Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 12.08.2006
Untertitel: Die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V. (UOKG) hat aus Anlass des 30. Todestages von Pfarrer Oskar Brüsewitz in Berlin eine Tagung veranstaltet. Unter dem Titel "Kirche im Sozialismus. Das Fanal von Zeitz und die Evangelische Kirche in der DDR-Gesellschaft. 30 Jahre nach dem Tod von Pfarrer Oskar Brüsewitz in Zeitz" fanden zahlreiche Vorträge und Diskussionsrunden statt. Kulturstaatsminister Bernd Neumann ließ zu der Veranstaltung ein Grußwort verlesen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/08/2006-08-12-kirche-im-sozialismus,layoutVariant=Druckansicht.html
Anreden! Es gibt Dinge, für die es sich lohnt, eine kompromisslose Haltung einzunehmen."
So formulierte Dietrich Bonhoeffer eine Wahrheit, die auch das Lebensmotto des Mannes hätte sein können, den Sie heute mit Ihrer Tagung ehren wollen. Wir wissen nicht, ob Oskar Brüsewitz das Zitat kannte. Aber wir wissen, dass er danach gehandelt hat. Brüsewitz war konsequent in seinem christlichen Glauben, in seiner Existenz als evangelischer Pfarrer. In seiner Verzweiflung über die Repressionen, die er, seine Familie und ganz allgemein die Christen in der DDR zu erdulden hatten, nahm er sich schließlich auf dramatische Weise das Leben: Vor der Michaeliskirche in Zeitz übergoss er sich am 18. August 1976 mit Benzin und zündete sich an.
Wir alle sind uns darüber im klaren, dass dieser Schritt aus christlicher Sicht schwerlich gutzuheißen ist. Doch wir wissen, was den Christen Brüsewitz dazu trieb, Hand an sich zu legen: ein unmenschliches politisches System. Deshalb stellte sich die Magdeburger Kirchenleitung hinter den Selbstmörder und ließ sich nicht von der SED-Propaganda beeindrucken, die versuchte, Brüsewitz als Psychopathen hinzustellen. Er hatte sich kompromisslos gegen den Unrechtsstaat der SED gewandt, der die Freiheit mit Füßen trat. Besonders die atheistische Jugenderziehung hatte ihn empört, gewiss auch, dass seiner Tochter wie bei vielen ähnlichen Schicksalen trotz bester Schulzeugnisse ein Studienplatz verweigert wurde.
Mit seiner Selbsttötung wollte er ein Zeichen setzen und seine Kirche aufrütteln. Das gelang ihm wahrhaftig und nachhaltiger, als er selbst vielleicht ahnte. Niemand in der Evangelischen Kirche, deren Inkonsequenz Brüsewitz beklagt hatte, konnte nun noch die Augen vor den Tatsachen verschließen, denn Brüsewitz war mit seinem Anliegen kein Einzelfall. Vielmehr steht er beispielhaft für all diejenigen, die auf dem Fundament ihres christlichen Glaubens Widerstand gegen den "real existierenden Sozialismus" leisteten, gegen die zweite deutsche Diktatur. Heute, 30 Jahre nach dem "Fanal von Zeitz", erscheint Brüsewitz wie ein Vorläufer der friedlichen Revolutionäre von 1989. Deshalb bin ich froh, dass die heutige Tagung an seinen Widerstand und an den der Kirchen insgesamt erinnert.
Sie haben sich ein beinahe schon symbolisches Datum dafür ausgesucht. Denn morgen ist der 13. August, der Tag, an dem die DDR-Führung vor 45 Jahren mit dem Bau der Berliner Mauer begann. Ich bedaure sehr, dass ich heute nicht persönlich bei Ihrer Veranstaltung anwesend sein kann. Schließlich haben die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft und die Bundesregierung ein gemeinsames Anliegen, nämlich die konsequente und differenzierte Aufarbeitung des SED-Unrechts. Die SED-Vergangenheit ist für unsere Gesellschaft nach wie vor von großer Bedeutung. Sie darf nicht historisiert werden und Unrecht muss auch in Zukunft Unrecht bleiben. Deshalb fördert mein Haus die Erinnerung daran auf vielfältige Weise. Auch in Zukunft wird mein Haus diese Förderung nicht weniger wichtig nehmen. Im Gegenteil: Die Bundesregierung plant, die bestehenden Einrichtungen beziehungsweise Gedenkstätten in einem Geschichtsverbund zur Aufarbeitung der SED-Diktatur weiter zu stärken, damit das Thema noch profilierter herausgestellt werden kann.
In diesem Ziel weiß ich mich mit der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft einig. Als privater Verein hat auch sie sich Verdienste um die Erinnerung an das SED-Unrecht erworben. Ich muss Ihnen nicht sagen, wie wichtig es ist, immer wieder an die Opfer zu erinnern. Denn wir können heute beobachten, dass sich Täter als Opfer darstellen, oder doch zumindest ihre Handlungen zu relativieren versuchen. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Täter zu Opfern stilisieren. Arbeiten wir auch weiterhin gemeinsam für eine an den Tatsachen orientierte Erforschung der DDR-Geschichte. Den "mächtigen Krieg" "zwischen Licht und Finsternis", von dem Oskar Brüsewitz in seinem Abschiedsbrief schrieb, hat die SED-Diktatur verloren. Wir alle haben nun die Aufgabe an diesen Kampf zu erinnern. Sorgen wir dafür, dass er nicht in Vergessenheit gerät.