Redner(in): Angela Merkel
Datum: 31.08.2006

Anrede: Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, lieber Herr Wowereit, sehr geehrter Herr Hecker, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/08/2006-08-31-ifa,layoutVariant=Druckansicht.html


es ist schon darauf hingewiesen worden: Die IFA ist ein großes Ereignis. Mehr als tausend Aussteller sind hier vertreten, 250. 000Besucher werden erwartet. Das sind eindrucksvolle Zahlen. Die IFA ist ein erstklassiges Schaufenster der deutschen Innovationskraft. Ich begrüße es, dass diese Veranstaltung ich denke, das ist angesichts der Beschleunigung der Entwicklung richtig? jährlich stattfindet. Im Übrigen auch darauf hat Herr Hecker schon hingewiesen gibt es die IFA seit über 89Jahren für Konsumenten und für das Fachpublikum, immer als eine faszinierende, rasante, die jeweilige Dynamik der Zeit betrachtende und widerspiegelnde Messe für Unterhaltungselektronik, Telekommunikation und vieles andere.

So sind auf der IFA vielzählige Innovationen vorgestellt worden. Im Jahre 1930 war es der erste "Fernseh-Demonstrationsempfänger", 37Jahre später wurde der Startschuss für das Farbfernsehen gegeben. Die HDTV-Technologie ist auch schon etwas älter; sie hatte es lediglich nicht geschafft, sich durchzusetzen. Vom Prinzip her gibt es auch sie schon seit über 20Jahren.

Das heißt: IFA und Innovation gehören zusammen. Die Spirale dreht sich heute sicherlich rascher, als das früher der Fall gewesen ist. Heute vor 55Jahren ich weiß nicht, wer sich noch erinnert wurde hier die erste Langspielplatte mit 331/3 Umdrehungen in der Minute präsentiert. Damals war sie eine bahnbrechende Innovation; heute ist sie Geschichte, aber immerhin eine gute Geschichte.

Heute haben wir mobile Geräte. Von den MP3 -Playern war bereits die Rede. Auch diese wurden darauf möchte ich an dieser Stelle hinweisen an einem deutschen Forschungsinstitut entwickelt. Hörfunk, Fernsehen, Computer, Internet, Telefon sie verschmelzen in einer neuartigen Generation von Multimedia-Geräten. Ich persönlich beobachte sehr aufmerksam, wer wo wie das Rennen macht, und habe an dieser Stelle nur eine Bitte, die mit meinem wachsenden Lebensalter immer intensiver wird: Machen Sie es den Kunden nicht zu schwierig und bieten Sie da, wo es schwierig ist, einen ordentlichen Service an. Das ist dringend notwendig.

Allerdings sage ich auch: Familien mit Kindern haben Vorteile. Enkel sind auch sehr gut zu gebrauchen, wenn es um neue Technologien geht. Das liegt bei ihnen irgendwie schon im Blut. Da braucht man dann die Gebrauchsanweisung nicht zu lesen, in der heute nicht mehr notwendigerweise ganz zu Anfang die deutsche Version abgedruckt ist, sondern in der man erst einmal danach suchen muss. Wenn es um Beratung und Service angeht, stehe ich gerne kostenlos zur Verfügung.

Meine Damen und Herren, die Innovationsspirale dreht sich rasant und die IFA hält Schritt. Deshalb glaube ich das sage ich für die Bundesrepublik Deutschland, das sage ich für die Bundesregierung, die in Berlin sitzt? , dass wir alles dafür tun sollten, damit die IFA weltweite Leitmesse bleibt.

Die IFA ist auch ein ganz wichtiges Konjunkturbarometer. Wir können bei aller Zurückhaltung sagen: Dieses Barometer zeigt in die richtige Richtung. Herr Hecker hat zu Recht bemerkt, dass wir es hier mit einer Wachstumsbranche zu tun haben. Viele Menschen in Deutschland sehen Umstrukturierungen und sehen aber nicht, in welchen Bereichen Wachstum stattfindet. Deshalb ist gerade seitens der "Consumer Electronics" der Konsumentenelektronik oder wie auch immer das korrekt übersetzt werden mag immer wieder deutlich zu machen: Wir wachsen; und es ist eine wunderbare Branche. Die Stimmung ist positiv. In diesem Jahr wird ein Umsatzplus erwartet. Damit ist diese Branche auch Taktgeber für die deutsche Wirtschaft insgesamt.

Wir können -das darf ich bei aller Zurückhaltung anmerken sagen: Deutschland ist, was das Wirtschaftswachstum anbelangt, auf dem richtigen Weg. Wir können es schaffen, von den hinteren Positionen wieder nach vorn zu kommen. Deshalb sehen wir mit Freude auf bestimmte Zahlen, zum Beispiel auf das Bruttoinlandsprodukt, das im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahr um 2 % gewachsen ist. Aber ich sage auch: Es bedarf immer wieder der Anstrengung aller dazu gehört auch die Politik? , um die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um dem, was an Wachstumspotenzialen angelegt ist, wirklich zum Durchbruch zu verhelfen.

Deshalb reicht es nicht, wenn sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt verbessert, wenn die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen nicht mehr zurückgeht, die Zahl der offenen Stellen glücklicherweise höher ist. Vielmehr darf sich ein Land wie Deutschland nicht mit 4,3 Millionen Arbeitslosen und einer erschreckend schwierigen strukturellen Haushaltslage abfinden. Herr Wowereit hat freundlich darauf hingewiesen, dass Einnahmen immer willkommen sind. Aber die Haushalte sind eben leider dadurch gekennzeichnet, dass wir immer wieder von der Substanz leben, also mehr ausgeben, als wir einnehmen. Das darf so nicht bleiben.

Deshalb sind Maßnahmen erforderlich, und zwar auch solche, die Sie mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sehen, wie z. B. die Erhöhung der Mehrwertsteuer -aber wir müssen aus der Verschuldungsspirale herauskommen? und solche, die positiv sind. Dass z. B. die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 2 % und die Lohnzusatzkosten zum Jahresbeginn um 1 % gesenkt werden können, ist eine gute Botschaft. Dazu gehören auch Reformen, die ich jetzt nicht alle im Einzelnen aufzählen will. Zu einer einzigen will ich ein Wort sagen, weil das für Sie und für jene, die in Deutschland wirtschaften, von Wichtigkeit ist. Ich meine die Unternehmens- und Erbschaftsteuerreform.

Ich will deutlich machen: Wir sind hier in der Diskussion. Aber ich halte es für äußerst problematisch das ist jetzt für Kenner? , wenn wir in die Körperschaftssteuer gewinnunabhängige Elemente einbauen. Wir brauchen das Prinzip, dass Kosten nicht besteuert werden, aber dass in Deutschland erwirtschaftete Gewinne natürlich auch in Deutschland der Besteuerung unterliegen. Aber gewinnunabhängige Elemente sollten eben nicht in die Körperschaftssteuer hinein. Ich möchte auch erwähnen? das ist ein Thema, das viele Branchen, gerade wachsende Branchen, in besonderer Weise bewegt? , dass wir Bürokratie in Deutschland abbauen müssen. Dafür werden wir als Bundesregierung 25 % der Statistikpflichten abschaffen, und zwar durch einen neu zu schaffenden Normenkontrollrat entsprechend den niederländischen und britischen Erfahrungen. Ich glaube, das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Meine Damen und Herren, der Kern ist? deshalb ist die IFA eine so spannende Leitmesse? , dass ein Land wie Deutschland im Wettbewerb mit gut aufgestellten internationalen "companies" ? mir fällt auch schon nur noch ein englisches Wort ein? , also mit gut aufgestellten internationalen Wettbewerbern, seine Innovationskraft stärkt und wir wieder da anschließen, wo wir über viele Jahre auch Taktgeber waren. Wir stehen in einem sehr schwierigen Kostenwettbewerb. Deshalb hat der Bundespräsident Recht gehabt, als er gesagt hat: Wenn wir teurer sind, dann müssen wir immer so viel besser sein, wie wir teurer sind. Nur so können Innovationen aus Deutschland eine Chance haben.

Deshalb hat die Bundesregierung auch darüber nachgedacht, wie wir die innovationspolitischen Rahmenbedingungen verbessern können. Wir werden z. B. in diesem Jahr, im Dezember, einen nationalen Gipfel für Informationstechnologie stattfinden lassen. Das Interesse ist gewaltig. Wir wissen, dass wir in Deutschland Schwierigkeiten bei der Überwindung des Weges zwischen Forschung und der Einführung in bestimmte Zukunftsmärkte haben. Wir wollen, dass aus Ideen schneller Produkte werden, um genau das zu verhindern, was uns beim MP3 -Player passiert ist: In Deutschland entwickelt, aber das Geschäft wird im Ausland gemacht. Deutschland hat den Anspruch, im fairen Wettbewerb mit anderen aus seinen Erfindungen auch wieder marktfähige Produkte zu machen, mit denen wir Geld verdienen können.

Meine Damen und Herren, deshalb hat die Bundesregierung? ob aller Notwendigkeiten zu sparen? ganz bewusst einen Akzent gesetzt und gesagt: Wir werden in dieser Legislaturperiode 6Milliarden Euro in Innovation, Forschung, Entwicklung und Markteinführung investieren. Deshalb brauchen wir die High-Tech-Strategie, die entwickelt wird, in all ihren Komponenten, und ich möchte Sie einladen, dass die Vertreter Ihrer Branche hieran auch aktiv mitarbeiten. Wir brauchen natürlich zum Teil auch eine Bündelung von Aktivitäten, doch das wollen wir gerne begleiten. Wir wollen Wissenschaftseinrichtungen motivieren, noch stärker wirtschaftsrelevante Themen und Forschungsaufträge zu bearbeiten, um vor allen Dingen mit der Entwicklungsgeschwindigkeit Ihrer Branche Schritt zu halten. Auch dabei klaffen Forschungsaktivitäten an den Wissenschaftseinrichtungen und die jeweiligen Entwicklungen in der Wirtschaft schwer auseinander. Zeit ist heute ein ganz wichtiger Faktor. Auch darauf wird die Bundesregierung drängen.

Meine Damen und Herren, wir als Bundesrepublik Deutschland wollen? ich sage das auch für unsere Rolle als Gastgeber von großen Messen, von Leitmessen? , dass es einerseits den Menschen in diesem Land gut und besser geht, aber wir wollen einfach auch wieder ein Land sein, auf das man schaut und über das man sagt: Hier passiert etwas, hier gibt es Dynamik.

Ihre Branche, mit der Sie heute hier vertreten sind, repräsentiert diese Dynamik. Deshalb möchte ich Ihnen für all die Anstrengungen danken, deshalb möchte ich den Veranstaltern der IFA für den Mut danken, sich auf einen jährlichen Rhythmus einzulassen, und deshalb möchte ich Ihnen sagen: Wir werden Sie nicht nur begleiten, sondern wir werden auch dafür kämpfen, dass die IFA in Berlin eine Leitmesse bleibt und dass wir politisch das tun, was notwendig ist, um Deutschland als einen Innovationsmarkt zu stärken. Herzlichen Dank und Ihnen allen eine erfolgreiche Messe!