Redner(in): Angela Merkel
Datum: 23.08.2006
Untertitel: Rede von BundeskanzlerinAngela Merkel anlässlich der Grundsteinlegung des RWE-Braunkohlekraftwerks am 23.August 2006 in Neurath
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/08/2006-08-23-rede-bkin-rwe-braunkohlekraftwerk,layoutVariant=Druckansicht.html
Sehr geehrter Herr Roels,
sehr geehrter Herr Zilius,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Jürgen Rüttgers,
liebe Frau Landtagspräsidentin,
Frau Wirtschaftsministerin und andere Vertreter der Landesregierung
und die Kollegen aus dem Deutschen Bundestag und dem Landtag,
verehrte Gäste!
Ich freue mich natürlich, heute hier dabei zu sein. Das ist ein Zusammentreffen
Jürgen Rüttgers hat es eben gesagt von verschiedenen Ereignissen. Ich gratuliere nicht nur über die Zeitung, sondern jetzt auch persönlich dem Land Nordrhein-Westfalen zu seinem 60. Geburtstag. Es macht nicht den Eindruck, dass das Land in den Vorruhestand geht, sondern es macht eher den Eindruck, dass das Land zu neuen Ufern aufbricht. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen nicht nur für Nordrhein-Westfalen, sondern für die Bundesrepublik Deutschland insgesamt. Auch ich möchte unterstreichen: Wie es dem größten Bundesland geht, was hier passiert, welche Investitionen hier stattfinden, das sagt etwas über den Zustand, über die Dynamik der Bundesrepublik Deutschland aus. Es war ja eine Operation "Marriage", wie es so schön heißt: Das Zusammenwachsen war nicht immer einfach, aber für dieses Land doch von allergrößter Bedeutung.
Sie, die Vertreter von RWE, haben sich entschieden, in dieses Land, in Deutschland und in NRW, zu investieren. Wir sind heute dabei, für eine der ganz großen Investitionen den Grundstein zu legen. Man kann erahnen, was daraus entstehen kann. Es geht hier um über 2 Mrd. Euro und 2000 MW, die ans Netz gehen. Es sind eben die Zahlen genannt worden, und es wurde gesagt, wie man begonnen hat. Das bringt gewissermaßen auch das Vertrauen des Unternehmens in den Standort Deutschland zum Ausdruck. Insofern wird es hier das ist bereits angeklungen ein gutes Miteinander geben. Denn wir wissen die Investitionen zu schätzen.
Energieversorgung ist das Herzstück einer Wirtschaft, einer Industriegesellschaft. Sie sagt - ob man das aus dem Blickwinkel der Wirtschaftlichkeit, aus dem Blickwinkel der Versorgungssicherheit oder aus dem Blickwinkel der Umweltverträglichkeit betrachtet - immer etwas über den Zustand und über die Zukunftsaussichten aus. Dass Sie für Jahrzehnte in die Zukunft investieren, ist uns natürlich sehr wichtig.
Ich möchte hier ganz deutlich sagen: Die Braunkohle ist bei allem, was man zu jedem Energieträger sicherlich an Kritischem anmerken kann, für Deutschland einer der wesentlichen Energieträger. Er ist kostengünstig und er sichert uns eine gewisse Unabhängigkeit auf lange Zeit. Es ist hier von den Vorkommen im eigenen Land gesprochen worden. Ich bin dafür, dass wir uns einen möglichst großen Energiemix erhalten. Aber ich bin auch dafür, dass wir uns nicht leichtfertig in Abhängigkeiten begeben, aus denen wir dann nicht wieder herauskommen.
Die zeitlichen Aspekte, wann Investitionsentscheidungen gefällt werden, wie lange der Bauprozess dauert und wann die Produktion beginnen kann, zeigen, dass hier wirklich langfristige Weichenstellungen vorgenommen werden können.
Deshalb freue ich mich, dass der Ministerpräsident für die Landesregierung eben noch einmal unterstrichen hat, dass die Mitarbeit des Landes Nordrhein-Westfalen genau wie die des Unternehmens RWE bei unserem Energiedialog sichergestellt ist. Denn wir wissen: Die Energiepolitik ist seit Jahren ein kontroverses Gebiet. Daran scheint sich auf absehbare Zeit auch nichts zu ändern. Allerdings bin ich sehr zuversichtlich, dass mit der Zeit die Diskussionen immer rationaler werden. Denn das Bewusstsein, dass der Strom nicht einfach aus der Steckdose kommt und dass Energie für unser modernes Leben notwendig ist, nimmt genauso zu wie das Bewusstsein über Abhängigkeiten. Das halte ich für einen heilsamen Prozess. Denn das "In-den-Tag-hinein-leben" hilft uns nicht weiter.
Deshalb hat sich die Bundesregierung vorgenommen, sich dieser Aufgabe zu stellen und zu versuchen, Rahmenbedingungen und Szenarien bis zum Jahre 2020 auszuarbeiten und abzuklopfen. Sie hat sich vorgenommen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, wann welche Entscheidungen getroffen werden müssen und welche Rahmenbedingungen ineinander greifen müssen. Das muss zu einem europäischen Nachdenken über Energiepolitik führen. Denn wir werden in der Europäischen Union voneinander abhängig sein. Ich habe ein Interesse daran, dass Deutschland eher ein Energielieferant als ein Energieimporteur ist. Auch das ist sehr wichtig. Dabei hat die Braunkohle eine herausragende Bedeutung. Die Abhängigkeiten von Energielieferungen von auswärts werden nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa wachsen. In einigen Ländern werden sie sich in viel höherem Maße zeigen, als das bei uns der Fall ist.
Wir wissen, dass Sie bei RWE modernste Technologien nutzen und weiterentwickeln. Hier ist vom Wirkungsgrad gesprochen worden. Der Physiker sagt natürlich, dass es theoretisch noch Steigerungsmöglichkeiten gibt - selbst wenn mir bekannt ist, dass das Perpetuum Mobile wohl auch von RWE nicht erreicht werden wird. Mir ist aber bewusst, dass Sie für einen Wirkungsgrad von 43 Prozent bei einem leichten Zuschlag durch die Trocknung von Braunkohle eine Technologie gewählt haben, bei der alle Komponenten ineinander greifen müssen. Da reicht es nicht, nur einen Prozess zu optimieren. Vielmehr sind da alle Prozesse aufs Engste aufeinander abgestimmt.
Das hat auch eine Bedeutung für den Exportstandort Deutschland, wenn sich andere für unsere Technologien interessieren. Wir wissen, welche Zusatzinvestitionen in Asien und in anderen Teilen der Welt in den nächsten Jahren getätigt werden, und wir wissen natürlich auch, dass das, was wir im eigenen Lande vorführen können, eine viel größere Chance hat, exportiert zu werden dabei gibt es auch noch andere Nutznießer, die die Komponenten liefern als wenn man nur theoretisiert. Aber das tun wir leider bei Technologien wie dem Transrapid, wobei wir uns dann wundern, dass andere sagen: Wenn ihr sie nicht anwendet, müssen wir uns zweimal überlegen, ob wir sie überhaupt haben wollen.
Meine Damen und Herren, es ist hervorgehoben worden, dass einige Rahmenbedingungen gut gewählt wurden. Ich bedanke mich dafür, dass Sie den Nationalen Allokationsplan II erwähnt haben. Ich erinnere mich noch, dass die erste Ausarbeitung von NAP I etwas turbulenter verlief als die im Zusammenhang mit dem Nationalen Allokationsplan II. Wir versuchen hier wirklich, wirtschaftliche Vernunft walten lassen.
Ich darf Ihnen sagen: Wenn wir im nächsten Jahr in Brüssel die Präsidentschaft haben, werde ich sehr darauf achten, dass Deutschland in diesem Bereich nicht einzigartig ist, sondern dass der Tatsache, dass wir 25 Mitgliedstaaten haben, Rechnung getragen wird. Bei der Behandlung der Fragen, wie es in den folgenden Perioden weitergeht, müssen wir die richtigen Weichen stellen und weltweit darauf achten, dass Europa technologisch an der Spitze bleibt, aber dass wir unseren Wirtschaftsstandort nicht unnötig gefährden. Auch das ist, glaube ich, sehr wichtig.
Ich freue mich, dass Sie mit dieser Kraftwerkstechnologie Maßstäbe setzen und darüber hinaus auch ein CO2 -freies Kraftwerk in der Planung haben. Ich verfolge das mit großem Interesse. Ich will nicht verhehlen, dass ich als jemand, die nicht nur zur Physik, sondern auch zur Chemie Kontakte hatte, die Speicherung des CO2 einfach nur unter der Erde nicht als die endgültige Lösung im Rahmen der Forschung und Entwicklung sehe. Ich möchte das Land Nordrhein-Westfalen und uns als Bundesrepublik ermutigen, bei der Forschung zur Umwandlung des CO2 in relevante und verwendbare Bestandteile nicht nachzulassen. Ich weiß, dass andere Energieerzeuger auf der Welt da sehr intensiv forschen. Das könnte den interessanten Bereich von Katalysatorforschung oder anderes betreffen, und man könnte überlegen, was dort möglich ist.
Wir müssen die CO2 -freie Technologie in Angriff nehmen, weil sie auch für den Prozesscharakter der Erzeugung von Strom wichtig ist. Aber darauf, dass man dort einen Wirkungsgrad von 43 Prozent erreicht, muss ich vermutlich länger warten als auf die Grundsteinlegung des CO2 -freien Kraftwerks. Genau da müssen jetzt Forschungsanstrengungen unternommen werden. In einem nächsten Schritt muss dann angegangen werden, wie das CO2 verwendet bzw. was daraus gemacht werden kann. Das könnte eine der spannendsten Aufgaben sein.
Ich habe mit großem Interesse vernommen, dass Sie anfallenden Wasserstoff verwenden wollen. Keiner von uns kann heute voraussagen, wie sich die Ölmärkte und Gasmärkte entwickeln werden. Deshalb tun wir gut daran, nicht nur an die Stromproduktion zu denken, sondern auch an die Produktion von Treibstoffen in jeder Form. Ich bin dankbar, dass Sie dies in den Blick nehmen.
Meine Damen und Herren, wir werden uns dafür einsetzen, dass in Europa der Binnenmarkt im Energiebereich unter Wettbewerbsbedingungen fortentwickelt wird. Für ein Land wie Deutschland ist das von entscheidender Bedeutung, damit wir faire Wettbewerbsbedingungen bekommen. Wir müssen sicherlich auch darauf achten, dass der Binnenmarkt nicht nur auf den Straßen und Schienenwegen, sondern auch auf den Durchleitungswegen erkennbar wird. Die heutigen Preisbildungsmechanismen für Kilowattstunden in Europa sind hochinteressant. Das entwickelt sich von Deutschland über Frankreich in Richtung Italien weiter über die Alpen geht das nicht so einfach. Ich habe in anderem Zusammenhang gelernt, dass es zwischen Mitteleuropa und der iberischen Halbinsel nahezu keine Durchleitungsvarianten gibt. Ich vermute, die Strecken nach Osteuropa sind ebenfalls noch ausbaubar.
Deshalb möchte ich Ihnen sagen: Die Bundesregierung hat ein hohes Interesse an Investitionen in Netzkapazitäten. Sie könnten eines Tages mindestens so bedeutend sein wie die Erzeugungskapazitäten. Deshalb werden wir hier Vernunft walten lassen und gleichzeitig die neuen Regulierungen, die wir vereinbart haben, in die Tat umsetzen.
Klimaschutz und damit Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit, Kräftigung eines Industriestandortes das alles kommt hier heute zusammen. Deshalb ist es wunderbar, hier dabei zu sein. Wenn wir über die Energiekonzepte der nächsten Jahre sprechen, dann wissen wir, dass RWE dabei ist, Beiträge von herausragender Bedeutung zu leisten.
Deshalb möchte ich all denen danken, die mitgemacht haben: Den Genehmigungsbehörden, denen, die sich entschlossen haben, diese Investition zu tätigen, den Betriebsräten, den Gewerkschaften, denen, die immer wieder für die Braunkohle als einen wichtigen Energieträger werben. Von meiner Seite aus gehen natürlich herzliche und gute Wünsche auch an diejenigen, die dieses gigantische Projekt ausführen, dass es ihnen gut geht, dass es unfallfrei ist und dass das Bauprojekt im Zeitrahmen vollendet werden kann. Die Baustelle macht einen gut gelenkten und geleiteten Eindruck. An Platz mangelt es nicht. Man hat schon engere Baustellen gesehen. Wann immer es mich in diese Region führt, werde ich mich danach erkundigen, ob alles planmäßig weitergeht.
Ich wünsche Ihnen allen viel Kraft, viel Glück bei diesem Bau und eine gute Zukunft für Nordrhein-Westfalen und die Bundesrepublik Deutschland sowie gesicherte Arbeitsplätze.
Herzlichen Dank!