Redner(in): k.A.
Datum: 20.07.2006
Anrede: Meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/07/2006-07-20-rede_20-bm-jung,layoutVariant=Druckansicht.html
Das Attentat vom 20. Juli 1944 schlug fehl. Innerhalb weniger Stunden war der
Staatsstreich gescheitert. Doch Erfolglosigkeit kann nicht die Kategorie bei der Bewertung
sein. Denn die Männer und Frauen haben Zeugnis abgelegt für ein anderes,
für ein besseres Deutschland.
Deshalb versammeln wir uns Jahr für Jahr hier im Bendlerblock, um des 20. Juli
1944 zu gedenken. Der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, Christian
Wulff, wird anschließend zu uns sprechen.
Im Namen der Bundesregierung begrüße
ich Sie hierzu.
Besonders begrüße ich die Angehörigen derjenigen, die damals ihr Leben eingesetzt
haben und uns dadurch zu Vorbildern geworden sind.
Wir gedenken heute der Männer und Frauen, die damals für Würde und Menschenrechte
einstanden. Sie handelten für Deutschland.
Unsere Gedanken gehen heute zu den Ereignissen von vor über 60 Jahren zurück.
Es war eine andere Zeit, in der Krieg, Unrecht, Willkür und Gewalt herrschten. Nur
noch wenige unter uns besitzen eine persönliche Erinnerung an diese Zeit. Doch ins
Gedächtnis der Nation hat sie sich tief eingeprägt.
Das "Nie wieder" ist zum Grundsatz des politischen Handelns in Deutschland geworden.
Die Männer und Frauen des 20. Juli haben uns dabei geholfen.
Denn sie erinnern uns daran, dass es auch in dunklen Zeiten eine Handvoll Aufrechter
gab, die über einen sicheren Kompass verfügten, die Recht von Unrecht zu unterscheiden
verstanden, die nicht schwiegen oder gegenüber dem scheinbar allmächtigen
Unrechtsstaat resignierten.
Das Ziel der Männer und Frauen vom 20. Juli war es, unserem Land seine Selbstachtung
zurückzugeben. Sie wollten die Voraussetzungen schaffen, dass Deutschland
in die Gemeinschaft freier Staaten zurückkehren konnte. Und diesen Weg sind
wir nach 1945 gegangen.
Hier im Innenhof dieser Gedenkstätte steht die Bronzefigur eines jungen Mannes mit
gefesselten Händen. Es ist 53 Jahre her, dass dieses von Professor Scheibe gestaltete
Kunstwerk enthüllt wurde. In seiner Zeitlosigkeit erinnert es daran, dass das Erbe
des 20. Juli auch heute gilt und auch uns Heutigen die innere Kraft und Zuversicht
vermittelt, dass wir unserer moralischen Verantwortung gerecht werden können.
Nichts anderes hat Ernst Reuter, damals Regierender Bürgermeister von Berlin, gemeint,
als er am 20. Juli bei der Einweihung dieses Denkmals formuliert hat, wir alle
müssten " aus der Erinnerung an die Vergangenheit Kraft für unser Wirken, für unser
Leben, für unser Handeln, für uns selber und für die Zukunft unseres Volkes gewinnen."
Dieses Kunstwerk erinnert auch daran, dass auch Fesseln den Freiheitswillen des
Einzelnen nicht brechen können. Im Zentrum steht immer der Mensch, wir dürfen
dies bei allem technologischen Fortschritt, bei allen Errungenschaften der Globalisierung
nie aus den Augen verlieren. Und: Mut und Zivilcourage bleiben die höchsten
staatsbürgerlichen Tugenden, auf denen unser demokratisches Gemeinwesen gründet.
Es kommt auf den Einzelnen an und nicht auf seine Zugehörigkeit zu einer individuellen
Gruppe, auch dies haben uns die Männer und Frauen des 20. Juli gelehrt.
Ob sie Konservative oder Sozialisten, Offiziere, Unteroffiziere oder einfache Soldaten,
Adlige oder Arbeiterführer, christlichen Glaubens oder konfessionslos waren,
das spielte angesichts der gemeinsamen Gewissensentscheidung keine Rolle.
Unsere Gedanken gehen zurück zu den Ereignissen der Nacht vom 20. auf den 21. Juli. Hier, im Innenhof des Bendlerblocks, nur wenige Meter von uns entfernt, wurden
damals Oberst Graf von Stauffenberg, General Friedrich Olbricht, Oberst Albrecht
Ritter Mertz von Quirnheim und Oberleutnant Werner von Haeften erschossen.
Der Einsatz der Widerstandskämpfer für Recht und Freiheit ist nicht vergebens
geblieben. Wir Deutschen haben uns das Recht und die Freiheit als Leitmotiv für unser
Handeln in Staat und Gesellschaft gesetzt. Das Grundgesetz ist auch eine Antwort
auf die Erfahrung aus der Geschichte. Artikel 1 des Grundgesetzes stellt unmissverständlich
klar: Die Würde des Menschen ist unantastbar! Sie zu schützen, ist
vorderste Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Die Bundeswehr bekennt sich zu diesem
Erbe. Die Erinnerung an den 20. Juli 1944 zählt zum Kernbestand des Traditionsve rständnisses,
das wir in unseren Streitkräften vermitteln.
General Adolf Heusinger, der erste Generalinspekteur der Bundeswehr, hat dies
1959 einmal treffend beschrieben, als er über die Männer und Frauen des 20. Juli
schrieb: "Ihr Geist und ihre Haltung sind uns Vorbild".
Es entspricht diesem Geist, dass heute Abend wie in jedem Jahr seit der Wiedervereinigung
junge Rekruten des Wachbataillons geloben, der Bundesrepublik
Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes
tapfer zu verteidigen.
Könnte es einen besseren Beweis als dies für die Aktualität des 20. Juli geben. Die
Männer und Frauen des Widerstands sind Vorbilder für heute. Sie stehen dafür, dass
es sich lohnt, tapfer für Recht und Freiheit anderer Menschen einzutreten. Sie bestärken
uns, Einigkeit über die fundamentalen Werte zu erzielen und daraus die Verantwortung
des Soldaten zu begründen. Sie mahnen uns, die Menschenwürde unter
allen Umständen zu achten.
In einer anderen Zeit, in einer anderen Sprache, hat dies der Kunsthistoriker Edwin
Redslob als Inschrift dieses Denkmals hier im Bendlerblock formuliert: " Ihr trugt die
Schande nicht, Ihr wehrtet Euch, Ihr gabt das große, ewig wache Zeichen der Umkehr
opfernd Euer heißes Leben für Freiheit, Recht und Ehre."
Vielen Dank.