Redner(in): k.A.
Datum: 04.09.2006

Untertitel: Bundesarbeitsminister Franz Müntefering hat in seiner Eröffnungsredeauf dem ersten Asia-Europe-Meeting(ASEM) zu Arbeit und Beschäftigung soziale Regeln für die Globalisierung gefordert. Er sprach sich unter anderem auch dafür aus, Kinderarbeitauf der ganzen Welt zu ächten.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/09/2006-09-04-rede-muentefering-asem,layoutVariant=Druckansicht.html


Das Treffen findet vom 3. bis 5. September in Potsdam statt. Dort wird der europäische-asiatische Dialog um ein wichtigesThema erweitert: Arbeitsbedingungen in Zeiten der Globalisierung. Die Rede vonArbeitsminister Franz Müntefering vorMinisterinnen und Ministernund Delegationsleitungen ausden 25 EU-Staaten, 13 asiatischen Ländernsowie der Europäischen Kommissionim Wortlaut: Mit dieser Konferenz zu Arbeit und Beschäftigung erweitern wir den ASEM-Prozess. Bislang standen bei ASEM weitgehend außen- , wirtschafts- und finanzpolitische Themen im Mittelpunkt. Jetzt geht es zum ersten Mal unmittelbar um soziale, insbesondere um beschäftigungspolitische Fragen. Für unsere Bevölkerungen sind das ganz wichtige Fragen. Die Mobilität, die die Menschheit gewonnen hat, wirkt umfassend. Die Märkte sind längst entgrenzt, die globale Werkbank ist Realität. Viele Staaten - Schwellenländer genauso wie bereits entwickelte Industrienationen - profitieren von der Liberalisierung des Handels und von der Freizügigkeit in einer kleiner werdenden Welt. Aber alle Nationalstaaten sind zugleich konfrontiert mit neuen Herausforderungen. Globalisierung, demographischer Wandel, sozialer und wirtschaftlicher Strukturwandel machen Probleme. Oft schlagen sich die Konsequenzen auf den Arbeitsmärkten nieder. Nur ein Beispiel: Die wirtschaftliche Globalisierung bietet weltweit tätigen Unternehmen die Chance, Standorte gegeneinander auszuspielen. Oft werden hochproduktive und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze vernichtet, weil anderswo kurzfristig und kurzzeitig noch höherer Profit möglich scheint. Längst finden diese Verlagerungen nicht mehr nur zwischen Industriestaaten und Schwellenländern statt, sondern auch zwischen den Schwellenländern selbst. Nach wenigen Jahren ziehen die Unternehmen weiter in vermeintlich billigere Regionen, um den Shareholder-Value noch mal zu erhöhen. Wir müssen hier an die moralische und an die wirtschaftliche Verantwortung der Unternehmer appellieren. Manche von ihnen hören darauf - das ist nicht wirkungslos. Und zahlreiche Unternehmer wissen ohnehin, dass sie auch Verantwortung haben für die Arbeitsplätze und für ihre Standorte. Und sie handeln auch so. Aber sorglos dürfen wir auch nicht sein. Vieles läuft da auch gegen die Arbeitnehmer. Dann dominiert der Wille zum Profit, und der Einfluss der Politik ist begrenzt. Aber er ist nicht wirkungslos. Wir stehen jedenfalls in der Pflicht zu verhindern, dass wir uns weltweit gegenseitig in die Knie konkurrieren, zum Schaden der Schwächsten in unseren Bevölkerungen. Sozialdumping ist kein solides Fundament wirtschaftlicher Entwicklung. Das Ergebnis wäre eine Spirale nach unten, durch die alle verlieren würden: Europäer ebenso wie Asiaten, reiche Staaten ebenso wie arme. Und vor allem diejenigen, die in den Gesellschaften ohnehin am unteren Rand leben. Löhne spielen eine Rolle als Standortfaktor im internationalen Wettbewerb. Genauso wie Produktivität oder Innovation. Und es ist legitim, wenn Schwellenländer niedrigere Löhne nutzen, um Vorteile im Wettbewerb zu erzielen. Aber das darf nicht dazu führen, dass Arbeit unsozial oder gar menschenunwürdig organisiert oder eben gar nicht organisiert wird. Hungerlöhne, sittenwidrige Gehälter, lebensbedrohliche Arbeitsbedingungen oder gar staatlich tolerierte Zwangsarbeit sind nicht hinnehmbar und müssen aktiv bekämpft werden. Denn die sind Sackgassen - für die Wirtschaftlichkeit und für die Menschlichkeit. In diesem Zusammenhang blicken wir mit allergrößter Besorgnis auf die Situation in Myanmar, die uns im Rahmen unseres Engagements in der Internationalen Arbeitsorganisation ( ILO ) bereits seit Jahren beschäftigt. Wir bekräftigen erneut die Aufforderung der internationalen Gemeinschaft an die Regierung von Myanmar, mit der ILO bei der Bekämpfung von Zwangsarbeit konstruktiv zusammenzuarbeiten. Die Akzeptanz für internationale Zusammenarbeit, für Globalisierung und Europäisierung wird nur dann wachsen, wenn die Menschen spüren, dass sie davon profitieren - auch durch neue Chancen auf gute Arbeit. Auch deswegen ist die beschäftigungspolitische Dimension des globalen Dialogs so wichtig."Mehr und bessere Arbeit - die soziale Dimension der Globalisierung gemeinsam stärken". Der Titel unseres Treffens beschreibt die Aufgabe. Mehr Menschen Chancen auf Arbeit geben - dieses Ziel eint wohl alle hier im Saal. Die große Koalition, die seit Ende 2005 in Deutschland regiert, hat diese Aufgabe in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt. Arbeit dient nicht nur dem Lebensunterhalt und der Armutsbekämpfung. Sie ist zugleich auch der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe, zu Selbstbewusstsein. Wir wollen, dass Menschen eine Chance haben, diesen Schlüssel in die Hand zu bekommen. Andererseits bedeutet nicht jede Arbeit Teilhabe. Nicht jede Beschäftigung führt zu mehr Wohlstand. Es kommt auf die Qualität der Arbeit an. Ist sie gut? Ist sie menschenwürdig? Sichert sie das Überleben? Dient sie vielleicht gar der Selbstverwirklichung? Es gibt - davon bin ich überzeugt - Mindeststandards guter Arbeit, die überall auf der Welt gelten können. Um diese zu entwickeln, braucht es Kooperation und Erfahrungsaustausch. Und einen langen Atem. Politik für gute Arbeit ist eine Politik, in der wirtschaftliche und soziale Interessen zusammenkommen und nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das Beispiel des deutschen Modells der sozialen Marktwirtschaft zeigt, dass es möglich ist, auf nationalstaatlicher Ebene wirtschaftliche und soziale Entwicklung zusammenzubringen: Drei Komponenten spielen dabei eine entscheidende RolleErstens: Wohlstand für alle. Das ist Ziel und Messlatte für das Erreichte und das Angestrebte. Leistung soll sich lohnen. Alle sollen ein gerechtes Stück vom Kuchen der gemeinsam erwirtschafteten Werte abbekommen - ein möglichst großes auch. Dafür muss der wirtschaftliche Erfolg möglichst groß sein, muss der besagte Kuchen groß sein, der da verteilt wird. Gleichzeitig garantieren wir die Sicherheit, dass niemand in blanke Not fällt, nur weil er alt, krank, pflegebedürftig oder arbeitslos ist. Wir organisieren Solidarität im Sozialstaat. Zweitens: Arbeit. Gute Arbeit - zu menschenwürdigen Bedingungen und zu fairen Löhnen. Um mehr Menschen Chancen auf Arbeit zu geben, haben wir begonnen, den Arbeitsmarkt und die Arbeitsvermittlung zu reformieren. Es gibt eine leichte Entspannung am Arbeitsmarkt in Deutschland, aber längst nicht genug. Die hohe Arbeitslosigkeit bleibt Herausforderung. Drittens: Teilhabe und Teilnahme. Mitbestimmung und Arbeitnehmerrechte generell fördern Identifikation mit dem Unternehmen, aber auch die wirtschaftliche Leistungskraft und die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft. Sie schaffen eine Kultur der Freiheit und der Verantwortung, die für soziale Demokratie unerlässlich ist. Und der Markt braucht freie und verantwortliche Akteure. Mit ihnen ist er effizienter und dynamischer als mit allen anderen Alternativen. Das schließt freie Gewerkschaften ein. Sie sind und bleiben unverzichtbares Element sozialer Demokratie. Diese drei Punkte machen einen großen Teil des großen sozialen Versprechens aus, das im deutschen Sozialmodell verwirklicht wurde und verwirklicht werden soll. Ich werbe dafür, dass wir uns auch im internationalen Maßstab generell an solchen Zielen orientieren, dass wir das Soziale zu einem festen Bestandteil aller Überlegungen machen. In Zeiten wirtschaftlicher Globalisierung wird es auf die Dauer nicht reichen, wenn die Nationalstaaten wie Lazarettwagen die Verletzten und Versehrten der Globalisierung aufsammeln und verarzten. Wirtschaftspolitik auf internationaler Ebene und Sozialpolitik nur vor Ort - das kann nicht funktionieren. Wirtschafts- und Sozialpolitik haben nationale und internationale Dimension. Wir müssen politische Antworten entwickeln auf die Frage, wie wir die Vorteile der Globalisierung nutzen und gleichzeitig die zerstörerischen Kräfte des globalen Kapitalismus zähmen. Dabei ist unsere Richtschnur: Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht umgekehrt. Um Antworten zu geben, braucht es den Willen derjenigen, die Politik konkret gestalten. In der EU sind wir hier ein Stück vorangekommen - auch in der Zusammenarbeit in sozialen Fragen. Das wollen wir weiter intensivieren. Und wir wollen Partner in der ganzen Welt, die auch diese große Anstrengung vorantreiben wollen. Der ASEM-Prozess ist eine Chance, diesen Ansatz zu verbreitern. Schon allein aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke. Die am ASEM-Prozess beteiligten Staaten repräsentieren 40 Prozent der Weltbevölkerung, 50 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts und ca. 60 Prozent des Welthandels. Das hat Gewicht. Dabei ist das Bild sehr uneinheitlich, wenn man sich die Details ansieht - zum Beispiel bei den Handelsbilanzen oder beim Lohn- und Produktivitätsniveau. Aber ungeachtet aller Unterschiede: In Europa wie in Asien sind die Regierungen konfrontiert mit Arbeitslosigkeit, mit ungleich verteilten Chancen auf Arbeit und mit der Aufgabe der Qualifikation und Integration von älteren und jüngeren Arbeitnehmern in den Arbeitsmarkt. Unsere asiatischen Partner kommen von der 14. Asiatischen Regionaltagung der ILO, auf der sie auch solche Themen besprochen haben. Regionale Zusammenschlüsse - wie die EU oder ASEAN - sind wichtig. Ebenso die Zusammenarbeit zwischen diesen Foren. Das kann den Weg weisen zu einer sozialen Gestaltung der Globalisierung. Hierzu einige Anmerkungen und Beispiele. Ich bin überzeugt: Zur sozialen Dimension der Globalisierung gehört der Schutz vor einem willkürlichen Verlust des Arbeitsplatzes. Umstrukturierungsprozesse dürfen nicht einseitig auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihres arbeits- und sozialrechtlichen Schutzes gehen. Wir müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Willkür schützen, so gut es geht. Und wir müssen sie in die Lage versetzen, ihre Interessen durchzusetzen. Zur sozialen Dimension der Globalisierung gehört, dass Arbeitnehmerbeteiligung und Mitbestimmung möglich sind. Teilhabe am Haben und am Sagen auch in der Wirtschaft schafft gerade in Zeiten des Wandels dringend nötige Stabilität. Damit haben wir in Deutschland gute Erfahrungen gemacht. Zur sozialen Dimension der Globalisierung gehört, dass Zugang zu guter Bildung und Ausbildung, zu Fort- und Weiterbildung besteht. Insbesondere auch für Frauen. Bei Arbeitslosigkeit gilt es, Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten oder wieder herzustellen. Allgemeiner Zugang zu Schulbildung ebenso wie Möglichkeiten der beruflichen Qualifizierung sind wichtig, um sich behaupten zu können - individuell genauso wie volkswirtschaftlich. Zur sozialen Dimension der Globalisierung gehört natürlich auch, dass Arbeitsplätze sicher und menschengerecht ausgestaltet sind. Ausbeutung - zum Beispiel durch Kinderarbeit - darf nirgendwo auf der Welt toleriert werden. Sie gehört geächtet. Da bleibt viel zu tun: Im Jahr 2004 waren 218 Millionen Kinder in Kinderarbeit gefangen, davon 126 Millionen in gefährlicher Arbeit. Durch Kinderarbeit wird den Jüngsten und Schwächsten jede Aussicht auf eine gute Zukunft verbaut. Das darf nicht sein! Die internationalen Vereinbarungen und Programme - insbesondere im Rahmen der ILO - sind eine eindeutige und verbindliche Richtschnur. Und es gibt Fortschritte: In den letzten vier Jahren ist Kinderarbeit um elf Prozent zurückgegangen. Hier hat sich gezeigt, dass wir die Einführung klarer Regeln verbinden müssen mit konkreten lokalen Projekten, die Alternativen aufzeigen. Das schafft die nötige Akzeptanz. Eine konkrete Aufgabe, vor der wir ebenfalls gemeinsam stehen, ist, ausreichenden Arbeitsschutz zu gewährleisten. In Deutschland haben wir es mit dem System der gesetzlichen Unfallversicherung geschafft, dass die Unfallhäufigkeit seit Jahren zurückgeht. Verletzte können durch unser gut funktionierendes Rehabilitationssystem auch nach schweren Unfällen wieder ins Arbeitsleben zurückkehren. Die Beispiele zeigen: Die Aufgaben sind groß, aber sie sind zu bewältigen, wenn wir unsere Erfahrungen und Kompetenzen bündeln. Wir können voneinander lernen, wenn wir miteinander im Gespräch bleiben, zum Beispiel in den Workshops. Das kann nur ein Anfang sein. Aber es ist ein wichtiger. Wenn wir das Soziale stärken wollen, dann kann das nur auf mehreren Ebenen geschehen. Drei Beispiele: Wir wollen, dass verbindliche Standards verwirklicht werden - zum Beispiel in der ILO. Wir brauchen soziale Regeln für die Globalisierung. Ein aktuelles Beispiel ist das Seearbeitsübereinkommen der ILO, das im Februar 2006 verabschiedet wurde. Es soll die Arbeits- und Lebensbedingungen der Seeleute weltweit verbessern. Da wird die soziale Gestaltung der Globalisierung ganz praktisch. Wir wollen im europäischen Einigungsprozess die soziale Dimension stärken. Deutschland wird das Thema zu einem Kernanliegen der EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 machen. Europa ist nicht nur Marktliberalisierung. Europa ist ein soziales Projekt, ein Vorbild dafür, wie sozialer Zusammenhalt und wirtschaftlicher Erfolg verzahnt werden können. Wir wollen den weltweiten Dialog über das Soziale als Dimension der Globalisierung stärken. Deutschland wird dabei im europäischen Rahmen und darüber hinaus initiativ sein und seinen Beitrag leisten. Das gilt für die Globalisierungskonferenz, die wir Ende November mit Frankreich und der Internationalen Arbeitsorganisation ausrichten genauso wie für das G8 -Arbeitsministertreffen im Mai nächsten Jahres in Dresden. Die Dimension der Beschäftigung und der Qualität von Arbeit sind bei allen diesen Bemühungen ein zentraler Bestandteil. Deshalb ist die erste ASEM-Arbeits- und Beschäftigungskonferenz auch so wichtig. Und deshalb hoffe ich, dass ihr weitere folgen werden, dass wir den Dialog inhaltlich fortsetzen werden. Soziale Politik ist eine wirtschaftliche Kraft und eine demokratische Notwendigkeit. Sie in Zeiten der Globalisierung zu erhalten oder neu zu beleben ist zentral, wenn wir das Vertrauen der Menschen in die Kraft politischer Gestaltung bewahren wollen. Ich wünsche uns gute Beratungen und der Konferenz ein gutes Gelingen.