durch die Sammelklagen gefährdeten deutsch-amerikanischen Beziehungen. Die US-Regierung wird bei allen laufenden und künftigen Verfahren gegen deutsche Unternehmen, die sich auf die Verstrickung in NS-Unrecht beziehen, gegenüber den Gerichten mit einem sogenannten Statement of Interest die Klageabweisung empfehlen. Sie wird den Gerichten schreiben, dass es dem außenpolitischen Interesse der Vereinigten Staaten widerspricht, Sachverhalte gerichtlich zu behandeln, die durch die Stiftung fair und angemessen geregelt sind. Eine hundertprozentige Rechtssicherheit wird es nicht geben, aber im amerikanischen Rechtssystem hat die Berufung der Regierung auf die Gewaltenteilung, auf ihre executive powers, für die Richter weitgehend bindende Wirkung. Selbstverständlich erwarten wir auch von den Regierungen der beteiligten mittel- und osteuropäischen Staaten entsprechende rechtliche Zusicherungen. Meine Damen und Herren, in den sehr schwierigen Verhandlungen war mein Partner der Stellvertretende amerikanische Finanzminister Stuart Eizenstat. Wir kennen und schätzen uns seit vielen Jahren. Er ist ein Mann von hoher Kompetenz. Er hat zu dieser Lösung entscheidend und ergebnisorientiert beigetragen. Wir waren und sind uns darin einig, dass die Verteidigung der Menschenwürde gemeinsames Fundament der deutsch-amerikanischen Beziehungen und tragendes Motiv für die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" ist. Deshalb haben wir zu keinem Zeitpunkt der Verhandlungen die Überlebenden aus dem Blick verloren. Ich bin zuversichtlich, dass wir für die noch offenen Punkte eine faire Lösung finden. Die deutsche Wirtschaft unternimmt eine respektable Anstrengung. Ich danke dem Vorsitzenden des Lenkungsausschusses der Stiftungsinitiative, Dr. Manfred Gentz, für seinen engagierten Einsatz. Es ist ärgerlich, dass auch Unternehmen, die sich an der Stiftungsinitiative nicht beteiligen, den von ihr erreichten Rechtsfrieden erlangen. Leider gibt es keine rechtlich durchsetzbaren Möglichkeiten, die Problematik der sogenannten Trittbrettfahrer befriedigend zu beantworten. Ich appelliere an alle Unternehmen, ihre Gesamtverantwortung anzuerkennen und sich der Stiftungsinitiative anzuschließen. Dieser Appell gilt besonders für die von einigen Ausnahmen abgesehen zögerliche deutsche Bauindustrie. Ich habe mich für die unterstützende Begleitung durch die deutschen Medien zu bedanken. Ich bin befremdet über die finanzielle Zurückhaltung der Medienkonzerne. Liest man in den Vorständen die Kommentare der eigenen Zeitungen nicht? Ich bitte Sie, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Beratungen zügig vorzunehmen und der Gesetzesvorlage mit den eventuell noch erforderlichen Korrekturen zuzustimmen. Eine breite, überparteiliche Zustimmung wird auch von allen betroffenen Staaten als politisches Signal gesehen. Dann könnten noch in diesem Jahr die Zuwendungen an diejenigen beginnen, um deren Schicksal es hier geht. Die ehemaligen Zwangsarbeiter werden es Ihnen danken.